Inhalt

Vergabekammer München, Beschluss v. 04.08.2022 – 3194.Z3-3_01-22-1
Titel:

zu Beschluss 22-01

Normenketten:
GWB § 134
GWB § 168 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Erschwert der Auftraggeber die Inanspruchnahme von effektiven Rechtsschutz der Bieter dadurch unzumutbar, dass er die 10-tägige Wartefrist nach § 134 Abs. 1 GWB so über Feiertage und Wochenenden legt, dass einem Bieter für die Entscheidung über einen Nachprüfungsantrag praktisch nur vier bis fünf Arbeitstage verbleiben, wird die Frist nicht wirksam in Lauf gesetzt (OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 05.11.2014 – VII-Verg 20/14 und vom 05.10.2016 - VII-Verg 24/16)
2. Der Zeitraum für die Überprüfung der Vergabe und der Entscheidung über einen Nachprüfungsantrag kann auch dadurch unzulässig faktisch verkürzt werden, dass der Auftraggeber neben Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen auch die beiden einzigen Werktage im Jahr, an denen die Vergabekammer dienstfrei hat (24.12. und 31.12.) und an denen kein Nachprüfungsantrag gestellt werden kann, in die Wartefrist nach § 134 Abs. 2 GWB einbezieht.
3. Ob eine unzumutbare Erschwerung des effektiven Rechtsschutzes der Bieter vorliegt, ist an den Umständen des Einzelfalls zu messen.
Schlagworte:
zu Beschluss 22-01, Vergabe
Fundstellen:
ZfBR 2023, 103
LSK 2022, 26748
BeckRS 2022, 26748

Tenor

1. Der Nachprüfungsantrag wird als unzulässig verworfen.
2. Die Antragstellerinträgt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene war notwendig.

Gründe

I.
1
Die Antragsgegnerin beabsichtigt im Wege eines offenen Verfahrens die Beschaffung von mobilen Raumluftreinigungsgeräten für insgesamt … Gruppen- und Funktionsräume in Kindertageseinrichtungen im Stadtgebiet M… Eine entsprechende Veröffentlichung erfolgte im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union. Nebenangebote wurden nicht zugelassen, der Auftrag wurde in insgesamt vier Lose aufgeteilt. Streitgegenständlich sind das Los 1 (…) sowie das Los 4 (…). Einziges Zuschlagskriterium war nach Ziffer II.2.5) der Bekanntmachung der Preis.
2
Ausweislich Ziffer IV.1.1) der Auftragsbekanntmachung wurde die Beschaffung im beschleunigten offenen Verfahren durchgeführt. Zur Begründung hieß es:
3
Bezugnehmend auf die Verfügung des Bayerischen Innenministerium[s] vom 11.07.2021 (Az: B3-1512-36-124) wird die in der VgV festgelegte Mindestfrist für die Einreichung von Angeboten gem. § 15 Abs. 3 VgV auf 15 Tage reduziert. Aufgrund der exponentiell steigenden Corona-Fallzahlen in Deutschland, insbesondere in Bayern und hier auch in M… in den letzten Wochen, ist ein schnelles Handeln hinsichtlich des Infektionsschutzes geboten. Diese Lagebeurteilung wird auch durch die Tatsache unterstützt, dass die bayerische Staatsregierung am 11.November 2021 wieder den Katastrophenfall ausgerufen hat. Da für Kinder unter 12 Jahren bisher keine Möglichkeit der Impfung existiert, müssen andere Maßnahmen für einen raschen Gesundheitsschutz ergriffen werden, woraus sich auch die Dringlichkeit der Beschaffung von technischen Geräten zum Infektionsschutz ableiten lässt. Aufgrund der dargestellten Sachlage soll die Frist im Vergabeverfahren wie oben genannt verkürzt werden.
4
Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote wurde der 10.12.2021, 23:59 Uhr festgelegt. Bis zu diesem Termin reichte eine Vielzahl von Bietern fristgerecht Angebote ein, darunter die Beigeladene mit dem jeweils preisgünstigsten Angebot sowie die Antragstellerin, die mit ihrem Angeboten bei Los 1 auf dem sechsten Rang und bei Los 4 auf dem vierten Rang der zuschlagsfähigen Angebote lag.
5
In der Leistungsbeschreibung wurde unter Ziffer 1.1 ausgeführt:
„Die angebotenen Geräte müssen in allen Punkten den Voraussetzungen der „Richtlinie zur Förderung von Investitionskosten für technische Maßnahmen zum infektionsschutz-gerechten Lüften in der Kindertagesbetreuung und in den Heilpädagogischen Tagestätten der Jugend- und Behindertenhilfe“ laut Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales vom 14. Juli 2021, Az. V1/0021.06-3/1307, entsprechen.“
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Unter Ziffer 1.2.1 der Leistungsbeschreibung hieß es weiter:
„Es ist zulässig zur Erfüllung der Anforderungen der Leistungsbeschreibung bis zu zwei Geräte je Raum anzubieten.“
7
Zu den technischen Spezifikationen der Geräte wurde unter Ziffer 1.2.2 der Leistungsbeschreibung vermerkt:
„Der Auftraggeber hat das Recht, im Rahmen einer durchgeführten Bemusterung/Produktprüfung vor Auftragsvergabe entsprechende Prüfungen durch Fachkräfte vorzunehmen. Der Bieter verpflichtet sich mit Abgabe seines Angebotes, hierfür innerhalb von zwei Tagen nach Anforderung ein mit dem Luftreiniger identisches Gerät (…) zur Verfügung zu stellen.
Die Geräte müssen für Raumvolumen bis 180 m3 geeignet sein.
Der gewährleistete Luftdurchsatz (Volumenstrom) muss mindestens das 6-fache des o.g. Raumvolumens pro Stunde betragen: bezogen auf das o.g. Raumvolumen von 180 m3 sind somit 1.080 m3/h Luftvolumenstrom zu erbringen.
Der Schalldruckpegel muss mit den Anforderungen an einen geordneten Kitabetrieb vereinbar sein. Die Geräte dürfen bei einem Luftdurchsatz von 800 m3/h (in einer mittleren Leistungsstufe) im Abstand von 1m zur Geräteaußenfläche einen Schalldruckpegel von max. 35 dB(A) aufweisen. Ein entsprechendes Prüfprotokoll durch eine hierfür befähigte Stelle ist auf Anforderung durch die Vergabestelle 1 innerhalb von zwei Arbeitstagen vorzulegen.
Die Geräte sind als mobile Standgeräte auszuführen, die mit einem Montagewinkel oder einer vergleichbaren Einrichtung als Kippsicherung an der Wand zu befestigen sind.“
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Am 17.12.2021 fand eine Teststellung des Geräts der Beigeladenen in den Räumen der Antragsgegnerin statt, an dem sowohl Vertreter der Beigeladenen als auch der Antragsgegnerin teilnahmen.
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Mit Vorabinformationsschreiben nach § 134 GWB vom 23.12.2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass auf ihr Angebot in beiden Losen der Zuschlag nicht erteilt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste gewesen sei. Es sei beabsichtigt, den Zuschlag in beiden Losen frühestens am 03.01.2022 auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.
10
Das Schreiben wurde an die allgemeine Email-Adresse der Antragstellerin „…“ übermittelt und nicht an die im Angebotsschreiben aufgeführte Email-Adresse des für das Verfahren zuständigen Bearbeiters Herrn P… Die Nachricht wurde aufgrund der Weihnachtstage erst am 27.12.2021 um 12:21 Uhr vom zentralen Email-Postfach hausintern an den zuständigen Bearbeiter weitergeleitet. Dieser befand sich vom 23.12.2021 nachmittags bis einschließlich 02.01.2022 im Weihnachtsurlaub.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 03.01.2022 rügte die Antragstellerin das Vorabinformationsschreiben nach § 134 GWB sowie die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene als vergaberechtswidrig. Mit Schreiben vom 04.01.2022 erweiterte und vertiefte die Antragstellerin ihre Rüge und machte die Nichteinhaltung von Mindestanforderungen in den Angeboten der Beigeladenen geltend.
12
Die Antragsgegnerin wies mit Schreiben vom 04.01.2022 die vorgebrachten Rügen sowohl zum Vorabinformationsschreiben als auch zu den Angeboten der Beigeladenen zurück. Sie teilte außerdem mit, dass der Zuschlag am 03.01.2022 an die Beigeladene erteilt worden sei.
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Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 06.01.2022 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
14
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Seiner Statthaftigkeit stehe in diesem Fall auch nicht der am 03.01.2022 an die Beigeladene erteilte Zuschlag entgegen. Der Vertragsschluss sei gem. § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB unwirksam, weil der Vertrag vor Ablauf der Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 GWB geschlossen worden sei. Die Vorabinformation der Antragsgegnerin habe die Stillhaltefrist von 10 Tagen nicht wirksam in Gang gesetzt. Die Antragsgegnerin habe die Vorabinformation nach § 134 GWB am Nachmittag des 23.12.2021 versendet. Als Zuschlagstermin sei der 03.01.2022 bestimmt worden. Unter Berücksichtigung der Weihnachtstage sowie Silvester und Neujahr seien der Antragstellerin somit lediglich 3,5 Arbeitstage verblieben, um die Vergabeentscheidung zu bewerten, ggf. zu rügen und um ein etwaiges Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Da davon auszugehen sei, dass die Vergabekammer an Silvester keinen gewöhnlichen Dienstbetrieb führe und das Ende der Wartefrist am 02.01.2022 auf einen Sonntag falle, hätte ein Nachprüfungsantrag der Vergabekammer somit bereits am Vormittag des 30.12.2021 vorliegen müssen, um eine Übermittlung an den Auftraggeber am selben Tag zu gewährleisten. Werde die Wartefrist so über Feiertage und Wochenenden gelegt, dass einem Bieter für die Entscheidung über einen Nachprüfungsantrag nur vier bis fünf Arbeitstage zur Verfügung stünden, werde der Lauf der Wartefrist nicht wirksam in Gang gesetzt (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 05.10.2016, Az. VII-Verg 24/16). Soweit sich die Antragsgegnerin darauf berufe, dass es nach der Förderrichtlinie erforderlich gewesen sei, die Informationsschreiben nach § 134 GWB vor dem 31.12.2021 zu verschicken, verfange dies nicht, weil die Versendung weder zivilrechtliche noch zuwendungsrechtliche Rechtswirkungen entfalte. Eine solche Obliegenheit lasse sich auch der Förderrichtlinie nicht entnehmen. Eine Versendung der Vorabinformation vor dem 31.12.2021 sei demzufolge nicht erforderlich gewesen. In jedem Fall hätte die Antragsgegnerin den Zuschlagstermin ohne damit einhergehende Nachteile auch auf den 05. oder 06.01.2022 legen und damit die Beeinträchtigung der Rechtsschutzmöglichkeiten der unterlegenen Bieter abwenden können.
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Die Antragstellerin trägt vor, dass sie antragsbefugt sei, da sie ihr nach § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB erforderliches Interesse am streitgegenständlichen Auftrag durch die Abgabe eines Angebots hinreichend belegt und die Vergaberechtsverstöße auch ordnungsgemäß gerügt habe. Sie habe mit ihrem Nachprüfungsantrag eine Verletzung eigener Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB geltend gemacht. Das Angebot der Beigeladenen sei wegen einer unzulässigen Änderung der Vergabeunterlagen zwingend auszuschließen, da der Antragstellerin andernfalls ein Schaden nach § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB drohe.
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Die Antragstellerin sei mit ihrem Vorbringen auch nicht präkludiert, da eine Rügeobliegenheit in Fällen, in denen der Auftraggeber den unterlegenen Bietern den Zugang zum Rechtsschutz durch die Wahl des Zeitpunkts der Bieterinformation in Ansehung von Feier- und Urlaubstagen erheblich erschwere, schon dem Grunde nach keine Anwendung finde. Das OLG Düsseldorf habe klargestellt, dass sich der Auftraggeber „in solchen Fällen nicht mit Erfolg auf eine Verletzung der Rügeobliegenheit berufen“ könne (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 05.11.2014, Az. VII-Verg 20/14). Wolle man trotzdem von einer Rügeobliegenheit ausgehen, käme einzig der Rügetatbestand nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB in Betracht. Dieser stelle auf das positive tatsächliche Erkennen des Vergaberechtsverstoßes ab. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trage der Auftraggeber. Der betreffende Mitarbeiter der Antragstellerin, der im laufenden Vergabeverfahren zur Abgabe verbindlicher Erklärungen befugt sei, habe die Vorabinformation erst am ersten Arbeitstag nach seinem Weihnachtsurlaub zur Kenntnis genommen. Aus diesem Grund habe eine positive Kenntnis im Sinne des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB erst am 03.01.2022 vorgelegen. Die Verfahrensentscheidung sei dann umgehend mit Schreiben vom 03.01. sowie 04.01.2022 gerügt worden.
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Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Die Antragsgegnerin habe durch die Verfahrensgestaltung gegen § 134 Abs. 2 GWB verstoßen, indem sie den Auftrag unter Missachtung der Wartefrist an die Beigeladene erteilt habe. Der beanstandete Vertrag sei daher gem. § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB von Anfang an unwirksam. Das von der Beigeladenen angebotene Produkt entspreche nicht den Anforderungen der Leistungsbeschreibung, insbesondere im Hinblick auf die Lautstärke. Das Angebot der Beigeladenen sei daher aufgrund unzulässiger Änderung der Vergabeunterlagen gem. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zwingend vom Verfahren auszuschließen. Die Antragsgegnerin wäre verpflichtet gewesen, die Einhaltung der Mindestanforderungen zu prüfen. Die Antragstellerin führte näher aus, dass das Produkt der Beigeladenen im Hinblick auf den Volumenstrom nicht die geforderten 1.080 m3/h erreichen würden, sondern auf höchster Stufe lediglich 650 m3/h leisten könne. Bei einer zulässigen Kombination zweier Geräte werde zwar der geforderte Volumenstrom erreicht, dafür aber die maximal zulässige Lautstärke überschritten. Der maximal zulässige Schalldruckpegel von 35 dB(A) werde vom Gerät der Beigeladenen bereits auf der Betriebsstufe 3 von insgesamt 6 Stufen erreicht, wohingegen auf Stufe 6 der Schalldruckpegel 65 dB(A) betrage. Das Angebotskonzept der Beigeladenen sehe zwar einen Betrieb mit zwei Geräten pro Raum vor. Um aber den geforderten Luftumsatz von 1.080 m3/h zu gewährleisten, müssten entweder beide Geräte auf Stufe 5 betrieben werden, oder aber ein Gerät auf Stufe 6 und ein weiteres auf Stufe 4. Der Schalldruckpegel betrage dann mindestens 52 dB(A), was mit den Anforderungen eines Kindergartenbetriebs nicht in Einklang zu bringen sei. Eine ähnliche Situation ergäbe sich bei Zugrundelegung eines Luftvolumenstroms von 800 m3/h. Hierfür betrage auf Leistungsstufe 4 der Schalldruckpegel 40 dB(A) und liege damit über dem Grenzwert von 35 dB(A). Zudem erhöhe sich beim Einsatz von zwei Geräten die Schallimmission durch eine Schallpegeladdition, was abhängig von der jeweiligen Betriebsstufe des Geräts zu einem Pegel von mindestens 43 dB(A) führe. Schließlich erscheine auch das Erfüllen der Anforderung einer Wandbefestigung für das Produkt der Beigeladenen als fraglich.
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Nach alledem müsse die Antragstellerin davon ausgehen, dass die Antragsgegnerin das Angebot der Beigeladenen nicht auf die Einhaltung der technischen Mindestanforderungen geprüft habe, woran auch die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Rügeerwiderung nichts ändern würden.
19
Die Antragstellerin beantragt,
1.
gegen die Antragsgegnerin ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten,
2.
festzustellen, dass der mit der Beizuladenden geschlossene Vertrag über die Lieferung von Luftreinigungsgeräten im Los 1 und im Los 4 von Anfang an unwirksam ist,
3.
die Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren für das Los 1 und das Los 4 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen,
4.
der Antragstellerin Akteneinsicht gemäß § 165 GWB zu gewähren,
5.
die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären,
6.
der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen.
20
Die Antragsgegnerin beantragt,
1.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
2.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
21
Der Nachprüfungsantrag werde als nicht statthaft erachtet, da das Vergabeverfahren am 03.01.2022 durch einen wirksamen Zuschlag an die Beigeladene abgeschlossen worden sei. Eine unzulässige Verkürzung der 10-Tagesfrist des § 134 Abs. 2 GWB wegen der Weihnachtsfeiertage liege nicht vor. Vielmehr habe die Antragstellerin sechs Werktage Zeit gehabt, um rechtliche Schritte gegen die Vergabeentscheidung einzuleiten. Unter Bezugnahme auf § 3 Abs. 2 BurlG seien der 23.12., der 24.12. sowie der 31.12. reguläre Werktage, da ausweislich Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 BayFTG diese Tage nicht als gesetzliche Feiertage aufgeführt seien. Eine fehlende Berücksichtigung von Feiertagen und Wochenenden innerhalb der Wartefrist sei auch angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB korrekt. Zudem sei es der Antragstellerin möglich gewesen, noch am 03.01.2022 nach Rücksprache mit einem Rechtsanwalt Rüge zu erheben, obwohl der zuständige Bearbeiter der Antragstellerin erst an diesem Tag die Vorabinformation nach § 134 GWB erhalten habe. Es erschließe sich daher nicht, warum die Erhebung der Rüge nicht bereits während der 10-tägigen Wartefrist möglich gewesen sein soll. Schließlich basiere das Versäumen sowohl der Rügefrist als auch der rechtzeitigen Stellung eines Nachprüfungsantrags auf einem internen Organisationsfehler der Antragstellerin. Als Teilnehmerin am Vergabeverfahren habe die Antragstellerin mit einer laufenden Entscheidung rechnen müssen, nicht zuletzt aufgrund eines Hinweises in der Auftragsbekanntmachung, wonach Bemusterungen bzw. Prüfungen innerhalb von zwei Tagen nach schriftlicher Aufforderung zu ermöglichen seien. Sie hätte somit sicherstellen müssen, dass Schriftverkehr im Vergabeverfahren auch über die Weihnachtszeit den zuständigen Ansprechpartner oder einen Stellvertreter erreichen könne. Die Antragsgegnerin trug vor, dass das Informationsschreiben nach § 134 GWB bis zum 31.12.2021 hätte versendet werden müssen. Begründet wurde dies damit, dass bis zu diesem Datum die Beantragung von Fördermitteln erfolgt sein musste, wozu nach Absprache mit dem Fördermittelgeber auch das Vorabinformationsschreiben beigefügt werden musste. Eine Verlängerung der Wartefrist wäre aufgrund der besonderen Dringlichkeit gem. § 15 Abs. 3 VgV nicht möglich gewesen.
22
Der Nachprüfungsantrag sei im Übrigen auch unzulässig. Der Antragstellerin fehle aufgrund der Platzierung ihrer Angebote auf Preisrang 6 in Los 1 und Preisrang 4 in Los 4 die Antragsbefugnis, da es insoweit an der Darlegung eines entstandenen bzw. drohenden Schaden mangele, § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB.
23
Die Antragstellerin sei darüber hinaus mit ihrem Vorbringen gem. § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB präkludiert. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bestehe sehr wohl auch in der vorliegenden Fallkonstellation eine Obliegenheit zur Rüge, welche die Antragstellerin verletzt habe. So habe sie den geltend gemachten Vergabeverstoß vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt, jedoch gegenüber der Antragsgegnerin nicht fristgemäß gerügt, § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB. Richtig sei zwar, dass es im Fall von § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB auf das Erkennen und nicht auf die Erkennbarkeit ankomme. Dies bedeute „die vollständige Kenntnis der Tatsachen, aus denen die Beanstandung im Nachprüfungsverfahren abgeleitet wird, als auch eine zumindest laienhafte rechtliche Bewertung, dass diese Tatsachen zu einer Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren führen“. Eine Ausnahme gelte für solche Fälle - wie hier -, in denen sich der Antragsteller bewusst einer möglichen Kenntnis verschließe. Die Vorabinformation sei am 23.12.2021 an das zentrale Organisationspostfach der Antragstellerin übersandt worden, so dass die Antragstellerin bereits an diesem Tag Kenntnis von dem geltend gemachten Vergabeverstoß erlangt habe. Die Frist nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB habe gemäß § 187 Abs. 1 BGB am 24.12.2021 zu laufen begonnen und endete am 02.01.2022, weswegen die Rüge vom 03.01.2022 verspätet erhoben worden sei.
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Die Antragsgegnerin führte weiter aus, dass der Nachprüfungsantrag auch unbegründet sei. So habe die Antragsgegnerin durch ihre Verfahrensgestaltung weder gegen § 134 GWB verstoßen noch sei das bezuschlagte Produkt der Beigeladenen auszuschließen gewesen. Die Vorgaben der Leistungsbeschreibung seien eingehalten worden, sowohl was den Luftvolumenstrom als auch den Schalldruckpegel sowie die Wandbefestigung betreffe.
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Mit Beschluss vom 25.01.2022 wurde die für den Zuschlag vorgesehene Bieterin zum Verfahren beigeladen.
26
Mit Schriftsatz vom 16.02.2022 nahm die Beigeladene Stellung zum Vorbringen der Antragstellerin. Sie führte aus, dass die Antragstellerin ihre Rüge verspätet erhoben habe, so dass der Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB unzulässig sei. Darüber hinaus ergebe sich die Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags aus den bereits wirksam erteilten Zuschlagserteilungen an die Beigeladene, die gem. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht mehr aufgehoben werden könnten. Zu einer unzulässigen Verkürzung der Wartefrist nach § 134 Abs. 2 Satz 2 GWB sei es vorliegend nicht gekommen, wie bereits die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung ausgeführt habe. Außerdem ergebe sich die Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags aus der fehlenden Antragsbefugnis der Antragstellerin, § 160 Abs. 2 GWB. Ein Schaden habe für die Antragstellerin nicht eintreten können, da ihr Angebot in Los 1 nur Rang 6 und in Los 4 Rang 4 belegt habe.
27
Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet. Das Gerät der Beigeladenen leiste auf Stufe 3 einen Luftvolumenstrom von 452 m3/h, so dass die Anforderung aus dem Leistungsverzeichnis erfüllt werde. Davon zu unterscheiden sei die Luftreinigungsleistung, welche geringer als der Luftvolumenstrom sei und die die Antragstellerin in ihrer Argumentation herangezogen habe. Auch der Schalldruckpegel halte auf Stufe 3 mit einem Wert von 35 dB(A) die vorgegebene Grenze ein. Bei einer Aufstellung von zwei Geräten in einem Raum bleibe der Summenschallpegel unter der Maßgabe eines ausreichend großen Abstands von etwa 3m zueinander innerhalb der von der Antragsgegnerin vorgegebenen Grenze. Dies könne von der Beigeladenen im Rahmen der Inbetriebnahme garantiert werden. Die Geräte seien außerdem entgegen der Auffassung der Antragstellerin für eine Wandbefestigung geeignet. Schließlich wies die Beigeladene darauf hin, dass ihre Geräte mehrfach unabhängig geprüft worden seien und dabei die Prüfkriterien in allen Punkte erfüllt worden seien. Eine Teststellung durch die Antragsgegnerin habe die Einhaltung der Schalldruckgrenzwerte unter Realbedingungen bestätigt. Der Nachprüfungsantrag sei daher abzuweisen.
28
Mit Schriftsatz vom 09.06.2022 teilte die Antragstellerin mit, dass sie das Gerät der Beigeladenen im Handel käuflich erworben habe und im firmeneigenen Prüflabor sowie bei einem externen Sachverständigen, dem Institut für Industrieaerodynamik an der FH Aachen (IFI), einer technischen Prüfung unterzogen habe. Im Ergebnis bleibe das Produkt der Beigeladenen sehr deutlich sowohl hinter den beworbenen Leistungszusagen als auch hinter den von der Antragsgegnerin aufgestellten Mindestanforderungen zurück. Gemäß beiliegenden Prüfberichten verfüge das Gerät weder über das geforderte Leistungsvolumen noch halte es die maximal zulässige Lautstärke ein. Aus diesem Grund halte die Antragstellerin es für ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin an ihrer Auswahlentscheidung festhalten könne. Stattdessen sei der mit der Beigeladenen geschlossene Vertrag nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB für unwirksam zu erklären, da der Auftrag unter Missachtung der Wartefrist nach § 134 GWB erteilt worden sei.
29
Mit Schriftsatz vom 23.06.2022 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Zuschlag an die Beigeladene bereits erteilt worden sei. Die Beigeladene selbst habe sowohl ausweislich ihrer Angebotsunterlagen als auch mit ihrem Schriftsatz vom 17.02.2022 die Einhaltung der Anforderungen der Leistungsbeschreibung bestätigt. Der Zuschlag sei daher rechtmäßig an das Angebot der Beigeladenen ergangen, da sich die Antragsgegnerin auf das Leistungsversprechen der Beigeladenen verlassen durfte. Dagegensprechende Anhaltspunkte hätten der Antragsgegnerin nicht vorgelegen. Es verbleibe somit dabei, dass der Nachprüfungsantrag unstatthaft und im Übrigen auch unzulässig und unbegründet sei.
30
Die Beigeladene nahm mit Schreiben vom 23.06.2022 Stellung zu den Vorwürfen der Antragstellerin und wies die angebliche Nichteinhaltung der Mindestanforderungen ihres Gerätes entschieden zurück. Gleichzeitig zweifelte sie ihrerseits die von der Antragstellerin durchgeführten Prüfungen als nicht sachgemäß an. Ebenso werde die Unabhängigkeit des von der Antragstellerin beauftragten externen Instituts IFI angezweifelt. Die Beigeladene betonte zudem, dass ihre Geräte im Gegensatz zu anderen Herstellern eine Vielzahl von Prüfgutachten anerkannter Stellen vorweisen könnten, die deren hohe Qualität belegten. Insbesondere die Zertifizierung vom VDI gemäß beiliegendem Prüfbericht sowie die Schalldruckmessung durch die Stadt M… am 17.12.2021 hätten die Einhaltung der Anforderungen aus dem Leistungsverzeichnis belegt.
31
Mit Schreiben vom 28.06.2022 wurden die Parteien zur mündlichen Verhandlung am 21.07.2022 in die Räume der Regierung von Oberbayern geladen.
32
Mit jeweiligem Beschluss der Vergabekammer vom 04.07.2022 sowie 14.07.2022 wurde sowohl der Antragstellerin als auch der Beigeladenen Akteneinsicht gewährt.
33
Mit Schriftsatz vom 12.07.2022 nahm die zwischenzeitlich bestellte Verfahrensbevollmächtigte der Beigeladenen Stellung. Von einem Vertragsschluss unter Verstoß gegen § 134 GWB könne nach ihrer Auffassung keine Rede sein. Die Stillhaltefrist von zehn Kalendertagen habe am 02.01.2022 geendet, so dass am 03.01.2022 der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden durfte. Da der Gesetzgeber in § 134 GWB ausdrücklich eine Frist in Kalendertagen und nicht in Werk- oder Arbeitstagen bestimmt habe, habe er offensichtlich in Kauf genommen, dass sich die Stillhaltefrist in bestimmten Konstellationen faktisch auf drei Arbeitstage verkürzen könne, wenn in diesen Zeitraum Wochenenden und Feiertage fielen, wie es an Weihnachten oder Ostern der Fall sein könne. Der vorliegende Fall sei mit der Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht vergleichbar, da der 24.12. und der 31.12. keine gesetzlichen Feiertage seien. Es werde außerdem davon ausgegangen, dass die Vergabekammer am 31.12.2021 bis 12:00 Uhr besetzt gewesen sei, so dass ein an diesem Tag eingehender Nachprüfungsantrag noch am selben Tag bearbeitet und an die Antragsgegnerin zugestellt worden wäre. Abgesehen davon hätte ein am 01.01. bzw. 02.01.2022 an die Vergabekammer übermittelter Nachprüfungsantrag die Antragsgegnerin ggf. davon abhalten können, am 03.01. den Zuschlag zu erteilen, wenn die Antragstellerin die Antragsgegnerin im Vorfeld darüber informiert hätte.
34
Zudem belege nach Angaben der Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin unter den zuschlagsfähigen Angeboten in Los 1 lediglich Rang 6 und in Los 4 lediglich Rang 4. Sie hätte somit selbst dann keine Chance auf den Zuschlag, wenn das Angebot der Beigeladenen von der Wertung hätte ausgeschlossen werden müssen. Mangels Antragsbefugnis bestehe daher für die Antragstellerin kein berechtigtes Interesse an einer Feststellung der Unwirksamkeit des erteilten Auftrags.
35
Schließlich habe die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Vergabeentscheidung und Auftragserteilung auf die Richtigkeit der Bieterangaben der Beigeladenen sowie die vorgelegten Prüfbescheinigungen vertrauen dürfen. Nach diesen Unterlagen sowie nach der durchgeführten Teststellung der Antragsgegnerin erfüllten die Geräte der Beigeladenen die Anforderungen der Leistungsbeschreibung. Die Ergebnisse der von der Antragstellerin vorgelegten eigenen Testergebnisse seien nicht geeignet, die Vergabeentscheidung in Frage zu stellen.
36
Die Beigeladene beantrage daher in der mündlichen Verhandlung,
1.
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2.
der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Verteidigung notwendigen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen,
3.
die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene für notwendig zu erklären.
37
Die Antragstellerin nahm mit Schriftsatz vom 12.07.2022 Stellung und führte aus, dass sich aus der Akteneinsicht weitere Vergabeverstöße ergeben hätten. Die Antragsgegnerin habe es unterlassen, den Angebotspreis der Beigeladenen aufzuklären, obwohl die Aufgreifschwelle des § 60 VgV erreicht worden sei. Dieser Verstoß sei wegen des bereits erteilten Zuschlags irreversibel und müsse allein aus diesem Grund schon dem Nachprüfungsantrag zum Erfolg verhelfen. Zudem habe die Beigeladene nach Auffassung der Antragstellerin mit ihren Einlassungen zur Schallpegeladdition eine Änderung der Vergabeunterlagen i.S.v. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV eingestanden. Sie habe nämlich ausdrücklich zugegeben, dass die Grenze beim Schalldruckpegel von 35 dB(A) nur eingehalten werden könne, wenn zwei Geräte in einem Raum in einem bestimmten Mindestabstand zueinander aufgestellt würden. Dies gelte jedoch nur unter der Prämisse, dass dies in allen Räumen möglich sei und die Beigeladene über die Aufstellung frei bestimmen könne. Dadurch greife sie zum einen in die Dispositionsfreiheit der Auftraggeberin ein, zum anderen böten ihr die Vergabeunterlagen für diese Annahmen keinerlei Anhaltspunkte. Im Übrigen verbleibe es dabei, dass die Beigeladene zentrale technische Mindestanforderungen nicht erfüllt habe.
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Mit Schriftsatz vom 13.07.2022 beantragte die Beigeladene Akteneinsicht und wiederholte ihr Vorbringen, wonach die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Vergabeentscheidung auf das Leistungsversprechen der Beigeladenen vertrauen durfte. Sie führte weiter aus, dass die Antragstellerin bisher nicht habe geltend machen können, den Auftrag im Fall einer Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrags noch erlangen zu können, da ihre Angebote lediglich den vierten sowie fünften bzw. sechsten Rang unter den zuschlagsfähigen Angeboten erreicht hätten. Eine erneute Initiierung des Vergabeverfahrens, wie von der Antragstellerin angestrebt, scheide nach dem Verständnis der Beigeladenen aus.
39
Die Antragsgegnerin trug mit Schriftsatz vom 18.07.2022 vor, dass sie den Nachprüfungsantrag weiterhin für unstatthaft halte. Zur Begründung erneuerte und vertiefte sie ihre bisherige Rechtsauffassung, wonach kein Verstoß gegen § 134 GWB vorläge und aufgrund des Wertungsrangs der Antragstellerin deren Antragsbefugnis zu verneinen sei. Sie halte an der Rechtmäßigkeit ihrer Zuschlagentscheidung fest. Dazu führte sie aus, dass die von ihr vorgenommene Teststellung in erster Linie zur Überprüfung der Eignung der Geräte in Kindertageseinrichtungen diente. Die dabei vorgenommene Messung des Schalldruckpegels sei nicht Bestandteil der Teststellung gewesen, habe aber die Einhaltung des vorgegebenen Grenzwertes bestätigt. Eine Änderung der Vergabeunterlagen seitens der Beigeladenen i.S.v. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV sei nicht ersichtlich, da die Aufstellung der Geräte als Teil der angebotenen Leistung dem Auftragnehmer übertragen worden sei. Eine Pflicht zur Preisprüfung gem. § 60 Abs. 1 VgV hätte vorliegend nach Auffassung der Antragsgegnerin nicht bestanden. Aus der vorliegenden Vergabedokumentation ließen sich auch keinerlei Rechtsverletzungen der Antragstellerin ableiten. Sofern sich die Antragstellerin auf etwaige Dokumentationsmängel berufe, träfe sie in einem solchen Fall die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Kausalität dieses Mangels für einen ihr entstandenen oder drohenden Schaden. Es fehle hier jedoch an einer derartigen Rechtsverletzung i.S.v. § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB.
40
Am 21.07.2022 fand in den Räumen der Regierung von Oberbayern die mündliche Verhandlung statt. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme. Auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen.
41
Die Antragstellerin nahm im Nachgang zur mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 28.07.2022 Stellung. Sie führte eingangs aus, dass entgegen den Behauptungen der Beigeladenen weder schriftsätzlich noch in der Vergabeakte ein Prüfbericht vorläge, der die Einhaltung der technischen Parameter ihres Produkts, insbesondere zu Volumenstrom und Schalldruckpegel, belege. Der Antragsgegnerin hätten zwischenzeitlich auch konkrete Tatsachen vorgelegen, die das Leistungsversprechen der Beigeladenen als nicht plausibel erscheinen ließen, so dass diesen hätte nachgegangen werden und das Angebot geprüft und aufgeklärt werden müssen. Spätestens nach dem Rügevorbringen der Antragstellerin und der von ihr vorgelegten Prüfberichte hätte die Antragsgegnerin nicht mehr auf das Leistungsversprechen vertrauen dürfen. Der von der Antragstellerin vorgelegte Prüfbericht entspreche sämtlichen fachlichen und rechtlichen Anforderungen, wohingegen der Prüfbericht des Büros Dr. W… verschiedene inhaltliche und messtechnische Defizite aufweise, die die Abweichungen zwischen den verschiedenen Prüfberichten erklären würden. Nach alledem bleibe es beim Ausschluss des Angebots der Beigeladenen wegen Nichterfüllung der Mindestanforderungen.
42
Mit Schriftsatz vom 28.07.2022 nahm auch die Antragsgegnerin Stellung zur Problematik der divergierenden Prüfberichte. Ausweislich der Leistungsbeschreibung habe keine Vorgabe existiert, unter welchem technischen Regelwerk oder Messverfahren die technischen Spezifikationen der angebotenen Produkte zu bestimmen gewesen seien. Die entsprechenden Daten seien im Leistungsverzeichnis als eine Art Eigenerklärung einzutragen gewesen. Der Zuschlag habe auf dieser Grundlage auf das Angebot der Beigeladenen erfolgen dürfen, ein Ausschlussgrund gem. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV liege nicht vor. Zum weiteren Vorbringen der Antragstellerin teilte die Antragsgegnerin mit, dass hinsichtlich der Einhaltung des maximalen Schalldruckpegels bei zwei Geräten in einem Raum die Vorgabe zur korrekten Aufstellung der Geräte auf den Auftragnehmer übertragen worden sei und dieser Vorgabe vorliegend vollumfänglich entsprochen werden könne. Darüber hinaus bestünden Zweifel daran, dass das von der Antragstellerin erworbene Gerät der Beigeladenen der aktuellen Ausbaustufe entspreche. Eine vorgenommene Messung durch ein von der Antragstellerin beauftragtes Prüfinstituts bezogen auf dieses technisch überholte Gerät dürfe daher keinen Ausschlussgrund nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ergeben. Gleichzeitig habe die Beigeladene einen Prüfbericht vorgelegt, dem die Messung eines Geräts der aktuellen Ausbaustufe zugrunde lag und der eine vollständige Erfüllung der Anforderungen der Leistungsbeschreibung nachweise.
43
Die Beigeladene führte mit Schriftsatz vom 28.07.2022 aus, dass nach ihrer Auffassung die von der Antragstellerin vorgelegten Testergebnisse keine Rolle spielten, da nur zu beurteilen sei, ob die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Angebotswertung auf Basis der von der Beigeladenen übermittelten Angebotsunterlagen davon ausgehen durfte, dass das Angebot den Anforderungen der Vergabeunterlagen vollständig gerecht würde. Dies sei hier der Fall mit der Folge, dass sich der Auftraggeber auf das Leistungsversprechen der Beigeladenen verlassen durfte. Die Beigeladene wies zudem darauf hin, dass sich die Messung der Antragstellerin auf ein Gerät der Beigeladenen bezog, das einen technisch weniger ausgereiften Lüfter verbaut gehabt hätte. Der Prüfbericht der Antragstellerin sei daher nicht geeignet, die Angaben der Beigeladenen in Zweifel zu ziehen. Schließlich werde nochmals ein möglicher Verstoß der Antragsgegnerin gegen die zehntägige Stillhaltefrist nach § 134 GWB angezweifelt, die ausschließlich auf Kalendertage abstelle.
44
Der ehrenamtliche Beisitzer hat mit Schreiben vom 15.03.2022 die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle eines Rücknahmebeschlusses auf den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.
45
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
46
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
47
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
48
Gegenstand der Vergabe ist ein Lieferauftrag i. S. d. § 103 Abs. 2 GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 214.000 Euro erheblich.
49
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 - 109 GWB liegt nicht vor.
50
1. Der Nachprüfungsantrag ist allerdings unzulässig.
51
Der von der Antragsgegnerin auf das Angebot der Beigeladenen am 03.01.2022 erteilte Zuschlag ist wirksam und kann von der Vergabekammer nach § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht aufgehoben werden.
52
Der Vertragsschluss vom 03.01.2022 ist nicht gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB unwirksam, weil der Vertrag erst nach Ablauf der Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 GWB von 10 Kalendertagen geschlossen wurde und die faktische Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, sowie für die Abfassung des Nachprüfungsantrags, aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls nicht zu einem Verstoß gegen § 134 GWB führt.
53
Die Antragsgegnerin hat unstreitig formal die Wartefrist von 10 Kalendertagen eingehalten, indem sie die Mitteilung nach § 134 GWB am Nachmittag des 23.12.2021 versendet und den Zuschlagstermin auf Montag, den 03.01.2022 gelegt hat. Auch der Inhalt der Mitteilung nach § 134 GWB entsprach den gesetzlichen Voraussetzungen, so war die Person der Bietergemeinschaft der Beigeladenen in der damaligen Firmierung korrekt angeben und die Begründung für die Nichtberücksichtigung des Angebots der Beigeladenen aufgrund des reinen Preisentscheids ausreichend.
54
Die am Nachmittag des 23.12.2021, einem Donnerstag, versandte Mitteilung der Antragsgegnerin nach § 134 GWB war trotz der durch den Zeitpunkt der Absendung verursachten faktische Verkürzung des Zeitraums der Bieter für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, sowie für die Abfassung des Nachprüfungsantrags wirksam und setzte die 10-tägige Wartefrist in Gang.
55
Zwar enthalten weder die §§ 134 und 135 GWB noch die Rechtsmittelrichtlinie in der Fassung der RL 2007/66/EG Regelungen, wie mit faktischen Verkürzungen des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, innerhalb der laufenden Frist nach § 134 GWB umzugehen ist.
56
Allerdings ist zu beachten, dass gerade in Deutschland, das mit § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB von der in der Rechtsmittelrichtlinie angelegten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, mit einem wirksamen Zuschlag den Primärrechtsschutz ganz entfallen zu lassen, faktische Verkürzungen des Überprüfungs- und Entschließungszeitraums die Möglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes für die Bieter in besonderem Maße beeinträchtigen. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass ein Nachprüfungsantrag seine Rechtswirkung - nämlich den Eintritt des Zuschlagsverbots - nicht bereits mit seiner Anhängigkeit bei der Vergabekammer entfaltet, sondern erst nach seiner Übermittlung an den Auftraggeber nach § 163 Abs. 2 Satz 3, 169 Abs. 1 GWB, also durch eine aktive Handlung der Vergabekammer. Diese muss ebenfalls noch vor der Zuschlagserteilung erfolgen.
57
Aus diesem Grund hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass in Fällen, in denen die Wartefrist so über Feiertage und Wochenenden gelegt wird, dass einem Bieter für die Entscheidung über einen Nachprüfungsantrag nur 4 bis 5 Arbeitstage zur Verfügung stehen, der Lauf der Wartefrist nicht wirksam in Gang gesetzt wird (OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 05.11.2014 - VII-Verg 20/14 und vom 05.10.2016 - VII-Verg 24/16).
58
Die hiesige Fallgestaltung ist allerdings nur teilweise mit den vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fällen vergleichbar. Die faktische Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, trat hier nämlich insbesondere dadurch ein, dass die Antragsgegnerin den Fristbeginn so gelegt hat, dass neben zwei Wochenenden noch der 24.12.2021 und der 31.12.2021 in die 10-Tagesfrist fielen. Diese beiden Tage sind nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 BayFTG keine gesetzlichen Feiertage und damit - da sie im Jahr 2021 nicht auf ein Wochenende fielen - nach § 2 Abs. 3 BurlG Werktage. Allerdings ist an diesen Tagen an der Regierung von Oberbayern dienstfrei. Ein Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Südbayern kann an diesen Tagen nicht gestellt werden. Die gesetzlichen Weihnachtsfeiertage dagegen fielen im Jahr 2021 sämtlich auf Wochenende, ebenso der Neujahrstag 2022.
59
Anders als die Antragsgegnerin meint, kann der Zeitraum für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, auch dadurch unzulässig verkürzt werden, dass der Auftraggeber neben Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen auch die beiden einzigen Werktage im Jahr, an denen die Vergabekammer dienstfrei hat (nämlich den 24.12. und 31.12.) in die Wartefrist nach § 134 Abs. 2 GWB einbezieht.
60
Schon der Wortlaut des § 134 GWB, in dem von Kalendertagen die Rede ist, spricht gegen ein Verständnis, dass die faktische Verkürzung nur durch die Einbeziehung von Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen verursacht werden kann. Maßgeblich ist nur die unangemessene Erschwerung des gemeinschaftsrechtlich geforderten effektiven Rechtsschutzes durch eine erhebliche faktische Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, innerhalb der laufenden Frist nach § 134 GWB.
61
Im vorliegenden Fall führte allerdings nur die Einbeziehung des 31.12.2021 zu einer faktischen Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, innerhalb der laufenden Frist des § 134 Abs. 2 GWB.
62
Auch wenn am 24.12.2021, einem Freitag, vermutlich sehr viele Arbeitnehmer Urlaub hatten, bzw. Unternehmen und Behörden geschlossen waren, war er doch ein Werktag, den die Antragstellerin für die Prüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, hätte nutzen können. Dass die Vergabekammer an diesem Tag geschlossen war, steht dem nicht entgegen, da es unrealistisch ist, dass die Antragstellerin bereits einen Tag nach der Vorinformation nach § 134 GWB einen Nachprüfungsantrag hätte stellen können und es dafür auch keine Notwendigkeit gab. Durch die Einbeziehung des 24.12.2021 hat die Antragsgegnerin den Entschließungszeitraum der Antragstellerin daher nicht faktisch verkürzt.
63
Anders ist die Situation hingegen am 31.12.2021 zu bewerten. Dies war der letzte Werktag innerhalb der laufenden Frist nach § 134 Abs. 2 GWB und die Tatsache, dass an diesem Tag kein Nachprüfungsantrag gestellt werden konnte, führte unmittelbar zu einer faktischen Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, sowie für die Abfassung des Nachprüfungsantrags.
64
Dies hat die Antragsgegnerin auch zumindest billigend in Kauf genommen, da sie keine zwingende Notwendigkeit für einen Zuschlag am 23.12.2021 darlegen konnte.
65
Die Antragsgegnerin war jedenfalls nicht gezwungen, am 23.12.2022 den Zuschlag zu erteilen, um Nachteile bei der Förderung der Beschaffung nach der Förderrichtlinie vom 14. Juli 2021 (Az. Vl/0021.06-3/1307, BayMBl. Nr. 500) zu vermeiden. Zwar waren nach Ziff. 8.2 der Förderrichtlinie Anträge auf Zuwendungen bis zum Ablauf des 31.12.2021 bei der Bewilligungsbehörde einzureichen und die Antragsgegnerin konnte auch darlegen, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt das ausgewählte Angebot gegenüber der Bewilligungsbehörde benennen musste, hieraus ergab sich aber keinesfalls ein Zwang, die Mitteilung nach § 134 GWB unbedingt am 23.12.2021 erteilen. Ein Vertragsschluss bis zum 31.12.2021 war nach der Förderrichtlinie gerade nicht erforderlich. Auf Nachfrage der Vergabekammer, welche konkreten Nachteile sich aus einem Versand der Bekanntmachung am 27. oder 28.12.2021 - wo sich für die Antragstellerin 6 oder 7 faktisch nutzbare Arbeitstage Überprüfungsfrist ergeben hätten, konnte die Antragsgegnerin nur ihr Interesse benennen, etwaige Rügen noch vor dem 31.12.2021 bearbeiten zu können. Angesichts der 10-tägigen Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB konnte die Antragsgegnerin allerdings ohnehin nicht davon ausgehen, dass sie jegliche Rügen vor dem Ablauf der Zuwendungsfrist würde bearbeiten können, dies war nach der Förderrichtlinie auch nicht erforderlich.
66
Bei einem Zuschlag am 03.12.2022 blieben der Antragstellerin unter Berücksichtigung der beiden, in die 10-Tages-Frist fallenden Wochenenden sowie des Silvestertags weniger als fünf volle Arbeitstage, um die Vergabeentscheidung zu bewerten, ggf. zu rügen und um rechtzeitig ein etwaiges Nachprüfungsverfahren einzuleiten - nämlich Freitag, der 24.12.2021 und Montag bis Mittwoch, der 27.12. bis 29.12.2021. Der 30.12.2021 (Donnerstag) kann nicht als voller Arbeitstag mit einbezogen werden, da bis zur Mittagszeit des 30.12.2021 der Nachprüfungsantrag der Vergabekammer hätte übermittelt werden müssen, damit dieser eine Prüfung auf offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit nach § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB sowie eine Information der Vergabestelle vor Ablauf der Wartefrist noch möglich gewesen wäre.
67
Der von der Antragsgegnerin gewählte Versendungszeitpunkt sowie der Zuschlagstermin haben damit dazu geführt, dass den unterlegenen Bietern lediglich etwa 4,5 Arbeitstage zur Verfügung standen, um eine Entscheidung über die Anfechtung der Vergabeentscheidung zu treffen und die entsprechenden rechtlichen Schritte einzuleiten.
68
Ein Zeitraum von ca. 4,5 Arbeitstagen (unter Einschluss des 24.12.) liegt an der alleruntersten Grenze der nach der Rechtsprechung noch tolerierbaren faktischen Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, sowie für die Abfassung des Nachprüfungsantrags (vgl. OLG München, Beschluss vom 30.11.2015 - Verg 7/15; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 05.11.2014 - VII-Verg 20/14 und vom 05.10.2016 - VII-Verg 24/16).
69
Die Verkürzung führt im vorliegenden Fall aber nicht dazu, dass die Wartefrist nach § 134 GWB nicht zu laufen hätte begonnen. Die Antragsgegnerin hat nämlich zu Recht darauf hingewiesen, dass vorliegend auch die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.
70
Nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern hat im vorliegenden Fall nicht die von der Antragsgegnerin verursachte faktische Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung die verspätete Stellung des Nachprüfungsantrags bewirkt, sondern die mangelnde Organisation der Urlaubsvertretung des zuständigen Sachbearbeiters bei der Antragstellerin.
71
Zudem war die Antragstellerin ohne große Entscheidungs- und Überlegungsfrist in der Lage, substantiiert zu rügen und kurzfristig einen Nachprüfungsantrag zu stellen, sobald der zuständige Sachbearbeiter von der Vergabeentscheidung Kenntnis erlangt hatte.
72
Die verspätete Stellung des Nachprüfungsantrags beruht im vorliegenden Fall weniger auf der faktischen Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung als auf einem internen Organisationsfehler bei der Antragstellerin.
73
Als Teilnehmerin an einem Vergabeverfahren musste die Antragstellerin - schon wegen der Förderrichtlinie - mit einer Vergabeentscheidung gegen Jahresende rechnen.
74
Die Mitteilung nach § 134 GWB ist auch nicht nur in den Machtbereich der Antragstellerin gelangt, sondern wurde von dieser auch zur Kenntnis genommen und am 27.12.2021 intern an Herrn P. weitergeleitet. Eine rechtzeitige Reaktion der Antragstellerin wurde allein dadurch verhindert, dass Herr P. offenbar ohne Stellvertretung im Urlaub war und im Unternehmen sonst niemand die Bedeutung und die zeitliche Brisanz der Mitteilung nach § 134 GWB erkannte.
75
Im Übrigen hat die Antragsgegnerin in der Auftragsbekanntmachung auch darauf hingewiesen, dass Bemusterungen bzw. Prüfungen innerhalb von zwei Tagen nach schriftlicher Aufforderung zu ermöglichen sind (vgl. Abschnitt 111.1.3 der Auftragsbekanntmachung). Bei Nichtbeachtung dieser Vorgabe drohte der Ausschluss des Angebots. Insofern musste die Antragstellerin auch aus diesem Grund dafür Sorge tragen, dass inhaltlich ein Ansprechpartner erreichbar ist.
76
Die Antragstellerin hatte dabei die E-Mailadresse „…“ in den Firmenstammdaten der e-Vergabe hinterlegt. Der zuständige Sachbearbeiter Herr P. samt Kontakt-E-Mailadresse waren dabei lediglich als konkrete Ansprechperson für den Fall der Auftragserteilung, der Vereinbarung eines Vorführtermins sowie der Wartungen vorgesehen.
77
Nach den Angaben in ihrem Angebot beschäftigte die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt mindestens 62 Angestellte, sodass es ihr auch in Bezug auf die Größe zuzumuten ist, einen Stellvertreter für Herrn P. vorzuhalten.
78
Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin - hätte eine handlungsbefugte Person rechtzeitig auf die Mitteilung nach § 134 GWB reagiert - keinen längeren Prüfungs- und Entscheidungszeitraum für die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels benötigt hätte. Jedenfalls konnte sie - nachdem der am 03.01.2022 aus dem Urlaub zurückgekehrte Sachbearbeiter P. die Vorinformation zur Kenntnis genommen hatte - am 03. und 04.01.2022 sehr schnell substantiiert rügen und bereits am 06.01.2022 anwaltlich vertreten einen Nachprüfungsantrag stellen.
79
Damit steht nach Auffassung der Vergabekammer fest, dass die Antragstellerin nicht primär durch die faktische Verkürzung des Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden soll, an der rechtzeitigen Stellung des Nachprüfungsantrags gehindert wurde, sondern durch ihre organisatorischen Defizite bei der Vertretung des zuständigen Sachbearbeiters P.
80
Zudem bedurfte die Antragstellerin offenbar keines längeren Zeitraums für die Überprüfung und Entschließung, ob ein Nachprüfungsantrag eingereicht wird. Die Möglichkeit effektiven Rechtsschutz zu erreichen, wurde für die Antragstellerin durch die Versendung der Mitteilung nach § 134 GWB am Nachmittag des 23.12.2021 nicht unzumutbar erschwert. Ein Verstoß gegen § 134 GWB liegt daher nicht vor, so dass eine Feststellung der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB nicht in Betracht kommt.
81
Da der wirksame Zuschlag gem. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht aufgehoben werden kann, kommt es auf die weiteren im Verfahren erörterten Fragen nicht mehr entscheidungserheblich an.
82
3. Kosten des Verfahrens
83
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegenddie Antragstellerin.
84
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
85
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Die Gebühr wird vorliegend auf …,00 EUR festgelegt.
86
Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraftverrechnet.
87
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Vor diesem Hintergrund hat die bisherige Rechtsprechung der Vergabesenate die Beigeladene kostenrechtlich nur dann wie eine Antragstellerin oder eine Antragsgegnerin behandelt, wenn sie die durch die Beiladung begründete Stellung im Verfahren auch nutzt, indem sie sich an dem Verfahren beteiligt (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, Az.: X ZB 14/06). Dafür muss eine den Beitritt eines Streithelfers vergleichbare Unterstützungshandlung erkennbar sein, an Hand derer festzustellen ist, welches (Rechtsschutz-)Ziel eine Beigeladene in der Sache verfolgt (OLG Celle, Beschluss vom 27.08.2008, Az.: 13 Verg 2/08). Ist eine solche nicht ersichtlich, handelt es sich bei den entstandenen Aufwendungen der Beigeladenen nicht um solche zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.02.2010, Az.: 1 VK 76/10).
88
Die Beigeladenehat sich durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag und die Stellung von Anträgen aktiv am Verfahren beteiligt. Hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren wesentlich gefördert und ein Kostenrisiko auf sich genommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2014, VII-Verg 12/03).
89
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters für die Beigeladene wird als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S. 1, S. 2 und 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Eine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung kann im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB von der Beigeladenen nicht erwartet werden. Zur Durchsetzung ihrer Rechte war sie hier aufgrund der komplexen Rechtsmaterie auf anwaltliche Vertretung angewiesen.