Inhalt

Vergabekammer München, Beschluss v. 16.05.2022 – 3194.Z3-3_01-21-62
Titel:

zu Beschluss 21-62

Normenketten:
VgV § 55 Abs. 2
VgV § 57 Abs. 1 Nr. 4
VgB § 60 Abs. 1
1. Definiert ein Auftraggeber keine Mindestanforderungen, sondern fordert ganz allgemein „vergleichbare“ Leistungen, darf er bei der Bewertung der Referenzen keinen zu engen Maßstab anlegen. Die Prüfung der Vergleichbarkeit durch den Auftraggeber muss bei Referenzen, die sich nicht auf eine weitgehend gleiche Leistung beziehen, nachvollziehbar dokumentiert werden.
2. Der Vortrag einer Antragstellerin, dass sie ihr Angebot bereits sehr knapp kalkuliert habe, ist allein kein ausreichender Hinweis darauf, dass ein weiteres niedrigeres Angebot unauskömmlich wäre und vom öffentlichen Auftraggeber zwingend zu überprüfen wäre.
Leitsätze:
1. Beantwortet ein öffentlicher Auftraggeber eine Bieterfrage nicht eindeutig, so kann ein Bieter, der in seinem Angebot eine vertretbare Interpretation der Antwort berücksichtigt, nicht wegen Änderungen der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden.
2. Die Vergabekammer hält für mit elektronischen Mitteln nach § 10 und 11 VgV geführte Vergabeverfahren nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 - Z3-3-3194-1-47-08/17 (zu einem in Papier durchgeführten Vergabeverfahren) geäußerten Rechtsauffassung fest. Durch die Nutzung von Vergabeplattformen zur Angebotsabgabe und Angebotseröffnung, auf Grund der umfassenden elektronischen Protokollierung der Angebotsschritte ist die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering.
Schlagworte:
zu Beschluss 21-62, Vergabe
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 07.09.2022 – Verg 8/22
Fundstellen:
NZBau 2022, 768
LSK 2022, 26559
BeckRS 2022, 26559

Tenor

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen mit Ausnahme der Anwaltskosten der Antragsgegnerin.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von3.210,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war nicht notwendig.

Gründe

I.
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom 16.07.2021 veröffentlichte die Antragsgegnerin eine Ausschreibung für Apothekenleistungen zur Krankenhausversorgung. Als einziges Zuschlagskriterium wurde unter Ziffer II.2.5) der Preis genannt. Unter Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung war zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit die Angabe von mindestens zwei Referenzen über mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Leistungen gefordert.
2
Am 12.08.2021 hat die Antragsgegnerin die Bieterinformation Nr. 2 veröffentlicht. Unter der Ordnungszahl 15 hat sie die Frage, dass Privin „außer Handel“ sei und ob dieses dann als Rezeptur hergestellt werden soll, folgendermaßen beantwortet:
„Privin taucht in den Unterlagen auf, weil es halt noch bis zur „ausser Vertrieb“-Meldung bestellbar war. Wie mit „ausser-Handel“ Artikel umgegangen werden muss, ist Entscheidung der Ausschreibungsgesellschaft.“
3
Drei Bieter, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene, gaben fristgerecht ein Angebot ab.
4
Mit Schreiben vom 07.09.2021 bat die Antragsgegnerin die Beigeladene um Aufklärung ihres Angebots, da nach der Durchsicht des Angebots fehlende Preise aufgefallen seien. Sie bat um Nachreichung bzw. Stellungnahme zu den Positionen 65 (Menge 8), 399 (Menge 9), 1236 (Menge 80), 1416 (Menge 4), 1572 (Menge 30), 1704 (Menge 6), 1705 (Menge 3) zu denen keine Preise angegeben worden seien.
5
Mit Antwortschreiben vom 07.09.2021 erklärte die Beigeladene, dass die Produkte in den Positionen 65, 399, 1236, 1416, 1417, 1572, 1704 und 1705 außer Handel seien und daher kein Preis angeboten werden konnte. Es sei bereits im Warenkorb jeweils als Kommentar vermerkt, dass diese Produkte außer Handel seien.
6
Mit Schreiben vom 28.09.2021 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 134 GWB, dass der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen am 08.10.2021 erfolgen solle, das Angebot der Antragstellerin sei nicht das wirtschaftlichste gewesen.
7
Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 04.10.2021, dass das Informationsschreiben vom 28.09.2021 fehlerhaft gewesen sei, da die Wartefrist nicht eingehalten werde. Ferner rügte sie, dass die Beigeladene ungeeignet sei, da sie nicht über die geforderten Referenzen verfüge. Auch sei bei einem Preisabstand von 2% bereits eine Preisprüfung geboten und nicht wie sonst üblich bei 20%, da die Gewinnmarge bei Krankenhausverträgen traditionell sehr gering ausgeprägt sei und die Preisabstände deshalb ebenfalls gering seien. Da auch das Angebot der Antragstellerin mit „spitzem Bleistift“ kalkuliert worden sei, dränge sich hier der Verdacht eines Angebots mit unauskömmlich niedrigen Preisen auf. Weiter rügte die Antragstellerin, dass die Antragsgegnerin das Verfahren nicht eigenständig geführt habe.
8
Mit Schreiben vom 05.10.2021 half die Antragsgegnerin der Rüge teilweise ab, indem sie das Informationsschreiben vom 28.09.2021 zurücknahm und ein neues mit Datum vom 05.10.2021 versandte, in dem der Zuschlag für den 18.10.2021 angekündigt wurde.
9
In allen anderen Punkten wies die Antragsgegnerin die Rüge mit Schreiben vom 13.10.2021 zurück. Sie erklärte, dass die Beigeladene geeignet sei und über die geforderten Referenzen verfüge. Ein besonderer Preisaufklärungsbedarf liege bei einem Preisabstand von unter 5% auch nicht vor, insbesondere da die Aufgreifschwelle von 20% nicht überschritten sei. Sie habe keine Zweifel an der Auskömmlichkeit der Preise der Beigeladenen. Ferner habe sie sich zwar einer externen Beschaffungsstelle bedient, jedoch habe sie alle wesentlichen Ermessensentscheidungen eigenständig getroffen.
10
Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 14.10.2021 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
11
Die Antragstellerinträgt vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei. Auf Grund ihrer Marktkenntnis gehe die Antragstellerin davon aus, dass die Beigeladene nicht über die geforderten Referenzen verfüge. Zwar habe sie wohl eine vergleichbare Referenz, die anderen Referenzen seien aber von Art und Umfang her nicht vergleichbar, da die entsprechenden Kliniken wesentlich kleiner seien und keine Akuthäuser beträfen, sondern von Rehakliniken seien, welche in der Versorgungsstruktur nicht vergleichbar seien. Insbesondere seien die dort erbrachten Leistungen nicht mit der Leistung von Akuthäusern während der Pandemie vergleichbar. Die im Nachprüfungsverfahren nachgeholte Eignungsprüfung sei fehlerhaft und nicht heilbar, da nicht lediglich eine unterlassene Dokumentation, sondern die Eignungsprüfung selbst nachgeholt wurde.
12
Die Antragstellerin trägt weiter vor, dass sie ihr Angebot mit „spitzem Bleistift“ kalkuliert habe, weshalb das Angebot der Beigeladenen nicht auskömmlich sein könne und deshalb auszuschließen sei. Auch sei bei Krankenhausversorgungsverträgen die Gewinnmarge traditionell sehr gering, weshalb bereits bei einem Preisabstand von 2% eine Preisprüfung geboten wäre. Zudem habe das Weltgeschehen inzwischen zu enormen Preissteigerungen geführt, welche bei der Prüfung der Auskömmlichkeit der Preise zu berücksichtigen gewesen wären.
13
Ferner habe die Antragsgegnerin die Verfahrensführung mehr oder weniger vollständig an einen externen Dienstleister übertragen, diese sei bereits in der Bekanntmachung als Vergabestelle angegeben. Auch das Informationsschreiben gemäß § 134 GWB sei von diesem im eigenen Namen erstellt und versendet worden. Weiter dürfe die Angebotseröffnung nicht auf externe Dritte delegiert werden. Dies stelle eine unzulässige Delegation dar, die Antragsgegnerin hätte die wesentlichen Maßnahmen und Entscheidungen selbst und eigenverantwortlich treffen müssen. Das reine Absegnen der einzelnen Verfahrensschritte durch kurze Mails genüge hierfür nicht. Fehlende Manipulationsgefahr sei kein Argument, die Delegation der Angebotseröffnung auf Dritte zuzulassen, vielmehr obliege es der Antragsgegnerin die Vertraulichkeit der Angebote sicherzustellen.
14
Das Verfahren sei zudem zurückzuversetzen und die Vergabeunterlagen hinsichtlich des auf Grund der Covid-19-Pandemie veränderten Beschaffungsbedarfs neu zu formulieren. Auch seien die Vertragsbedingungen hinsichtlich der Ukraine-Krise und der daraus resultierenden Preissteigerungen im Material-, Energiesowie Kraftstoffbereich zu berücksichtigen und entsprechende Preisgleitklauseln einzufügen.
15
Die Antragstellerinbeantragt
1. Die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens gemäß §§ 160 ff. GWB;
2. Dem Antragsgegner zu untersagen, wie im Bieterinformationsschreiben vom 05.10.2021 angekündigt, den Zuschlage an die K-Apotheke […] zu erteilen und dem Antragsgegner aufzugeben, die K-Apotheke […] wegen Nichterfüllung der Eignungskriterien auszuschließen und die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer und der Rechtsposition der Antragstellerin zu wiederholen, hilfsweise das Vergabeverfahren aufgrund der an erheblichen Rechtsfehlern leidenden Durchführung in die Phase vor Angebotsaufforderung rückzuversetzen;
3. Der Antragstellerin Akteneinsicht gemäß § 165 GWB zu gewähren;
4. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Antragstellerin für notwendig zu erklären;
5. Dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen.
16
Die Antragsgegnerinbeantragt
1. Den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2.
Festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Antragsgegnerin notwendig gewesen ist,
3.
Der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
17
Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass sie die Referenzen intensiv geprüft habe. Da in der Bekanntmachung jedoch nicht definiert gewesen sei, welche Art und welcher Umfang als vergleichbar angesehen werde, habe die Antragsgegnerin bei der Bewertung keinen zu engen Maßstab anlegen dürfen. Die erste Referenz der Beigeladenen umfasse eine Klinikversorgung mit vergleichbarer Größenordnung und Versorgungsstruktur. Die zweite Referenz sei von der Größenordnung her zwar etwas kleiner, entspreche jedoch in der Art der Versorgungsleistung der geforderten. Damit sei die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen nachgewiesen. Weiter trägt die Antragsgegnerin vor, dass eine Preisprüfung auf Grund des geringen Preisabstandes nicht geboten gewesen sei. Es hätten auch keine anderen konkreten Anhaltspunkte vorgelegen, die einer Aufklärung bedurft hätten. Die Antragsgegnerin habe weder eine Pflicht zur Aufklärung noch Zweifel an der Auskömmlichkeit der Beigeladenen gehabt.
18
Ferner habe die Antragsgegnerin sich zwar einer externen Beschaffungsstelle bedient, sie sei jedoch selbst im Versorgungsvertrag als Vertragspartner aufgeführt. Auch habe die Antragsgegnerin die Vergabeentscheidung sowie alle wesentlichen Entscheidungen eigenständig getroffen und der externen Beschaffungsstelle alle wesentlichen Verfahrensschritte einzeln und explizit freigegeben. Das OLG Düsseldorf habe entschieden, dass ein Vertreter des Auftraggebers im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV jede von ihm ermächtigte Person sein könne, auch eine externe Beschaffungsstelle. Als solcher sei die externe Beschaffungsstelle hier von der Antragsgegnerin zur Angebotseröffnung bemächtigt worden. Ferner bestehe auch keine Manipulationsgefahr, da eine vollständige elektronische Angebotsabgabe- und -öffnung erfolgt sei, die revisionssicher auf den Servern der Vergabeplattform gespeichert sei.
19
Mit Beiladungsbeschluss vom 26.10.2021 wurde die Beigeladene beigeladen.
20
Die Beigeladenestellt keine Anträge, trägt jedoch vor, dass sie geeignet sei. Die zentrale Herstellung spezieller Corona-Medikamente müsse nicht durch die Versorgerapotheke geleistet werden und sei deshalb unerheblich für die Geeignetheit. Die Herstellung durch die Apotheke würde nur wertvolle Zeit verschwenden und zusätzliche Kosten verursachen. Das von der Antragstellerin angesprochene Medikament zeige keine Wirkung gegen die Omikronvariante und werde deshalb nicht mehr eingesetzt. Insgesamt habe dieses Medikament auch nur verschwindend geringe zusätzliche Kosten verursacht. Auch obliege die Prognose der benötigten Arzneimittel allein der Antragsgegnerin und könne als Prognose niemals 100% genau vorausgesagt werden.
21
Ferner weist die Beigeladene daraufhin, dass die externe Dienstleisterin bereits seit 2009 die Ausschreibungen für die Antragsgegnerin führe, die Antragstellerin habe jedoch weder 2009, 2013 noch 2017 die Verfahrensführung beanstandet.
22
Weiter trägt die Beigeladene vor, dass sich der Beschaffungsbedarf nicht geändert habe. Eine 24/7 Leistungsbereitschaft sei Branchenstandard.
23
In ihrem rechtlichen Hinweis vom 29.12.2021 wies die Vergabekammer die Antragsgegnerin zunächst daraufhin, dass ihr keine Dokumentation zur Vergleichbarkeit der Referenzen der Beigeladenen vorläge und forderte sie dazu auf diese nachzureichen.
24
Weiter teilte die Vergabekammer mit, dass sie der Auffassung sei, dass die Antragsgegnerin nicht zu einer Preisprüfung verpflichtet sei. Liege der Preisabstand unter 10% sei nach gängiger Rechtsprechung regelmäßig keine Preisprüfung geboten. Hier liege der Preisabstand deutlich unter 10% und es ließen sich keine weiteren Anhaltspunkte finden, die eine Preisprüfung indizieren würden.
25
Auch sei die Vergabekammer der Ansicht, dass die Antragsgegnerin das Verfahren in zulässiger Weise auf einen Beschaffungsdienstleister übertragen habe. Hinsichtlich der Angebotseröffnung könne die Vergabekammer auf Grund der fehlenden Dokumentation jedoch nicht abschließend beurteilen ob die zwei daran Teilnehmenden Vertreter der Antragsgegnerin oder des Beschaffungsdienstleisters gewesen waren. Ferner gehe aus den eingereichten Unterlagen hervor, dass die Antragsgegnerin der von ihr beauftragten externen Beschaffungsstelle die unmittelbar das Vergabeverfahren betreffenden Entscheidungen in wesentlichen Bereichen selbst getroffen habe und ihr Beschaffungsdienstleister die verwaltungstechnische Tätigkeit der Beschaffung übernommen habe.
26
In einem weiteren rechtlichen Hinweis vom 08.03.2022 teilte die Vergabekammer der Antragstellerin mit, dass sie nach derzeitiger Rechtsauffassung den Nachprüfungsantrag vom 14.10.2021 für unbegründet halte.
27
Auf Grund der nachträglich vorgelegten Dokumentation gehe die Vergabekammer vorläufig von einer Vergleichbarkeit der Referenzen der Beigeladenen aus. Bezüglich der Preisprüfung bleibe die Vergabekammer bei ihrer Auffassung aus dem rechtlichen Hinweis vom 29.12.2021, insbesondere auch da die Parteien hierzu nicht mehr vorgetragen haben.
28
Weiter teilt die Vergabekammer mit, dass sie hinsichtlich der anwesenden Personen bei der Angebotseröffnung künftig nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 - Z3-3-3194-1-47-08/17 getroffenen Rechtsauffassung festhalte, sondern sich der Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf aus dem Beschluss vom 14.11.2018 - Verg 31/18 anschließe. Auf Grund der elektronischen Verfahrensführung insbesondere der umfassenden elektronischen Protokollierungen der Angebotseröffnung durch die Vergabeplattformen, sei die Gefahr der Manipulation verschwindend gering geworden. Auch sehe die Vergabekammer hier keine Anzeichen einer Manipulationsgefahr.
29
In der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2022 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme.
30
Die Beteiligten erläuterten unter anderem, dass die Angabe „außer Handel“ bedeute, dass diese Produkte in Deutschland nicht mehr regulär bezogen werden können. Die Beteiligten erhielten im Nachgang zur mündlichen Verhandlung Schriftsatzfrist zur Stellungnahme, ob die in den Positionen 65, 399, 1236, 1416, 1417, 1572, 1704 und 1705 geforderten Medikamente tatsächlich außer Handel sind.
31
Mit Schriftsatz vom 10.05.2022 erklärten sowohl die Antragstellerin als auch die Antragsgegnerin, dass die im Warenkorb abgefragten Positionen 65, 399, 1236, 1416 und 1417 sowie 1572 sämtlich nicht mehr im Handel seien. Die Positionen 1704 und 1705 seien zwar aktuell noch als „im Vertrieb“ in der Lauer-Taxe gekennzeichnet, allerdings seit Juni 2021 nicht mehr lieferbar und der Hersteller habe angegeben, dass in absehbarer Zeit aufgrund der fehlenden Rohstoffqualität keine Herstellung mehr möglich sei und daher ein Ersatzprodukt angeboten werde. Die Antragstellerin gibt zudem an, dass auch für die Position 399 ein Ersatzpräperat im Handel sei.
32
Der ehrenamtliche Beisitzer hat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.
33
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
34
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig aber unbegründet.
35
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
36
1.1. Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
37
Gegenstand der Vergabe ist ein Lieferauftrag i. S. d. § 103 Abs. 1GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 2 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 214.000 Euro erheblich.
38
1.2. Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt.
39
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt. Die Antragstellerinhat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerinhat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere hinsichtlich der Bewertung der Referenzen der Beigeladenen als vergleichbar und der Bewertung der Preise der Beigeladenen als auskömmlich geltend gemacht.
40
1.3. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 GWB entgegen, da die Antragstellerin alle beanstandeten Punkte am 04.10.2021 gegenüber der Antragsgegnerin rechtzeitig gerügt hat. Dass die A[…] als Beschaffungsdienstleisterin die Ausschreibungen für die Antragsgegnerin bereits in vorangegangenen Verfahren durchgeführt hat und die Antragstellerin sich an diesen Ausschreibungen beteiligt hat, führt insbesondere nicht bereits dazu, dass die Antragstellerin positive Kenntnisse von den internen Abläufen und Abstimmungen der wesentlichen Entscheidungen im Vergabeverfahren gehabt hat und diese hätte früher rügen müssen. Die A[..] ist zwar in der Auftragsbekanntmachung bereits als Auftraggeber angegeben, aber der Vortrag der Antragstellerin ist plausibel, dass ihr erst mit Erhalt des Informationsschreibens nach § 134 GWB, das nur von der A[…] unterzeichnet war, der Verdacht kam, dass die Antragsgegnerin wesentliche Maßnahmen und Entscheidungen an ihren Beschaffungsdienstleister delegiert habe. Diesen Punkt hat sie sodann auch gegenüber der Antragsgegnerin fristgerecht gerügt.
41
2. Der Nachprüfungsantrag istjedoch unbegründet.
42
Die Beigeladene hat insbesondere ihre technische und berufliche Leistungsfähigkeit im geforderten Maße nachgewiesen und ihr Angebot ist nicht wegen Abweichung von den Vergabeunterlagen auszuschließen.
43
2.1. Die Beigeladene hat ihre technische und berufliche Leistungsfähigkeit nachgewiesen, da sie die von der Antragsgegnerin geforderten zwei Referenzen über vergleichbare Leistungen vorgelegt hat.
44
Die Antragsgegnerin hatte in der Ausschreibung mindestens zwei Referenzen über vergleichbare Leistungen gefordert und dieses nicht näher definiert oder Mindestanforderungen für diese benannt und damit einen weiten Maßstab für die Zulässigkeit der geforderten Referenzen geschaffen.
45
Definiert ein Auftraggeber keine Mindestanforderungen, sondern fordert ganz allgemein „vergleichbare“ Leistungen, darf er bei der Bewertung der Referenzen keinen zu engen Maßstab anlegen (OLG Celle Beschluss vom 3.7.2021 - 13 Verg 8/17). Die Vergleichbarkeit einer Referenzleistung wird daran beurteilt, ob sie der ausgeschriebenen Leistung soweit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeiten des Bieters für die ausgeschriebene Leistung zulässt (OLG München Beschluss vom 12.11.2012 - Verg 23/12). Der Begriff „vergleichbare Leistung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der anhand der Vergabeunterlagen und von Sinn und Zweck der geforderten Angaben auszulegen ist. Dabei bedeutet die Formulierung „vergleichbar“ nicht „identisch“ oder „gleich“, sondern dass die Leistung im technischen oder organisatorischen Bereich einen gleich hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad hatte (OLG Frankfurt Beschluss vom 8.4.2014 - 11 Verg 1/14).
46
Die Beigeladene hat eine Referenz eingereicht, welche die Belieferung eines Krankenhauses umfasst, das die doppelte Bettenzahl und mehr Fachbereiche hat, als die Antragsgegnerin. Die zweite Referenz der Beigeladenen bezog sich auf eine Reha- und Akutklinik, welche insgesamt ebenfalls mehr als doppelt so viele Bettenplätze wie die Antragsgegnerin hat und in welcher die Fachbereiche der Akutklinik nach Einschätzung der Antragsgegnerin mit der Kreisklinik Wolfratshausen vergleichbar sind. Beide Referenzen betreffen Apothekenversorgungsleistungen und sind damit mit dem ausgeschriebenen Leistungsgegenstand im streitgegenständlichen Verfahren vergleichbar. Die Antragsgegnerin erklärte, dass auch die Versorgungsleistungen mit Arzeneiprodukten im Bereich der Rehabilitation in Bezug auf die Vorhaltung und die Lieferzeiten mit dem ausgeschriebenen Bedarf ebenfalls vergleichbar seien, so dass die Bettenanzahl beider angegebenen Häuser einen tragfähigen Rückschluss darauf zulasse, dass die Beigeladene den ausgeschriebenen Auftrag zuverlässig ausführen kann.
47
Die Vergabekammer kann aus der von der Antragsgegnerin nachgereichten Dokumentation und den Erläuterungen in ihren Schriftsätzen keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die Antragsgegnerin von fehlerhaften Vorstellungen bei der Beurteilung der Vergleichbarkeit ausgegangen ist.
48
2.2. Die Antragsgegnerin war nicht gemäß § 60 Abs. 1 VgV verpflichtet eine Prüfung der Preise des Angebots der Beigeladenen durchzuführen.
49
Grundsätzlich hat ein anderer beteiligter Bieter Anspruch auf eine Preisprüfung eines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots, da § 60 VgV drittschützende Wirkung entfaltet (BGH Beschluss vom 31.01.2017 - X ZB 10/16). Dies setzt jedoch nach § 60 Abs. 1 VgV voraus, dass der Preis ungewöhnlich niedrig erscheint. Zwar gibt es keinen gesetzlich festgelegten Prozentsatz bei dem von einem unangemessen niedrigen Preis ausgegangen werden muss, da es zahlreiche Gründe für erhebliche Preisschwankungen gibt, die Rechtsprechung geht jedoch davon aus, dass ein Abstand von 20% zum nächstfolgenden Angebot in der Regel Anlass gibt die Angemessenheit des Angebots zu prüfen (u.a. OLG München Beschluss vom - 21.05.2010, Verg 02/10; OLG Düsseldorf Beschluss vom 25.04.2021 - Verg 61/11 und BayObLG Beschluss vom 2.8.2004 - Verg 16/04). Liegt der Preisabstand jedoch unter 10% ist regelmäßig keine Preisaufklärung geboten.
50
Der Preisabstand zwischen der Antragstellerin und der Beigeladenen liegt sehr deutlich unter 10%. Andere Indizien für einen ungewöhnlich niedrigen Preis oder eine Verpflichtung zur Preisprüfung auch deutlich unterhalb der Aufgreifschwelle sind nach derzeitiger Erkenntnis der Vergabekammer nicht ersichtlich. Insbesondere ist allein der Vortrag der Antragstellerin, sie habe ihr Angebot bereits „mit spitzem Bleistift“ kalkuliert kein Hinweis auf die Unauskömmlichkeit des Angebots der Beigeladenen. Es ist vielmehr Ausdruck des Wettbewerbsgedankens, dass alle Bieter ein so günstig wie möglich kalkuliertes Angebot abgeben und gerade bei einem reinen Preiswettbewerb sehr knapp kalkulieren.
51
Die Antragstellerin konnte auch keine Gründe darlegen, warum in dem streitgegenständlichen Verfahren, derart grundlegend von den etablierten Aufgreifschwellen abzuweichen wäre. Die Preisbildung bei Apothekenversorgungsleistungen an Krankenhäuser ist nicht gesetzlich geregelt und unterliegt vollständig wettbewerblichen Grundsätzen. Zudem schreibt der § 13 Abs. 1 des streitgegenständlichen Versorgungsvertrags vor, dass die von der Apotheke erzielten Einkaufspreise ohne Aufschlag weitergegeben werden müssen. Die Antragsgegnerin ist dabei berechtigt anhand der Lieferrechnungen zu überprüfen, ob diese Einkaufspreise tatsächlich ohne Aufschlag weitergegeben werden. Es besteht hierbei bereits vertraglich keine Möglichkeit, ein Unterkostenangebot für den Lieferanteil des Vertrages abzugeben, welcher den absolut überwiegenden Anteil des Auftragswertes ausmacht.
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2.3. Das Angebot der Beigeladenen ist auch nicht gem. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV von der Wertung auszuschließen. Die Beigeladene hat mit dem Vermerk in ihrem Angebot, dass die Positionen 65, 399, 1236, 1416, 1417, 1572, 1704 und 1705 außer Handel sind und daher keine Preise angeboten werden können, keine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vorgenommen.
53
Wie die Bieter mit Positionen, welche „außer Handel“ sind, umgehen sollten, war von der Antragsgegnerin auch auf Nachfrage nicht eindeutig bestimmt worden. Das Vorgehen der Beigeladenen in diesen Positionen keine Preisangabe zu machen und stattdessen zu vermerken, dass das Produkt „außer Handel“ sei, war damit zulässig.
54
Die Antragstellerin ist durch die unklare Vorgabe der Antragsgegnerin auch nicht in ihren Rechten verletzt, da es sich nur um wenige Positionen mit geringen Mengen handelt, so dass die Preisangaben in diesen Positionen bzw. ihre Streichung aus der Wertung keinen Einfluss auf die Bieterreihenfolge hatten.
55
2.3.1. Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.03.2017, Verg 54/16). Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen. Maßgeblich ist hinsichtlich der Vergabeunterlagen der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter (vgl. BGH, Beschluss vom 15.01.2013, X ZR 155/10). Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist. Maßgeblich ist nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen versteht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.04.2016 - 15 Verg 1/16). Dies setzt jedoch voraus, dass Gegenstand und Inhalt der Leistung entsprechend § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB eindeutig beschrieben sind. Verstöße gegen interpretierbare oder missverständliche bzw. mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen führen somit nicht zum Angebotsausschluss (BGH, Urteil vom 3.4.2012, X ZR 130/10).
56
Im vorliegenden Vergabeverfahren waren im Warenkorb mehrere Positionen gefordert, welche zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe „außer Handel“ waren. Die Parteien haben dies übereinstimmend für die Positionen 65, 399, 1236, 1416 und 1417 sowie 1572 erklärt. Lediglich für die Positionen 1704 und 1705 (Toluidinblau-Ampullen) ist der offizielle Status noch als „im Vertrieb“, jedoch seit Juli 2021 bereits nicht mehr lieferbar. Hierzu gibt der Hersteller selbst an, dass auf Grund mangelnder Rohstoffqualität in absehbarer Zeit keine Herstellung mehr möglich sei und verweist auf ein Alternativprodukt.
57
Die Antragsgegnerin hat auf eine Bieterfrage, wie mit den Positionen 1416 und 1417 umgegangen werden soll, da diese außer Handel seien, keine eindeutige Antwort gegeben und lediglich darauf hingewiesen, dass diese Positionen noch in den Warenkorb aufgenommen worden seien, da sie bis zur Meldung „außer Vertrieb“ noch bestellbar waren und die Antragstellerin entscheide, wie sie mit „außer Handel“ Produkten umgehe.
58
Die Bieter hatten auf Grund dieser Antwort überhaupt keine Vorgabe, wie mit den Positionen umzugehen war, welche „außer Handel“ oder „außer Vertrieb“ waren. Damit durfte weder das Angebot der Beigeladenen, welche für diese Positionen keine Preise angab und auf den „außer Handel“ Status hinwies, noch das Angebot der Antragstellerin, welche für diese Positionen den früheren Preis angeboten hat und angenommen hat, nach § 13 Abs. 1 des Versorgungsvertrags passende Ersatzprodukte liefern zu dürfen, ausgeschlossen werden. Beide Vorgehensweisen weichen nicht von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses ab, da die Antragsgegnerin durch die unzureichende Beantwortung der entsprechenden Bieterfrage, den Bietern explizit keine Vorgaben gemacht hat, wie sie mit nachgefragten Produkten, die „außer Handel“ oder „außer Vertrieb“ sind, umzugehen haben. Die Antragsgegnerin hat es damit nicht nur versäumt, den Bietern klare Anweisungen zu geben, wie Positionen, die „außer Handel“ sind im Warenkorb zu behandeln sind, sondern war in der Antwort auch noch unklar, ob sich dies nur auf den Status „außer Handel“ oder auch auf die ebenfalls erwähnte „außer Vertrieb“ Meldung bezog. Die Beigeladene durfte auf Grund der Antwort auf die Bieterfrage daher davon ausgehen, dass sie Produkte nicht anbieten müsse, welche außer Handel sind oder nicht mehr hergestellt werden, und hat diese Positionen in ihrem Angebot entsprechend vermerkt.
59
2.3.2. Die Antragstellerin ist durch die Unklarheit, wie mit Positionen, die „außer Handel“ oder „außer Vertrieb“ sind, zu verfahren ist jedoch nicht in ihren Rechten verletzt, da sich diese Unklarheit nicht auf ihre Zuschlagschancen ausgewirkt hat.
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Bei den fraglichen Positionen handelt es sich um lediglich 8 von 1892 Positionen, welche insgesamt ca. 0,3% der Angebotssumme der Antragstellerin ausmachen. Die Antragstellerin hat bei der Wertung diese 8 Positionen bei keinem der Bieter berücksichtigt und die Beigeladene hat den niedrigsten Wertungspreis angeboten. Der Preisabstand ist dabei so groß, dass selbst dann, wenn die Beigeladene diese wenigen Positionen zum dreifachen Preis der Antragstellerin angeboten hätte, wenn diese Positionen nicht „außer Handel“ oder „außer Vertrieb“ gewesen wären, das Angebot der Beigeladenen noch immer deutlich günstiger gewesen wäre als das Angebot der Antragstellerin. Es ist daher nicht ersichtlich, dass sich die Zuschlagschancen der Antragstellerin verschlechtert hätten, weder durch die Aufnahme der Positionen 65, 399, 1236, 1416, 1417, 1572 sowie 1704 und 1705 in den Warenkorb noch durch die fehlende Anweisung, wie im Fall von Produkten zu verfahren ist, die „außer Handel“ oder „außer Vertrieb“ sind.
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2.4. Die Antragsgegnerin hat das Verfahren im vorliegenden Umfang zulässigerweise auf einen Beschaffungsdienstleister übertragen. Die Antragsgegnerin hat sich mit den unmittelbar das Vergabeverfahren betreffenden Entscheidungen wie der Fassung der Vergabeunterlagen, der Frage nach weiterem Aufklärungsbedarf oder der Nachforderung von Unterlagen sowie der Preiswertung mit den Vorschlägen des Beschaffungsdienstleisters befasst und diese genehmigt, bevor dieser die für die Umsetzung notwendigen einzelnen verwaltungstechnischen Schritte unternommen hat.
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Der Auftraggeber muss sich als „Herr des Verfahrens“ mit den im Vergabeverfahren getroffenen Entscheidungen ausreichend befasst haben. Um dies zu gewährleisten und um zu verhindern, dass die Entscheidungszuständigkeit nur formal bei der Vergabestelle verbleibt und zur leeren Hülle verkommt, kann der Auftraggeber nur bestimmte Aspekte an einen externen sogenannten Beschaffungsdienstleister übergeben (vgl. OLG Naumburg Beschluss vom 26.2.2004 - Verg 17/03). Der Beschaffungsdienstleister darf lediglich rein verwaltungstechnische Tätigkeiten, wie beispielsweise das Zusammenstellen und Prüfen von Unterlagen und das Protokollieren des Vergabeverfahrens, durchführen. Unmittelbar das Vergabeverfahren betreffende Entscheidungen, wie beispielsweise die Fassung des Leistungsverzeichnisses, die Entscheidung ob und welche Unterlagen nachgefordert werden und die Angebotswertung obliegen dem Auftraggeber selbst und können nicht vollständig auf den Beschaffungsdienstleister übertragen werden (vgl. OLG Düsseldorf Beschluss vom 16.10.2019 - VII-Verg 6/19).
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Aus der eingereichten Vergabedokumentation und der Anlage AG 03 aus dem Schriftsatz vom 28.10.2021 geht jedoch hervor, dass die Antragsgegnerin die unmittelbar das Vergabeverfahren betreffenden Entscheidungen in ausreichendem Maße selbst getroffen hat und ihre Beschaffungsdienstleiterin die verwaltungstechnischen Tätigkeiten der Beschaffung übernommen hat.
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Die Freigabe der Vergabeunterlagen zur Veröffentlichung nach einer Überprüfung durch Mitarbeiter der Antragsgegnerin wurde ausdrücklich von der Antragsgegnerin per Mail vom 13.07.2021 erteilt. Außerdem hat die Antragsgegnerin nach der Angebotseröffnung und Prüfung der Unterlagen keinen weiteren Aufklärungs- oder Nachforderungsbedarf gesehen und mit E-Mail vom 17.08.2021 angeordnet, dass die weiteren Verfahrensschritte von der Beschaffungsdienstleisterin angegangen werden können. Anschließend wurden die von der Beschaffungsdienstleisterin vorbereitete Angebotsliste, ein Preisspiegel über alle Positionen und Angebote aller Bieter durch einen Oberarzt der Antragsgegnerin fachlich geprüft. Die Antragsgegnerin hatte diesbezüglich keine Beanstandungen und hat dies per Mail am 20.09.2021 an ihre Beschaffungsdienstleisterin gemeldet. Auch die Zuschlagsentscheidung selbst, der ein reiner Preisentscheid zugrunde liegt, wurde von der Antragsgegnerin mit E-Mail vom 28.09.2021 durch die Freigabe der Bieterschreiben zum Versand nachvollzogen und genehmigt.
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An der hinreichenden eigenständigen Verfahrensführung ändert es auch nichts, dass die Beschaffungsdienstleisterin der Antragsgegnerin die Antwort der Antragstellerin als Bestandsdienstleisterin auf eine Rückfrage zu „außer Handel“ Artikeln, unbearbeitet und damit inhaltlich defizitär weitergegeben hat. Die inhaltlich unzureichende Antwort auf die Bieterfrage hat gerade den Beschaffungsgegenstand nicht verändert, da die Positionen, welche außer Handel oder nicht lieferbar waren, gerade nicht ohne Rücksprache mit der Auftraggeberin aus dem Warenkorb ausgenommen wurden.
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Die Vergabekammer hält für mit elektronischen Mitteln nach § 10 und 11 VgV geführte Vergabeverfahren nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 - Z3-3-3194-1-47-08/17 (zu einem in Papier durchgeführten Vergabeverfahren) geäußerten Rechtsauffassung fest. Sie schließt sich der Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf aus dem Beschluss vom 14.11.2018 - Verg 31/18 an, da durch die inzwischen im absoluten Regelfall durchzuführende elektronische Durchführung des Vergabeverfahrens, insbesondere durch die Nutzung von Vergabeplattformen zur Angebotsabgabe und Angebotseröffnung, auf Grund der umfassenden elektronischen Protokollierung der Angebotsschritte die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering ist. Die Vergabekammer Südbayern sieht im vorliegenden Verfahren keinerlei Hinweise auf eine Manipulationsgefahr bei der Angebotseröffnung, so dass die Vertreter des Auftraggebers im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV auch Mitarbeiter eines von dem öffentlichen Auftraggeber hierzu ermächtigten Beschaffungsdienstleister sein können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.11.2018 - Verg 31/18).
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2.5. Die streitgegenständliche Ausschreibung ist auch nicht deshalb zurückzuversetzen, weil sich der Beschaffungsbedarf der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie grundlegend verändert oder erweitert hätte. Die Antragstellerin hat diesbezüglich nicht hinreichend und detailliert genug dargelegt, warum und wie sich der Beschaffungsbedarf der Antragstellerin konkret geändert hat. Als aktuelle Bestandsdienstleisterin wäre ihr das jedoch auf Grund der bei ihr eingegangenen Bestellungen auch möglich gewesen.
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Vielmehr erscheint der Vortrag der Antragsgegnerin bzw. der Beigeladenen plausibel, dass die Versorgung von Corona-Patienten langfristig keine wesentlichen Änderungen darstellen, da bei einem Warenkorb mit 1892 nur 42 mit der Corona-Pandemie neu hinzugekommene Medikamente keine wesentlichen Änderungen darstellen. Der tatsächliche Bedarf von Medikamenten im Krankenhaus unterliegt unvorhersehbaren Schwankungen und es kommen stets neu entwickelte und verbesserte Präparate hinzu.
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2.6. Die streitgegenständliche Ausschreibung ist auch nicht auf Grund fehlender Preisanpassungsklauseln zurückzuversetzen. Nach § 13 Abs. 1 des Versorgungsvertrages sind die Einkaufspreise für die Arzneimittel als solche unverändert an die Kliniken weiterzureichen, folglich auch die hierbei zu erwartenden Preissteigerungen. Für den vom Auftragswert weit überwiegenden Teil der Lieferung der Arzneimittel gibt es damit bereits eine automatische Preisanpassung.
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Hinsichtlich der Vergütungspauschale für die Dienstleistungen ergibt sich aus § 14 Abs. 3 des Versorgungsvertrags, dass jeweils zum Ende des Kalenderjahres eine Angleichung des Entgelts neu verhandelt werden kann, wobei hier die Höhe der Angleichung auf maximal 2% gedeckelt ist. Der Versorgungsvertrag enthält damit auch eine Möglichkeit der Preisanpassung.
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Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass die aktuelle hohe Inflationsrate wahrscheinlich zu erheblichen Kostensteigerungen in Bezug auf tarifliche Löhne und den Mindestlohn führen wird, ist dies ein potentielles, noch nicht verwirklichtes unternehmerisches Risiko, das üblicherweise in die Risikosphäre eines Unternehmers fällt. Insbesondere steigen die Erzeugerpreise für Verkehr und Lagerung bereits seit dem 4. Quartal 2020 an, so dass diese Entwicklung bei der Angebotskalkulation bereits bekannt hätte sein müssen und entsprechend vom Antragsteller eingepreist werden können. Zudem sind die angebotenen Preise für die Bettenpauschale nach § 13 Abs. 3 des Versorgungsvertrags nur bis Ende 2023 verbindlich und bei einer Vertragsverlängerung würden die Konditionen nach § 15 Abs. 1 des Versorgungsvertrags neu verhandelt werden. Die vertragliche Festschreibung der Preise beträgt damit derzeit auch nur noch eineinhalb Jahre mit der Möglichkeit am Jahresende bereits eine Preisanpassung um 2% vorzunehmen.
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Vor diesem Hintergrund sieht die Vergabekammer Südbayern keine unzumutbaren Preis- oder Kalkulationsrisiken, die signifikant über das gewöhnliche unternehmerische Risiko hinausgehen.
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3. Kosten des Verfahrens
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Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Antragstellerin.
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Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
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Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem potentiellen Auftragswert in linearer Interpolation des Gebührenrahmens eine Gebühr von 2.310,00 €. Es liegen keine Gründe dafür vor, welche eine Reduktion der Gebühr auf Grund verminderten Arbeitsaufwands bei der Vergabekammer angezeigt erscheinen lassen.
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Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraftverrechnet.
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Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
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Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird nicht als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen, da im vorliegenden Fall lediglich einfache Rechts- und Verfahrensfragen im Streit standen. Die Vergabestelle eines öffentlichen Auftraggebers muss dazu in der Lage sein, eine einfache Eignungsprüfung zur Vergleichbarkeit von Referenzen durchzuführen (OLG Celle, Beschluss vom 05.11.2020 - 13 Verg 7/20), sowie grundlegende Kenntnisse zur Preisprüfung und den dazugehörigen Aufgreifschwellen haben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.03.2020 - Verg 38/18). Auch hinsichtlich der Übertragung der Durchführung eines Vergabeverfahrens an einen Beschaffungsdienstleister muss die Vergabestelle des öffentlichen Auftraggebers zwingend das Wissen darüber innehaben, welche einzelnen Verfahrensschritte sie nicht auf den Beschaffungsdienstleister übertragen kann und in welchem Umfang sie selbst auf das Vergabeverfahren noch einwirken muss.
80
Die Antragsgegnerin hat zudem selbst in keinem ihrer Schriftsätze begründet, warum die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters in diesem Fall notwendig gewesen wäre.
81
Auch wenn die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen der Beigeladenen entscheiden.
82
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Die Beigeladenehat sich durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag aktiv am Verfahren beteiligt. Hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren wesentlich gefördert (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2014, VII-Verg 12/03). Die Beigeladene hat sich jedoch im Verfahren selbst vertreten, so dass über die Notwendigkeit der Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters nicht zu entscheiden war.