Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.09.2022 – 10 ZB 22.30743
Titel:

Erfolglose Anhörungsrüge

Normenketten:
VwGO § 152a
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Leitsätze:
1. Bevor das Berufungszulassungsgericht prüft, ob eine als grundsätzlich aufgeworfene Frage klärungsbedürftig ist, hat es sich zu vergewissern, dass sie klärungsfähig ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von der Klärungsfähigkeit ist nicht auszugehen, wenn das Verwaltungsgericht die Frage als nicht entscheidungserheblich angesehen hat.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, Berufungszulassung, Grundsatzrüge, Klärungsfähigkeit, Klärungsbedürftigkeit, Entscheidungserheblichkeit
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 28.06.2022 – 10 ZB 22.30645
VG Regensburg, Urteil vom 13.04.2022 – RN 14 K 21.30578
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27379

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

1
Mit ihrer Anhörungsrüge begehrt die Klägerin die Fortführung des Verfahrens über ihren Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. April 2022, den der Senat mit Beschluss vom 28. Juni 2022 abgelehnt hat. Mit dem Urteil hatte das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin im Asylverfahren abgewiesen.
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1. Die am 18. Juli 2022 erhobene Anhörungsrüge der Klägerin gegen den nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbaren Beschluss des Senats vom 28. Juni 2022, der ihr am 4. Juli 2022 zugestellt wurde, ist zulässig, aber unbegründet, weil diese Entscheidung sie nicht im Sinne von § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
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a) Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO darzulegen. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B. v. 1.4.2015 - 4 B 10.15 - juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 - 10 ZB 15.1197 - juris Rn. 3 m.w.N.).
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b) Die Klägerseite macht mit der Anhörungsrüge geltend, der Senat habe sich zu Unrecht darauf berufen, dass das Verwaltungsgericht die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen nicht als entscheidungserheblich angesehen hätte, weil sie bereits geklärt oder rein spekulativ gewesen wären. Der Senat habe nicht erkannt, dass das Asylverfahren des Lebensgefährten der Klägerin und gleichzeitig Vaters der gemeinsamen Kinder nicht abgeschlossen sei. Es bestehe ein gesetzlicher Duldungsgrund. Außerdem erwarte die Klägerin ein weiteres Kind, erwarteter Entbindungstermin sei im November 2022. Ferner habe das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. Juni 2022 in dem Verfahren 1 C 24.21 dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob das Kindeswohl und familiäre Bindungen bei Erlass der Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen seien. Wenn diese Duldungsgründe zu berücksichtigen seien, dann stelle sich die Frage, ob auch andere Duldungsgründe zu berücksichtigen seien. Den Sachvortrag der Klägerin, dass diese Frage obergerichtlich nicht geklärt sei, habe das Gericht nicht berücksichtigt, insbesondere nicht die genannte Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts.
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c) Gemessen an den vorgenannten Maßstäben wird damit ein Gehörsverstoß nicht aufgezeigt. Dass der Senat in dem Beschluss vom 28. Juni 2022 entscheidungserhebliches Vorbringen in dem Antrag auf Zulassung der Berufung übergangen hat, ergibt sich daraus nicht.
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Der Senat hat das Vorbringen der Klägerseite zu den familiären Beziehungen und Umständen zur Kenntnis genommen (vgl. BA S. 4: „das Asylverfahren des Lebensgefährten, der eine Aufenthaltsgestattung besitze, noch anhängig sei“ u. „sie selbst schwanger sei“), insofern aber tragend darauf abgestellt, dass das Verwaltungsgericht die Frage der Berücksichtigung der - von ihm im Ergebnis verneinten − Duldungsgründe als nicht entscheidungserheblich angesehen und die Klägerseite sich damit in der Zulassungsschrift nicht auseinandergesetzt hat (vgl. BA S. 4 f. i.V.m. UA S. 23: „Die Klägerin wird im Familienverband in ihr Heimatland zurückkehren“, „keinem Familienangehörigen derzeit ein Aufenthaltsrecht zukommt“ u. „Der Hinweis auf Duldungsgründe im Hinblick auf ihre Schwangerschaft, die Klägerin befindet sich nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung in der 6. Schwangerschaftswoche, sind rein spekulativ im Hinblick auf eine mögliche Reiseunfähigkeit“). Die Klägerseite legt auch in der Anhörungsrüge nicht dar, dass und inwieweit sie sich im Widerspruch dazu doch mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt hat, so dass der Senat im Zulassungsverfahren diesbezügliches Vorbringen übergangen haben könnte.
7
Die Klägerseite setzt für die geltend gemachte Grundsatzrüge Klärungsbedürftigkeit mit Klärungsfähigkeit gleich. Bevor das Berufungs(zulassungs) gericht prüft, ob eine als grundsätzlich aufgeworfene Frage klärungsbedürftig ist, hat es sich zu vergewissern, dass sie klärungsfähig ist. Davon ist nicht auszugehen, wenn das Verwaltungsgericht die Frage als nicht entscheidungserheblich angesehen hat. Entscheidungserheblichkeit ist gegeben, wenn die angegriffene Begründung entscheidungstragender Bestandteil des verwaltungsgerichtlichen Urteils ist, mithin für die Vorinstanz entscheidungserheblich war (vgl. Schulz-Bredemeier in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 78 Rn. 5; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 37; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 125). Das Verwaltungsgericht hat die den Fragen zugrundeliegende Prämisse, das Vorliegen von Duldungsgründen, aufgrund der erwähnten Erwägungen als nicht gegeben angesehen, und damit deren Entscheidungserheblichkeit verneint (s.o.). Dies blendet die Klägerseite − ebenso wie zuvor in der Zulassungsschrift − in der Anhörungsrüge aus.
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Angesichts der vorgenannten Umstände und Erwägungen zeigt die Anhörungsrüge auch nicht auf, dass und inwieweit noch ein weiteres Eingehen auf den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts veranlasst gewesen wäre.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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102. Die Kostenentscheidung bezüglich der Kosten des Verfahrens über die Anhörungsrüge beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
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4. Dieser Beschluss ist nach § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO unanfechtbar.