Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.09.2022 – 10 ZB 21.2728
Titel:

Auflagen zur Art und Weise der Abschiebung 

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 8 Abs. 1, § 25 Abs. 5 S. 1, § 59 Abs. 3 S. 1, § 60a Abs. 2c S. 1
BZRG § 51 Abs. 1
EMRK Art. 8
Leitsatz:
In die Abschiebungsandrohung müssen keine „Auflagen“ aufgenommen werden, um die Einhaltung der in einem amtsärztlichen Gutachten für erforderlich gehaltenen Vorsichtsmaßregeln zu gewährleisten. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Verwurzelung, Reisefähigkeit, ägyptischer Staatsangehöriger, Reiseunfähigkeit, Abschiebungsandrohung, Auflagen, medizinische Vorkehrungen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 23.09.2021 – M 24 K 20.2309
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27370

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage, die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 8. Mai 2020 zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu verpflichten, weiter.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
3
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (siehe dazu Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.7.2022, § 124a Rn. 72 f.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 ff.).
4
Das Verwaltungsgericht hat in seinem klageabweisenden Urteil vom 23. September 2021 die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG verneint. Eine Ausreise in sein Heimatland sei nicht aus tatsächlichen Gründen unmöglich, wie aus den wiederholten Reisen des Klägers dorthin ersichtlich sei. Es sei dem Kläger auch nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich, auszureisen. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse bestünden nach der Bewertung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 26. August 2021 nicht. Ebenso bestünden keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse; insbesondere sei nicht anzunehmen, dass der Kläger krankheitsbedingt reiseunfähig sei. Aus keiner der vorgelegten ärztlichen Unterlagen ergebe sich eine Reiseunfähigkeit; auch die amtsärztliche Stellungnahme vom 20. Juli 2021 sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger reisefähig sei. Aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ergebe sich ebenfalls kein Ausreise- bzw. Abschiebungshindernis. Der Kläger habe sich trotz seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet auch häufig in seinem Heimatland Ägypten aufgehalten, seine Ehefrau und seine Kinder lebten dort. Im Bundesgebiet sei eine wirtschaftliche und soziale Integration nicht erfolgt. Aufgrund seiner regelmäßigen und auch längerfristigen Aufenthalte im Heimatland sei davon auszugehen, dass seine sozialen Bindungen dorthin fortbestünden und ihm eine Rückkehr zumutbar sei.
5
Die vom Kläger hiergegen erhobenen Einwendungen können die Feststellungen und Bewertungen des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage stellen.
6
Soweit der Kläger aus der Vorschrift des § 8 Abs. 1 AufenthG ableiten will, dass die „Grundentscheidung“ - gemeint ist hier offensichtlich die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG im Jahr 2014 - nicht ohne wesentliche Umstände, die eine andere Beurteilung erzwingen, „revidiert“ werden dürfe, entspricht dies nicht dem Regelungsgehalt des § 8 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift finden für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis dieselben Vorschriften Anwendung wie auf die Erteilung. Es müssen im jeweils maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt also - positiv - alle Tatbestandsvoraussetzungen und allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen. Nicht maßgeblich für eine Verlängerung bzw. Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist, ob die Ausländerbehörde zu früheren Zeitpunkten das Vorliegen der Voraussetzungen bejaht hat und ob seither gravierende Änderungen eingetreten sind. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend als Maßstab darauf abgestellt, ob die Erteilungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen (UA Rn. 78).
7
Auch die Einwendungen gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den sozialen und wirtschaftlichen Bindungen („Verwurzelung“) zum Heimatland Ägypten einerseits und zum Bundesgebiet andererseits stellen dessen Ergebnis nicht in Frage. Soweit der Kläger bestreitet, früher in Ägypten als Dolmetscher gearbeitet zu haben, hat das Verwaltungsgericht lediglich im Tatbestand eine entsprechende Aussage des BAMF referiert (UA Rn. 66), jedoch seinen eigenen Erwägungen nicht zugrunde gelegt. Die dargelegten Tätigkeiten für ein Jugendamt im Jahr 2001 und für einen anderen Träger von Jugend-Integrationsmaßnahmen im Jahr 2011, der Umstand, dass er hier einen erwachsenen Sohn und mittlerweile auch ein Enkelkind hat, sowie dass er inzwischen von seiner in Ägypten lebenden Ehefrau geschieden ist, können die Erwägungen des Verwaltungsgerichts bezüglich eines nach Art. 8 EMRK schutzwürdigen Privatlebens nicht in Frage stellen. Dieses hat in seiner Würdigung aller Umstände zu Recht einerseits - vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass er sich über viele Jahre teils längere Zeit auch in Ägypten aufgehalten und dort eine Ehefrau und vier Kinder hat - festgestellt, dass der Kläger sich seinem Herkunftsland nicht entfremdet hat, so dass es ihm zugemutet werden kann, dort wieder Fuß zu fassen; andererseits hat es dargelegt, dass in seinem Fall insbesondere eine wirtschaftlichen Integration im Bundesgebiet nicht erfolgt sei. Wenn der Kläger vorbringt, dass ihm seit dem 22. September 2021 keine Arbeit mehr erlaubt sei, ändert dies an diesem Ergebnis nichts; das Verwaltungsgericht hat diesem Umstand auch nicht zu seinen Lasten verwendet, denn das gegenständliche Urteil datiert vom 23. September 2021.
8
Soweit der Kläger beanstandet, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 8. Mai 2020 erwähne, dass er 16-mal straffällig geworden sei, was gegen § 51 Abs. 1 BZRG verstoße, geht dies offensichtlich auf eine fehlerhafte Auskunft des Bundesamts für Justiz zurück, die dieses mit Schreiben vom 7. September 2020 korrigierte (vgl. UA Rn. 55). Das Verwaltungsgericht hat die Taten bzw. Verurteilungen jedenfalls dem Kläger nicht im Sinn des § 51 Abs. 1 BZRG vorgehalten bzw. zu seinem Nachteil verwendet. Es hat lediglich allgemein darauf hingewiesen, dass von einer erfolgreichen Integration im Bundesgebiet „überdies auch deshalb“ nicht ausgegangen werden könne, weil der Kläger strafrechtlich in Erscheinung getreten sei (UA Rn. 93). Hierin liegt kein Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG, zumal nach Aktenlage zum maßgeblichen Zeitpunkt noch zwei Verurteilungen im Bundeszentralregister eingetragen waren (UA Rn. 55).
9
Schließlich ist der Kläger der Meinung, wegen seiner Erkrankungen sei von einem inländischen Abschiebungshindernis auszugehen. Insoweit hat jedoch das Verwaltungsgericht sämtliche vorgelegten ärztlichen Unterlagen ausgewertet und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich daraus - ungeachtet der Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG - keine dauernde oder auch nur vorübergehende Reiseunfähigkeit entnehmen lässt. Auch der Kläger führt in der Begründung des Zulassungsantrags kein derartiges ärztliches Attest an. Die angestrebte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG könnte jedoch nur dann erteilt werden, wenn eine Reiseunfähigkeit festgestellt wäre, mit deren Wegfall außerdem in absehbarer Zeit nicht zu rechnen wäre.
10
In seinen weiteren Ausführungen wendet sich der Kläger in erster Linie gegen den Erlass der Abschiebungsandrohung; er ist der Auffassung, in die Abschiebungsandrohung bzw. in den streitgegenständlichen Bescheid hätten „Auflagen“ aufgenommen werden müssen, um insbesondere die Einhaltung der in dem amtsärztlichen Gutachten vom 20. Juli 2021 für erforderlich gehaltenen Vorsichtsmaßregeln zu gewährleisten.
11
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG das Vorliegen von Gründen für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegensteht. Dem Kläger steht es frei, nach Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) einen Antrag auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 2c und Abs. 2d AufenthG zu stellen (BayVGH, B.v. 26.10.2018 - 10 CS 18.1939 - juris Rn. 10 f.; Zimmerer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.7.2022, § 59 AufenthG Rn. 18); der Antrag kann sich auch darauf richten, eine Abschiebung nicht ohne bestimmte Maßnahmen zu vollziehen (Art und Weise der Abschiebung).
12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
13
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
14
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).