Titel:
Voraussetzungen für das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs
Normenkette:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Die gegenwärtige Nutzung eines unbebauten Grundstücks als Lager- bzw. Abstellplatz für LKW-Aufleger und die vorhandenen Aufleger stellen keine baulichen Anlagen dar, die einen Bebauungszusammenhang vermitteln könnten (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Planungsrechtliche Vorbescheide, Abgrenzung Innenbereich, Außenbereich, Innenbereich, Bebauungszusammenhang, Baulücke
Vorinstanz:
VG München, Entscheidung vom 15.12.2021 – M 29 K 18.3678, M 29 K 18.3710, M 29 K 3709
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27347
Tenor
I. Die Verfahren 1 ZB 22.299, 1 ZB 22.300 und 1 ZB 22.301 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
III. Die Klägerin hat die Kosten der Zulassungsverfahren einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
IV. Der Streitwert für die Zulassungsverfahren wird auf insgesamt 800.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Klägerin begehrt die Erteilung von Vorbescheiden für die Errichtung von zwei Mehrfamilienhäusern mit Tiefgarage und von Reihenhäusern mit Garagen auf den in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken FlNr. …3, …16, …7 und …10, jeweils Gemarkung G. … Es werden Fragen zur planungsrechtlichen Zulässigkeit der Wohngebäude bzw. Reihenhäuser gestellt.
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Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. ... „I. straße, Teil I“ der Beigeladenen. Ursprünglich hatte die Beigeladene, die im Jahr 2014 die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. ... „I.straße“ sowie eine Veränderungssperre beschlossen hatte, in dem Entwurf aus dem Jahr 2016 im Norden des Plangebiets ein Gewerbegebiet vorgesehen und im Süden, in dessen Geltungsbereich die Grundstücke der Klägerin liegen, ein allgemeines Wohngebiet. Am 22. August 2017 beschloss die Beigeladene den erneuten Erlass einer Veränderungssperre sowie einen geänderten Entwurf des Bebauungsplans, der für die Grundstücke der Klägerin nunmehr ein Gewerbegebiet vorsah. 2018 beschloss die Beigeladene, den Geltungsbereich des Bebauungsplans zu verkleinern und in zwei Teile zu unterteilen. Der Bebauungsplan Nr. ... „I. straße, Teil I“ wurde von der Beigeladenen am 28. Februar 2019 beschlossen. Er setzt nunmehr ausschließlich eine gewerbliche Nutzung fest.
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Die Anträge der Klägerin auf Erteilung der begehrten Vorbescheide lehnte der Beklagte jeweils mit Bescheid vom 16. August 2018 aufgrund der von der Beigeladenen erlassenen Veränderungssperre ab.
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Das Verwaltungsgericht hat mit den angegriffenen Entscheidungen das Verpflichtungsbegehren sowie die hilfsweise beantragten Feststellungen der Klägerin abgelehnt. Bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. ... „I. straße, Teil I“ widersprächen die Vorbescheidsvorhaben der Festsetzung der Art der baulichen Nutzung, da der Bebauungsplan ein Gewerbegebiet festgesetzt habe. Die vorgesehene allgemeine Wohnnutzung sei daher nicht zulässig, eine Befreiung komme nicht in Betracht. Bei unterstellter Annahme der Unwirksamkeit des Bebauungsplans lägen die streitgegenständlichen Flächen im Außenbereich. Die zur Bebauung vorgesehenen Flächen seien Bestandteil einer größeren Freifläche zwischen den im Norden vorhandenen Gewerbebauten und der südlich gelegenen kleinteiligen Wohnbebauung. Die befestigte Freifläche, auf der sich keine Gebäude befänden, werde gegenwärtig als Lager- bzw. Abstellplatz für LKW-Aufleger genutzt. Bei der im nordöstlichen Grundstücksbereich des Grundstücks FlNr. …3 befindlichen Mauer handle es sich zwar um eine bauliche Anlage, die jedoch nicht dem Aufenthalt von Menschen dienen könne. Es fehle an dem erforderlichen Bebauungszusammenhang. Der Vorhabenbereich liege zwischen zwei extrem unterschiedlichen Bebauungsstrukturen und könne weder den nördlich vorhandenen Gewerbebauten noch den südlich vorhandenen Wohngebäuden zugeordnet werden, da er von keiner dieser Bebauungsstrukturen geprägt werde und auch seinerseits nicht diese Bebauungsstruktur präge. Als sonstiges Bauvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB seien die Vorhaben nicht zulässig, da sie den Darstellungen des Flächennutzungsplans, der eine gewerbliche Nutzung vorsehe, widersprächen.
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Mit den Zulassungsanträgen verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Bebauungsplan Nr. ... „I.straße - Teil I“ sei unwirksam. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der streitgegenständlichen Vorhaben sei nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Die zur Bebauung vorgesehenen Flächen stellten sich bei optischer Bewertung aufgrund ihrer Befestigung als bebaut dar. Die an die Baugrundstücke angrenzenden unterschiedlichen Gewerbebauten bzw. Wohnbebauung rechtfertigten nicht die Annahme, dass die zur Bebauung vorgesehene Fläche den Bebauungszusammenhang unterbreche. Auch bei Annahme einer unbebauten Fläche sei eine Unterbrechung des Bebauungszusammenhangs nicht gegeben.
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Der Beklagte und die Beigeladene treten den Zulassungsanträgen entgegen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Die Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung beruht auf § 93 Satz 1 VwGO.
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Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 - 2 BvR 657/19 - juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klagen weder im Hauptantrag noch in einem der Hilfsanträge Erfolg haben können, da aufgrund der Außenbereichslage der zur Bebauung vorgesehenen Flächen - unabhängig von der Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. ... „I. straße Teil I“ bzw. der Veränderungssperre vom 22. August 2017 - zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Vorbescheide bestand.
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Hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich der Standort im Außenbereich befindet, werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht aufgezeigt. Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Grundlage und Ausgangspunkt einer solchen wertenden und bewertenden Beurteilung sind die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten, also insbesondere die vorhandenen baulichen Anlagen, sowie außerdem auch andere topografische Verhältnisse wie etwa Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 - 4 B 28.15 - ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 - BVerwGE 152, 275; B.v. 17.1.2005 - 4 B 3.05 - juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 - 4 C 40.87 - NVwZ 1991, 879). Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein) gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 - 4 B 51.17 - NVwZ 2018, 1651; B.v. 5.4.2017 - 4 B 46.16 - ZfBR 2017, 471; U.v. 19.4.2012 - 4 C 10.11 - BauR 2012, 1626; BayVGH, B.v. 13.5.2020 - 1 ZB 19.1663 - juris Rn. 4; B.v. 31.3.2020 - 1 ZB 19.1961 - juris Rn. 5).
12
Nach diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der im Rahmen einer Ortseinsicht getroffenen Feststellungen nachvollziehbar davon ausgegangen, dass die Flächen FlNr. …3, …7 und …16, auf der die Vorhaben realisiert werden sollen, nicht an einem Bebauungszusammenhang teilnehmen. Bei den zur Bebauung anstehenden befestigten Flächen handelt es sich um unbebaute Grundstücke, da die im nordöstlichen Bereich des Grundstücks FlNr. …3 befindliche Mauer jedenfalls keine bauliche Anlage ist, die dem Aufenthalt von Menschen dienen kann. Auch die durch die gegenwärtige Nutzung der Fläche als Lager- bzw. Abstellplatz für LKW-Aufleger vorhandenen Aufleger stellen keine baulichen Anlagen dar, die einen Bebauungszusammenhang vermitteln könnten.
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Dass diese (unbebauten) Flächen sich nicht als eine sich für eine künftige Bebauung aufdrängende Baulücke darstellen, weil die geplante Bebauung sich nicht als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen - und hier deutlich unterschiedlichen - Umgebungsbebauung darstellt (vgl. BVerwG, B.v. 13.9.2012 - 4 C 4.12 - DVBl 2012, 1375), stellen die Zulassungsbegründungen nicht substantiell in Frage. Denn das zum Beleg dafür, dass es auf die unterschiedliche Beschaffenheit der angrenzenden Gewerbebauten im Norden und der (kleinteiligen) Wohnbebauung im Süden nicht ankomme, angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 1986 (4 C 15.84) betrifft eine aufeinanderfolgende Bebauung ohne Lücken (vgl. auch BVerwG, B.v. 16.7.2018 - 4 B 51.17 - BayVBl 2019, 525). Wenn eine solche aufeinanderfolgende Bebauung vorhanden ist, deren einzelne Bestandteile im Sinn der Rechtsprechung optisch wahrnehmbar sind und eine gewisses Gewicht haben, genügt das tatsächliche Nebeneinander von Gebäuden, auch wenn die aufeinander folgende Bebauung in sich noch so unterschiedlich ist. Demgegenüber handelt es sich bei der vorliegenden zur Bebauung vorgesehenen Fläche um unbebaute Grundstücke und damit nicht um einen vergleichbaren Sachverhalt.
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Ohne dass es entscheidend darauf ankommt, ist vorliegend auch die Größe der Freifläche von mehr als 10.000 m² als Indiz für das Bestehen eines Planungserfordernisses anzusehen.
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Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die geplanten Bauvorhaben als sonstige Vorhaben im Außenbereich im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange beeinträchtigen (§ 35 Abs. 3 BauGB), wird mit den Zulassungsanträgen nicht in Zweifel gezogen.
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2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Die von dem Kläger aufgeworfenen Fragen können ohne Weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung bereits im Zulassungsverfahren geklärt werden. Der anzuwendende Maßstab ist hinreichend geklärt; bei der Abgrenzung von Innen- und Außenbereich handelt es sich auch nicht um besonders schwierige Tatsachenfragen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.1.1, 9.1.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht den jeweils vom Verwaltungsgericht festgesetzten Beträgen.
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Mit der Ablehnung der Zulassungsanträge werden die Urteile des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).