Inhalt

OLG München, Beschluss v. 14.02.2022 – 1 U 7600/21
Titel:

Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wegen fehlender Anordnung von Vorfristennotierung

Normenkette:
ZPO § 85 Abs. 2, § 233, § 520 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz:
Unterlässt ein Rechtsanwalt die Anordnung an die Bürokraft, Vorfristen zu berechnen und einzutragen, ist dieses Unterlassen kausal für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, wenn die Bürokraft es unterlassen hat, die Frist im Fristenbuch zu notieren, aber in der Handakte die Frist ordnungsgemäß notiert und auch einen Erledigungsvermerk über die Eintragung im Fristenbuch gefertigt hat. (Rn. 8 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Frist, Fristenkontrolle, Fristenbuch, Fristversäumung, Handakte, Anordnung zur Berechnung und Notierung von Vorfristen, Berufungsbegründungsfrist, Rechtsanwalt
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 22.09.2021 – 9 O 8858/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.09.2022 – VI ZB 17/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27049

Tenor

1. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts München vom 22.9.2021 wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 22.09.2021, Aktenzeichen 9 O 8858/19, wird verworfen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 137.906,55 € festgesetzt.

Gründe

A.
I.
1
Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist dem Kläger am 25.09.2021 zugestellt worden. Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 21.10.2021 fristgerecht Berufung eingelegt, ohne sein Rechtsmittel gleichzeitig zu begründen. Mit Schriftsatz vom 06.12.2021 begründete der Kläger die Berufung und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
2
Zur Begründung trug der Kläger vor: Am 28.09.2021 habe die erfahrene und zuverlässige Rechtsanwaltsfachgestellte H. die Frist zur Einlegung der Berufung im Fristenbuch eingetragen, jedoch es aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen unterlassen, das Ende der Berufungsbegründungsfrist auf den 25.11.2021 einzutragen. Anschließend habe sie weisungsgemäß einen Erledigungsvermerk in der Akte und die Berufungsbegründungsfrist auch auf einem gelben Notizzettel in der Handakte eingetragen.
3
Am 25.10.2021 sei die Akte der sachbearbeitenden Rechtsanwältin aufgrund der eingetragenen Frist zur Einlegung der Berufung vorgelegt worden und sie habe im Zuge der Bearbeitung der streitgegenständlichen Akte den Vermerk in der Handakte kontrolliert, aus dem die richtige Berechnung der Rechtsmittelfristen hervorgehe. Die sachbearbeitende Rechtsanwältin habe erst bei der Planung der noch zu erstellenden fristgebundenen Schriftsätze für das Jahr 2021 am 04.12.2021 bemerkt, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht im Fristenbuch eingetragen worden sei und ihr aufgrund dessen die Akte zur Erstellung der Berufungsbegründungsfrist oder eines diesbezüglichen Fristverlängerungsantrages nicht vorgelegt worden seien.
4
Es bestehe die Arbeitsanweisung gegenüber der Rechtsanwaltsfachangestellten H., Fristen alsbald nach Beginn ihres Laufes und Rechtsmittelfristen unmittelbar nach Eingang eines Urteils im Fristenbuch zu notieren. Anschließend seien die Rechtsmittelfristen von der Rechtsanwaltsfachangestellten H. in der Handakte zu notieren und ein Erledigungsvermerk zu hinterlegen, der erkennen lasse, dass die Fristen in das Fristenbuch eingetragen worden seien. Die Rechtsanwaltsfachgestellte habe zudem die klare Anweisung erhalten, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen in den Fristenkalender eingetragen werden müssten, bevor der vorstehende Vermerk in der Handakte eingetragen werden dürfe. Zur Glaubhaftmachung des gesamten Vortrages werde auf die anliegende Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten H. und die anwaltliche Versicherung der sachbearbeitenden Rechtsanwältin verwiesen.
5
Die Beklagte wandte sich gegen die Wiedereinsetzung und wies insbesondere darauf hin, dass seitens der Prozessbevollmächtigten des Klägers keine Vorfrist notiert worden sei oder eine entsprechende an Weisung dazu erteilt worden sei.
6
Der Senat gab der Klägervertreterin mit Verfügung vom 11.01.2022 Gelegenheit, sich zu dem Schriftsatz des Beklagten innerhalb von 2 Wochen insbesondere zu den Ausführungen zu der Vorfrist zu äußern.
7
Der Kläger nahm mit Schriftsatz vom 26.01.2022 zu dem Schriftsatz der Beklagten Stellung.
II.
8
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Das Vorbringen des Klägers rechtfertigt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Vorliegend trifft die Prozessbevollmächtigten des Klägers, das sich der Kläger zurechnen lassen muss, ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO). 1 U 7600/21 - Seite 4 - 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelten für die Fristenkonrolle folgende Grundsätze:
9
a) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Für den Fall, dass die Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen wird, muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört dabei die klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann (BGH, Beschluss vom 6.2.2018 - II ZB 14/17, NJOZ 2018, 828, beckonline).
10
b) Weiter gehört nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei die allgemeine Anordnung, dass bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine Vorfrist notiert werden muss, wobei die Dauer der Vorfrist grundsätzlich etwa eine Woche zu betragen hat (BGH, Beschluss vom 13.9.2018 - V ZB 227/17). Wenn in der Handakte die Hauptfrist notiert und ein Erledigungsvermerk über die Eintragung in den Fristenkalender enthalten ist, kann der Rechtsanwalt davon ausgehen, dass bei der Eintragung auch die Vorfrist weisungsgemäß ermittelt und in den Fristenkalender übernommen worden ist, d.h. der Bundesgerichtshof fordert nicht, dass die Vorfrist auch in der Handakte eingetragen sein muss.
11
Sofern unterstellt werden muss, dass es in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten eine allgemeine Anweisung über die Eintragung einer Vorfrist nicht gegeben hat, ist zu prüfen, ob das Fehlen einer Anordnung kausal für das Fristversäumnis war. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der zu wahrenden Frist kommt nicht in Betracht, wenn der Rechtsanwalt bei pflichtgemäßer Notierung einer Vorfrist die Fehlerhaftigkeit der notierten Frist hätte erkennen und die Frist wahren können (BGH a.a.O.).
12
2. Hinsichtlich der Kontrolle und der Eintragungspraxis der Berufungsbegründungsfrist genügt die Kanzleiorganisation den vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen. Eine Kontrolle des Fristenbuchs wird von der Rechtsprechung nicht verlangt. Da die Frist nebst Erledigungsvermerk zutreffend in die Handakten eingetragen wurde, konnte die Prozessbevollmächtigte des Klägers davon ausgehen, dass die Eintragung in das Fristenbuch weisungsgemäß erfolgt ist, zumal die Aufgabe, wie hinreichend glaubhaft gemacht, einer zuverlässigen Fachkraft übertragen worden war.
13
3. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat weder vorgetragen geschweige denn glaubhaft gemacht, dass die von der Rechtsprechung geforderte Anweisung an die Kanzleiangestellten ergangen war, dass bei Berufungsbegründungsfristen Vorfristen ausgerechnet und zumindest in den Fristenkalender eingetragen werden. Es ist daher davon auszugehen, dass keine Weisung bestand, dass Vorfristen ausgerechnet werden und entweder in den Fristenkalender und Handakte oder nur in den Fristenkalender einzutragen sind.
14
4. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Wiedereinsetzung dann nicht versagt werden, wenn keine Kausalität zwischen dem Unterbleiben einer Anordnung zur Eintragungen von Vorfristen und dem Fristversäumnis besteht. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte die Kanzleiangestellte, die in der Handakte zutreffend berechnete Berufungsfrist unzutreffend in den Fristenkalender eingetragen und bei Berechnung einer Vorfrist von mindestens einer Woche wäre auch die Berufungsbegründungsfrist versäumt werden worden, sodass der Bundesgerichtshof unter diesem Gesichtspunkt ein Organisationsverschulden.
15
Vorliegend wurde entgegen der Weisung der Prozessbevollmächtigten des Klägers die zutreffend berechnete Berufungsbegründungsfrist nur in die Handakte eingetragen. Nach der Auffassung des Senates kann in dem vorliegenden Fall eine Kausalität zwischen der unterbliebenen Anordnung Vorfristen zu berechnen und einzutragen nicht verneint werden. Sofern eine Anordnung ergangen wäre, die Vorfrist auch in der Handakte zu vermerken, wäre der Fehler bei Kontrolle der Fristen anhand der Handakte sofort aufgefallen. Sofern eine entsprechende (und wohl ausreichende) Anweisung nur gelautet hätte, die Vorfrist von mindestens einer Woche nur im Fristenkalender einzutragen, kann nicht unterstellt werden, dass eine ansonsten zuverlässig arbeitende Fachkraft eine Vorfristenberechnung unterlassen hätte und die dann berechnete Frist weder im Fristenkalender noch entgegen sonstiger Übung nur in der Handakte vermerkt hätte. Es ist vielmehr aus davon auszugehen, dass bei der entsprechenden Anweisung, eine Vorfrist berechnet und im Fristenkalender eingetragen worden wäre.
B.
16
Infolgedessen ist die Berufung unzulässig, da sie nicht fristgerecht begründet worden ist (§ 520 Abs. 1 und 2 ZPO). Die Frist zur Begründung der Berufung lief am 25.11.2021 ab. Die Berufungsbegründung ging erst am 6.12.2021 beim Oberlandesgericht ein. Die Berufung ist deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).
C.
17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.