Titel:
Entlassung eines Soldaten auf Zeit wegen sexueller Belästigung seiner Kameraden per WhatsApp
Normenketten:
SG § 12 S. 2, § 17 Abs. 2 S. 1, § 55 Abs. 5
SoldGG § 3 Abs. 4, § 7 Abs. 2
StGB § 184 Abs. 1 Nr. 6
Leitsatz:
Bei den Versuchen eines Soldaten auf Zeit, mehrere Soldaten seines Bataillons durch Zusendung von entsprechendem Bild- und Videomaterial per WhatsApp zum Geschlechtsverkehr (zu dritt) mit einer Frau zu überreden, von der er auch Nacktbilder versandt hatte, handelt es sich um sexuelle Belästigungen der Kameraden, welche eine fristlose Entlassung des Versenders aus dem Dienstverhältnis nach § 55 Abs. 5 SG rechtfertigen. (Rn. 9) (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldatenrecht, Soldat auf Zeit, Fristlose Entlassung, Sexuelle Belästigung, Unaufgeforderte Zusendung von Video- und Bildmaterial mit sexuellem Hintergrund
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 23.06.2022 – M 21a S 22.2097
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27377
Tenor
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 23. Juni 2022 - M 21a S 22.2097 - wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.789,71 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller trat am 1. Oktober 2019 bei der Bundeswehr in die Laufbahn der Mannschaften des Truppendienstes ein. Am 31. Oktober 2019 ernannte die Antragsgegnerin ihn zum Soldaten auf Zeit; seine für acht Jahre erklärte Verpflichtungszeit hätte mit Ablauf des 30. September 2027 geendet.
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Mit Bescheid vom 15. Februar 2022 entließ die Antragsgegnerin den Antragsteller gemäß § 55 Abs. 5 SG mit Ablauf des Tages der Aushändigung des Bescheids (15.2.2022). Zur Begründung führte sie aus, dass er Kameraden durch Übermittlung von Video- und Bildmaterial mit sexuellem Hintergrund verbal und auch schriftlich sexuell belästigt habe und damit gegen seine Pflichten zum treuen Dienen, zur Kameradschaft und zum Wohlverhalten schwerwiegend und schuldhaft verstoßen habe. Sein Verhalten könne in den Streitkräften nicht geduldet werden. Es bestehe die Gefahr, der Nachahmung und damit einer allgemeinen Disziplinlosigkeit. Der ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung und der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte könne nur mit seiner fristlosen Entlassung entgegengewirkt werden.
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Zuvor war dem Antragsteller am 7. Dezember 2021 wegen der Vorkommnisse die Disziplinarmaßnahme eines strengen Verweises erteilt worden, die seit dem 10. Dezember 2021 unanfechtbar ist, nachdem der Antragsteller schriftlich auf sein Beschwerderecht verzichtet hatte.
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Am 10. März 2022 ließ der Antragsteller gegen den Entlassungsbescheid vom 15. Februar 2022 Beschwerde einlegen. Am 6. April 2022 stellte er beim Verwaltungsgericht den Antrag, deren aufschiebende Wirkung anzuordnen. Mit Beschluss vom 23. Juni 2022 hat das Verwaltungsgericht diesen Antrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der die Antragsgegnerin entgegengetreten ist.
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Die zulässige Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen die fristlose Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit abgelehnt und sich mit überzeugender Begründung darauf gestützt, dass die angefochtene Entlassungsverfügung bei summarischer Prüfung nach § 55 Abs. 5 SG rechtmäßig ist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), führen zu keiner anderen Beurteilung.
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1. Rechtsgrundlage für die angegriffene Maßnahme ist § 55 Abs. 5 SG. Danach kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die fristlose Entlassung nach dieser Vorschrift ist keine disziplinarische Maßnahme, sondern soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Sie stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Diese Gefahr muss gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen, was von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2013 - 2 B 114.11 - juris Rn. 8; U.v. 28.7.2011 - 2 C 28.10 - juris Rn. 10; vgl. auch BayVGH, B.v. 21.2.2020 - 6 CS 19.2403 - juris Rn. 8; NdsOVG, B.v. 30.5.2006 - 5 ME 67/06 - juris Rn. 19). Für den Begriff der Gefährdung ist ausreichend, dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht, mithin eine Gefahr droht (OVG SH, U.v. 19.10.2015 - 2 LB 25/14 - juris Rn. 39; NdsOVG, B.v. 4.12.2012 - 5 LA 357/11 - juris Rn. 9, 15; vgl. auch BayVGH, B. v. 19.04.2018 - 6 CS 18.580 - juris Rn. 14). Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerwG, B.v. 28.1.2013 - 2 B 114.11 - juris Rn. 9).
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2. Gemessen an diesem Maßstab ist die fristlose Entlassung des Antragstellers aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit rechtlich nicht zu beanstanden.
9
a) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass der Antragsteller seine Dienstpflichten verletzt hat. Er hat während der ersten vier Dienstjahre durch seine wiederholten, wissentlich und willentlich getätigten, mithin vorsätzlichen Äußerungen und die unaufgeforderte Zusendung von Video- und Bildmaterial mit sexuellem Hintergrund und erkennbaren sexuellen Hintergedanken sexuelle Belästigungen im Sinn von § 3 Abs. 4 des Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetzes (SoldGG) begangen (und sich gleichzeitig nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB strafbar gemacht). Damit hat er seine Dienstpflichten gemäß § 7 Abs. 2 SoldGG, zudem insbesondere die Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt. Die dagegen erhobenen Einwendungen des Antragstellers bleiben ohne Erfolg.
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Bei den Versuchen des Antragstellers, mehrere Soldaten seines Bataillons durch Zusendung von entsprechendem Bild- und Videomaterials zum Geschlechtsverkehr (zu dritt) mit einer Frau zu überreden, von der er auch Nacktbilder versandt hatte, handelt es sich um sexuelle Belästigungen im Sinn von § 3 Abs. 4 SoldGG. Nach der im Gesetz enthaltenen beispielhaften Aufzählung kann ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten auch in Aufforderungen zu sexuellen Handlungen und Zeigen von pornographischen Darstellungen bestehen.
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Die in Rede stehenden Äußerungen und Übersendung von Bildern/Videos waren unerwünscht. Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit fordert nicht, dass dem Belästigenden die ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen zuvor aktiv verdeutlicht worden ist. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war. Ausreichend ist, dass der Handelnde aus Sicht eines objektiven Beobachters davon ausgehen kann, dass das Verhalten unter den gegebenen Umständen von der Betroffenen nicht erwünscht ist oder auch nicht akzeptiert wird (BVerwG, U.v. 6.4.2017 - 2 WD 13.16 - juris Rn. 85). Das ist ohne weiteres der Fall. Die Kameraden haben die Unerwünschtheit für einen objektiven Beobachter bereits durch Nichtaufnahme der Konversation oder sogar durch Kontaktvermeidung hinreichend zum Ausdruck gebracht. Der in der Beschwerdebegründung enthaltene allgemeine Hinweis darauf, dass keine Pflichtverletzung im Sinn von § 12 SG vorliegt, wenn die betroffenen Kameraden ausdrücklich oder schlüssig ihr Einverständnis zu einer objektiv pflichtwidrigen Handlung erklärt haben, ist nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Denn greifbare tatsächliche Umstände dafür, dass die Betroffenen vorliegend in die Zusendung der streitgegenständlichen Bilder, Nachrichten und Videos eingewilligt hätten, legt der Antragsteller nicht dar und sind auch nicht ersichtlich.
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b) Auch mit dem Einwand, die dem Antragsteller vorgeworfenen Verhaltensweisen stellten keine „eindeutigen und von der Rechtsprechung anerkannten Fälle eines Verstoßes gegen § 12 SG“ dar, dringt der Antragsteller nicht durch. Vielmehr kann nach der Rechtsprechung des Senats auch eine sexuelle Belästigung im Sinn von § 3 Abs. 4 SoldGG eine Verletzung der Dienstpflichten nach § 7 Ab. 2 SoldGG, § 12 Satz 2 SG und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG darstellen, durch die die militärische Ordnung gefährdet und das Ansehen der Bundeswehr beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2018 - 6 CS 18.580 - juris). Auch in der Beschwerdebegründung selbst wird im Übrigen die sexuelle Belästigung als ein von der Rechtsprechung anerkannter „eindeutiger Verstoß gegen § 12 SG“ aufgezählt.
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Mit seinen fortlaufenden sexuellen Anspielungen und der Verlagerung seiner sexuellen Wünsche und Phantasien in das Dienstgeschehen hat der Antragsteller die Würde seiner Kameraden nicht nur geringfügig verletzt. Dass er sie den Kameraden durch die Zusendung entsprechender Bilder und Videos aufdrängte, dokumentiert seine fehlende Achtung vor der Intimsphäre der Betroffenen. Wenngleich im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG eine strafrechtliche Relevanz nicht erforderlich ist und jede Pflichtverletzung genügt, unabhängig davon, ob es sich um einen schweren oder leichten Fall handelt und ob verschärfende oder mildernde Umstände hinzutreten, verleiht der Umstand, dass sich der Antragsteller nicht auf verbale Entgleisungen beschränkt hat, sondern auch Bilder bzw. Videos mit pornographischem Inhalt übermittelt hat, der sexuellen Belästigung eine zusätzliche Schwere. Denn die Rechtsordnung schützt durch § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB auch Erwachsene davor, ohne Einverständnis mit pornographischen Bildern konfrontiert zu werden. Ob er eine Verletzung der Würde seiner Kameraden auch bezweckte, ist irrelevant, weil die Tatbestandsverwirklichung des § 3 Abs. 4 SoldGG insoweit keinen Vorsatz verlangt.
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Die Kameradschaftspflicht ist in den Streitkräften sehr bedeutsam. Denn der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht gemäß § 12 Satz 1 SG wesentlich auf Kameradschaft. Die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erfordert im Frieden und in noch höherem Maße im Einsatzfalle gegenseitiges Vertrauen sowie das Bewusstsein, sich jederzeit aufeinander verlassen zu können. Daher ist es unerheblich, ob ein Soldat gegenüber dem Betroffenen die Absicht hatte, ihn durch sein Verhalten zu demütigen. Denn das Gebot, die Würde, die Ehre und die Rechte von Kameraden zu achten, ist nicht nur um des einzelnen Soldaten willen in das Soldatengesetz aufgenommen worden, sondern soll Handlungsweisen verhindern, die auch objektiv geeignet sind, den militärischen Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen sowie die Bereitschaft zum gegenseitigen Einstehen zu gefährden (BVerwG, U.v. 23.6.2016 - 2 WD 21.15 - juris Rn. 30 m.w.N.). Die in Rede stehenden Verhaltensweisen des Antragstellers sind objektiv geeignet, den militärischen Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen zu gefährden. Sie haben im Übrigen bereits dazu geführt, dass einige Kameraden ihn mieden und sich im Zusammensein mit ihm unwohl fühlten.
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c) Seine Verhaltensweise bringt auch die fehlende Achtung vor den Kameraden zum Ausdruck. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat bedarf der Achtung seiner Kameraden sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (BVerwG, U.v. 13.1.2011 - 2 WD 20.09 - juris Rn. 68). Das ist bei den Äußerungen des Antragstellers ohne weiteres der Fall.
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d) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen der fristlosen Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG bejaht. Das weitere Verbleiben des Antragstellers in seinem Dienstverhältnis würde die militärische Ordnung der Bundeswehr ernstlich gefährden. Mit der Beschwerde wird diese zutreffende Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht angegriffen, so dass sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG unter Berücksichtigung von Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2018 - 6 CS 18.775 - juris Rn. 17; B.v. 19.4.2018 - 6 CS 18.580 - juris Rn. 19).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).