Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.10.2022 – 10 C 22.1713
Titel:

Erfolgreiche Streitwertbeschwerde in einem versammlungsrechtlichen Eilverfahren: Kein Abweichen vom Auffangstreitwert bei faktischer Vorwegnahme der Hauptsache

Normenketten:
GKG § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 66
Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Nr. 45.4, Nr. 1.5
GG Art. 8 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsätze:
1. Auch wenn in einem versammlungsrechtlichen Eilverfahren bei der Bestimmung nichtwirtschaftlicher Interessen solche Anhaltspunkte regelmäßig fehlen und die daraus resultierenden Schwierigkeiten der Streitwertfestsetzung nach § 52 Abs. 2 GKG „immanent“ sind, spricht dies gegen und nicht für ein Abweichen von der gesetzlichen Typisierung in § 52 Abs. 2 GKG und damit den Auffangstreitwert. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht erkennbar, warum gerade die Versammlungsfreiheit eine für die Streitwertbemessung ausschlaggebende Bedeutung haben soll, andere grundrechtlich geschützte, hochrangige Freiheiten aber nicht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Streitwert bei versammlungsrechtlichen Streitigkeiten, (keine) Abweichung vom Auffangstreitwert, Auffangstreitwert, Versammlungsrecht, Streitwert, versammlungsrechtliches Eilverfahren, Streitwertermittlung, Versammlungsfreiheit, Vorwegnahme der Hauptsache
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 25.07.2022 – B 7 S 22.678
Fundstellen:
BayVBl 2023, 63
LSK 2022, 27355
BeckRS 2022, 27355

Tenor

Unter Abänderung von Nr. 3 des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25. Juli 2022 wird der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Bevollmächtigten des Antragstellers gegen die Festsetzung des Streitwerts für ein versammlungsrechtliches Eilverfahren. Das Verwaltungsgericht hatte den Streitwert auf 2.500,- festgesetzt.
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Die Beschwerde hat Erfolg.
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1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Bevollmächtigten des Antragstellers haben im Schriftsatz vom 11. August 2022 klargestellt, dass sie die Beschwerde im eigenen Namen und nicht im Namen des Antragstellers als Partei erhoben haben (zur Unzulässigkeit einer Streitwertbeschwerde der Partei mit dem Ziel einer Streitwerterhöhung vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2021 - 11 C 21.1420 - juris Rn. 3 ff.). Da das Verwaltungsgericht im vorliegenden Eilverfahren einen Ortstermin durchgeführt hat, ist aufgrund der dadurch nach Nr. 3104 VV RVG zusätzlich anfallenden Terminsgebühr auch die erforderliche Beschwerdesumme von 200,- Euro (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) erreicht.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert für das versammlungsrechtliche Eilverfahren zu Unrecht lediglich mit 2.500,- Euro festgesetzt.
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Gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG bestimmt sich der Streitwert in Verfahren, in denen - wie hier - vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO begehrt wird, nach § 52 Abs. 1 und 2 GKG. § 52 Abs. 1 GKG regelt, dass der Streitwert u.a. in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen ist. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist nach § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 EUR (Auffang- oder Regelstreitwert) anzunehmen.
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a) Ob in versammlungsrechtlichen (Hauptsache-)Verfahren der Regelstreitwert oder entsprechend der Empfehlung in Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nur der halbe Regelstreitwert festzusetzen ist, wird in der Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt (ausführlicher Überblick bei NdsOVG, B.v. 8.7.2022 - 11 OA 61/22 - juris Rn. 7).
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Auch unter Berücksichtigung neuerer oberverwaltungsgerichtlicher Entscheidungen (NdsOVG, B.v. 8.7.2022 - 11 OA 61/22 - juris; HessVGH, B.v. 17.6.2020 - 2 E 1289/20 - juris), auf die das Verwaltungsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss verweist, hält der Senat an seiner jüngeren Linie, in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich vom vollen Auffangstreitwert (5.000,- Euro) auszugehen, fest. Dies entspricht für Hauptsacheverfahren auch der offenbar ständigen Praxis des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, B.v. 8.1.2021 - 6 B 48.20 - juris; B.v. 5.3.2020 - 6 B 1.20 - juris).
8
Insbesondere ergeben sich in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten regelmäßig keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die eine von § 52 Abs. 2 GKG abweichenden Bestimmung des Interesses der Rechtsschutzsuchenden rechtfertigen würden (so bereits BayVGH, B.v. 11.12.2013 - 10 C 13.829 - juris Rn. 9; B.v. 10.4.2014 - 10 C 14.512 - juris Rn. 8). Dass bei der Bestimmung nichtwirtschaftlicher Interessen solche Anhaltspunkte regelmäßig fehlen und die daraus resultierenden Schwierigkeiten der Streitwertfestsetzung nach § 52 Abs. 2 GKG „immanent“ sind (NdsOVG, B.v. 8.7.2022 - 11 OA 61/22 - juris Rn. 10), mag zutreffen. Dies spricht aber gerade gegen und nicht für ein Abweichen von der gesetzlichen Typisierung in § 52 Abs. 2 GKG.
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Auch das Argument, die besondere verfassungsrechtliche Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) spreche für die Festsetzung eines niedrigeren Streitwerts, um finanziell günstigeren Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz zu ermöglichen, überzeugt nicht (so aber NdsOVG, B.v. 8.7.2022 - 11 OA 61/22 - juris Rn. 9; HessVGH, B.v. 17.6.2020 - 2 E 1289/20 - juris Rn. 14). Es ist bereits nicht erkennbar, warum gerade die Versammlungsfreiheit eine für die Streitwertbemessung ausschlaggebende Bedeutung haben soll, andere grundrechtlich geschützte, hochrangige Freiheiten aber nicht. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die mit einer Absenkung des Streitwerts von 5.000,- Euro auf 2.500,- Euro einhergehende Kostenreduktion von gerade einmal rund einem Viertel bei den Gerichtskosten und rund einem Drittel bei den Rechtsanwaltskosten (vgl. die Gebührentabellen zu § 2 Abs. 2 GKG einerseits und zu § 13 RVG andererseits) maßgeblichen Einfluss auf die Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtsschutz haben könnte. Schließlich kann die Ansetzung niedrigerer Streitwerte effektiven Rechtsschutz und eine sachgerechte Wahrnehmung eigener Rechte unter Umständen sogar erschweren, weil die Betroffenen es schwerer haben dürften, eine angemessene anwaltliche Vertretung zu finden.
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Auch das Interesse an einer einheitlichen Streitwertfestsetzung rechtfertigt es für sich genommen nicht, abweichend von der gesetzlichen Regelung in § 52 Abs. 2 GKG den Empfehlungen in Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs zu folgen (so aber OVG Nds., Beschluss vom 8. Juli 2022 - 11 OA 61/22 -, Rn. 9, juris; HessVGH, B.v 17.6.2020 - 2 E 1289/20 - juris Rn. 11). Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sichert in erster Linie die Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG) - hier die Bindung an § 52 Abs. 2 GKG.
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b) Wenn das versammlungsrechtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - wie hier - faktisch die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, besteht auch kein Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern (stRspr des Senats, vgl. etwa BayVGH, B.v. 14.5.2021 - 10 CS 21.1385 - juris Rn. 29). Das Vorbringens der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 10. August 2022 führt dabei zu keinem anderen Ergebnis.
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Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, § 152 Abs. 1 VwGO).