Inhalt

VG München, Urteil v. 12.05.2022 – M 17 K 22.30809
Titel:

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für jemenitischen Staatsangehörigen 

Normenkette:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1, Abs. 3, § 3b Abs. 1
Leitsatz:
Im Jemen erfolgen Zwangsrekrutierungen durch die Huthi-Milizen  willkürlich und wahllos, um den Bedarf an Kämpfern zu decken. Dabei werden Kämpfer von überall her im Land und von allen Glaubensrichtungen rekrutiert ohne Anknüpfung an eine tatsächliche oder vermutete politische Haltung. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Jemen, Aufstockerklage, Tätigkeit des Schiegervaters als Sicherheitsdirektor und Generaldirektor der Kriminalpolizei, Mitarbeit in dessen Sekretariat, Engagement in einer friedlichen Jugendbewegung im Jahr 2011 mit Kontakt zur Friedensnobelpreisträgerin, Tawakkol Karman, Herkunftsland Jemen, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Huthi-Milizen, Zwangsrekrutierungen, Tätigkeit von Familienangehörigen bei Sicherheitsbehörden, Mitarbeit bei Sicherheitsbehörden, Engagement in friedlicher Jugendbewegung, Kontakt zu Tawakkol Karman, soziale Medien
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 08.07.2022 – 15 ZB 22.30697
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27338

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, nachdem die Beklagte ihm bereits den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat.
2
Der Kläger ist jemenitischer Staatsangehöriger, Zugehöriger der Volksgruppe der Araber und muslimischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben am 5. September 2021 auf dem Landweg von Polen kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. Oktober 2021 einen Asylantrag.
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In seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 16. Dezember 2021 gab er im Wesentlichen an, dass er Sanaa im Oktober 2014 verlassen habe. Dort habe er im Sekretariat seines (späteren) Schwiegervaters gearbeitet. Dieser sei zunächst Sicherheitsdirektor von Sanaa gewesen und dann Generaldirektor der Kriminalpolizei. Die Huthis hätten versucht, den Schwiegervater zu töten. Die Huthis hätten auch Informationen vom Kläger gewollt. Die Mutter des Klägers habe mehrere Schreiben der Huthis bekommen, in denen der Kläger aufgefordert worden sei, sich bei diesen zu melden. Außerdem hätten die Huthis mehrmals versucht, den Kläger zu rekrutieren. Einmal hätten sie den Kläger in diesem Zusammenhang mit der Waffe geschlagen.
4
Mit Bescheid vom 23. März 2022 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Nr. 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Nr. 2). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Der Kläger hat hiergegen Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben.
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Er beantragte,
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I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. März 2022 wird in Ziffer 2 aufgehoben.
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II. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
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Zur Klagebegründung bezog sich die Klagepartei auf ihr Vorbringen beim Bundesamt.
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Die Beklagte beantragte,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
13
In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger informatorisch zu seinem Verfolgungsschicksal angehört. Er legte dabei insbesondere ein ins Deutsche übersetzte Schreiben vor, aus dem sich seine Tätigkeit für seinen Schwiegervater ergebe.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 8. April 2022 zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Inhalt der vorgelegten Behördenakte des Bundesamts sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 12. Mai 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung entschieden werden, da das Bundesamt fristgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
17
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid ist zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
18
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
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Zur Begründung wird auf die Ausführungen des Bundesamts im angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
21
I. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
22
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Verfolgung muss stattfinden, weil der Verfolger dem Ausländer das in Rede stehende Merkmal, z.B. eine bestimmte politische Überzeugung, zuschreibt. Ist dies der Fall, kommt es weder darauf an, ob der Betroffene die ihm zugeschriebene Überzeugung tatsächlich aufweist (§ 3b Abs. 2 AsylG) noch ob er aufgrund dieser tatsächlich tätig geworden ist (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG).
23
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
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Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft in Orientierung an der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK („real risk“) der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen, wie er vormals auch in Art. 2 Buchst. c) RL 2004/83/EG enthalten war und nunmehr in Art. 2 Buchst. d) RL 2011/95/EU in der Umschreibung „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ zu Grunde liegt (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2012 - 10 C 7.11 - juris Rn. 12). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32). Wenn sich aus den Gesamtumständen des Falles die reale Möglichkeit einer Verfolgung ergibt, riskiert kein verständiger Mensch die Rückkehr in das Herkunftsland. Bei der Abwägung aller Umstände bezieht der verständige, besonnen und vernünftig denkende Betrachter auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissem Umfang ein (vgl. BVerwG, U.v. 5.11.1991 - 9C 118/90 - juris Rn. 17).
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Des Weiteren kommt sog. Vorverfolgten die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie) zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2019 - 1 B 43.19 - juris Rn. 7 unter Verweis auf U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 19). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie greift auch bei der Prüfung, ob für den Vorverfolgten im Gebiet einer internen Schutzalternative gemäß § 3 AsylG keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht. Die hinter der Beweiserleichterung stehende Teleologie - der humanitäre Charakter des Asyls - verbietet es, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 - 10 C 21.08 - juris Rn. 22 ff. in Bezug auf die Vorgängervorschrift Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG).
26
Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239.89 - juris Rn. 3). Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Es ist Sache des Ausländers, die Gründe seiner Verfolgung und Bedrohung in schlüssiger Form vorzutragen (vgl. §§ 15, 25 AsylG). Dabei hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmige Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei dessen Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, B.v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 - juris Rn. 8).
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II. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Gericht davon überzeugt, dass dem Kläger in seinem Heimatland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im vorstehenden Sinn droht.
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1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsrelevanten Gründen ausgereist.
29
a) Die vom Kläger vorgetragenen Attentate und Bedrohungen erfolgten hinsichtlich des Klägers nicht in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG, vgl. § 3a Abs. 3 AsylG. Die Attentate waren schon nicht an den Kläger adressiert, sondern an dessen (späteren) Schwiegervater aufgrund dessen Position als Sicherheitsdirektor und Generaldirektor der Kriminalpolizei. In der mündlichen Verhandlung wiederholte der Kläger seinen diesbezüglichen Vortrag und gab an, dass mehrmals versucht worden sei, seinen späteren Schwiegervater anzugreifen. Auch hinsichtlich der Bedrohungen, hinsichtlich derer nach dem Vortrag des Klägers überdies keine der von § 3a Abs. 1 AsylG geforderte Intensität vorliegt, ist kein Verfolgungsgrund gegeben. Vielmehr gab der Kläger beim Bundesamt selbst an, dass er nicht wusste, was die Huthis von ihm persönlich wollten. Er vermutet, dass diese an Informationen kommen wollten, die der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit im Sekretariat des Sicherheitsdirektors hatte. Darin ist keine Anknüpfung an eine (unterstellte) politische Überzeugung zu sehen, § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG.
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b) Auch die vom Kläger geschilderten Rekrutierungsversuche der Huthis stellen keine Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG dar.
31
Es fehlt bereits an einer Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG. Der Kläger schilderte bei der Anhörung beim Bundesamt, dass die Huthis „manchmal freundlich und manchmal nicht nett“ waren. Die vom Kläger geschilderte Bedrohung, ihn zu inhaftieren und umzubringen, sollte er sich den Huthis nicht anschließen, ist zu pauschal, um hierin eine Verfolgungshandlung zu sehen. Auch das vorgetragene einmalige Schlagen mit der Waffe genügt nicht der von § 3a Abs. 1 AsylG geforderten Intensität.
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Jedenfalls ist angesichts des Vortrags des Klägers nicht davon auszugehen, dass die Rekrutierung in Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Merkmale erfolgen sollte. Der Kläger trug keine individuellen Gründe vor, warum die Huthis ihn rekrutieren wollten. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen des Gerichts. Demnach ist davon auszugehen, dass die Rekrutierungen willkürlich und wahllos erfolgten, um den Bedarf an Kämpfern zu decken. Die Milizen sind aufgrund von Tötungen und Flucht an der Front mit einem Mangel an Kämpfern konfrontiert, den sie mit Zwangsrekrutierungen versuchen aufzufüllen. Es werden Kämpfer von überall im Land und von allen Glaubensrichtungen rekrutiert (ACCORD, Zwangsrekrutierung durch die Huthi-Milizen, 10.10.2017). Anhaltspunkte dafür, dass Zwangsrekrutierungen an eine tatsächliche oder vermutete politische Haltung anknüpfen, gibt es nicht (so auch VG Schleswig-Holstein, U.v. 17.6.2021 - 9 A 114/20 - juris Rn. 26; VG Schleswig-Holstein, U.v. 11.10.2018 - juris Rn. 26 f.; VG München, U.v. 31.1.2022 - M 17 K 20.31588 - juris).
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Auch die Zugehörigkeit des Klägers zur Gruppe der wehrfähigen Männer stellt keinen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar. Eine Gruppe ist dann als bestimmte soziale Gruppe i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anzusehen, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Daran fehlt es, da die Gruppe der wehrfähigen Männer einen Großteil der Bevölkerung umfasst (so auch VG Schleswig-Holstein, U.v. 17.6.2021 - 9 A 114/20 - juris Rn. 27; VG München, U.v. 31.1.2022 - M 17 K 20.31588 - juris).
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Schließlich konnte der Kläger den Zeitraum der Rekrutierungsversuche nicht näher eingrenzen, sodass nicht davon auszugehen ist, dass die Rekrutierungsversuche in (nahem) zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise standen.
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c) Auch im - erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen - Engagement für die Jugendbewegung mit Kontakt zur Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman und die damit verbundenen „Repressalien“ ist keine Vorverfolgung zu sehen. Unabhängig davon, dass der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht einmal ansatzweise davon sprach, sich bereits im Jahr 2011 politisch engagiert zu haben, blieb der Vortrag im Rahmen der mündlichen Verhandlung oberflächlich und vage. Im Zusammenhang mit der Bewegung gab der Kläger an, dass er sich öffentlich gegen die Huthis und die Muslim-Brüder und deren Position gestellt habe und deswegen Repressalien ausgesetzt gewesen sei. Weitere Details hierzu nannte der Kläger nicht. Bei Wahrunterstellung fehlt es hinsichtlich dieses Sachverhalts für eine Vorverfolgung jedenfalls an einer Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG, wofür die pauschal vorgebrachten „Repressalien“ nicht genügen. Weiterhin fehlt es in zeitlicher Hinsicht an einem Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise, da der Kläger nach eigenen Angaben erst im Jahr 2014 ausreiste.
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2. Eine flüchtlingsrelevante Verfolgung lässt sich auch nicht aus der vorgetragenen Befürchtung des Klägers folgern, im Falle einer Rückkehr von den Huthis verfolgt zu werden.
37
a) Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit ergibt sich nicht daraus, dass der Kläger sich nach eigenen Angaben in der friedlichen Jugendbewegung 2011 engagiert und später im Sekretariat des Sicherheitsdirektors und Generaldirektors der Kriminalpolizei gearbeitet hat.
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Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich, dass die Huthi-Rebellen politische Gegner in zahlreichen Fällen gefangen genommen und inhaftiert haben. Der „Specialized Cirminal Court“ wird dafür benutzt, abweichende Meinungen zu unterdrücken und politische Gegner einzuschüchtern (US DOS, Country Report on Human Rights Practices 2020, 30.3.2021, S. 11 f.). Meinungsfreiheit wird von allen Konfliktparteien eingeschränkt. Es wird von Fällen berichtet, in denen Huthis zu den Häusern von Huthikritischen Aktivisten gingen und mit Verhaftung und anderen Mitteln drohten, um vermeintliche Gegner einzuschüchtern und abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen (US DOS, Country Report on Human Rights Practices 2020, 30.3.2021, S. 20). Aktivisten sind mit gewaltsamen Angriffen und Verschwindenlassen vonseiten aller Konfliktparteien konfrontiert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 16.12.2019, S. 22).
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Allerdings ist der Kläger nicht als derartiger politischer Aktivist oder derartiger politischer Gegner der Huthis anzusehen. Hinsichtlich seines erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Engagements in einer friedlichen Jugendbewegung im Jahr 2011 ergibt sich dies schon daraus, dass die Huthis diese Jugendbewegung später für ihre Zwecke ausgenutzt und unter ihre Kontrolle gebracht haben.
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Auch der Vortrag der Klagepartei, dass er sich nach Verlassen der Jugendbewegung öffentlich gegen die Huthis und deren Positionen gestellt habe, führt zu keiner anderen Einschätzung. Der Vortrag war vage, oberflächlich und arm an Details. Auf welche Art und Weise der Kläger seine Meinung vertreten haben will, ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag nicht. Da der Kläger als Konsequenz seines Einsatzes pauschal vorträgt, „Repressalien“ ausgesetzt zu sein, ohne diese näher zu konkretisieren, ist nicht davon auszugehen, dass die Huthis den Kläger als ernsthaften politischen Gegner angesehen haben. Damit ist auch für den Fall einer Rückkehr eine Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich, zumal diese Vorfälle mittlerweile fast ein Jahrzehnt zurückliegen. Dass sich aus dem beim Bundesamt vorgelegten „Fahndungsschreiben“ etwas anderes ergibt, ist nicht ersichtlich.
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Auch seine frühere Mitarbeit im Sicherheitsbüro lässt eine Verfolgung aus Sicht des Gerichts nicht beachtlich wahrscheinlich erscheinen. Der Kläger arbeitete nach eigenem Vortrag lediglich im Sekretariat des Sicherheitsdirektors. Wenn die Huthis schon während seiner aktiven Zeit im Sekretariat kein Verfolgungsinteresse am Kläger persönlich hatten (vgl. oben), ist nicht davon auszugehen, dass ein solches - unabhängig vom Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für eine Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG - nach dem mehrjährigen Auslandsaufenthalt besteht.
42
Nichts anderes ergibt sich aus dem pauschalen Vortrag der Klagepartei, dass sich der Kläger in den sozialen Medien kritisch über die Huthis äußere. Weder beim Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren machte der Kläger Angaben dazu, welche Positionen er in den sozialen Medien vertrete und ggf. welche Reaktionen er hierfür erhalte. Es ist nicht ersichtlich, dass die Huthis im Jemen überhaupt Kenntnis von den Aktivitäten des Klägers haben.
43
b) Auch die vorgetragene Befürchtung, bei einer Rückkehr zwangsrekrutiert zu werden, führt nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
44
Zwar ist es nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht ausgeschlossen, dass es bei einer unterstellten Rückkehr zu einer Zwangsrekrutierung durch eine der im Jemen kämpfenden Gruppen kommen könnte.
45
Nach den vorliegenden Erkenntnissen kommt es von den unterschiedlichen Konfliktgruppen zu Zwangsrekrutierungen. Dabei setzen insbesondere die Huthi-Milizen erheblichen Druck und teilweise Zwang bzw. Drohungen ein, um Kämpfer zu gewinnen. Der Grad des angewendeten Zwangs ist unterschiedlich. Überwiegend wird jedoch offenbar die wirtschaftliche Not der jungen Männer ausgenutzt. Es wird in Moscheen und Medien geworben, die Rekrutierungen erfolgen auch über die Stammesführer. Mit der Aussicht auf Geld und Essen versuchen die Huthis, überwiegend junge Männer zu locken (vgl. EASO, Forced Recruitment of Men by the Houthis, 8.4.2019; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jemen, 16.12.2019; ACCORD, Zwangsrekrutierung durch die Huthi-Milizen, 10.10.2017; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 4.8.2017; AI, Yemen: Huthi Fores Recruiting Child Soldiers for Frontline Combat, 28.2.2017). Demnach ist schon zweifelhaft, ob eine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG vorliegt.
46
Allerdings fehlt es jedenfalls an einer Verknüpfung (vgl. § 3a Abs. 3 AsylG) mit einem Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG, siehe oben.
47
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
48
Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.