Titel:
Zumutbarkeit der Nachholung eines Visumverfahrens – Verweigerung der Mitwirkung
Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 2, § 25 Abs. 5, § 36 Abs. 2, § 60a Abs. 2 S. 1
GG Art. 6 Abs. 1, Abs. 2
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Ausgehend davon, dass Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt zwecks Nachzugs zu bereits im Bundesgebiet lebenden Angehörigen bietet, ist es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verweigert sich ein Ausländer von vornherein jeglicher Bereitschaft und Mitwirkung, ein Visumverfahren nachzuholen, vermag die daraus resultierende längere Bearbeitungsdauer ihn nicht dergestalt zu privilegieren, dass er einen Aufenthaltstitel ohne Durchführung des erforderlichen Visumverfahrens erhalten kann. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zumutbarkeit Nachholung, Visumverfahren, Mitwirkungsverweigerung, Nachholung, Zumutbarkeit, Verweigerung der Mitwirkung, rechtliche Unmöglichkeit, familiäre Gemeinschaft, Dauer des Visumverfahrens
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 02.05.2022 – W 7 E 22.401
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27351
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der am … 1997 geborene Antragsteller, ausweislich seines Reisepasses (ausgestellt am … 2020, gültig bis … 2030) pakistanischer Staatsangehöriger, der nach eigenen Angaben am 9. Juni 2013 in das Bundesgebiet eingereist ist, erfolglos Asylverfahren betrieben hat (ablehnender Bundesamtsbescheid vom 5.2.2019; Klageabweisung mit Urteil vom 20.7.2020, rechtskräftig seit 14.9.2020), der am 22. Juni 2018 nach religiösem Ritus eine pakistanische Staatsangehörige geheiratet hat, die aufgrund Flüchtlingsanerkennung im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist, mit der er mit gemeinsamer Sorgeberechtigung einen am 18. Dezember 2019 geborenen Sohn hat (ebenfalls Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, verfolgt nach Ablehnung einer beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit Bescheid vom 9. Juli 2021 (über die hiergegen gerichtete Klage <Az. W 7 K 21.832> wurde bislang nicht entschieden) mit seiner Beschwerde das Eilrechtsschutzbegehren auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung und Erteilung einer Duldung unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2022 und des ablehnenden Bescheides des Antragsgegners vom 21. Oktober 2021 weiter. Mit diesem Bescheid wurde die weitere Erteilung einer Duldung (erteilt aus familiären Gründen seit 21.12.2020) abgelehnt bzw. die derzeitige Duldung widerrufen (Nr. 1), ihm die seit 4. März 2021 erlaubte Erwerbstätigkeit nicht (mehr) gestattet (Nr. 2), der Aufenthalt auf den Regierungsbezirk Unterfranken beschränkt (Nr. 3) und der Antragsteller verpflichtet, alle drei Monate persönlich bei der ZAB vorzusprechen (Nr. 4).
2
Das Verwaltungsgericht hat den auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung und einstweilige Duldung bis zur Entscheidung über die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Eilantrag mit Beschluss vom 2. Mai 2022 mit der Begründung abgelehnt, der vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG liege zum einen nicht in Form einer sogenannten Verfahrensduldung (bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) vor. Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach §§ 27 ff. AufenthG stehe die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, ein strikter Rechtsanspruch bestehe in keinem der denkbaren Fälle, weil es an der Durchführung des Visumverfahrens fehle (von dessen Nachholung nur im Ermessenswege abgesehen werden könne) oder bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vorlägen (§ 36 Abs. 1 AufenthG) oder es sich bereits tatbestandlich um eine Ermessensnorm handele (§ 36 Abs. 2 AufenthG). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG scheide aus, weil die freiwillige Ausreise zur Durchführung des Visumverfahrens möglich und zumutbar sei. Wegen der fehlenden Bereitschaft zur Mitwirkung im Visumverfahren seien dem Antragsteller und seinem Sohn auch dadurch bedingte längere Wartezeiten bei der Deutschen Auslandsvertretung in Pakistan zumutbar; die fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung im Visumverfahren gehe gemäß § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG zulasten des Antragstellers. Der Antragsteller habe zum anderen einen Anspruch auf die beantragte Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie nach Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht glaubhaft gemacht. Es lasse sich nicht feststellen, dass eine Abschiebung des Antragstellers wegen Unvereinbarkeit mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtlich unmöglich sei, weil eine (vorübergehende) Beendigung dessen Aufenthalts zur Durchführung des Visumverfahrens unzumutbar wäre. Es bestünden keine Zweifel an der grundsätzlichen Möglichkeit des Familiennachzugs zu seinem Kind und dessen Kindsmutter, die jeweils im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG seien. Das Gericht gehe auf Grundlage der ihm zur Verfügung gestellten Informationen davon aus, dass der Antragsteller bei vollständig unterbleibender Vorbereitung vom Inland aus etwa 21 Monate von seiner Familie getrennt wäre. Eine längere Trennungszeit sei vorliegend auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers nicht zu erwarten, der dahingehende Vortrag sei bereits unsubstantiiert. Eine Abwesenheit des Antragstellers für den vom Verwaltungsgericht bei vollständig unterbleibender Vorbereitung des Visumverfahrens vom Inland aus prognostizierten Zeitraum von etwa 21 Monaten sei nicht unzumutbar. Da der Antragsteller sich der Nachholung des Visumverfahrens von Anfang an verweigert habe und auch auf einen Vergleichsvorschlag des Antragsgegners nicht eingegangen sei, liege es allein in seiner Einflusssphäre, den Trennungszeitraum durch ihm mögliche und zumutbare Mitwirkungshandlungen zu verkürzen, indem er bereits in Deutschland einen Termin bei der Auslandsvertretung beantrage oder das Urkundenüberprüfungsverfahren vom Bundesgebiet aus in die Wege leite. Er habe deshalb hieraus gegebenenfalls resultierende längere Trennungszeiten grundsätzlich hinzunehmen. In Anbetracht dessen, dass der Antragsteller seit eineinhalb Jahren nicht das in seiner Sphäre Liegende beitrage, um das Verfahren zu betreiben und zu einem zeitnahen Abschluss zu bringen, trage er selbst die Verantwortung für damit einhergehende zeitliche Verzögerungen, was ein Absehen von der Durchführung des Visumverfahrens im vorliegenden Fall nicht zu rechtfertigen vermöge. Da sich der Antragsteller der Nachholung des Visumverfahrens von Anfang an verweigert habe und dies auch weiterhin tue, überwiege das öffentliche Interesse an der Beachtung des Visumverfahrens die schutzwürdigen Interessen des Antragstellers und seiner im Bundesgebiet lebenden Bezugspersonen. Dem Antragsteller könne zugemutet werden, sich für das Sichtvermerkverfahren in das Heimatland zu begeben, ohne dass die Grenze des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erreicht würde. Härten für die Familie würden nicht verkannt, auf die Sicht des Kindes unter Berücksichtigung seines Alters abstellend könne dieses mittlerweile jedoch auch Kontaktaufnahmen über moderne Telekommunikationsmittel erfassen und auf eine begrenzte Trennungszeit in Präsenz vorbereitet werden, sodass es die Trennung als lediglich vorübergehend erfahren würde. Bestehende familiäre Beziehungen des Antragstellers im Heimatland sprächen für die Zumutbarkeit einer vorübergehenden Rückkehr zum Zwecke der Nachholung des Visumverfahrens, zumal insofern Unterstützung vor Ort erwartet werden könne.
3
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
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Die Prüfung der für die Begründetheit der Beschwerde streitenden Gründe ist im Grundsatz auf das in der Beschwerdebegründung Dargelegte beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Danach ergibt sich nicht, dass der Antragsgegner entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten wäre, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller zu unterlassen.
5
Der Antragsteller trägt zur Begründung der Beschwerde vor, das Verwaltungsgericht habe dem staatlichen Interesse auf Nachholung des Visumverfahrens einen zu hohen Wert, demgegenüber dem rechtlichen Interesse des Antragstellers und seines Kindes am Fortbestand einer Erziehungs- und Pflegegemeinschaft in verfassungsrechtlich unvertretbarer Weise ein minderstarkes Gewicht beigemessen. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass die seit mehreren Jahren bestehende familiäre Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner rituellen Ehefrau, weiterhin die von beiden Elternteilen seit 2 ½ Jahren bestehende und ausgeübte Erziehungs- und Pflegegemeinschaft mit dem hier in Deutschland geborenen asylberechtigten Kind zur Bejahung eines rechtlichen Abschiebungshindernisses im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG führen müsse. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Bewertung der beiderseitigen rechtlichen Interessen sei bereits vom Ansatz her verfehlt. Das staatliche Interesse an der Nachholung des Visumverfahrens möge wichtig sein und ein erhebliches einwanderungspolitisches Interesse widerspiegeln, es sei jedoch nur einfachgesetzlich verankert. Demgegenüber sei der Schutz der seit 2 1/2 Jahren bestehenden Pflege- und Erziehungsgemeinschaft verfassungsrechtlich verankert (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG), weshalb sie sich auf höherrangiges Recht stütze. Der Antragsteller und seine rituelle Ehefrau übten seit der Geburt des gemeinsamen Kindes Tag für Tag die Erziehungs- und Pflegeaufgaben gemeinschaftlich aus. Dies betreffe die Aufwendung erheblicher Zeit für das Kind, gemeinschaftliche Arztbesuche sowie sonstige Maßnahmen zur Gesundheitserhaltung und schließlich auch der sprachlichen und sonstigen Förderung des Kindes. Der 2 ½-jährige Bestand dieser Erziehungsgemeinschaft habe zu einer Verfestigung derselben geführt. Insbesondere sei das Kind zwar kein Kleinstkind mehr, aber immer noch ein kleines Kind, das keine andere Lebensform kenne als die Gemeinschaft mit beiden Elternteilen. Müsste nunmehr der Antragsteller in sein Heimatland ausreisen, um das Visumverfahren nachzuholen, so würde dies eine zwar zeitweise, aber immerhin eine zeitmäßig nur schwer bestimmbare Trennung des Kindes von seinem erziehungsberechtigten Vater bedeuten. Dies würde gegen den Willen des Kindesvaters erfolgen und deshalb einen Verstoß gegen die Verfassungsvorschrift des Art. 6 Abs. 3 GG bedeuten. Nach dieser verfassungsrechtlichen Vorschrift dürften gegen den Willen der erziehungsberechtigten Eltern Kinder nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie (und damit auch vom Vater) getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagten oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohten. Die Dauer einer solchen Trennung lasse sich zwar nur mit sehr großen Schwierigkeiten zeitlich vorhersagen, sie werde allerdings auf jeden Fall derart lang sein, dass sie das Kindeswohl gefährdete. In diesem Zusammenhang sei von Bedeutung, dass es bei einem Kind nicht darauf ankomme, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Weiterhin sei bei einer Vater-Kind-Beziehung zu berücksichtigen, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich sei, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes habe. Es sei zugrunde zu legen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Mutter und Vater der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes diene. Nach den verfassungsrechtlichen Maßstäben sei es dem Antragsteller mit Blick auf die von ihm vorgetragene Beziehung zu dem 2 ½ Jahre alten Kind unzumutbar, das Visumverfahren durchzuführen. Denn der Antragsteller habe zum einen eine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung glaubhaft gemacht, die auch nicht von dem Antragsgegner bestritten, sondern sogar bestätigt werde. Zum anderen ergebe sich aus den vorliegenden Informationen über das Visumverfahren, niedergelegt beispielsweise auf der öffentlich zugänglichen Website der Deutschen Botschaft in Islamabad, speziell für das Visumverfahren zur Familienzusammenführung eine überlange Verfahrensdauer. Insgesamt sei zu befürchten, dass die Trennung auf jeden Fall mehr als ein Jahr betragen werde und deshalb zu irreparablen Schäden in der Beziehung des Antragstellers zu seinem Kind und hieran angeschlossen zu einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung des Kindes führen werde, da ein enger Kontakt, wie es zur Aufrechterhaltung einer emotionalen Bindung erforderlich wäre, über einen so langen Zeitraum auch nicht unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel aufrecht zu halten wäre. Es spiele auch zusätzlich eine Rolle, dass es sich bei dem Kind des Antragstellers immer noch um ein kleines Kind handele, welches die über einjährige physische Abwesenheit des Antragstellers nicht begreifen und daher als endgültigen Verlust erfahren könnte. Auch sei das Kind zu klein, um sich „moderner Kommunikationsmittel“ zu bedienen. Der Antragsteller habe sich deshalb nicht auf das Vergleichsangebot des Antragsgegners eingelassen, weil er zu Recht kein Vertrauen in die behördliche Erwartung habe, dass die Trennung von seinem Kind für die Dauer des Visumverfahrens nur kurzfristig wäre. Der Antragsteller habe völlig zu Recht und in Übereinstimmung mit seinen verfassungsrechtlichen Pflichten als Elternteil dem Fortbestand und auch der Nichtunterbrechung seiner Pflege und Erziehung des Kindes, und damit dem Kindeswohl seines Sohnes den Vorrang eingeräumt. Er wolle es nicht hinnehmen, dass das Recht seines Kindes auf familiäres Zusammenleben durchkreuzt und damit in dieses Recht unverhältnismäßig eingegriffen würde. Damit habe er sich für das Wohl seines Kindes entschieden und gleichzeitig auch für die Wahrung der verfassungsrechtlichen Ordnung, deren Bestandteil die Vorschriften des Art. 6 Abs. 1 und 6 Abs. 3 GG seien. Art. 6 Abs. 1 GG diene nicht nur der Freiheit des Einzelnen, sondern es diene der Freiheit in der gelebten Gemeinschaft, und der Erhalt dieser Gemeinschaft sei ein verfassungsrechtliches Gebot. Art. 6 Abs. 1 i.V. mit Abs. 2 GG verwirkliche in erster Linie den Schutz der Familie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft; in der Familie und der elterlichen Erziehung finde die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes seine wesentliche Grundlage. Die Verfassungsnorm des Art. 6 Abs. 2 GG gehe von dem Regelfall aus, dass das Kind mit den verbundenen Eltern in einer Familiengemeinschaft zusammenlebe und Vater und Mutter das Kind gemeinsam pflegten und erzögen. Die Betreuung eines minderjährigen Kindes durch Mutter und Vater innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft, die im vorliegenden Fall gegeben sei, gewährleiste am ehesten, dass das Kind zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der Gesellschaft heranwachse, wie sie auch dem Menschenbild des Grundgesetzes entspreche. Die Entscheidung des Antragstellers, den Interessen seines Kindes den Vorrang einzuräumen und damit das Vergleichsangebot des Antragsgegners auszuschlagen, sei vom Grundgesetz gedeckt. Denn wichtiger als das subjektive Elternrecht diene die Elternverantwortung in erster Linie dem Schutz des Kindes. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setze eine tragfähige soziale Beziehung zwischen ihnen voraus und erfordere daher ein Mindestmaß an Übereinstimmung und eine Orientierung am Kindeswohl als obersten Wert der familiären Gemeinschaft. Diese sei gegeben. Deshalb verletze eine staatliche Entscheidung, die zu einer zeitweisen Trennung von Eltern und Kind führe, aber nicht dem Wohl des Kindes diene, die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Kind habe ein Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung. Mit diesem Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern korrespondiere dieses mit der elterlichen Pflicht, dieses Recht zu wahren. Das Bestehen auf die Durchführung des Visumverfahrens seitens des Antragsgegners führe dazu, dass das Kind von seinem Vater - wenn auch nur zeitweise - getrennt würde. Die Trennung eines Kindes von den Eltern stelle den stärksten Eingriff in das Elternrecht, weiterhin auch in das Recht des Kindes dar; sie dürfe danach nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits im Jahre 2002 entschieden, dass eine gelebte familiäre Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind, die nur in Deutschland stattfinden könne, dann, wenn weder dem Kind noch der Mutter das Verlassen Deutschlands zumutbar sei, die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurückdränge. An dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts sei in erster Linie zu rügen, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Inhalt und der Reichweite des Art. 6 GG keinerlei Erwähnung fänden. Die verfassungsrechtliche Wertigkeit werde im Hintergrund stehen gelassen. Dies bedeute, dass deshalb notwendigerweise eine Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an der Einhaltung der Sichtvermerkspflicht einerseits und dem Schutz aus Art. 6 GG andererseits nicht wirklich stattgefunden habe. Das Verwaltungsgericht sei nach Auswertung einiger Erkenntnisquellen davon ausgegangen, dass die Abwesenheit des Antragstellers während des Visumverfahrens etwa 21 Monate betrage. Damit habe es offensichtlich die Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - gezogen, in welcher unter anderem entschieden wurde, dass das Gericht eine Vorstellung entwickeln muss, weiterhin auch eine gültige Prognose darüber anzustellen hat, mit welcher Trennungszeit ein Kindesvater während des Sichtvermerksverfahrens zu rechnen habe. Es fehlten allerdings ausreichende und tragfähige Ausführungen dazu, ob und unter welchen Gesichtspunkten diese zugrunde gelegte Trennungszeit zumutbar sei. Es habe keine Prüfung des Einzelfalles der hier bestehenden familiären Gemeinschaft durchgeführt und sich nicht mit dem Kind des Antragstellers näher befasst, um dessen Schutz es wirklich gehe. Gegebenenfalls hätte es ein kinderpsychologisches Gutachten über die Frage einholen müssen, wie sich der Entwicklungsstand des Kindes im Einzelnen darstelle und welchen Einfluss auf das Kind im Einzelnen eine nahezu zweijährige Trennung vom Vater haben werde. Aus der Sicht eines objektiven Dritten, insbesondere wenn es sich bei dem Dritten ebenfalls um einen Elternteil innerhalb einer Familiengemeinschaft handele, würde von jedem nahezu sicher eine Trennung vom Vater zu seinem Kind für diesen Zeitraum für unzumutbar betrachtet werden. Vielmehr gehe der Antragstellerbevollmächtigte davon aus, dass das Verwaltungsgericht sich an der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs orientieren wolle (B.v. 24.06.2021 - 10 CE 21748, 10 C 21752), der eine ganz besondere harte Rechtsprechungslinie verfolge. In dieser Entscheidung werde ausgeführt, dass wenn ein Ausländer ein kleines Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit hat, dies regelmäßig nicht als ein besonderer Umstand des Einzelfalles zu werten sei, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar mache. Nun werde man allerdings nicht davon ausgehen können, dass es sich bei den Personen der Richterschaft im Freistaat Bayern teilweise oder sogar überwiegend um sogenannte „Rabeneltern“ handele, die regelmäßig den Belangen von Kindern bei der Abwägung mit staatlichen Interessen ein minderstarkes Gewicht einräumten. Gleichwohl sei kritisch anzumerken, dass auch die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs dadurch gekennzeichnet sei, dass eine wirkliche Interessenabwägung nicht stattfinde, insbesondere keine Auseinandersetzung aus Art. 6 GG, und dem Vorrang von Verfassungsrecht gegenüber einfachem Gesetzesrecht. Indem das Verwaltungsgericht ebenso wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf die Möglichkeit der Verfahrensabkürzung durch Einholung einer sogenannten Vorabzustimmung hinweise, entstehe das Argument, dass die Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens sich doch nur eine bloße Förmlichkeit erweise, weil dem öffentlichen Interesse an einer Kontrolle des Nachzugs bereits Genüge getan worden sei, indem die Voraussetzungen einer Aufenthaltsnahme geprüft und für gegeben erachtet würden. Außerdem sei keine Auseinandersetzung mit der durchaus realen Möglichkeit erfolgt, dass die deutsche Auslandsvertretung an einer Vorabzustimmung der örtlichen Ausländerbehörde nicht gebunden sei. So prüften die Auslandsvertretungen durchaus die Frage, ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG vorlägen. Weiterhin könnte die Auslandsvertretung die Erteilung des Visums versagen, weil sie das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG verneine, etwa weil sie zum Ergebnis komme, dass die familiäre Lebensgemeinschaft im Ausland fortgeführt werden könne. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2021 zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung einiger Oberverwaltungsgerichte auch das in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG normierte Wohnraumerfordernis erfüllt sein müsse. Deshalb bestünden auch im Falle der Ausstellung einer Vorabzustimmung erhebliche Unwägbarkeiten, die durchaus die Wahrscheinlichkeit schwinden ließen, dass es auch tatsächlich zur Erteilung eines Visums kommen werde. Diese Überlegungen hätten in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auch Eingang finden müssen, was allerdings nicht geschehen sei. Ein weiterer fehlerhafter Mangel der Entscheidung des Verwaltungsgerichts liege darin, dass die zugrunde gelegte Zeitdauer eines Visumverfahrens und damit der Trennung zwischen dem Antragsteller und seiner Frau und seinem Kind von 21 Monaten keine ausreichende Richtigkeitsgewähr biete, sondern „irgendwie als aus der Luft gegriffen“ erscheine, um die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen, dass eine Vorstellung davon entwickelt werden müsse, welcher Trennungszeitraum zu erwarten sei und ob dieser für zumutbar erachtet werden könne. Der Antragsteller habe durch seinen Bevollmächtigten substantiiert ausgeführt, dass aus seiner mehrjährigen Erfahrung es oftmals Verfahrensdauern zwischen 36 bis 48 Monaten gebe. Dies ergebe sich aus den Ausführungen in einem Schreiben der Deutschen Botschaft Islamabad an das Polizeipräsidium Frankfurt vom 2. August 2004. Darin führe die Deutsche Botschaft aus, dass ein pakistanisches Urkundenwesen in einem geordneten Sinn nicht bestehe. Ein Großteil der pakistanischen Bevölkerung lebe „registerlos“ und brauche auch für das ganze Leben manchmal keine Urkunden. Die Registrierung einer Geburt würde in vielen Fällen erst dann überhaupt in Angriff genommen, wenn das Leben hierzu einen sachlichen Anlass biete. Unter der Überschrift „Wie funktioniert dann Pakistan?“ führe die Deutsche Botschaft aus, dass die „allgegenwärtige soziale Kontrolle ein Urkundenwesen im westlichen Sinne als überflüssig erscheinen lasse“. Urkunden würden in Pakistan gewissermaßen „auf Zuruf` ausgestellt und hätten daher so gut wie keinen Beweiswert. Deshalb, so werde ausgeführt, bestehe die Deutsche Botschaft im Falle von Spätbeurkundungen der Geburt auf einer Korrektur des Registereintrags durch Beschluss eines pakistanischen Zivilgerichts sowie auf einer Neuregistrierung der Geburt „unter Beachtung der pakistanischen Rechtsvorschriften“. Welche diese sein sollen, teile die Deutsche Botschaft nicht mit. Da der Antragsteller nicht aus einer pakistanischen Großstadt, sondern aus einem Dorf in der pakistanischen Provinz stamme, müsse er davon ausgehen, dass auch in seinem Fall seine Eltern den Weg einer sogenannten Spätregistrierung (Late entry) gewählt hätten. Dann müsste auch er den langwierigen Weg begehen, seine Geburtsregistrierung durch Gerichtsbeschluss löschen zu lassen, und eine Neuregistrierung seiner Geburt vornehmen zu lassen. Dies sei ein Verfahrensweg, der allein für sich gerechnet weitere 6-10 Monate betrage. Festzustellen sei somit, dass die Deutsche Botschaft im Visumverfahren keineswegs die Vorlage eines Reisepasses und die darin enthaltenen Daten als „konstitutiv“ ansehe, sondern regelmäßig eine Überprüfung vornehmen lasse. Hierzu beschäftige die Deutsche Botschaft eine Reihe von pakistanischen Kooperationsanwälten, die durch das Land führen, notfalls bis in die letzten Winkel desselben, Einsicht in Register nähmen und insbesondere eine für sehr wichtig betrachtete „soziale Überprüfung“ vornähmen, d.h. Gespräche mit dem sozialen Umfeld am Heimatort der Person führten. In einer weiteren Auskunft der Deutschen Botschaft in Islamabad an die Ausländerbehörde Frankfurt vom 5. August 2009 gestehe die Botschaft ein, dass das pakistanische Verwaltungsrecht keine Vorschriften enthalte, die sich zu der Frage verhielten, wie denn Fehler in Personenstandsurkunden behoben werden könnten. Die Deutsche Botschaft bestehe gleichwohl auf einer Korrektur der Urkunden durch einen pakistanischen Gerichtsbeschluss, obwohl eine Selbstkorrektur durch die ausstellenden Behörden aufgrund der schlecht ausgebildeten Registerbeamten, die anstatt die Urkundslage zu korrigieren, oft noch weitere Fehler oder Widersprüche hinzufügten, nicht empfehlenswert sei. Schließlich gestehe die Botschaft erneut zu, dass es beispielsweise für die Korrektur von Personenstandsdaten durch pakistanischen Gerichtsbeschluss keine gesetzliche Grundlage im pakistanischen Verwaltungsrecht gebe. Die Verwaltungspraxis der Deutschen Botschaft sei als fragwürdig zu betrachten. Es sei allgemein bekannt, dass das Korrekturverfahren beispielsweise der Geburtseinträge und der Geburtsurkunden eigentlich niemals zu einer Abänderung der Personenstandsdaten führe. Daher frage es sich, warum die Deutsche Botschaft auf eine Einhaltung eines Rechtswegs bestehe, der jenseits der pakistanischen Rechtsordnung liege. Es entstehe der Eindruck, dass der Gesichtspunkt der Bremsung und Verlangsamung der Familienzusammenführung eine erhebliche praktische Rolle spiele. Weiterhin sei die Deutsche Botschaft möglicherweise bestrebt, der Verwaltung in Pakistan eine „verwaltungstechnische Hygiene“ beizubringen. Eine weitere Theorie sage, dass es um eine Einkommenssicherung zugunsten pakistanischer Rechtsanwälte gehe, die im Grunde genommen „Phantasievoraussetzungen erfänden, um eine Einkommensquelle nicht versiegen zu lassen“. Insgesamt ergebe sich daraus, dass jenseits einer sachlich gebotenen Überprüfung hier Zusatzanforderungen gestellt würden, die einen Zeitverlust von weiteren 1-2 Jahren verursachten und deren praktischer Sinn mehr als fraglich sei. Nach hiesiger Kenntnis finde eine möglicherweise im pakistanischen Recht geforderte Beurkundung einer Geburt, die zeitnah nach derselben geschehe, nur in pakistanischen Großstädten statt. Der Antragsteller komme allerdings nicht aus einer Großstadt, sondern aus einem kleinen Dorf in der Provinz, wo der Großteil der dort lebenden Menschen oft ein ganzes Leben lang keine Urkunden benötige. Die später von der Zentralen Ausländerbehörde dem Verwaltungsgericht übermittelte Auskunft, dass die Zentrale Ausländerbehörde inzwischen befugt sei, die Überprüfung der Personenstandsurkunden selbst zu veranlassen, sei zu bestreiten. So sei es dem Prozessbevollmächtigten, der seit mehr als 10 Jahren nach erfolgreicher Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft Pakistaner in Verfahren der Familienzusammenführung vertrete, hier kein einziger Fall bekannt geworden, in dem eine schnelle Überprüfung der Personenstandsurkunden auf Betreiben einer örtlichen Ausländerbehörde erfolgreich stattgefunden hätte. Der Bevollmächtigte hege deshalb den Verdacht, dass es sich bei dem aufgezeichneten „neuen Weg“ um eine „Wunschkonstruktion deutscher Verwaltungsjuristen und -beamten handele, dem allerdings keine Realität entspreche. Der Antragsteller hat sich unter dem 30. Juni 2022 weiter geäußert.
6
Diese Rügen greifen nicht durch. Es ist kein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteter Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ergibt sich nicht, dass sich die Abschiebung wegen der Schutzwirkungen nach Art. 6 Abs. 1, 2 GG als rechtlich unmöglich erweist.
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Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
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1. Im Hinblick auf die Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 9. Juli 2021 ist vorliegend nichts dafür ersichtlich, dass es aus Rechtsschutzgründen (Art. 19 Abs. 4 GG) ausnahmsweise geboten wäre, dem Antragsgegner die Abschiebung des Antragstellers für die Dauer des Verfahrens der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Wege einer „Verfahrensduldung“ vorläufig zu untersagen. Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG kommt eine Verfahrensduldung ausnahmsweise in Betracht, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich bereits gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann (BVerwG, U.v. 18.12.2019 - 1 C 34/18 - BVerwGE 167, 211-235, Rn. 30). Eine mithin lediglich ausnahmsweise mögliche Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG kann nur dann zum Tragen kommen, wenn zweifelsfrei ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels besteht und die Sicherung der aufrechtzuerhaltenden Voraussetzungen durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten ist. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt sind.
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Entgegen der Auffassung im Beschwerdebringen führt die bestehende familiäre Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller, seiner rituellen Ehefrau und dem Kind sowie die von beiden Elternteilen ausgeübte elterliche Sorge nicht zur Bejahung eines rechtlichen Abschiebungshindernisses im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG. Offen bleibt, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen (hier: zum Familiennachzug, §§ 27 ff AufenthG) nicht erfüllt sind (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 30.7.2021 - 19 ZB 21.738 - juris Rn. 9; B. v. 9.7.2021 - 10 ZB 21. 1476 - juris Rn. 10, B.v. 30.10.2018 - 10 ZB 18.1780 - juris Rn. 7 m.w.N., bejahend nunmehr BayVGH, U.v. 7.12.2021, 10 BV 21.1821 - juris). Eine (freiwillige) Ausreise des vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers ist jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen (oder tatsächlichen) Gründen unmöglich, weil es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie nach Art. 6 GG (bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK) im konkreten Fall vereinbar ist, den Antragsteller selbst „angesichts der bestehenden einfachrechtlichen Ungewissheiten“ (vgl. dazu BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 50) auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. nachfolgend 2.).
10
Ausgehend davon, dass Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt zwecks Nachzugs zu bereits im Bundesgebiet lebenden Angehörigen bietet, ist es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Entgegen dem Beschwerdevorbringen derogiert der Verfassungsrang von Art. 6 GG nicht per se die im Aufenthaltsgesetz vorgesehene Einhaltung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 AufenthG. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dabei dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) abzusehen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfG, zuletzt B.v. 9.12.2021, a.a.O. Rn. 47 m.w.N.).
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Eine pflichtwidrige Verweigerung jeglicher Mitwirkung im Visumverfahren und dadurch bedingte längere Wartezeiten bei der deutschen Auslandsvertretung in Pakistan, die zwangsläufig auch eine längere Trennungszeit zwischen Vater und Kind bedeuten würden (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021, a.a.O., Rn. 56 ff.), hat dabei angesichts des klaren und eindeutigen gesetzlichen Ausschlussgrunds gemäß § 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist und ein Verschulden insbesondere u.a. anzunehmen ist, wenn er zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt, zulasten des Antragstellers zu gehen (vgl. BayVGH, U.v. 7.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 23).
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2. Ebenso wenig wie eine freiwillige Ausreise zum Zwecke der Nachholung des Visumverfahrens zum Familiennachzug erweist sich eine Abschiebung des Antragstellers aus Gründen des Schutzes einer bestehenden familiären Gemeinschaft des Antragstellers mit seinem Kind aus rechtlichen Gründen gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als unmöglich.
13
Ausgehend davon, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt und Art. 8 Abs. 1 EMRK kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Mitgliedstaat vermitteln, sind die Ausländerbehörden gleichwohl verpflichtet, bei ihren Entscheidungen die bestehenden familiären Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und sie entsprechend ihrem Gewicht in den behördlichen Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2008 - 2 BvR 588/08 - juris).
14
Was die sich aus Art. 6 GG ergebenden aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen angeht (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17 ff. m.w.N.), ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 16). Die Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen; entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 - juris Rn. 87). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12 m.w.N.).
15
Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es - wie ausgeführt - grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 22.12.2021 - 2 BvR 1432/21 juris Rn. 43; B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris LS 2a mit Verweis auf BVerfGK 13, 562 <567> und BVerfGK 13, 26 <27>).
16
Zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Trennung des betroffenen Ausländers von seiner Familie bedarf es von Verfassungs wegen einer Begründung, warum insofern eine lediglich vorübergehende und keine dauerhafte Trennung in Aussicht steht (BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris LS 2c). Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG, B.v. 22.12.2021 - 2 BvR 1432/21 - juris Rn. 44; B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 48; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 33). Einfachrechtliche Unwägbarkeiten bzw. Ungewissheiten über den Ausgang des Visumverfahrens (im vom Bundesverfassungsgericht zugrundeliegenden Fall die „hohen Hürden“ nach § 36 Abs. 2 AufenthG) müssen Eingang in die vom Verwaltungsgerichtshof anzustellende Prognose finden (BVerfG, B.v. 22.12.2021 - 2 BvR 1432/21 - juris Rn. 51; B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 53).
17
In den Blick zu nehmen ist, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und gegebenenfalls unter zu Hilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen ein derartiger Auslandaufenthalt des Ausländers für die Familie hätte (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 15/12 - juris). Diesbezüglich muss die Dauer des Visumverfahrens absehbar und insbesondere auch geklärt sein, ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (vgl. BayVGH, U.v. 7.12.2021 - 10 BV 21.1821 - Rn. 40 m.w.N.; OVG SH, B.v. 3.1.2022 - 4 MB 68/21 - juris). Bei dieser Prognose sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neben „einfachrechtlichen Unsicherheiten“ (bezogen auf den in Betracht kommenden familiären Aufenthaltstitel) eine eventuell fehlende Mitwirkung des Betroffenen im Visumverfahren ebenso zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 52 ff.). Eine fehlende Mitwirkung kann daher auch längere Wartezeiten rechtfertigen. Zudem würde es die Erkenntnisfähigkeit von Behörden und Gerichten überfordern, bei der Prognose über die Dauer des Visumverfahrens und der damit verbundenen Trennung des Ausländers von seinem in Deutschland aufenthaltsberechtigten Kind eine präzise Vorstellung davon zu entwickeln, mit welcher Trennungszeit tatsächlich im Falle der Duldungsversagung zu rechnen wäre, wenn der Ausländer nicht das in seiner Sphäre Liegende beiträgt, um das Verfahren zu betreiben und zu einem zeitnahen Abschluss zu bringen (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021, a.a.O. Rn. 59). Der Ausländer hat es dabei durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er beispielsweise - unter Mitwirkung der zuständigen Ausländerbehörde - deren Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.993 - juris Rn. 5).
18
Nach diesen Maßgaben ist es im vorliegenden Fall mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie nach Art. 6 GG (bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK) vereinbar, den Antragsteller selbst „angesichts der bestehenden einfachrechtlichen Ungewissheiten“ (vgl. dazu BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 50) auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen.
19
Entgegen der Beschwerdebegründung führt allein das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft ebenso wenig wie der Umstand, dass ein kleines Kind betroffen ist, regelmäßig dazu, von der Unzumutbarkeit der Einhaltung des Visumverfahrens auszugehen, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2019 - 10 C 19.1700 - juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.994 - juris Rn. 5). Im Hinblick auf die bestehende familiäre Lebensgemeinschaft ist von der grundsätzlichen Möglichkeit eines Familiennachzugs auszugehen und die zu prognostizierende Dauer des Visumverfahrens erweist sich als absehbar. Der Rüge des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Inhalt und der Reichweite des Art. 6 GG in der erstinstanzlichen Entscheidung nicht gewürdigt, ist in Anbetracht der umfänglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Gewährleistungsgehalt von Art. 6 GG und den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht zu folgen.
20
Nur wenn die grundsätzlich bestehende Möglichkeit zum Familiennachzug geklärt ist, kann abgeschätzt werden, wann der Antragsteller im Falle einer Ausreise mit einer Rückkehr nach Deutschland rechnen kann.
21
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend die grundsätzliche Möglichkeit eines Familiennachzugs nach §§ 27 ff. AufenthG bejaht. Vorliegend kommt ein Aufenthaltstitel aufgrund der Auffangnorm § 36 Abs. 2 AufenthG in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 15/12 - BVerwGE 147, 278-292, Rn. 13: spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe in Deutschland). Soweit der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris) auf die Unwägbarkeiten des Visumverfahrens und die fehlende Bindung der Auslandsvertretung an eine etwaige Vorabzustimmung hinweist, ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie selbst „angesichts der bestehenden einfachrechtlichen Ungewissheiten“ vereinbar ist, ihn auf die Einholung des Visums zu verweisen. Hinsichtlich der „hohen Hürden“ (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - Rn. 53) der Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 2 AufenthG ist Folgendes zu berücksichtigen: Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 15/12 - BVerwGE 147, 278-292, Rn. 12). Ein entsprechendes Angewiesen sein kann sich für sehr kleine Kinder ergeben, die auf Grund ihres Alters ständiger Pflege und Betreuung und deshalb der Einbindung in die familiäre Lebensgemeinschaft bedürfen (vgl. OVG LSH, B.v. 3.1.2022 - 4 MB 68/21 - juris Rn. 20). Diese besonderen Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und deren hohes Gewicht sind von den zuständigen Behörden und Verwaltungsgerichten bei der Auslegung und Anwendung von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Mit Blick auf den Vorrang und die Bindungswirkung des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie greift der Einwand nicht, die zuständige Auslandsvertretung würde hier gegebenenfalls einen strengeren Prüfungsmaßstab anlegen und durch Verweigerung des Visums insoweit verfassungswidrig handeln (vgl. BayVGH, U.v. 7.12.2022 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 46). Hinzukommt vorliegend, dass in Anbetracht des asylrechtlichen Schutzstatus des Kindes und der Kindsmutter eine Herstellung der Familiengemeinschaft im (gemeinsamen) Heimatland nicht zuzumuten sein wird. Soweit der Antragsteller eine fehlende Bindung der Auslandsvertretung an eine von der Ausländerbehörde ausgesprochene Vorabzustimmung bemängelt, ist darauf hinzuweisen, dass die Zentrale Ausländerbehörde bereits erklärt hat, sich hinsichtlich der Erteilung einer sog. Vorabzustimmung bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde für den Antragsteller verwenden zu wollen; der Antragsteller hat gleichwohl einen entsprechenden Antrag nicht gestellt. Auch wenn die Auslandsvertretung die Erteilung des Visums trotz Vorabzustimmung mit eigenen Erwägungen ablehnen kann, besteht in der Praxis zwischen Ausländerbehörde und Auslandsvertretung regelmäßig Übereinstimmung und eine Entscheidung soll grundsätzlich im Einvernehmen getroffen werden (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2021 - 10 CE 21.748 - juris Rn. 41 m.w.N.). Die vom Antragsteller benannte Unwägbarkeit im Hinblick auf das Wohnraumerfordernis des § 29 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG dürfte im vorliegenden Fall keine Rolle spielen, da der Antragsteller gemeinsam mit seiner rituellen Ehefrau und seinem Kind eine offenbar ausreichend große Wohnung bewohnt und in keiner Weise vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, dass diese nach seiner Rückkehr mit Visum nicht mehr zur Verfügung stehen könnte.
22
Dem Antragsteller wurde im Vergleichswege die Erteilung einer (verlängerbaren) Duldung angeboten, wenn er sich bereit erklärt, das Visumverfahren nachzuholen und alle notwendigen Schritte in die Wege zu leiten (Beantragung einer Vorabzustimmung gem. § 31 Abs. 3 AufenthV und Dokumentenprüfung, Terminvereinbarung zur Visumbeantragung bei der Auslandsvertretung). Dieser Vergleichsvorschlag des Antragsgegners vom 14. März 2022 zielte erkennbar auf eine Realisierung des Familiennachzugs und darauf, die Trennungszeit für die Nachholung des Visumverfahrens auf ein Minimum zu verkürzen. Auf diesen Vergleichsvorschlag ist der Antragsteller weder eingegangen noch hat er ihn angenommen. Allein das pauschale Bestreiten einer Realisierbarkeit der aufgezeigten Möglichkeiten und die Behauptung, aus Gründen des Kindeswohl habe der Antragsteller nicht auf den angebotenen Vergleich eingehen können, vermag die gänzliche Verweigerung zur Mitwirkung, zu der der Antragsteller gesetzlich verpflichtet ist, nicht zu rechtfertigen.
23
Ausgehend von der grundsätzlichen Möglichkeit eines Familiennachzugs ergibt die im Einzelfall anzustellende Prognose über die Dauer der Abwesenheit des Antragstellers von seiner Ehefrau nach religiösem Ritus und dem gemeinsamen Kind das Erfordernis einer Trennung, die unter Berücksichtigung der Mitwirkungsverweigerung in zeitlicher Hinsicht mit den sich aus Artikel 6 GG ergebenden aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen vereinbar ist. Die Durchführung des Visumverfahrens würde keinen unangemessen langen Zeitraum in Anspruch nehmen und es ist sowohl dem Antragsteller als auch seinen Angehörigen möglich und zumutbar, dazu beizutragen, den Trennungszeitraum durch entsprechende Mitwirkung zu minimieren und diesen überschaubaren Zeitraum durch entsprechende vorbereitende Maßnahmen zu überbrücken.
24
Bei der anzustellenden Prognose ist nach Auffassung des Senats in erster Linie von der im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskunft der zuständigen Visastelle der Deutschen Botschaft Islamabad vom 7. Juni 2021 auszugehen. Danach dauert das Verfahren, sofern die pakistanischen Personenstandsurkunden bereits geprüft wurden und keine Zweifel an der Identität aufkommen, ungefähr 2 Wochen. Wenn die Urkunden keinen Überprüfungsstempel tragen, müssten 4-5 Monate Überprüfungsdauer eingerechnet werden. Sei die Vorabzustimmung bis dahin zeitlich abgelaufen, müsse die Behörde noch einmal beteiligt werden. Weiter wird auf (pandemiebedingte) Einschränkungen im Flugverkehr zum Zeitpunkt der Auskunft hingewiesen.
25
Für den Antragsteller liegt ein gültiger Reisepass vor. Die von ihm vorgelegte Kopie einer Geburtsurkunde für den am 14. August 1997 geborenen Antragsteller weist als „Entry Date“ den 1. September 1997 und den „Entry Status: Normal“ aus (während die Geburtsurkunde der Kindsmutter einen „Entry-Status: Late“ und ein Entry-Datum vom 8.12.2016 vorsieht). Mithin dürfte es sich beim Antragsteller nicht um einen der vom Bevollmächtigten genannten Fälle der „Spätbeurkundung“ handeln; auf die im Beschwerdevorbringen genannten Hürden einer etwaig durchzuführenden Registerkorrektur wird es im vorliegenden Verfahren daher nicht ankommen, ebenso wenig auf eine Urkundenbereinigung der als Flüchtling anerkannten und aufenthaltsberechtigten rituellen Ehefrau. Soweit der Antragstellerbevollmächtigte die aus seiner Sicht zu erwartende besonders lange Dauer des Visumverfahrens unter Hinweis auf ein Schreiben der Deutschen Botschaft Islamabad vom 2. August 2004, dessen Aktualität in Frage zu stellen ist, auch damit begründet, dass der aus der pakistanischen Provinz stammende Antragsteller davon ausgehen müsse, dass seine Eltern in seinem Fall den Weg einer sog. Spätregistrierung (late entry) gewählt hätten und damit eine langwierige Neuregistrierung seiner Geburt notwendig wäre, so erweist sich diese Einschätzung angesichts der für den Beschwerdeführer vorliegenden Geburtsurkunde als unzutreffend. Auf den dahingehenden Vortrag kommt es ebenso wenig an wie auf die von Seiten des Antragstellerbevollmächtigten geäußerte Kritik an der Verwaltungspraxis der Deutschen Botschaft Islamabad und die Spekulationen hinsichtlich der Arbeitsweise der in Pakistan tätigen Vertrauensanwälte.
26
Soweit der Antragstellerbevollmächtigte meint, die vom Verwaltungsgericht für den Fall einer unzureichenden Mitwirkung des Antragstellers als zumutbar angesehene Trennungszeit von ca. 21 Monaten sei „aus der Luft gegriffen“, ist darauf hinzuweisen, dass diese Verfahrensdauer gerade vom Antragstellerbevollmächtigten selbst mit Schriftsatz vom 17. März 2022 unter Hinweis auf eine Auskunft der Deutschen Botschaft in Islamabad an die Ausländerbehörde Offenbach vom 28. August 2020 in einem gänzlich anderen Verfahren vorgebracht wurde. Nach Auffassung des Senats unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem der Auskunft zugrundeliegenden, als dort schon für die Wartezeit von der Registrierung bis zur Terminvergabe eine Wartezeit von mindestens 12 Monaten veranschlagt wurde, die der Antragsteller bei entsprechender Mitwirkung bis zum Termin mit Duldung in Deutschland verbringen könnte, ebenso wie die zu veranschlagende Bearbeitungszeit von vier bis fünf Monaten für die Urkundenüberprüfung. Das Verwaltungsgericht hat diesen, vom Antragsteller selbst genannten und auf einer Auskunft vom 28. Februar 2020 in einem anderen Verfahren beruhenden Zeitraum ausdrücklich nur für den Fall vollständig unterbleibender Vorbereitung vom Inland aus prognostisch zugrunde gelegt. Dies ist nicht zu beanstanden. Für die vom Antragstellerbevollmächtigten pauschal behauptete Verfahrensdauer von 36 bis 48 Monaten werden - abgesehen von seiner anwaltlichen Erfahrung - keine belastbaren Erkenntnisse vorgelegt.
27
Selbst wenn die Bearbeitungszeit für ein Visum zur Familienzusammenführung entsprechend der allgemeinen Informationen im aktuellen Internetauftritt der Botschaft aufgrund der notwendigen Urkundenüberprüfung derzeit mindestens 12 Monate beanspruchen sollte (https://pakistan.diplo.de/pk-de/service/-/2370756, abgerufen am 27.6.2022) und bis zum Eingang einer Terminmail mit Wartezeiten von mindestens einem Jahr zu rechnen ist, ist zu berücksichtigen, dass diese zeitliche Verzögerung maßgeblich aus der fehlenden Mitwirkung des Antragstellers und seinem Unterlassen, sich vorab aus dem Bundesgebiet um einen Termin bei der Deutschen Botschaft zu bemühen, resultiert. Der Antragsgegner hat bereits darauf hingewiesen, dass bei entsprechender Bereitschaft zur Nachholung des Visumverfahrens die Urkundenüberprüfung im Bundesgebiet abgewartet werden könnte. Soweit der Antragstellerbevollmächtigte bestreitet, dass die Ausländerbehörde die Urkundenüberprüfung selbst veranlassen könne und dies als „Wunschkonstruktion“ bezeichnet, steht diese Behauptung im Widerspruch zu den von der Antragsgegnerseite dargelegten Erkenntnissen, wonach gemäß Schreibens des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 10. Februar 2022 die notwendige Dokumentenprüfung nach Mitteilung des Auswärtigen Amtes auch im Bundesgebiet durchgeführt werden bzw. dessen Ergebnis aus dem Bundesgebiet abgewartet werden kann, wenn die Ausländerbehörde die Dokumentenprüfung im Rahmen eines Amtshilfeverfahrens an das Auswärtige Amt weiterleitet.
28
Ausgehend von der in der Auskunft vom 7. Juni 2021 genannten Bearbeitungszeit (inklusive Urkundenüberprüfung) von 4 bis 5 Monaten zuzüglich einer Wartezeit bis zum Termin von einem Jahr geht der Senat bei gänzlichem Unterlassen von Vorbereitungsmaßnahmen von einer Trennungszeit von 1 Jahr und 5 Monaten aus. Die genannten Zeiten sind jedoch allein auf die in der Einflusssphäre des Antragstellers liegende unzureichende Mitwirkung zurückzuführen, da ausweislich der Auskunft vom 7. Juni 2021 die reine Bearbeitungszeit zwei Wochen betragen würde. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass bei verweigerter Mitwirkung im Visumverfahren Art. 6 Abs. 1 GG es nicht gebietet, das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Sichtvermerkverfahrens gänzlich zurückzustellen, da dies keinen schonenden Ausgleich der familiären Belange des Ausländers und der gegenläufigen öffentlichen Interessen mehr bedeuten würde (vgl. BayVGH, U.v. 7.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 42; B.v. 30.7.2021 - 19 ZB 21.738 - juris Rn. 21 m.w.N.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 8.7.2019 - OVG 3 N 147.17 - juris Rn. 8). Wenn die durch die Nachholung des Visumverfahrens einhergehende Trennung des Antragstellers von seinem Kind einen längeren Zeitraum als die reine Bearbeitungszeit des Visumverfahrens beansprucht, so beruht dies (und eine dadurch etwaig eintretende bzw. stärkere Beeinträchtigung des Kindeswohls) vorliegend auf der eigenverantwortlichen Entscheidung des Antragstellers, zumutbare Mitwirkungshandlungen wie die online zu bewerkstelligende Registrierung bei der Deutschen Botschaft nicht zu erfüllen. In einem solchen Fall kann dies trotz des Kleinkindalters des Kindes des Antragstellers längere Trennungszeiten zumutbar machen. Verweigert sich ein Ausländer von vornherein jeglicher Bereitschaft und Mitwirkung, ein Visumverfahren nachzuholen, vermag die daraus resultierende längere Bearbeitungsdauer ihn nicht dergestalt zu privilegieren, einen Aufenthaltstitel ohne Durchführung des erforderlichen Visumverfahrens zu erhalten. Der Antragsteller hätte es vorliegend durch Bekundung der Bereitschaft zur Nachholung des Visumverfahrens und die Einleitung der von der Behörde aufgezeigten Schritte selbst in der Hand gehabt, wesentliche Verfahrensabschnitte (Dauer bis zur Terminvergabe, Urkundenüberprüfungsverfahren) im Bundesgebiet absolvieren zu können. Resultiert die prognostizierte Dauer mithin maßgeblich auf der völligen Weigerungshaltung des Antragstellers zur Mitwirkung, wird ihm und seinem Kind die dadurch begründete längere Trennungszeit zumutbar sein; der Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens über die Frage des Entwicklungsstandes des Kindes im Einzelnen und der Wirkungen der Trennungszeit auf das Kind bedarf es in diesem Fall nicht. Hätte der Antragsteller die Bereitschaft zur Nachholung des Visums erklärt und die erforderlichen Vorbereitungshandlungen (Registrierung und die durch die Ausländerbehörde in Amtshilfe beauftragte Urkundenüberprüfung) im Bundesgebiet veranlasst, wäre nach individueller Auskunft der Deutschen Botschaft Islamabad im vorliegenden Verfahren vom 7. Juni 2021 von einer Bearbeitungszeit von zwei Wochen auszugehen gewesen, einer mithin zweifellos zumutbaren Trennungszeit. Dies rechtfertigt es, ihm trotz bestehender familiärer Lebensgemeinschaft mit einem 2 ½-jährigen Kind die maßgeblich aus der verweigerten Mitwirkung resultierenden längeren Bearbeitungs- und Trennungszeiträume zuzumuten. Es liegt in der besonderen Verantwortung des Antragstellers, zusammen mit dem anderen Elternteil die ggf. aufgrund seiner durchgängigen Verweigerungshaltung längere Abwesenheit familien- und kindeswohlverträglich (so wie es grundsätzlich auch Eltern tun müssen, die eine berufsbedingte Trennung eines Elternteils vom Kind bewältigen müssen, wie z.B. Soldaten im Auslandseinsatz, Seeleute, Entwicklungshelfer) zu gestalten (vgl. Dietz, Die Nachholung des Visumverfahrens, NVwZ-Extra 2022, S. 1 ff., insb. S. 7).
29
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
30
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).