Titel:
Entlassung eines Soldaten auf Zeit wegen sexueller Belästigung von Kameraden per WhatsApp
Normenketten:
SG § 12 S. 2, § 17 Abs. 2 S. 1, § 55 Abs. 5
StGB § 184 Abs. 1 Nr. 6
SoldGG § 3 Abs. 4, § 7 Abs. 2
Leitsätze:
1. Bei den Versuchen eines Soldaten auf Zeit, mindestens 11 Soldaten seines Bataillons durch Zusendung von entsprechendem Bild- und Videomaterial per WhatsApp zum Geschlechtsverkehr (zu dritt) mit einer Frau zu überreden, von welcher er ebenfalls Nacktbilder an seine Kameraden versandt hatte, handelt es sich um sexuelle Belästigungen dieser Kameraden. Dies rechtfertigt eine fristlose Entlassung des Versenders aus dem Dienstverhältnis gemäß § 55 Abs. 5 SG. (Rn. 30, 34 , 42) (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. In § 55 Abs. 5 SG ist der Entlassungsbehörde kein umfassendes Ermessen eingeräumt, das sie verpflichten würde, alle für und gegen den Verbleib des Zeitsoldaten im Dienst sprechenden Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtwürdigung zusammenzutragen, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Vielmehr ist die Frage der Angemessenheit der Entlassung bereits auf der Tatbestandsebene des § 55 Abs. 5 SG selbst konkretisiert. Demgemäß ist die Befugnis der zuständigen Behörde, bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen von einer fristlosen Entlassung abzusehen, im Sinne einer sog. „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-)Fälle beschränkt. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldat auf Zeit, Fristlose Entlassung, Chats mit Kameraden mit unerwünschten sexuellen Inhalten und pornographischem Bild- und Videomaterial, Verletzung von Dienstpflichten
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 20.09.2022 – 6 CS 22.1775
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27378
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 7.789,71 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen seine fristlose Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit.
2
Der am … geborene Antragsteller trat am 1. Oktober 2019 im untersten Mannschaftsdienstgrad, vorgesehen für die Laufbahn der Mannschaften des Truppendienstes, in die Bundeswehr ein und wurde am 31. Oktober 2019 zum Soldaten auf Zeit ernannt. Die für acht Jahre erklärte Verpflichtungszeit hätte mit Ablauf des 30. September 2027 geendet.
3
Im Zeitraum vom … Oktober 2021 bis … November 2021 wurden vom Kompaniechef des Antragstellers als nächstem Dienstvorgesetzten 13 Zeugen und der Antragsteller zum Vorwurf der sexuellen Belästigung einvernommen und Chat-Verläufe gesichert.
4
Am 29. Oktober 2021 wurde dem Antragsteller bis auf weiteres die Ausübung seines Dienstes und das Tragen der Uniform untersagt.
5
Am 4. November 2021 beantragte der Kompaniechef als nächster Dienstvorgesetzter des Antragstellers dessen Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG, die vom nächsthöheren Dienstvorgesetzten „mit Nachdruck“ unterstützt wurde, weil der Antragsteller die Disziplin gefährde und seine Funktion und die Kameradschaft für seine Interessen gezielt ausgenutzt habe. Die Vertrauensperson hielt die fristlose Entlassung des Antragstellers in ihrer Anhörung für nachvollziehbar.
6
Aus dem Anhörungs- und Eröffnungsvermerk ergibt sich, dass dem Antragsteller der Entwurf des Antrags auf Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG am 4. November 2021 ausgehändigt wurde, die Erörterung am 5. November 2021 erfolgte und ihm der Antrag im vollen Wortlaut am 10. November 2021 eröffnet wurde. Er erklärte sich am 11. November 2021 mit der Personalmaßnahme nicht einverstanden, verzichtete auf die Abgabe einer schriftlichen Äußerung und erklärte sich mit der Stellungnahme des nächsten Disziplinarvorgesetzten nicht einverstanden.
7
Mit Schreiben vom 8. November 2021 war die Angelegenheit nach § 33 Abs. 3 WDO wegen des Verdachts der Verbreitung pornographischer Inhalte (§ 184 StGB) und auf sexuelle Belästigung (§ 184i StGB) an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden.
8
Am 7. Dezember 2021 wurde gegen den Antragsteller die Disziplinarmaßnahme eines strengen Verweises erteilt und dem Antragsteller eine Ausfertigung mit Rechtsbehelfsbelehrungausgehändigt. Ausweislich des Vermerks des nächsten Disziplinarvorgesetzten wurde die Disziplinarmaßnahme am 13. Dezember 2021 durch Bekanntmachung gemäß § 50 Abs. 1 WDO vollstreckt und der Antragsteller hat schriftlich auf sein Beschwerderecht verzichtet, sodass die Disziplinarmaßnahme seit 10. Dezember 2021 unanfechtbar ist.
9
Mit Schreiben vom … Januar bestellten sich die Bevollmächtigten des Antragstellers und beantragten Akteneinsicht, an die sie mit Schreiben vom … Januar 2022 erinnerten. Mit Schriftsatz vom … Februar 2022 nahmen sie zum Antrag auf Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG Stellung und verwiesen auf die von der Rechtsprechung zur ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinne des § 55 Abs. 5 SG gebildeten Fallgruppen, die im Falle des Antragstellers nicht erfüllt seien. Eine Dienstpflichtverletzung im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtige, sei vorliegend ebenso wenig gegeben wie eine Straftat. Auch fehlten jegliche konkreten Anhaltspunkte für eine Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr, die im Übrigen bereits durch die verhängte Disziplinarmaßnahme abgewendet worden wäre. Ebenso liege keine ernstliche Gefährdung vor. Eine ergänzende Stellungnahme werde nach gewährter Akteneinsicht erfolgen.
10
Die Gleichstellungsbeauftragte empfahl unter dem 21. Januar 2022, den Antragsteller aufgrund seines Fehlverhaltens zu entlassen. Die Vielzahl der ihm vorgeworfenen Taten mache ein Verbleiben im Dienst unmöglich.
11
Mit Bescheid vom 15. Februar 2022, der dem Antragsteller am nächsten Tag gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt wurde, wurde er gemäß § 55 Abs. 5 SG mit Ablauf des Aushändigungstages aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe zu nicht mehr genau definierbaren Zeitpunkten verteilt über das Jahr 2021 mindestens 11 Soldaten seines Bataillons schriftlich kontaktiert und ihnen gegen deren Willen Video- und Bildmaterial mit sexuellem Hintergrund zugesandt sowie versucht, sie zum Geschlechtsverkehr (zu dritt) mit einer Frau zu überreden. Auf Teilen des Videomaterials sei der Antragsteller selbst beim Geschlechtsverkehr zu sehen gewesen. Zudem habe er auch Nacktbilder der „angebotenen“ Frau versandt. Soldaten hätten sich durch die erkennbaren sexuellen Hintergedanken in der Art der schriftlichen Kommunikation des Antragstellers belästigt gefühlt. Zudem bestehe der begründete Verdacht, dass er in mindestens 3 Fällen Kameraden gegen deren Willen mit sexuellem Hintergrund angefasst habe. Dies wurde im Bescheid, unter Beifügung der Zeugeneinvernahmen, teilweise mit ausgedruckten Chat-Verläufen, die die Zeugen zur Verfügung gestellt hatten (Bezug 1), hinsichtlich jedes der 11 Soldaten im Einzelnen dargestellt. Der Antragsteller habe in seiner Vernehmung am 29. Oktober 2021 (Bezug 2) die Chats mit sexuellem Hintergrund grundsätzlich eingeräumt, ebenso die Zusendung von Bild- und Videomaterial mit sexuellem Hintergrund. Auch die Situationen, in denen ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen werde, habe er eingeräumt, diese allerdings geringfügig korrigiert und den Tenor all dieser Situationen anders dargestellt, als er von den Soldaten wahrgenommen worden sei. Er sei im Umgang mit seiner Sexualität „lockerer“. In seiner Wahrnehmung hätten die Chats und Berührungen im gegenseitigen Einverständnis stattgefunden. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG seien erfüllt. Indem der Antragsteller gegenüber den 11 Soldaten seines Bataillons mehrere anzügliche und ehrverletzende Bemerkungen und Handlungen vollzogen habe, habe er diese herabgewürdigt und verbal wie auch schriftlich belästigt. Damit habe er wissentlich gegen seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), insbesondere gegen seine Kameradschaftspflicht (§ 12 SG) und gegen seine innere dienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SGG) schwerwiegend verstoßen. Mit seinen Äußerungen habe er Kameraden in deren Würde herabgesetzt und sie zu Objekten seiner sexuellen Fantasien gemacht. Eine solche Dienstpflichtverletzung widerspreche ganz dem Sinn und Zweck des § 12 SG. Kameradschaft sei das Band der Zusammengehörigkeit, das Soldaten zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschweiße. Vertrauen und Respekt seien die wesentlichen Grundvoraussetzungen, um in einer kleinen Kampfgemeinschaft zu bestehen. Mit seinem Verhalten habe er eindeutig gezeigt, dass er keinen Respekt vor seinen Kameraden habe. Wer respektlos gegenüber seinen Kameraden auftrete, dem sei im Gefecht, wie auch in Not und Gefahr, nicht zu vertrauen. Sein Verhalten sei entgegen der Ansicht seiner Bevollmächtigten dazu geeignet, die militärische Ordnung zu gefährden. Unter der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte verstehe man auch die personelle Funktionsfähigkeit, deren wesentlicher Aspekt auch das Band der Kameradschaft sei, das explizit im Soldatengesetz kodifiziert sei. Mit der Herabwürdigung von Kameraden habe er zur Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte beigetragen und die Gefahr der Nachahmung geschaffen. Bei einem Verbleiben des Antragstellers im Dienst könnte in den Streitkräften der Eindruck entstehen, dass sexuelle Belästigungen ohne Folgen für das Dienstverhältnis blieben und somit vom Dienstherrn als Kavaliersdelikte angesehen und geduldet würden. Sein Verhalten sei daher im Einzelfall geeignet, andere Soldaten zur Nachahmung zu verleiten und damit einer allgemeinen Disziplinlosigkeit und somit einer Gefährdung der militärischen Ordnung Vorschub zu leisten. Soweit der Antragsteller die Vorwürfe bestreite bzw. nicht in Gänze nachvollziehen könne, würden die Einlassungen des Antragstellers als nicht glaubhaft und der Antragsteller selbst als nicht glaubwürdig bewertet. Selbst mit einem, wie vom Antragsteller vorgetragenen, offenen Umgang mit seiner Sexualität hätte ihm die Form der Abweisungen aufgrund seiner Kommunikation mit sexuellem Inhalt auffallen müssen. Seine Kameraden hätten es vorgezogen, den Kontakt mit ihm zu vermeiden oder hätten mit ihm durch Verlegenheitsantworten kommuniziert. Die Bundeswehr sei keine soziale Plattform, um Sexualpartner zu suchen. Vor dem Hintergrund seiner unablässigen sexuellen Anspielungen wäre eine Vorstellung beim Truppenarzt nach Reflexion seines eigenen Verhaltens mehr als nur erforderlich gewesen. Die Verlagerung seiner sexuellen Wünsche in das Dienstgeschehen störe das Band der Kameradschaft gewaltig. Auch im Hinblick auf die Professionalisierung der Streitkräfte sei sein Verhalten nicht tragbar und nicht nachvollziehbar. Auch aus Sicht seiner Vertrauensperson und der Gleichstellungsbeauftragten mache die Vielzahl der vorgeworfenen Taten sein Verbleiben in den Streitkräften unmöglich. Bei seinen Verfehlungen handele es sich um schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen, wobei sexuelle Belästigung das Überschreiten einer „roten Linie“ darstelle. Es lägen weder Anhaltspunkte für eine atypische Sachverhaltskonstellation noch besondere Umstände des Einzelfalls vor, die eine andere Bewertung nahelegen würden. Der ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung könne aus diesen Gründen nur mit der fristlosen Entlassung Antragstellers aus der Bundeswehr wirksam entgegengewirkt werden.
12
Hiergegen ließ der Antragsteller am 10. März 2022 Beschwerde einlegen, die nach Vorlage einer Vollmacht und Akteneinsicht mit Schriftsatz vom … April 2022 begründet wurde. Der Antragsteller habe sich keiner sexuellen Belästigung strafbar gemacht und keine Dienstpflichtverletzungen begangen. Durch die ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen sei weder die militärische Ordnung noch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet. Die dargestellten Sachverhalte aus der übermittelten Akteneinsicht und dem Entlassungsbescheid würden allesamt bestritten, soweit sie nicht vom Antragsteller bereits als zugestanden gelten würden. Eine strafrechtliche Ahndung der der Staatsanwaltschaft bekannten Sachverhalte sei noch nicht erfolgt. Bis zu einer rechtskräftigen strafrechtlichen Ahndung müsse der Antragsteller auch in diesem Verfahren als unschuldig im Sinne der strafrechtlichen Vorwürfe gelten. Insbesondere sei im Entlassungsbescheid keine Subsumtion des Verhaltens des Antragstellers unter den Tatbestand des Strafgesetzbuches erfolgt. Einen Verstoß gegen § 7 SG, die Pflicht zum treuen Dienen, habe der Antragsteller selbst bei Zugrundelegung des ihm vorgeworfenen Verhaltens nicht begangen. Die Antragsgegnerin habe auch hierzu keine Subsumtion vorgenommen. Auch ein Verstoß gegen § 12 SG liege nicht vor. Durch die dem Antragsteller vorgeworfenen Äußerungen und Handlungen habe er seine Kameraden nicht in der Würde herabgesetzt und sie zu Objekten seiner sexuellen Fantasien gemacht. Es sei im konkreten Fall anhand der sogenannten Objektformel zu prüfen, ob der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt werde. Soweit die Kameradschaftspflicht durch sexuelle Handlungen verletzt werde, sei die Schwere einer Dienstpflichtverletzung grundsätzlich schwer feststellbar und bedinge oftmals eine Bewertung nach dem Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten. Dabei müsse auch das Verhalten der Beteiligten dritten Personen sehr maßgeblich hinsichtlich der Schwere eines Vorwurfs gegenüber dem Täter berücksichtigt werden. Es gehe keinesfalls an, die hier beteiligten Dritten nur zum Tatobjekt ohne eigene Mündigkeit und möglicherweise zweideutige Handlungen zum bloßen Objekt des dem Antragsteller vorgeworfenen Verhaltens zu machen. Derzeit könne nicht erkannt werden, wie der Beschwerdeführer gegen den vom Bundesministerium der Verteidigung herausgegebenen Erlass zum kameradschaftlichen korrekten Umgang mit Sexualität verstoßen haben soll, auf den die Antragsgegnerin bislang auch keinen Bezug genommen hat. Auch gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG habe der Antragsteller nicht verstoßen. Auch hier fehle eine Subsumtion der Antragsgegnerin. Die geänderten Moralvorstellungen der Gesellschaft ließen heute ohnehin regelmäßig eine Anwendung des § 17 Abs. 1 bis 3 SG entfallen.
13
Ebenfalls am 6. April 2022 ließ der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragen,
14
die aufschiebende Wirkung der Beschwerde des Antragstellers vom 9. März 2022 und einer nachfolgenden Klage gegen den Entlassungsbescheid der Antragsgegnerin vom 15. Februar 2022 anzuordnen.
15
Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Schriftsätze der Bevollmächtigten vom … Februar 2022 und … April 2022 Bezug genommen. Hinzu komme, dass das Anhörungsverfahren formell fehlerhaft sei, da dem Antragsteller erst nach Erlass des Entlassungsbescheids Akteneinsicht gewährt worden sei. Nach alledem sei der Entlassungsbescheid offensichtlich rechtswidrig und dem Antrag des Antragstellers auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben.
16
Die Antragsgegnerin beantragt,
17
den Antrag abzulehnen.
18
Zur Begründung wurden unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Entlassungsbescheid ergänzend ausgeführt, dass das in der bestandskräftigen Disziplinarmaßnahme vom 7. Dezember 2021 aufgeführte Fehlverhalten des Antragstellers gemäß § 145 Abs. 2 WDO zweifelsfrei feststehe und Bindungswirkung entfalte. Die gesetzlich geregelte Drittbindungswirkung beziehe sich jedenfalls auf den Tenor und die disziplinarrechtliche Würdigung des Sachverhalts und erstrecke sich damit auch auf die Feststellung in der Disziplinarentscheidung, dass der Antragsteller schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt und ein Dienstvergehen begangen habe. Damit stehe mit bindender Wirkung fest, dass der Antragsteller seine Dienstpflichten nach § 7 Abs. 2 Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz (SoldGG), die Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 SG) und die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG ) verletzt habe. Nach § 7 Abs. 2 SoldGG sei jede Belästigung, sexuelle Belästigung und Anweisung zu einer solchen Handlungsweise eine Verletzung dienstlicher Pflichten und den Soldatinnen und Soldaten untersagt. Gemäß § 3 Abs. 4 SoldGG liege eine sexuelle Belästigung als Form der Benachteiligung vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehörten, bezwecke oder bewirke, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen werde. Die in Rede stehenden Text-, Bild- und Videonachrichten sowie Berührungen des Antragstellers seien unerwünscht in diesem Sinne gewesen. Die Kameraden hätten die Unerwünschtheit für einen objektiven Beobachter durch Nichtaufnahme der Konversation oder durch die ausdrückliche bzw. tatsächliche Abweisung zum Ausdruck gebracht. Im Übrigen überschritten die Nachrichten sowie Handlungen des Antragstellers offenkundig die Grenze des objektiv Unerwünschten. Mit seinen Nachrichten sowie Berührungen habe der Antragsteller die Würde seiner Kameraden nicht nur geringfügig verletzt. Ob er eine Verletzung der Würde seiner Kameraden auch bezweckt habe, sei irrelevant, weil die Tatbestandsverwirklichung des § 3 Abs. 4 SoldGG insoweit keinen Vorsatz verlange. Mit seinem Verhalten habe der Antragsteller auch die Pflicht zur Kameradschaft gemäß § 12 SG verletzt. Die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erfordere im Frieden und im noch stärkeren Maße im Einsatzfalle gegenseitiges Vertrauen sowie das Bewusstsein, sich jederzeit aufeinander verlassen zu können. Die in Rede stehenden Nachrichten mit sexuellem Inhalt und die sexuell bestimmten körperlichen Berührungen des Antragstellers seien objektiv geeignet, den militärischen Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen zu gefährden. Das unkameradschaftliche Verhalten des Antragstellers habe nicht nur das Vertrauen der belästigten Kameraden in den Antragsteller zerstört, sondern auch das seiner Vorgesetzten, was sich darin zeige, dass sein Disziplinarvorgesetzter und sein nächsthöherer Disziplinarvorgesetzter einstimmig seine Entlassung befürwortet hätten. Schließlich habe der Antragsteller auch die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verletzt. Die Dienstpflichtverletzungen des Antragstellers gefährdeten die militärische Ordnung erheblich. Ob das Verbleiben eines Soldaten auf Zeit, der seine Dienstpflichten verletzt habe, in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährde, beurteile sich nicht nach der Schwere der Dienstpflichtverletzung an sich, sondern nach dem Ernst der der militärischen Ordnung oder dem Ansehen der Bundeswehr ohne die fristlose Entlassung drohenden Gefahr. Da die Entlassung einem künftigen Schaden vorbeugen solle, sei sie keine Disziplinarmaßnahme und könne zu einer bereits verhängten Disziplinarstrafe hinzutreten. Im Falle des Antragstellers könne eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung durch sein Verbleiben im Dienst bereits aufgrund der Kernbereichsverletzungen - Pflicht zur Kameradschaft und innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht - bejaht werden. Durch sein Verhalten habe der Antragsteller den Zusammenhalt und das Vertrauen der Kameraden und Vorgesetzten verletzt und damit die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte beeinträchtigt. Selbst wenn man die Dienstpflichtverletzung dem Randbereich des Militärischen zuordnen wolle, sei eine Nachahmungsgefahr gegeben. Es handle sich bei dem wiederholten Fehlverhalten des Antragstellers um eine Disziplinlosigkeit, die um sich zu greifen drohe und die eine ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung der Bundeswehr darstelle. Für die Bundeswehr bestehe ein wesentliches Interesse daran, sexuellen Belästigungen im Dienst entgegenzutreten, um eine Nachahmungsgefahr zu verhindern oder zumindest zu reduzieren und die davon betroffenen Soldatinnen und Soldaten zu schützen (vgl. § 10 Abs. 4 SoldGG ). Dies könne nur gelingen, wenn bei den anderen Soldaten nicht der Eindruck entstehe, die Bundeswehr gehe nicht konsequent gegen sexuelle Belästigungen vor und dulde damit letztlich vorschriftswidriges Verhalten. Mit der Entlassung des Antragstellers werde den anderen Soldaten deutlich vor Augen geführt, dass sein Verhalten zu einschneidenden Konsequenzen führe. Die Entscheidung sei zudem ermessensgerecht, da kein atypischer Fall ersichtlich sei. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller eingeleitet worden sei, da die statusrechtlichen Maßnahmen und das strafrechtliche Ermittlungsverfahren parallel liefen und unterschiedliche Schutzrichtungen hätten.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
20
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat keinen Erfolg.
21
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt ganz oder teilweise anordnen, wenn die sonst nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO eintretende aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs - wie hier gemäß § 23 Abs. 6 Satz 2 Wehrbeschwerdeordnung (WBO; vgl. BVerwG, B.v. 23.12.2015 - 2 B 40.14 - juris Rn. 36) - durch Bundesgesetz entfallen ist, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO.
22
Bei der vom Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu treffenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, die ein wesentliches, wenn auch nicht das alleinige Indiz für bzw. gegen die Begründetheit des Begehrens im einstweiligen Rechtsschutz sind. Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Sind die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren als offen anzusehen, findet eine reine Interessenabwägung statt.
23
Die demnach zu treffende Ermessensentscheidung fällt im vorliegenden Fall zu Ungunsten des Antragstellers aus, weil nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung gegen die Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung vom 15. Februar 2022 keine rechtlichen Bedenken bestehen. Das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 VwGO, § 23 Abs. 6 Satz 2 WBO) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung der eingelegten Beschwerde ist daher gegenüber dem vom Gesetzgeber aufgrund der o.g. Vorschriften allgemein bejahten öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Maßnahme nachrangig.
24
Nach § 55 Abs. 5 Soldatengesetz (SG) kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.
25
In Anwendung der Vorgaben und Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestehen nach summarischer Prüfung gegen die Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung vom 15. Februar 2022 keine rechtlichen Bedenken.
26
Die auf § 55 Abs. 5 SG gestützte Entlassungsverfügung leidet nicht an formellen Fehlern, insbesondere sind vor der Entscheidung über die Entlassung des Antragstellers gemäß §§ 55 Abs. 6 S. 1, 47 Abs. 2 SG der Antragsteller und nach § 24 Abs. 1 Nr. 6 Soldatenbeteiligungsgesetz (SBG) die Vertrauensperson gehört worden. Dem steht auch nicht entgegen, dass dem Bevollmächtigten des Antragstellers erst im Beschwerdeverfahren Akteneinsicht gewährt wurde, da Anhörungsmängel gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden können und der Antragsteller ausweislich des Anhörungs- und Eröffnungsniederschrift am 11. November 2021 auf die Abgabe einer schriftlichen Äußerung zum Entlassungsantrag verzichtet hat.
27
Die Entlassungsverfügung erweist sich nach summarischer Prüfung auch in materieller Hinsicht als rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG, welche der Entlassungsbehörde einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen Beurteilungsspielraum nicht eröffnen, sind hier erfüllt.
28
Der Antragsteller war Soldat auf Zeit. Seine fristlose Entlassung ist auch innerhalb der ersten vier Dienstjahre erfolgt.
29
Der Antragsteller hat seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt.
30
Der dem Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 15. Februar 2022 zugrunde gelegte Sachverhalt ergibt sich aus Sicht des Gerichtes schlüssig aus der Vernehmung der 11 betroffenen Soldaten durch den Disziplinarvorgesetzten, deren Einlassungen das Gericht für glaubhaft hält, und den von diesen zur Verfügung gestellten Chats, die belegen, wie seitens des Antragstellers wiederholt von zunächst unverfänglichen Themen sexuelle Inhalte in die Kommunikation eingeführt wurden bzw. wie die betroffenen Soldaten versucht haben, der weiteren Kommunikation mit dem Antragsteller aus dem Weg zu gehen. Zudem hat der Antragsteller die Führung von Chats mit sexuellen Inhalten und entsprechendem Bild- und Videomaterial mit den betroffenen Soldaten größtenteils eingestanden. Auch die Situationen, in denen es nach Schilderung der 3 betroffenen Soldaten zusätzlich zu Berührungen mit sexuellem Hintergrund - ausgehend vom Antragsteller - gekommen sein soll, hat der Antragsteller grundsätzlich bestätigt, jedoch bestritten, dass es unangemessene Annäherungsversuche seinerseits gegeben habe. Hier kann offenbleiben, wie sich die Situationen genau abgespielt haben, da sich aus den Aussagen von 11 Zeugen ergibt, dass der Antragsteller aufgrund der vorangegangenen Chats mit sexuellem Inhalt jedenfalls ein Umfeld geschaffen hat, in dem den Kameraden, unter denen sich das sexualisierte Verhalten des Antragstellers teilweise bereits herumgesprochen hatte, jegliche körperliche Nähe zum Antragsteller unangemessen erschien und deshalb auch unerwünscht war. Festzuhalten bleibt somit, dass der Antragsteller allein im Jahr 2021 (etwa von März bis August) insgesamt in mindestens 9 (selbst eingeräumt) bis 11 (an einen konnte er sich nicht erinnern, mit einem anderen habe er nur 5 Sätze gewechselt) Chats mit Kameraden sexuelle Anspielungen gemacht und teilweise entsprechendes Bild- und Videomaterial in die Kommunikation eingeführt hat und 3 weitere Kameraden von unerwünschten körperlichen Annäherungsversuchen des Antragstellers berichtet haben.
31
Aufgrund dieses Verhaltens hat der Antragsteller seine Dienstpflichten schuldhaft ver letzt, d. h. ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen. Dies dürfte mit bindender Wirkung bereits durch die bestandskräftige Disziplinarentscheidung vom 7. Dezember 2021 feststehen (§ 145 Wehrdisziplinarordnung - WDO; vgl. Weiß in GKÖD, Stand 10/2020, § 145 WDO Rn. 37). Ob es sich - etwa nach disziplinarrechtlichen Maßstäben - um einen „schweren“ oder „leichten“ Fall einer Dienstpflichtverletzung handelt und ob in dem jeweils zu beurteilenden Einzelfall verschärfende oder mildernde Umstände hinzutreten, ist im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der Verletzung von Dienstpflichten in § 55 Abs. 5 SG ohne Belang (BVerwG, U.v. 9.6.1971 - VIII C 180.67 - juris Rn. 7; U.v. 24.9.1992 - 2 C 17/91 - juris Rn. 15).
32
Ein Verhalten, wie es der Antragsteller wiederholt gezeigt hat, verletzt die Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 SG). Nach § 12 SG beruht der Zusammenhalt der Bundeswehr wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldatinnen und Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte von Kameraden zu achten und ihnen in Not und Gefahr beizustehen. Inhalt und bestimmende Faktoren der Pflicht zur Kameradschaft sind das gegenseitige Vertrauen der Soldaten, das Bewusstsein, sich jederzeit, vor allem in Krisen- und Notzeiten, aufeinander verlassen zu können, sowie die Verpflichtung zu gegenseitiger Achtung, Fairness und Toleranz. Ein Soldat, insbesondere in Vorgesetztenfunktion, der die Pflicht zur Kameradschaft verletzt, stört den Zusammenhalt der Soldaten und damit den Dienstbetrieb und die Einsatzbereitschaft. Rechtlich unbeachtlich ist, ob sich der betroffene Kamerad durch das Verhalten des Täters subjektiv verletzt gefühlt und ein solches Verhalten nachträglich verziehen hat. Das Gebot, die Rechte von Kameraden zu achten, ist nicht um des einzelnen Soldaten willen, sondern im Interesse des militärischen Zusammenhalts in das Soldatengesetz aufgenommen worden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 16.2.2017 - 2 WD 14/16 - juris Rn. 20; Metzger in Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 6). Das in Rede stehende Verhalten des Antragstellers ist objektiv geeignet, den militärischen Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen zu gefährden. Indem der Antragsteller gezielt Kontakt zu Kameraden aufgebaut hat, um diesen gegenüber dann seine sexuellen Vorstellungen mit Nachrichten und zum Teil pornographischem Bild- und Videomaterial kundzutun, hat er das Vertrauen missbraucht, das die durch § 12 SG kodifizierte Kameradschaft unter Soldaten ausmacht. Die meisten der Zeugen, die das Gericht für glaubwürdig hält, schilderten, wie der Antragsteller aus zunächst harmlosen Situationen heraus zu Anspielungen mit sexuellem Inhalt überging und dass sie zunächst versucht hätten, dies mit „zurückhaltendem“ Antwortverhalten, später durch direkte Absagen oder Vermeidungsverhalten zu unterbinden. Hinzu kommt die Funktion des Antragstellers im Geschäftszimmer, die, wie sich aus einigen der Zeugenaussagen ergibt, eine Ablehnung seiner Anspielungen für die betroffenen Soldaten erschwert hat. Dass er im Übrigen das Vertrauen seiner Kameraden verloren hat, ergibt sich daraus, dass sein unangemessenes Verhalten bereits Gesprächsthema unter den Kameraden war und er von den unmittelbar betroffenen Kameraden im weiteren Verlauf im Wesentlichen gemieden wurde, wie sich aus den Einvernahmen der Zeugen ergibt. Ferner hat der Antragsteller mit seinem Verhalten die Pflicht verletzt, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes so zu verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Dienst als Soldat erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten kann durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr muss zur Feststellung einer Pflichtverletzung nach § 17 Abs. 2 SG nicht eingetreten sein. Allein entscheidend ist, ob ein vernünftiger, objektiv wertender Dritter, wenn er von diesem Verhalten Kenntnis erhielte, darin eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr oder der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit des Soldaten sehen würde (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.2017 - 2 WD 14/16 - juris Rn. 22; U.v. 23.3.2017 - 2 WD 16/16 - juris Rn. 65). Das Verhalten des Antragstellers war nach diesen Maßstäben geeignet, das Ansehen der Bundeswehr zu schädigen. Entsprechendes äußerte insbesondere auch einer der Zeugen. Das Bekanntwerden solcher Chats mit sexuellen Inhalten innerhalb der Bundeswehr kann negative Vorurteile schaffen und den Eindruck erwecken, dass die Bundeswehr eine soziale Plattform für die Suche nach Sexualpartnern darstellt. Insbesondere die Vielzahl der zu Tage getretenen Versuche des Antragstellers, unter seinen Kameraden Sexualpartner zu finden, bezogen auf den Zeitraum von weit unter einem Jahr, sowie die Wortwahl des Antragstellers, die sich aus den sichergestellten Chats ergibt, und die Verbreitung von pornographischem Bild- und Videomaterial entspricht offensichtlich nicht einem achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten, wie es von einem Soldaten erwartet werden darf, sondern stellt sich als unangemessen und unprofessionell dar. Dass er durch sein Verhalten nicht nur die Achtung und das Vertrauen seiner Kameraden, sondern auch die Achtung und das Vertrauen seiner Vorgesetzten verloren hat, ergibt sich daraus, dass der nächste Disziplinarvorgesetzte den Antrag auf Entlassung gestellt und der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte den Antrag auf Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG mit Nachdruck unterstützt hat. Ob und in welchen der Fälle der Antragsteller darüber hinaus seine Dienstpflichten gemäß § 7 Abs. 2 SoldGG verletzt hat, weil er seine Kameraden gemäß § 3 Abs. 4 SoldGG in ihrer Würde verletzt hat, kann vor diesem Hintergrund offenbleiben.
33
Der Antragsteller hat die festgestellten Dienstpflichtverletzungen auch schuldhaft be gangen, da er zumindest fahrlässig handelte. Er hätte wissen können und müssen, dass er durch sein Handeln die Rechte und Interessen seiner Kameraden, seine Achtung bei seinen Kameraden und Vorgesetzten, deren Vertrauen sowie das Ansehen der Bundeswehr beeinträchtigt. Bei gehöriger Anspannung seiner intellektuellen Fähigkeiten hätte er auch die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens erkennen können und müssen. Insbesondere aus den Reaktionen der Betroffenen, die größtenteils im weiteren Verlauf den Kontakt zum Antragsteller abgebrochen bzw. ihn im Dienstbetrieb gemieden haben, hätte er die Unangemessenheit seines Verhaltens erkennen können und müssen. Dass er die unangemessene Kommunikation eingestellt hat, wenn dies ausdrücklich gewünscht wurde, entschuldigt ihn hingegen nicht, da ihm bereits im Vorfeld und aus dem Verhalten der Betroffenen hätte klar sein müssen, dass er seine Kameraden mit dieser Art der Kommunikation in eine unerwünschte Situation bringt. Dass einer der Soldaten den Chat mit sexuellem Inhalt zugelassen und ein anderer einen solchen Chat mit dem Antragsteller sogar selbst angestoßen hat, weil sie aufgrund der Erzählungen ihrer Kameraden wissen wollten, ob der Antragsteller tatsächlich solche Chats führt, entschuldigt den Antragsteller nicht, da es nur ein Beleg dafür ist, wie sehr das Verhalten des Antragstellers bereits das Verhalten seiner Kameraden und sein Umfeld im negativen Sinne beeinflusst hat.
34
Keinen Bedenken begegnet auch die Einschätzung der Antragsgegnerin in der streitgegenständlichen Entlassungsverfügung, dass der Verbleib des Antragstellers in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.
35
Die Vorschrift des § 55 Abs. 5 SG soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen (BVerwG, B.v. 28.1.2013 - 2 B 114/11 - juris Rn. 8; B.v. 16.8.2010 - 2 B 33/10 - juris Rn. 6).
36
Unter militärischer Ordnung ist der Inbegriff der Elemente zu verstehen, die die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr nach den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen erhalten. Dabei kann es nicht genügen, wenn Randbereiche des Militärischen berührt werden. Im Gegensatz zu der zweiten Alternative, die das Ansehen der Bundeswehr schützen soll, handelt es sich hier um den betriebsbezogenen Schutz, der erforderlich ist, um dem Zweck der Bundeswehr geordnet gerecht werden zu können (BVerwG, U.v. 20.6.1983 - 6 C 2/81 - juris Rn. 20).
37
Eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr, also ihres „guten Rufs“ bei Außenstehenden, liegt dann vor, wenn der betreffende Soldat als „Repräsentant“ der Bundeswehr oder eines bestimmten Truppenteils anzusehen ist und sein Verhalten negative Rückschlüsse auf die Streitkräfte als Angehörige eines - an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), insbesondere an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) gebundenen - Organs des sozialen und demokratischen Rechtsstaats Bundesrepublik Deutschland zulässt (BVerwG, U.v. 5.9.2013 - 2 WD 24/12 - juris Rn. 27; U.v. 13.2.2008 - 2 WD 5/07 - juris Rn. 74). Der „gute Ruf“ der Bundeswehr bezieht sich namentlich auch auf die Qualität der Ausbildung, die sittlichmoralische Integrität und die allgemeine Dienstauffassung ihrer Soldatinnen und Soldaten sowie die - an Recht und Gesetz gebundene - militärische Disziplin der Truppe (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2008 - 2 WD 5/07 - juris Rn. 74).
38
Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung i.S.d. § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: Dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (BVerwG, B.v. 16.8.2010 - 2 B 33/10 - juris Rn. 8).
39
Dem Antragsteller ist zwar wohl keine Dienstpflichtverletzung im militärischen Kernbereich anzulasten. Bei einer einzelfallbezogenen Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzungen besteht aber jedenfalls eine Nachahmungsgefahr, weil es sich bei dem wiederholten Fehlverhalten des Antragstellers um eine Disziplinlosigkeit handelt, die um sich zu greifen droht, und die eine ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr darstellt. Für die Bundeswehr besteht ein wesentliches Interesse daran, einem derart sexualisierten Verhalten und sexualisierter Kommunikation unter Kameraden entgegen zu treten, um eine Nachahmungsgefahr zu verhindern oder zumindest zu reduzieren und die davon betroffenen Soldatinnen und Soldaten zu schützen (vgl. § 10 Abs. 4 SoldGG). Dass eine Nachahmungsgefahr besteht, ergibt sich bereits daraus, dass zwei der Kameraden - wenn auch aus Neugier - sich bewusst auf einen Chat mit sexuellen Inhalten mit dem Antragsteller eingelassen haben, und liegt im Übrigen auf der Hand. Würden Zeitsoldaten in ihrem Dienstverhältnis verbleiben, die ihren Kameraden, größtenteils unerwünscht, solche Chats mit sexuellen Inhalten und teils pornographischem Bild- und Videomaterial aufdrängen, entstünde der Eindruck, dass die dienstrechtlichen Pflichten, wie die Pflicht zur Kameradschaft und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten nur als auf dem Papier stehend betrachtet würden und eine Ahndung nur halbherzig erfolge, zumal das pflichtwidrige Verhalten des Antragstellers im Kameradenkreis bereits eine gewisse Bekanntheit erlangt hat.
40
Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Allerdings ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann (BVerwG, B.v. 28.1.2013 - 2 B 114.11 - juris Rn.13). Dies hat die Rechtsprechung im Falle von Affekthandlungen bei geringer Vorbildfunktion von Soldaten angenommen, also in Fällen, in denen eine Wiederholungsgefahr typischerweise nicht besteht und die Dienstpflichtverletzung nicht Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zur Disziplinlosigkeit zu werten war (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1992 - 2 C 17/91 - juris Rn. 15). Nachdem der Umgang der Soldatinnen und Soldaten mit Sexualität in der Bundeswehr durchaus Problem behaftet sein kann und - wie dargestellt - Nachahmungsgefahr besteht, musste der Dienstherr sich angesichts der gesetzlichen Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 55 Abs. 5 SG nicht auf eine bloße Disziplinarmaßnahme als milderes Mittel beschränken.
41
Zudem würde das Ansehen der Bundeswehr durch ein Verbleiben des Antragstellers in seinem Dienstverhältnis ernstlich gefährdet. Es besteht eine berechtigte Erwartung der Bevölkerung an die Integrität der Bundeswehr. Diese Erwartung geht dahin, dass insbesondere Berufs- und Zeitsoldaten sich mit dienstlichen Belangen der militärischen Verteidigung befassen und nicht die Bundeswehr als soziales Forum für sexuelle Kontakte und das Ausleben sexueller Fantasien missbrauchen.
42
Sind - wie für den vorliegenden Fall vorstehend begründet - die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG erfüllt, so steht die Entscheidung über die fristlose Entlassung nach dem Wortlaut der Norm im pflichtgemäßen Ermessen der Entlassungsbehörde. Dieses Ermessen ist hier fehlerfrei von der Antragsgegnerin ausgeübt worden.
43
Mit dem Wort „kann“ in § 55 Abs. 5 SG ist der Entlassungsbehörde nach ständiger Rechtsprechung kein umfassendes Ermessen eingeräumt, das sie - ähnlich wie in einem Disziplinarverfahren - verpflichten würde, alle für und gegen den Verbleib des Zeitsoldaten im Dienst sprechenden Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtwürdigung zusammenzutragen, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Frage der Angemessenheit der Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck in der Art einer Vorabbewertung im Wesentlichen bereits auf der Tatbestandsebene des § 55 Abs. 5 SG selbst konkretisiert. Demgemäß ist die Befugnis der zuständigen Behörde, bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift von einer fristlosen Entlassung abzusehen, im Sinne einer sog. „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-)Fälle beschränkt, und zwar auf solche, die der Gesetzgeber in seine vorweggenommene Verhältnismäßigkeitsabwägung nicht schon einbezogen hat bzw. einbeziehen konnte, weil sie beispielsweise gerade den jeweils in Rede stehenden Fall völlig „atypisch“ prägen. In Konsequenz dessen gibt es auch keine generelle Verpflichtung der Behörde, in jedem einzelnen Falle im Rahmen der Begründung der Entlassungsverfügung bzw. des Beschwerdebescheides (zusätzliche) Ermessenserwägungen anzustellen (OVG NW, U.v. 29.8.2012 - 1 A 2084/07 - juris Rn. 143). Es reicht vielmehr aus, dass sich die Behörde den Umständen nach des in atypischen Fällen gesetzlich eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist und sie etwa bestehende Besonderheiten zutreffend geprüft und verneint hat. Insoweit lässt der streitgegenständliche Entlassungsbescheid der Antragsgegnerin keine durchgreifenden Mängel erkennen. Die Begründung der Entlassungsverfügung verdeutlicht, dass die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen erkannt hat. Der Antragsteller hat weder Ermessensfehler der angefochtenen Entlassungsverfügung dargelegt noch seinen Fall prägende „atypische“ Umstände, welche die gesetzlich intendierte Entlassung ausnahmsweise als unangemessen erscheinen lassen würde. Solche Umstände sind auch nicht ersichtlich.
44
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 und 40.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und beträgt somit ein Viertel des Jahresgehalts des Antragstellers.