Titel:
Vergabeverfahren, Leistungen, Bieter, Frist, Berufung, Vergabekammer, Ausschreibung, Gemeinde, Bauvorhaben, Zuschlag, Kommune, Vergabeunterlagen, Angebotsabgabe, Verletzung, Kosten des Verfahrens, sachlicher Grund, angemessene Frist
Normenketten:
VOB/A § 10a EU Abs. 8 S. 2
VOB/A § 7 EU Abs. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 1 VOB/A bestimmt der öffentliche Auftraggeber eine angemessene Frist, innerhalb der die Bieter an ihre Angebote gebunden sind (Bindefrist).
2. Die Bestimmung der Bindefrist liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers. Dieses Ermessen hat er danach auszurichten, dass die Bindefrist so kurz wie möglich sein und nicht länger bemessen werden soll, als der öffentliche Auftraggeber für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote gem. §§ 16 EU bis 16d EU benötigt.
3. Die besonderen Bedingungen der internen Willensbildung einer Gemeinde können eine mögliche Rechtfertigung für eine längere Bindefrist darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.1991 – VII ZR 203/90).
4. Bindefristen die die Regelfrist von 60 Kalendertagen gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A um mehr als das Doppelte übersteigen sind nur ganz ausnahmsweise mit besonderer Begründung zulässig. Auch in sehr großen Kommunen mit aufwändigen internen Abläufen zur internen Willensbildung dürfen so lange Bindefristen nicht zum Regelfall werden.
5. Gerade in Zeiten mit kurzfristigen hohen Preisschwankungen und Fachkräftemangel sind die Interessen der Bieter bei der Festsetzung der Bindefrist besonders zu berücksichtigen, um ihnen kein ungewöhnliches Wagnis i.S.d. § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A aufzuerlegen.
Schlagworte:
Vergabeverfahren, Leistungen, Bieter, Frist, Berufung, Vergabekammer, Ausschreibung, Gemeinde, Bauvorhaben, Zuschlag, Kommune, Vergabeunterlagen, Angebotsabgabe, Verletzung, Kosten des Verfahrens, sachlicher Grund, angemessene Frist
Fundstelle:
BeckRS 2022, 26750
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird untersagt, in streitgegenständlichem Vergabeverfahren den Zuschlag zu erteilen. Die Antragsgegnerin wird bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsaufforderung zurückzuversetzen und die Bindefrist unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu bestimmen.
2. Die Antragsgegnerinträgt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der der Antragstellerin.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen. Die Antragsgegnerin ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
Gründe
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom 23.05.2022, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 27.05.2022 unter Nr. 2022/S. 102-281658, schrieb die Antragsgegnerin einen Bauauftrag über Holzbauarbeiten im Wege eines offenen Verfahrens aus. Zuschlagskriterium war gemäß Abschnitt II.2.5) der Bekanntmachung der Preis. Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote war in Abschnitt IV.2.2) der Bekanntmachung der 22.06.2022, 11:10 Uhr, benannt. Die Bindefrist des Angebots war ausweislich der Vorgabe in Abschnitt IV.2.6) der Bekanntmachung bis zum 07.11.2022 festgelegt.
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Ausweislich der Angabe in Abschnitt I.3) der Bekanntmachung standen die Auftragsunterlagen für einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang gebührenfrei unter der dort genannten Internetadresse zur Verfügung. Bestandteil der Vergabeunterlagen war unter anderem das Formblatt 225, das eine Stoffpreisgleitklausel in Bezug auf die im Formblatt aufgeführten Stoffe (Konstruktionsvollholz, Baustahl S235) beinhaltete. Danach besteht ein Vergütungsanspruch des Auftragnehmers bei errechneten Mehraufwendungen gemessen an der Preissteigerung zwischen Submissionstermin und Abrechnungszeitpunkt auf Basis des entsprechenden Preisindex der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte (GP) des Statistischen Bundesamtes. Gem. Ziffer 4 der Stoffpreisgleitklausel findet diese grundsätzlich auch Anwendung auf Vertragsleistungen, die an Unterauftragnehmer weitergegeben werden.
3
Am 12.06.2022 stellte die Antragstellerin folgende Bieterfrage:
„Gemäß § 10a Abs. 8 VOB/A-EU beträgt die regelmäßig Bindefrist 60 Kalendertage. Diese Frist ist nur in begründeten Fällen zu verlängern. Außerdem ist diese Frist gegenüber Unter-Schwellenwert-Verfahren nach § 10 Abs. 4 VOB/A bereits auf das Doppelte verlängert ? dort gilt eine regelmäßige Bindefrist von 30 Kalendertagen. Eine Bindefrist von 60 Kalendertagen ist demnach als ausreichend anzusehen und die Besonderheiten des Über-Schwellenwert-Verfahrens sind hinreichend berücksichtigt.
Vorliegend beträgt die Bindefrist gem. Formblatt 211 138 Tage (!). Diese wesentliche Verlängerung ist nicht begründet. Deshalb ist das Angebotsschreiben in der vorliegenden Form als vergaberechtswidrig anzusehen. Es ist treuwidrig und unbillig, den Bieter mit seiner Kapazitätsplanung so lange in Ungewissheit zu belassen (OLG Düsseldorf Urt. v. 9.7.1999 - 12 U 91/98). Zumal es sich vorliegend um ein nicht unwesentliches Projektvolumen handelt.
Wir begründen Sie also eine derart lange Bindefrist?“
4
Hierauf veröffentlichte die Antragsgegnerin am 14.06.2022 folgende Antwort:
„[…] Eine über die in § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A benannte Regelbindefrist von 60 Kalendertagen ist in begründeten Ausnahmefällen möglich. Als stichhaltigen Grund für die Vereinbarung einer längeren Bindefrist wird in der einschlägigen Rechtsprechung anerkannt, wenn der Beschlussturnus einer Kommune keine schnellere Vergabeentscheidung zulässt.
Die Vergabeentscheidung für vorliegende Ausschreibung kann vom zuständigen kommunalen Gremium erst im Oktober diesen Jahres getroffen werden, weswegen eine „längere“ Bindefrist bis zum 07.11.2022 für gerechtfertigt angesehen wird. […]“
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Noch am selben Tag rügte die Antragstellerin das streitgegenständliche Vergabeverfahren als vergaberechtswidrig und wiederholte ihre bereits mit der Bieterfrage zum Ausdruck gebrachte Beanstandung hinsichtlich der festgesetzten Bindefrist. Ergänzend wies sie darauf hin, dass nicht ersichtlich sei, weshalb der Submissionstermin nicht entsprechend an den Tagungsturnus angepasst werden könne. Eine Verlängerung der Bindefrist müsse substantiell begründet werden, zumal im EU-Bereich bereits eine längere Regelfrist von 60 Tagen gelte. Das Bauvorhaben sei umfangreich und benötige deshalb eine rigorose fortlaufende Kapazitätsplanung sowie die vertragliche Fixierung von Lieferanten und gegebenenfalls Subunternehmern. All dies sei erst dann möglich, sobald Gewissheit über die Auftragsvergabe bestehe. Einem Bieter, der in die engere Wahl kommt, aber nicht den Auftrag erhält, entstehe möglicherweise beträchtlicher Schaden, da er sowohl seine eigenen Kapazitäten als auch Lieferanten und Subunternehmer letztlich erfolglos vorhalten müsse.
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Mit Schreiben vom 22.06.2022 antwortete die Antragsgegnerin der Antragstellerin, dass sie ihrer Rüge nicht abhelfe. Zur Begründung führte sie aus, dass die Frist von 60 Kalendertagen keine Höchstfrist sei und eine längere Frist in begründeten Fällen möglich wäre. Die Art und Weise der internen Willensbildung einer Gemeinde und die Beteiligung von ehrenamtlich tätigen Mitgliedern in Beschlussorganen könnten eine längere Bindefrist rechtfertigen. Bei den städtischen Baumaßnahmen der Antragsgegnerin mit Gesamtkosten über 1.000.000 Euro seien gemäß den vom Stadtrat beschlossenen Hochbaurichtlinien zur Vorbereitung der erforderlichen Ausführungsgenehmigung auf Grundlage der Ausführungsplanung vor Erstvergabe zunächst die Gesamtkosten zu überprüfen und hierzu ca. 60% der Bauwerkskosten zu submittieren, bevor die Kosten fortgeschrieben werden. Nach der Submission und der erforderlichen Zeit für Prüfung und Wertung der eingereichten Angebote durch das Baureferat müsse eine Beschlussvorlage für den Stadtrat erstellt werden, damit dieser die Ausführungsgenehmigung für das Projekt erteilen kann. Für die Erstellung der Beschlussvorlage würden wenigstens 10 Wochen benötigt. Hinzu käme eine Vorlaufzeit von mindestens drei Wochen für die Stadtratsbefassung. Das Projekt könne damit frühestens am 13.10.2022 durch den entsprechenden Ausschuss der Antragsgegnerin genehmigt werden; bei einer notwendig werdenden Beteiligung der Vollversammlung des Stadtrats frühestens am 26.10.2022. Erst nach erteilter Ausführungsgenehmigung durch den Stadtrat dürfe das Baureferat die submittierten Bauleistungen vergeben. Eine kürzere Bindefrist sei aufgrund der bestehenden kommunalen Regelungen nicht möglich. Zudem verwies die Antragsgegnerin darauf, dass in der Ausschreibung für mehrere Stoffe eine Stoffpreisgleitklausel aufgenommen worden sei, um das unternehmerische Risiko zu minimieren.
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Im Rahmen der Öffnung der Angebote am 22.06.2022 zeigte sich, dass die Antragstellerin kein Angebot eingereicht hatte.
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Mit Schreiben vom 04.07.2022 stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 1 GWB.
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Die Antragstellerin führt aus, dass die Bindefrist gemäß Formblatt 211 EU 138 Tage und damit über das Doppelte der Regelfrist nach § 10a Abs. 8 Satz 3 VOB/A-EU betrage. Bei der im Schreiben vom 22.06.2022 zitierten Rechtsprechung übersehe die Antragsgegnerin, dass sich diese auf die damalige Regelfrist von 30 Tagen sowie auf eine Vorschrift für Vergabeverfahren unter dem Schwellenwert bezogen habe. Bei der Bildung eines Ausnahmefalls nach § 10a Abs. 8 Satz 4 VOB/A-EU müsse beachtet werden, dass der Verordnungsgeber bei Vergabeverfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte die regelmäßige Bindefrist in Ansehung der Komplikationen des öffentlichen Auftraggebers bereits von 30 Tagen auf 60 Tagen verdoppelt habe. Den Besonderheiten der umfangreicheren Bearbeitung eines Vergabeverfahrens über dem Schwellenwert sei damit hinreichend Rechnung getragen worden und der öffentliche Auftraggeber könne sich nun nicht mehr pauschal damit verteidigen, dass eben jene Besonderheiten des kommunalen Auftraggebers Berücksichtigung zu finden hätten.
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Die Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 22.06.2022 zeige außerdem, dass allein die Interessen der Antragsgegnerin bei der Bestimmung der Bindefrist gewertet worden seien. Da eine Abwägung der wechselseitigen Interessen der Antragsgegnerin und der Bieter nicht stattgefunden habe, sei der Entscheidungsprozess der Antragsgegnerin bei der Bemessung der Bindefrist ermessensfehlerhaft. Daneben seien die Grundsätze der Transparenz, der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit verletzt. Das Bauvorhaben sei umfangreich und benötige deshalb eine rigorose, vorlaufende Kapazitätsplanung sowie die vertragliche Fixierung von Lieferanten und ggf. Subunternehmern. Diese Kapazitäten müssten für die Bieter über die gesamte Laufzeit der Bindefrist faktisch vorgehalten werden, ohne mit einer Auftragserteilung rechnen zu können. Die Vorhaltung wäre schlussendlich für alle, außer dem erfolgreichen Bieter, dann auch ergebnislos. Dadurch entstünde den nicht-erfolgreichen Bietern ein nicht unerheblicher Schaden. Genau um diesen Schaden zu vermeiden und Interessenssymmetrie zu gewährleisten, schreibe der Verordnungsgeber eine Regelfrist vor. Die Stoffpreisgleitklausel könne dieses Problem nicht lösen, da sie nur einige ausgewählte Stoffe umfasse und es nur nebensächlich um Preisänderungen am Zulieferermarkt gehe. Insbesondere wäre die für die Abwicklung des Verfahrens notwendige Betriebskapazität für die weitere Kapazitätsplanung der Bieter bis zur Auftragsvergabe gesperrt. Eine zügige Prüfung, wie sie § 10a Abs. 8 Satz 2 VOB/A-EU fordere, sei vorliegend nicht gegeben.
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Soweit die Antragsgegnerin mit ihrem Vorgehen Marktforschung betreiben wolle, sei dies rechts- und verordnungswidrig, da gemäß § 2 Abs. 7 Satz 2 VOB/A-EU eine Ausschreibung zur Markterkundung untersagt sei. Auch sei der von der Antragsgegnerin erwähnte interne Schwellenwert von 1.000.000 Euro viel zu niedrig, um einen Ausnahmefall begründen zu können. Die Antragsgegnerin schreibe ständig Leistungen aus, die diesen Schwellenwert überschreiten. Zudem zeige die Begründung der Antragsgegnerin, dass die von ihr reklamierte Ausnahme systematischen Charakter aufweise und damit keine Ausnahme mehr darstelle. Aufgrund des Transparenzgebot nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VOB/A-EU hätte die Antragsgegnerin bereits in den Ausschreibungsunterlagen die Begründung für die vorgegebene Bindefrist liefern müssen. Auch wäre es ihr möglich, nur diejenigen Bieter, welche in die engere Wahl kommen, mittels einer nachträglichen Verlängerung der Bindefrist im Verfahren zu behalten.
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Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin behaupte die Antragstellerin nicht, dass es sich bei der Regelfrist in § 10a Abs. 8 Satz 3 VOB/A-EU um eine Obergrenze handeln würde, sondern dass ein hinreichender Grund für eine Verlängerung der Bindefrist nicht vorhanden sei. Die Antragsgegnerin verteidige sich mit einer allgemeinen Verwaltungsanordnung, ihren organisatorischen Bedingungen und internen Verfahrensabläufen. Eine Ausnahmeregelung stelle jedoch einen Sonderfall als Abweichung von der Regel dar. Ein solcher liege hier nicht vor, sondern es handle sich um systematische Mängel in den Verfahren der Antragsgegnerin. Selbst wenn diese systematischen Mängel auf innerstädtischen Richtlinien und Normen beruhten, seien die Vorgaben der VOB gleichwohl gültig und habe eine Kommune ihre Verfahren den Vorgaben der VOB anzupassen. Den Besonderheiten der kommunalen Verfahren sei bereits dadurch Rechnung getragen worden, dass die Regelfrist von 30 Tagen mit der Novellierung der VOB in 2012 auf 60 Tage verdoppelt wurde. Auf diese Besonderheiten könne sich die Antragsgegnerin daher nicht mehr pauschal berufen, um eine Verlängerung der Bindefrist zu begründen. Die Antragsgegnerin könne auch nicht das Projektrisiko, dass sich ihre Kostenschätzungen und Prognosen aufgrund der Kostenrisiken am Beschaffungsmarkt als unsicher erweisen, auf die Bieter abwälzen. Vielmehr habe der Verordnungsgeber für etwaige potentielle Kostenrisiken das Instrument der Aufhebung geschaffen.
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Dass die Antragsgegnerin bei der Bemessung der Frist die Interessen der Bieter, insbesondere jenes an einer zügigen Bearbeitung, betrachtet habe, sei nicht ersichtlich. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin beanstande die Antragstellerin auch nicht die erfolglose Vorhaltung gewisser Kapazitäten als solche, sondern den Umstand, dass diese Kapazitäten exorbitant lange vorgehalten werden sollen, bis eine Entscheidung über den Zuschlag herbeigeführt wird. Bis zu dieser Entscheidung seien für alle Bieter Kapazitäten latent gebunden und nicht mehr für eine anderweitige Auftragsakquise verfügbar. Insbesondere bei Subunternehmerleistungen seien Kostenrisiken vorhanden, die nicht über etwaige Stoffpreisgleitklauseln abgesichert werden könnten. Diese Risiken stiegen exponentiell mit der Dauer der Bindefrist. Zudem würden insbesondere kleinere und mittlere Betriebe aufgrund langer Vorhaltungen für potenzielle Aufträge vom Wettbewerb für andere Bauvorhaben ausgeschlossen.
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Die Aussage der Antragsgegnerin, dass es sich bei ihrem hiesigen Vorgehen um ein standardmäßiges Prozedere handle, treffe nicht zu. Die Antragstellerin beteilige sich oft an Ausschreibungen der Antragsgegnerin - auch an Verfahren jenseits der Schwelle von 1.000.000 Euro. Bis dato habe aber keine vergleichbare Handhabe der Antragsgegnerin festgestellt werden können.
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Die Antragstellerin beantragt
1. Das Vergabeverfahren der Landeshauptstadt M…, Vergabenummer: …, Holzbauarbeiten Neubau Bürger- und Kulturtreff „Der 13er“, M. N. Platz, M…, wird aufgehoben.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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Ergänzend beantragt sie,
die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt
1. Der Vergabenachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 04.07.2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Auslagen der Antragsgegnerin zu tragen.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
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Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Nachprüfungsantrag unbegründet sei. Die Antragsgegnerin habe die Länge der Bindefrist vergaberechtskonform unter Beachtung von § 10a EU Abs. 8 VOB/A festgelegt. Die Regelung gebe keine Höchstdauer für die Bindefrist vor. Die in Satz 3 enthaltene Regeldauer von 60 Kalendertagen könne in begründeten Fällen überschritten werden. Ein begründeter Fall liege bereits dann vor, wenn ein sachlicher Grund gegeben ist. Hierzu reiche ein nachvollziehbares Interesse an einer Verlängerung aus. Als derartiger (nachvollziehbar) begründeter Fall sei von der Rechtsprechung des BGH die notwendige Zeitdauer zur internen Willensbildung einer Kommune anerkannt worden. Der BGH habe sich zur vormaligen Bestimmung in § 19 VOB/A geäußert. Diese Bestimmung entspreche dem derzeit gültigen § 10 Abs. 4 VOB/A, der für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte eine schärfere Bindung vorsehe als § 10a EU Abs. 8 VOB/A. Öffentliche Auftraggeber seien lediglich gebunden, die Gründe für die Verlängerung der Frist substantiiert vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen. Bieter müssten sich demgegenüber bei der Vertragsanbahnung auf die interne Willensbildung von Kommunen einstellen. Auch sonstige interne Abklärungsprozesse, welche der ausschreibenden Stelle auferlegt werden, um eine den Anforderungen des Vergaberechts entsprechende Vergabeentscheidung treffen zu können, dürften nicht außer Betracht bleiben. Dies betreffe insbesondere die Klärung der tatsächlich und nachhaltig prognostizierbaren Kosten des Projekts, um gegebenenfalls Angebote unter Berufung auf fehlende Haushaltsmittel vom Zuschlag ausnehmen zu können. Über die notwendigen Abläufe zur internen Willensbildung der Antragsgegnerin sei in der Rügeerwiderung vom 22.06.2022 bereits ausführlich und wahrheitsgemäß informiert worden. Die Zeit für die Erstellung der Beschlussvorlage resultiere aus den notwendigen inhaltlichen Abstimmungen und der inhaltlichen Begründung der zu treffenden Vergabeentscheidung unter Berücksichtigung der damit verbundenen Konsequenzen. Die Höhe des Schwellenwertes orientiere sich an der notwendigen Grenze für die losweise Ausschreibung von Bauleistungen aus § 3 Abs. 9 VgV. Der Vorwurf, es würde tatsächlich Marktforschung betrieben, werde zurückgewiesen.
19
Da die Vorgabe zur Definition der Festlegung der Dauer der Bindefrist keinen europäischen Normen zur Umsetzung diene, bestimme allein der nationale Gesetzgeber über die Ausgestaltung dieser Bestimmung. Hierbei sei zu beachten, dass § 10a EU VOB/A anders als § 10 VOB/A nicht als Sollbestimmung formuliert sei. Die Bestimmung sehe auch nicht vor, dass eine generalisierte, also für eine Vielzahl von Ausschreibungen einer bestimmten festgelegten Kategorisierung vorweg festgelegte verlängerte Bindefrist ausgeschlossen sein soll. Die Behauptung der Antragstellerin, die Antragsgegnerin hätte allein ihre eigenen Interessen bei der Bestimmung der Bindefrist gewertet, treffe nicht zu. Vielmehr sei stets im Blick behalten worden, dass eine kürzest mögliche Bemessung der Abläufe zur Herbeiführung einer Prüfung und Wertung der Angebote zur Erzielung einer Zuschlagsentscheidung erhalten bleibt. Die notwendige Länge der Bindefrist werde jeweils individuell bezogen auf die auszuschreibende Maßnahme festgelegt.
20
Die Antragstellerin könne nicht aufzeigen, dass sie im Vergleich zu den übrigen Bietern benachteiligt werde. Weder der Umfang des Bauvorhabens noch die Kapazitätsplanung der Antragstellerin stellten einen Umstand dar, welcher sich von entsprechenden Belastungen der übrigen Wettbewerber in der gleichen Ausschreibung unterscheidet. Die Vorhaltung, dass die Belastungen letztlich für alle Bieter zu Kosten führen, wenn sie den Zuschlag nicht erhalten, sei dem Vergabeverfahren immanent. Die entsprechenden Risiken würden die Bieter mit ihrer Angebotsabgabe bewusst eingehen. Die Antragstellerin mache diese Belange pauschal und repräsentativ geltend. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei es auch nicht zu beanstanden, dass die Begründung erst durch die Rügeerwiderung aufgedeckt worden sei. Es sei einer Vergabestelle unbenommen, nicht dokumentierte Gesichtspunkte von Wertungsentscheidungen nachträglich zu ergänzen. Zudem bestünden die in Bezug genommenen stadtinternen normativen Grundlagen seit geraumer Zeit. Von einer nachträglichen Begründung der Entscheidungsabläufe könne daher nicht die Rede sein.
21
Ein Anspruch auf Aufhebung des Vergabeverfahrens bestehe nicht.
22
Am 02.08.2022 fand in den Räumen der Regierung von Oberbayern die mündliche Verhandlung statt. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag. Die Antragstellerin erläuterte, dass die lange Bindefrist zu einer übermäßig langen Bindung von betrieblichen Ressourcen führe, was dem Bieter ein hohes finanzielles Risiko aufbürde. Insbesondere der Personaleinsatz unter den Bedingungen des derzeitigen Fachkräftemangels sowie die Einbindung von Subunternehmern stelle die Antragstellerin vor große Herausforderungen. Dies habe schließlich dazu geführt, dass sich die Antragstellerin im streitgegenständlichen Vergabeverfahren nicht in der Lage gesehen habe, ein Angebot abzugeben. Die Antragsgegnerin erläuterte unter Bezug auf die Anlage AG 1 zum Schriftsatz vom 20.07.2022 den Ablaufplan, welcher erklärtermaßen der Ermittlung der Bindefrist zugrunde lag.
23
Aus den Erläuterungen der Mitarbeiter der Antragsgegnerin zeigte sich, dass neben den Zeiträumen für die Prüfung und Wertung der Angebote sowie für die Prüfung, ob das Gesamtprojekt im Budget liegt (nach 60% der submittierten Gewerke), auch erhebliche Zeiträume für die Abstimmung der Referate der Antragsgegnerin untereinander und der Vorbereitung der Gremiensitzungen bei der Festlegung der Bindefrist berücksichtigt worden war.
24
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer, die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 02.08.2022 sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
25
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
26
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
27
Gegenstand der Vergabe ist ein Bauauftrag i. S. d. § 103 Abs. 3GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 5.382.000 Euro erheblich.
28
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 - 109 GWB liegt nicht vor.
29
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
30
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
31
Die Antragstellerinhat ihr Interesse am Auftrag durch das Stellen einer Bieterfrage und die Einreichung des Nachprüfungsantrags hinreichend bekundet. Zwar wird das für die Antragsbefugnis erforderliche Interesse am Auftrag in der Regel durch die Abgabe eines Angebots dokumentiert. Werden jedoch angebotshindernde Vergaberechtsverstöße geltend gemacht, bedarf es eines Angebots nicht; vielmehr wird das Interesse am Auftrag in diesen Fällen durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens belegt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.6.2017 - VII-Verg 2/17). Die Antragstellerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, durch die lange Bindefrist von der Angebotsabgabe abgesehen zu haben. Somit hat sie mit der Einreichung des Nachprüfungsantrags ihr Interesse am Auftrag hinreichend belegt. Die Antragstellerinhat ferner eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere dadurch geltend gemacht, dass die Bindefrist mehr als die in § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A festgelegte Regeldauer von 60 Tagen beträgt, ohne dass eine längere Frist hinreichend begründet wäre.
32
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2GWB entgegen, dadie Antragstellerin die in der Bekanntmachung festgesetzte Bindefrist bereits am 14.06.2022 und damit vor Ablauf der Angebotsfrist als vergaberechtswidrig beanstandete.
33
2. Der Nachprüfungsantrag istauch begründet.
34
Die Antragsgegnerin hat bei der Bestimmung der Bindefrist den ihr zustehenden Ermessensspielraum überschritten, indem sie die Interessen der Bieter an einer möglichst kurzen Beschränkung ihrer Dispositionsfreiheit nicht hinreichend berücksichtigte. Die Antragstellerin ist hierdurch in ihren Rechten verletzt, da sie einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Länge der Bindefrist hat.
35
2.1. Gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 1 VOB/A bestimmt der öffentliche Auftraggeber eine angemessene Frist, innerhalb der die Bieter an ihre Angebote gebunden sind (Bindefrist). Die Bestimmung der Bindefrist liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers (Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, VOB/A-EU § 10aEU Rn. 19; Pünder/Schellenberg/Franzius, Vergaberecht, 3. Auf. 2019, VOB/A § 10aEU Rn. 12). Die Entscheidung des Auftraggebers kann somit insbesondere daraufhin überprüft werden, dass der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt wurde, Verfahrensgrundsätze eingehalten wurden, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind, die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte angemessen und vertretbar gewichtet wurden und der gesetzliche bzw. ein selbst von der Vergabestelle vorgegebene Rahmen bzw. Maßstab beachtet wurde (vgl. OLG München, Beschluss vom 9.3.2018 - Verg 10/17).
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Sein Ermessen hat der öffentliche Auftraggeber gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 2 VOB/A danach auszurichten, dass die Bindefrist so kurz wie möglich sein und nicht länger bemessen werden soll, als der öffentliche Auftraggeber für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote gem. §§ 16 EU bis 16d EU benötigt (vgl. MüKoEuWettbR/Sperber, 4. Aufl. 2022, VOB/A § 10 Rn. 21). Gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A beträgt die Bindefrist regelmäßig 60 Kalendertage, d.h. es wird (widerleglich) vermutet, dass der öffentliche Auftraggeber bei EUweiten Verfahren diesen Zeitraum für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote benötigt. Gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 4 VOB/A kann der öffentliche Auftraggeber in begründeten Fällen eine längere Frist festlegen. Sein Ermessen bleibt jedoch auch in diesem Fall an die Vorgabe des § 10a EU Abs. 8 Satz 2 VOB/A gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.1991 - VII ZR 203/90).
37
Was taugliche Gründe für eine längere Bindefrist als die Regelfrist sind, lässt sich § 10a EU Abs. 8 VOB/A nicht entnehmen. Es wird vertreten, dass absehbare Verzögerungen bei der Prüfung und Wertung, die im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegen, zu dessen Lasten gehen und es nicht rechtfertigen, die Frist von vornherein länger zu veranschlagen (MüKoEuWettbR/Sperber, 4. Aufl. 2022, VOB/A § 10 Rn. 21). Demgegenüber hat die Rechtsprechung die besonderen Bedingungen der internen Willensbildung einer Gemeinde als mögliche Rechtfertigung für eine längere Bindefrist anerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.1991 - VII ZR 203/90). Dies bedeutet jedoch nicht, dass kommunale Auftraggeber wegen ihrer organisatorischen Bedingungen die Regelfrist ohne weiteres überschreiten dürften (OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.07.1999 - 12 U 91/98). Auch insoweit bedarf es jeweils einer auf die Umstände des Einzelfalls gerichteten Betrachtung (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/ Planker, 7. Aufl. 2020, VOB/A § 10 Rn. 22; MüKoEuWettbR/Sperber, 4. Aufl. 2022, VOB/A § 10 Rn. 21). Hierbei ist zugunsten der Bieter zu berücksichtigen, dass diese während der Bindefrist in ihren geschäftlichen Entschlüssen und Dispositionen, insbesondere hinsichtlich der Bewerbung um andere Aufträge und der Finanzierung weiterer Aufträge, erheblich eingeschränkt sind (vgl. VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2012 - VK-SH 03/12).
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2.2. Diesen Vorgaben wird die Bestimmung der Bindefrist in streitgegenständlichem Vergabeverfahren nicht gerecht, da die Antragsgegnerin bei der Bestimmung der Bindefrist die Interessen der Bieter nicht hinreichend berücksichtigt hat.
39
Die Antragsgegnerin hat die Länge der Bindefrist von 138 Tagen - mehr als das Doppelte der in der VOB/A genannten Regelfrist - damit begründet, dass nach den ihren internen Richtlinien die submittierten Bauleistungen erst nach erteilter Ausführungsgenehmigung durch den Stadtrat vergeben werden dürften und für die Erstellung der Beschlussvorlage wenigstens 10 Wochen benötigt würden. Hinzu käme eine Vorlaufzeit von mindestens drei Wochen für die Stadtratsbefassung. In ihrer Antragserwiderung hat die Antragsgegnerin ergänzt, dass sie bei der Bestimmung der Bindefrist auch die Interessen der Bieter berücksichtigt habe, indem stets im Blick behalten worden sei, eine kürzest mögliche Bemessung der Abläufe zur Herbeiführung einer Prüfung und Wertung der Angebote zur Erzielung einer Zuschlagsentscheidung zu erhalten. Aus der Übersicht in A. AG 1 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 20.07.2022 sowie den nachvollziehbaren Einlassungen ihrer Mitarbeiter in der mündlichen Verhandlung geht allerdings hervor, dass von der 138 Tage währenden Bindefrist der weit überwiegende Teil den Bedingungen der internen Willensbildung der Antragsgegnerin geschuldet ist. Demgegenüber beansprucht die eigentliche Prüfung und Wertung der Angebote ausweislich des als A. AG 1 eingereichten Diagramms lediglich einen Bruchteil der Regelfrist.
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Die Vergabekammer Südbayern verkennt nicht, dass es sich bei der Antragsgegnerin um eine der größten Gemeinden Deutschlands handelt und die Bedingungen der internen Willensbildung dementsprechend komplex und nicht mit jenen einer durchschnittlichen Kommune vergleichbar sind. Zudem ist anzuerkennen, dass der Entschluss der Antragsgegnerin, eine Kostenüberprüfung bei Hochbauprojekten ab einem Umfang von 1 Mio. Euro vorzunehmen, ihrem kommunalen Selbstverwaltungsrecht entstammt. Zudem sprechen gute Gründe für eine solche Kostenüberprüfung.
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Die Abstimmungserfordernisse innerhalb der Verwaltung der Antragsgegnerin und die notwendige Befassung ihrer kommunalen Gremien erlauben ihr jedoch nicht, die Bindefrist im Regelfall und grenzenlos weit oberhalb der Regelfrist des § 10a EU Abs. 8 Satz VOB/A zu bestimmen.
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Die Antragsgegnerin muss bei der Planung ihrer Abläufe und ihrer Gremienbefassung beachten, dass es sich bei den Bestimmungen über die Bindefrist in § 10a EU Abs. 8 VOB/A aufgrund des Verweises in § 2 Satz 2 VgV auf Teil A Abschnitt 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen um unmittelbar geltendes Bundesrecht handelt. An diesem muss sie sich bei der Planung ihrer internen Abläufe orientieren. Die Regelfrist des § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A ist auch für eine Kommune von der Größe der Antragsgegnerin nicht von vorneherein bedeutungslos.
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Bindefristen, die - wie im vorliegenden Fall - das Doppelte der in § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A vorgesehenen Regelfrist übersteigen, sind daher auch für eine Kommune von der Größe der Antragsgegnerin nicht allgemein, sondern allenfalls im Ausnahmefall zulässig und die Anforderungen an deren Begründung, die zu dokumentieren ist, steigen je länger die Regelfrist überschritten wird. Insbesondere ist - gerade in Zeiten, die von großer Unsicherheit hinsichtlich der Entwicklung der Materialpreise und einem erheblichen Mangel an Fachkräften geprägt sind - auch den Interessen der Bieter an einer möglichst geringen Einschränkung ihrer Dispositionsfreiheit hinreichend Rechnung zu tragen. Dies schließt die Betrachtung von alternativen Gestaltungsoptionen mit weniger einschränkender Wirkung, wie beispielsweise nachträgliche Bindefristverlängerungen, mit ein. Dass überbordende Bindefristen für die Antragsgegnerin nicht alternativlos sind, hat diese im Rahmen der mündlichen Verhandlung am Beispiel der Bauprojekte ihres Schulsanierungsprogramms selbst erläutert.
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Vorliegend findet sich im Vergabevermerk als Begründung für die festgesetzte Bindefrist lediglich der Hinweis auf die Hochbaurichtlinien der Antragsgegnerin. Zwar ist anhand der Anlage AG 1 ersichtlich, dass die Antragsgegnerin die Bindefrist bezogen auf das streitgegenständliche Vergabeverfahren plante und insoweit eine Einzelfallbetrachtung anstellte. Dass sie sich ernsthaft mit den Interessen der Bieter auseinandergesetzt, zeitliches Straffungspotential eruiert und alternative Gestaltungsoptionen in Erwägung gezogen hätte, ist aber weder dem Vergabevermerk noch der A. AG 1 zu entnehmen. Die Ermessensausübung der Antragsgegnerin bei der Bestimmung der Bindefrist ist damit fehlerhaft, da sie insbesondere nicht die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte angemessen und vertretbar gewichtet und sie den gesetzlichen Rahmen bei der Bestimmung der Bindefrist eingehalten hat.
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Die Antragstellerin ist hierdurch in ihren Rechten verletzt, da sie gem. § 97 Abs. 6 GWB einen Anspruch darauf hat, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden, wozu auch die ordnungsgemäße Ausübung von Ermessens- bzw. Beurteilungsspielräumen zählt (vgl. OLG München, Beschluss vom 09.03.2018 - Verg 10/17).
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Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegenddie Antragsgegnerin.
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Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
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Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Da keine Beiladung durchgeführt werden musste, wird die Gebühr wegen des insoweit verminderten Arbeitsaufwands reduziert.
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Die Antragsgegnerinist als Gemeinde von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.
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Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskrafterstattet.
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Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, davon einem mittelständischen Unternehmen eine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB nicht erwartet werden kann. Daneben war die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters seitens der Antragstellerin notwendig, um die erforderliche „Waffengleichheit“ gegenüber der anwaltlich vertretenen Antragsgegnerin herzustellen.