Inhalt

Truppendienstgericht Süd München, Beschluss v. 29.09.2022 – S 5 BLc 11/22
Titel:

Vollstreckung einer Disziplinarmaßnahme gegen einen Soldaten wegen Nichtbefolgung eines Befehls, sich impfen zu lassen

Normenketten:
SG § 6 S. 1, § 10 Abs. 3, Abs. 4, § 11, § 17a Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 31
WDO § 42
WBO § 17 Abs. 6 S. 2
GG Art. 1 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Duldung der COVID-19-Impfung könne wegen möglicher erheblicher Gesundheitsgefahren für den zu impfenden Soldaten durch Impfnebenwirkungen unzumutbar sein. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Soldat muss sich nicht in ein „Experimentierfeld“ mit für ihn nicht einigermaßen kalkulierbaren Ausgang begeben, wenn dadurch nicht tatsächlich, also nachweisbar, überragende Gemeinschaftsgüter geschützt werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unter Missachtung der im Beschlusszeitpunkt bereits bekannt gemachten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 7.7.2022 BeckRS 2022, 15743 und BeckRS 2022, 35783, bezweifelt das Gericht die Verpflichtung von Soldaten, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, und setzt die Vollstreckung einer wegen Verletzung dieser Pflicht verhängten Disziplinarmaßnahme aus. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldat, Covid-19, Impfung, Befehl, Duldungspflicht, Dienstpflicht, Dienstvergehen, Disziplinarbuße, Beschwerde, Vollstreckung, Aussetzung, Gesundheitsgefahr, Fürsorgepflicht
Fundstellen:
COVuR 2023, 46
LSK 2022, 26825
BeckRS 2022, 26825

Tenor

Auf Antrag des Soldaten wird die Vollstreckung der von der … am 6. Juli 2022 gegen ihn verhängten Disziplinarbuße bis zur Entscheidung über die weitere Beschwerde des Soldaten gegen den Beschwerdebescheid des vom 13. Juli 2022 ausgesetzt.

Gründe

I.
1
Gegen den Soldaten wurde am 6. Juli 2022 durch die Kompaniechefin 3./Panzerpionierbataillon eine Disziplinarbuße in Höhe von 2.250 € verhängt deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.
2
In der Disziplinarverfügung wird ihm zur Last gelegt, bis zum 31. Mai 2022 den Impfstatus vorsätzlich nicht herbeigeführt zu haben, obwohl er durch schriftlichen Befehl der Kompaniechefin vom 9. Mai 2022 aufgefordert worden sei, sich bis zum 31. Mai 2022 der COVID-19-Schutzimpfung im Sanitätsversorgungszentrum Gera oder „im Zivilen“ zu unterziehen.
3
Gegen diese Maßregelung legte der Soldat mit an seine Kompaniechefin gerichtetem Schreiben vom 6. Juli 2022, das am nächsten Tag im Geschäftszimmer der Einheit einging. Beschwerde ein. Eine Begründung erfolgte trotz Ankündigung nicht.
4
Die Beschwerde wurde mit Bescheid des Kommandeurs Panzerpionierbataillon 701 vom 13. Juli 2022, eröffnet am 18. Juli 2022, als unbegründet zurückgewiesen. Das wurde im Kern damit begründet, dass der in der Disziplinarverfügung genannte Befehl sowie die vorausgehenden vom 28. März und 9. Mai 2022 rechtmäßig und verbindlich seien. Der Soldat habe wiederholt gegen diese Befehle verstoßen und damit eine Wehrstraftat (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 des Wehrstrafgesetzes) sowie ein Dienstvergehen (§ 23 Abs. 1 des Soldatengesetzes [SG] i.V.m. §§ 7, 11, 12 und 17 SG) begangen.
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Gegen die Ablehnung seiner Beschwerde hat der Soldat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 29. Juli 2022, der an die 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd gerichtet war und dort am 1. August 2022 einging und nach Weiterleitung an die 5. Kammer dort am 4. August 2022 einging, wertere Beschwerde eingelegt. Neben der Aufhebung der Disziplinarmaßnahme wurde die Aussetzung der Vollstreckung bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Disziplinarbuße beantragt.
6
Zur Begründung wurde eine 154-seitige Einlassung vorgelegt, in der insbesondere auf zahlreiche wissenschaftliche Studien zur Gefährlichkeit der bisher verwendeten Covid-19-lmpfstoffe hingewiesen wurde.
7
Im Schriftsatz des Verteidigers vom 27. September 2022 wurde auf die Dringlichkeit der Entscheidung unter Hinweis auf die existentiellen finanziellen Probleme des Soldaten hingewiesen.
II.
8
Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Dtsziplinarbuße ist zulässig und begründet.
9
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft.
10
Auf Beschwerden gegen Disziplinarmaßnahmen finden gemäß § 42 der Wehrdisziplinarordnung (WDO) die Vorschriften der Wehrbeschwerdeordnung (WBO) mit einigen in § 42 WDO aufgeführten Ausnahmen Anwendung. Eine Regelung, dass die für die Entscheidung über die Beschwerde zuständige Stelle - im Falle der weiteren Beschwerde gegen eine Disziplinarmaßnahme ist dies grundsätzlich das Truppendienstgericht (§ 42 Nr. 4 Satz 1 WDO) - die Vollstreckung aufschieben kann, enthält die Wehrdisziplinarordnung selbst zwar nicht. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung zwingt jedoch nicht zu dem Schluss, dass eine Befugnis zur Aussetzung der Vollstreckung überhaupt ausgeschlossen werden sollte. Denn § 42 WDO trifft keine umfassende Regelung der Disziplinarbeschwerde, sondern führt nur einige Ausnahmen von der Wehrbeschwerdeordnung an, verweist aber generell auch für die Disziplinarbeschwerde auf dieses Gesetz. Es gilt auch insoweit die allgemeine Verweisung in § 42 WDO auf die Wehrbeschwerdeordnung und damit auch auf § 17 Abs. 6 Satz 2 WBO. Das ergibt sich schon daraus, dass sie hier nicht unzulässig sein kann, wenn sie in truppendienstlichen Angelegenheiten statthaft ist, obwohl dort in aller Regel die sofortige Durchführung der Maßnahme im dienstlichen Interesse liegt und daher den privaten Wünschen des Betroffenen vorgeht. Der Aufschub etwa der Durchführung eines Befehls hat meist so erhebliche Auswirkungen auf den dienstlichen Bereich, dass er nur dann in Betracht kommt, wenn so gewichtige private Interessen vorhanden sind, dass das dienstliche Bedürfnis nach dem sofortigen Vollzug der angefochtenen Maßnahme zurücktritt. Hingegen bringt der Aufschub der Vollstreckung einer Disziplinarmaßnahme für den Dienstherrn im Regelfell keinen Nachteil.
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Zwar sollen Disziplinarmaßnahmen aus erziehenschen Gründen möglichst bald nach Begehung des Dienstvergehens vollstreckt werden. Diesem Grundsatz kann jedoch dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Aussetzung der Vollstreckung nur dann angeordnet wird, wenn sich voraussehen lässt, dass die angefochtene Maßnahme überhaupt nicht oder nicht in der angegebenen Höhe Bestand haben wird oder wenn dies mindestens zweifelhaft ist. Es wäre jedoch nicht hinzunehmen, wenn ein Wehrdienstgericht eine Disziplinarmaßnahme vollstrecken lassen müsste, etwa weil die Sache noch nicht entscheidungsreif ist und noch Ermrttlungen anzustellen sind, - obwohl die weitere Beschwerde gegen die Maßnahme möglicherweise ganz oder teilweise Aussicht auf Erfolg hat. Der Nachteil, den ein Soldat durch die sofortige Vollstreckung der Disziplinarmaßnahme erleiden würde, wäre trotz des Umstandes unangemessen, dass ihm bei Erfolg seiner weiteren Beschwerde die Disziplinarbuße zurückerstattet werden müsste (§ 42 Nr. 7 WDO).
12
Aus den vorgenannten - hier verkürzt dargestetlten und an die aktuelle Rechtslage angepassten - Gründen hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 6. Juli 1982 (2 WDB 8/02) keine Bedenken gesehen, in Anwendung des § 42 WDO i.V.m, § 17 Abs. 6 Satz 2 WDO bei einer weiteren Beschwerde gegen eine einfache Disziplinarmaßnahme die Zulässigkeit einer Aussetzung ihrer Vollstreckung zu bejahen.
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Der Kammervorsitzende folgt dieser überzeugenden Ansicht.
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2. Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung der Disziplinarbuße ist auch begründet.
15
Die vom Soldaten über seinen Verteidiger vorgetragenen Argumente lassen auch bei objektiver Würdigung berechtigte Zweifel aufkommen, ob der der verhängten Disziplinarmaßnahme zugrundeliegende Befehl der Kompaniechefin zur Herbeiführung des Impfstatus (Covid-19-Schutzimpfung) tatsächlich, wie von jener und vom Kommandeur Panzerpionierbataillon 701 angenommen, verbindlich war. Im Fall einer Unverbindlichkeit dürfte jedoch eine Nichtbefolgung des Befehls keine disziplinaren Konsequenzen haben und eine - dann als rechtswidrig anzusehende - Disziplinarmaßnahme nicht vollstreckt werden.
16
Zweifel an der Verbindlichkeit des erteilten Befehls resultieren insbesondere daraus, dass dessen Befolgung wegen möglicher erheblicher Gesundheitsgefahren für den zu impfenden Soldaten durch Impfnebenwirkungen unzumutbar sein könnte.
17
Die Gesundheit eines Soldaten ist - zumindest in Friedenszeiten - ein hohes Gut. das, wie beispielsweise die durch Vorgesetzte Stellen im dienstlichen Bereich - zu Recht - propagierte Wichtigkeit einer peniblen Befolgung von Sicherheitsbestimmungen im Umgang mit Waffen und Munition oder Gefahrstoffen zeigt, nicht vorschnell durch den Einsatz risikobehafteter, in ihren Langzeitfolgen unkalkulierbarer genbasierter Impfstoffe aufs Spiel gesetzt werden darf. Ein Soldat als Staatsbürger in Uniform und damit Grundrechtsträger (vgl. § 6 Satz 1 SG) muss sich bei bestehender Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 31 SG) und der Vorgesetzten (§10 Abs. 3 SG) grundsätzlich nicht in ein „Experimentierfeld“ mit für ihn nicht einigermaßen kalkulierbarem Ausgang begeben, wenn dadurch nicht tatsächlich, also nachweisbar, überragende Gemeinschaftsgüter geschützt werden. Das Ist bei einer Impfung mit ihrer zurzeit bekanntlich eingeschränkten Wirkung wohl kaum der Fall. Sollte gar der unantastbare Kern der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes) betroffen sein, fiele eine Abwägung aus; vermeintliche staatliche Schutzbelange, wie die einer verpflichtenden Impfung für Soldaten, müssten demgegenüber gänzlich zugunsten des Soldaten zurücktreten.
18
Aufgrund der nachlassenden oder bereits von Anfang an bestehenden unzureichenden Schutzwirkung der Impfung könnte auch der im Verfassungsrang stehende und damit niederrangigen Vorschriften, wie z.B. der Duldungspflicht gemäß § 17a Abs. 2 Salz 1 Nr. 1 SG, vorgehende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seinen Aspekten der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Übermaßverbot) verletzt sein.
19
Um die Frage der tatsächlichen Verletzung der vorgenannten Unverbindlichkeitsgründe sachgerecht prüfen zu können, bedarf es noch einer eingehenden Sachverhaltsermittlung, die geraume Zeit in Anspruch nehmen wird. Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr hat sich in einem ähnlich gelagerten Fall einer Sachaufklärung mittels Beantwortung eines umfangreichen Fragenkatalogs verweigert.
20
Außerdem steht die Begründung der Grundsatzentscheidung des 1. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Rechtmäßigkeit der Duldungspflicht von (Covid-19-)Impfungen noch aus.
21
Es erstaunt, dass Vorgesetzte, die gegenüber unterstellten Soldaten zuvörderst zur Fürsorge verpflichtet sind (vgl. § 10 Abs. 3 SG), leichtfertig deren Gesundheit durch entsprechende Befehle aufs Spiel zu setzen bereit sind, ohne sich anscheinend einmal näher mit den Rechtswidrigkeits (§10 Abs. 4 SG) und Unverbindlichkeitsgründen (insbesondere § 11 SG) von Befehlen auseinandergesetzt zu haben. Auch wenn derzeit die Covid-19-Schutzimpfung im Impfkatalog der verbindlichen Impfungen aufgeführt ist, haben sie bei einer Umsetzungsbefehlsgebung selbständig die vorgenannten Gründe zu prüfen. Von dieser Verantwortung werden sie nicht entbunden. Dabei sollten bei gewissenhafter Dienstausübung, soweit nicht vollständige Ignoranz gegenüber Fakten und inzwischen auch wissenschaftlichen Studien herrscht, sich objektiv aufdrängende Gefahrenaspekte dieser Impfung sowie deren fehlende Wirksamkeit zur Kenntnis genommen und dann in die maßgeblichen rechtlichen Kategorien der Unzumutbarkeit bzw. Unverhaltnismäßigkeit eingeordnet werden.
22
Sich dieser eigenen rechtlichen Verantwortung mit Hinweis auf angebliche Bindungen (wie den Impfkatalog) bewusst entziehen zu wollen, stellte für einen Soldaten eine bemerkenswerte Verantwortungslosigkeit in für das Leben und die Gesundheit von unterstellten Soldaten entscheidenden Fragen dar. Jeder vermeidbare gesundheitliche Schaden, den ein Soldat durch einen unverhältnismäßigen bzw. unzumutbaren Impfbefehl erleidet, geht „auf das Konto“ solcher in dieser Hinsicht - da eine Auseinandersetzung mit ihren Vorgesetzten und Nachteile für ihre Karriere anscheinend fürchtenden - „bequemen“ Vorgesetzten, mit dem sie in der Zukunft leben müssen. Auch hier ist „Zivilcourage“ im militärischen Bereich gefragt und nicht „blindes“ Folgen.
23
Bei einem für den Soldaten günstigen Ausgang wäre der Bestand der Disziplinarbuße in Frage gestellt. Eine - in Raten erfolgende - Vollstreckung der Disziplinarbuße, die laut Disziplinarverfugung unmittelbar (1. Oktober 2022) bevorsteht, erscheint daher zurzeit untunlich. Der Soldat erlitte dadurch zwar keinen irreparablen Schaden, weil ihm bei Aufhebung der Disziplinarbuße der Geldbetrag zurückerstattet werden muss (§ 42 Nr. 7 WDO). Aufgrund der - von seinem Verteidiger vorgetragenen - finanziellen Schwierigkeiten, in der er sich befindet und die ihm wenig finanziellen Spielraum lassen, wäre der Verzicht auf einen für den Soldaten bei seinen Einkommens- und Familienverhältnissen nicht unbedeutenden Geldbetrag in Höhe von jeweils 500 € monatlich eine unzumutbare Härte. Generalpräventive Gründe sprechen vor diesem Hintergrund und der bekanntlich unnachgiebigen Haltung vieler Vorgesetzter in ähnlichen Situationen wie hier nicht gegen eine Aussetzung der Vollstreckung der Disziplinarbuße.
24
Die Entscheidung ist wegen der unmittelbar bevorstehenden Vollstreckung dringlich, so dass der Vorsitzende nach § 42 WDO i.V.m § 17 Abs. 6 Satz 2 WDO allem entscheiden darf.
25
Eine Entscheidung über die Kosten und den Ersatz der notwendigen Auslagen des Soldaten bleibt der Endentscheidung Vorbehalten.
26
Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.