Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.10.2022 – 1 CS 22.1732
Titel:

Rechtsschutzinteresse bei Rechtsmitteln gegen eine Duldungsanordnung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146
BayBO Art. 54 Abs. 2
Leitsatz:
Das Vorliegen des allgemeinen Rechtsschutzinteresses ist auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erforderlich und als Prozessvoraussetzung von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu prüfen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Duldungsanordnung zum Betreten eines Grundstücks, Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, vorläufiger Rechtsschutz, Duldungsanordnung, Grundstück, Betretungsanordnung, Zeitablauf, Erledigung, Rechtsschutzbedürfnis
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 06.07.2022 – M 11 S 22.1269
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27339

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine mit Bescheid vom 24. Februar 2022 ergangene sofort vollziehbare bauaufsichtliche Anordnung, das Betreten des im Miteigentum mit zwei weiteren Personen stehenden Grundstücks zur bauaufsichtlichen Überprüfung der nördlichen Nebengebäude sowie der Versiegelungen im Zufahrtsbereich durch Vertreter der Bauaufsichtsbehörde zu gewähren und zu dulden.
2
Das Verwaltungsgericht hat im Eilverfahren dem Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen erhobenen Klage insoweit stattgegeben, als in Nr. 1a des Bescheids als konkreter Termin für die Betretung des Grundstücks der 4. März 2022 bestimmt worden ist. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit des Antrags sei die Betretungsanordnung nach summarischer Prüfung jedenfalls rechtmäßig. Auf die Gründe der Beschlüsse vom 15. Februar 2022 und 11. Mai 2022 in den Verfahren M 11 S 22.610 und M 11 S 22.2471, die ebenfalls zu Betretungsanordnungen für das Grundstück des Antragstellers ergangen sind, werde verwiesen. Für den zusätzlich gestellten Antrag nach § 123 VwGO fehle es jedenfalls an einem Anordnungsgrund, da es gegenwärtig an einer Vollstreckungsvoraussetzung für die Beitreibung des Zwangsgeldes fehle und davon ausgegangen werden könne, dass das Landratsamt von einer Beitreibung des Zwangsgelds absehe.
3
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Ziel, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage bezüglich der Betretungsanordnung wiederherzustellen bzw. die Vollziehung des Zwangsgelds auszusetzen, weiter.
4
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Es fehle bereits am Rechtsschutzbedürfnis. Mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung im streitgegenständlichen Beschluss des Verwaltungsgerichts sei die Fälligstellung des Zwangsgelds hinfällig geworden. Weitere negative Rechtsfolgen für den Antragsteller aus dem angefochtenen Bescheid seien nicht erkennbar. Zudem habe das Landratsamt zu erkennen gegeben, dass es sich nur noch auf den Bescheid vom 22. April 2022 stützen wolle. Es werde zugesichert, dass eine Beitreibung bzw. Vollstreckung des im verfahrensgegenständlichen Bescheid festgesetzten Zwangsgelds nicht erfolgen werde.
5
Auf das gerichtliche Schreiben vom 2. September 2022 teilte der Antragsteller mit, dass das Verfahren fortgeführt werden solle, da der Bescheid auch für die Zukunft Auswirkungen auf seine Grundrechte habe. Es fehle an einem sachlichen Grund für die Betretungsanordnung. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf das Zwangsgeld sei gegeben, da das Landratsamt die Vollstreckung des Zwangsgelds aus dem (identischen) Bescheid vom 22. April 2022 beabsichtige.
II.
6
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
7
Nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel in der Beschwerdebegründung lässt sich der vollumfänglich gestellte Antrag des Antragstellers im Schriftsatz vom 16. August 2022 in Ziff. II gemäß § 88 VwGO dahingehend auslegen, dass in der Sache (nur) beantragt wird, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 24. Februar 2022 bezüglich Nr. 1a wiederherzustellen, soweit das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt hat.
8
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Dem Antragsteller fehlt es sowohl für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der Betretungsanordnung als auch für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Zwangsgelds an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
9
Das Vorliegen des allgemeinen Rechtsschutzinteresses ist auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erforderlich und als Prozessvoraussetzung von Amts wegen in jeder Lage des Prozesses zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2022 - 1 CS 22.851 - juris Rn. 7; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 82 f.).
10
Die Betretungsanordnung im Bescheid vom 24. Februar 2022 hat sich durch Zeitablauf erledigt (Art. 43 Abs. 2 Alt. 4 VwVfG). Der Senat hat bereits im Einstellungsbeschluss vom 13. Mai 2022 (1 CS 22.461) betreffend den vorangegangenen Bescheid vom 27. Januar 2022 die Auffassung vertreten, dass die Betretungsanordnung vorliegend nicht dahingehend ausgelegt werden konnte, dass sie über den festgesetzten Termin hinaus Geltung beansprucht. Eine andere Bewertung ist auch nicht hinsichtlich des am 24. Februar 2022 ergangenen Bescheids veranlasst. Der Beklagte hat vielmehr mit dem Bescheid vom 22. April 2022 zu erkennen gegeben, dass erst der dort (erneut) erlassenen Betretungsanordnung über den festgesetzten Termin hinaus Wirkung zukommen soll. Die Betretungsanordnung im Bescheid vom 24. Februar 2022 entfaltet auch keine Wirkungen mehr für die Zwangsgeldandrohung, da mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO die Fälligstellung des Zwangsgelds hinfällig geworden ist. Der Beklagte hat zudem zugesichert, dass eine Beitreibung bzw. Vollstreckung des im verfahrensgegenständlichen Bescheid festgesetzten Zwangsgelds nicht erfolgen werde.
11
In einem solchen Fall kann das mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO bzw. auf Aussetzung der Vollziehung des Zwangsgelds verfolgte Ziel, die Betretung des Grundstücks sowie die Vollstreckung des festgesetzten Zwangsgelds zu verhindern, nicht mehr erreicht werden. Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers ist insoweit entfallen, ohne dass er die entsprechenden prozessualen Konsequenzen gezogen hat. Der Antragsteller hat in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, dass und inwiefern er mit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu seinen Gunsten im vorliegenden Eilverfahren noch mehr hätte erreichen können. Das diesbezügliche Vorbringen des Antragstellers unterliegt weiterhin der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung im noch anhängigen Hauptsacheverfahren. Allerdings hat sich der Senat mit der Frage der Rechtmäßigkeit der auferlegten Betretungsanordnung bereits im Beschwerdeverfahren des Antragstellers gegen die Ablehnung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid vom 22. April 2022 erhobenen Klage durch das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Juli 2022 (1 CS 22.1185) umfangreich befasst und die Anordnung nach summarischer Prüfung nicht beanstandet.
12
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).