Inhalt

LG Hof, Endurteil v. 31.03.2022 – 24 O 157/21
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Audi A4)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
StGB § 263
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Koblenz BeckRS 2020, 6348; OLG München BeckRS 2022, 18805; BeckRS 2022, 23390; BeckRS 2021, 54742; BeckRS 2021, 54495; BeckRS 2021, 54503; OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2020, 46880; OLG Stuttgart BeckRS 2021, 3447; BeckRS 2020, 51258; OLG Dresden BeckRS 2020, 51343; OLG Bamberg BeckRS 2022, 18709; BeckRS 2022, 25139; BeckRS 2022, 25141; BeckRS 2022, 26381; BeckRS 2022, 26426 sowie BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Fahrkurve ist auch als Erkennung des NEFZ-Prüfzyklus zulässig, wenn hierdurch die Wirkung von Emissionskontrollsystemen nicht manipulativ verringert wird. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das KBA hat im Rahmen seiner Untersuchungen zum Motor EA 288 festgestellt, dass die Grenzwerte in den Prüfverfahren auch bei Deaktivierung der Fahrkurve nicht überschritten worden sind, woraus der Rückschluss gezogen werden kann und muss, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorliegt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das OBD ist ein reines Fahrzeugdiagnosesystem, das während des Fahrbetriebes u.a. die abgasbeeinflussenden Systeme überwacht und auftretende Fehler anzeigt; eine Einflussnahme auf die Stickoxidwerte liegt beim OBD hingegen nicht vor. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, (kein) Rückrufbescheid, Thermofenster, OBD, Fahrkurvenerkennung, Aufheizstrategie, Manipulation AdBlue-Verbrauch, Einwirken auf Schaltpunkte des Getriebes
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 25.08.2022 – 6 U 26/22
OLG Bamberg, Beschluss vom 19.09.2022 – 6 U 26/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 26382

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei macht mit ihrer Klage Schadensersatzansprüche aus u.a. § 826 BGB wegen behaupteter vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen die Beklagte geltend und begehrt die Rückerstattung des Kaufpreises für den streitgegenständlichen Pkw abzüglich Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw.
2
Die Klagepartei erwarb am … bei der Auto … den Pkw …, Erstzulassung … mit einem Kilometerstand von … km zum Preis von … Euro (vgl. Anlage K1a). Am … wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von … auf.
3
Der Kaufpreis wurde über ein Darlehen finanziert (Anlage …). Das Darlehen wurde von der Klagepartei vollständig zurückgezahlt. Die Kreditkosten betrugen insgesamt … €.
4
In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 288 mit der Abgasnorm Euro 6 verbaut, dessen Hersteller und Entwickler die Beklagte ist.
5
Das Fahrzeug ist nicht von einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrzeugbundesamtes wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.
6
Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem sog. „Thermofenster“ ausgestattet und verfügt über einen SCR-Katalysator (Stichwort „AdBlue“), der bei Erstzulassung unstreitig mit einer sog. Fahrkurve versehen war. Die Fahrkurvenerkennung wurde am … im Rahmen einer freiwilligen Serviceaktion entfernt (s. Bl. … d.A.).
7
Das Thermofenster als temperaturabhängige Abgasrückführung (im folgenden AGR) wird in sämtlichen in der Europäischen Union produzierten Dieselfahrzeugen mit Abgasrückführung eingesetzt. Streitig ist hier der konkrete Temperaturbereich des Thermofensters. Bei der Abgasrückführung wird grundsätzlich ein Teil des Abgases - gekühlt - in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeführt und dort der zum Zwecke des Verbrennungsprozesses angesaugten Frischluft beigemengt. Dieser Prozess dient der Reduzierung des Ausstoßes von Stickoxid durch erneute Verbrennung - zumindest eines Teiles - der Abgase. Findet die Rückführung des Abgases bei zu niedrigen Temperaturen statt, kommt es zur Kondensation von Abgasbestandteilen und zu Ablagerungen an Bauteilen des Abgasrückführungssystems. Streitig ist, inwieweit insofern gegensteuernde Maßnahmen durch Einsatz des Thermofensters zum Motorschutz erforderlich sind.
8
Bei Fahrzeugen mit einem SCR-System wird dem Abgas bei der Nachbehandlung die wässrige Harnstofflösung AdBlue beigemischt, die durch die hohen Temperaturen im Abgassystem in Ammoniak umgewandelt wird. Hierdurch wird unter bestimmten physikalischen Bedingungen die weitgehende Umwandlung von Stickoxid-Rohemissionen in ungefährliche Stoffe ermöglicht. Die verbaute Fahrkurve führt dazu, dass nach Erreichen der für die optimale Funktionsfähigkeit des SCR erforderlichen Betriebstemperatur von ca. 200 °C (regelmäßig im letzten Teil des NEFZ) die bis dahin hohe Abgasrückführungsrate weiter bestehen bleibt, wodurch die Stickoxidemissionen sinken.
9
Die im Juli 2016 aktualisierte „Applikationsrichtlinie & Freigabevorgabe EA 288“ vom 18.11.2015 (vorgelegt als Anlage K… der Klagepartei) sieht vor, dass in Fahrzeugen ab Produktionsbeginn SOP (Start of Production = SOP) 47/2015 die „Fahrkurve“ nicht mehr verbaut wird. Bei bereits „im Feld befindlichen“ Fahrzeugen ist vorgesehen, die Fahrkurve im Rahmen von Servicemaßnahmen spätestens im Jahr 2018 auszubauten.
10
Motoren des Typs EA 288 wurden vom Kraftfahrtbundesamt im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur bereits seit Ende 2015/Anfang 2016 intensiven Untersuchungen unterzogen, deren Ergebnisse im Bericht der „Untersuchungskommission Volkswagen“ im April 2016 und Juni 2017 veröffentlicht wurden (Anlage …). Weitere Untersuchungen wurden ab 2017 vorgenommen.
11
Die Klagepartei behaupte, dass das Fahrzeug mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet sei, um bei Abgastests im Prüfstand stand die zulässigen Abgaswerte zu erreichen. Die Abschalteinrichtungen würden erkennen, ob sich das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befinde. Auf dem Prüfstand würden sodann Werte erreicht, die ohne die unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht erreicht werden könnten.
12
Das Thermofenster führe dazu, dass die Abgasrückführung bei bestimmten Außentemperaturen, z.B. unter 15° C, reduziert oder ganz abgeschaltet werde. Ausgehend von den klimatischen Bedingungen funktioniere die Abgasreinigung die meiste Zeit des Jahres nicht. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei daher mit einer Abschalteinrichtung versehen, um auf dem Prüfstand die zulässigen Abgaswerte zu erreichen, indem die Motorsteuerung im Prüfstandlauf die Abgasreinigung verbessere und für einen geringeren Stickoxidausstoß sorge. Das Thermofenster sei nicht ausnahmsweise zulässig, weil es zum Bauteilschutz nicht zwingend notwendig sei.
13
Die verbaute Software, die über die sogenannte „Fahrkurve“ des NEFZ anhand eines Zeit-Geschwindigkeit-Profils ermittelt, ob sich das Fahrzeug im Prüfstandslauf befinde, steuere beim Erkennen des NEFZ eine Reduzierung der Stickoxidemissionen durch Maßnahmen bei der Abgasreinigung. Die interne „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien und Freigabevorgaben EA 288“ liefere den Beweis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in Verbindung mit einer Prüfstandserkennung im Motor Typ EA 288 eingebaut sei. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund Software verbaut sei, die ohne jede Auswirkung wieder entfernt werden könne, wie dies die Applikationsrichtlinie vorsieht, die mithin also keinerlei Nutzen habe. Die Software erkenne die Prüfstandsituation insbesondere durch den Lenkwinkeleinschlag. Sobald das Lenkrad um mehr als 15° gedreht werde, was auf dem Prüfstand normalerweise nicht der Fall, dafür im Straßenverkehr hingegen völlig normal sei, schalte die Software um.
14
Nach Erkennung des Prüfstands werde eine unzulässige Aufheizstrategie für den SCR-Katalysator verwendet. Die Software werte physikalische Größen wie z.B. die Umgebungstemperatur aus. Komme die Software zum Ergebnis, dass sich das Fahrzeug auf dem Rollenprüfstand befinde, aktiviere sie die Aufheizstrategie, die dazu führe, dass der SCR-Katalysator schnell auf Betriebstemperatur gebracht werde. Im Straßenverkehr sei diese Funktion deaktiviert mit der Folge, dass der. SCR-Katalysator länger benötige, um seine Betriebstemperatur zu erreichen. Aufgrund des Warmlaufprogramms habe es einen Rückruf des KBA gegeben, dass die Aufheizstrategie als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft habe und einen entsprechenden amtlichen Rückruf veranlasst habe.
15
Die Klagepartei führt weiter aus dass durch die Steuerungssoftware bei Fahrzeugen mit SCR-Katalysator die AdBlue-Dosierung derart geregelt werde, dass sie nicht während der gesamten Fahrzeit in Aktion sei. Überwiegend werde weniger oder gar kein AdBlue zugeleitet, wodurch entsprechend mehr Stickoxid ausgestoßen werde. Auf dem Prüfstand hingegen werde ausreichend Harnstoff genutzt, um die Emissionen auf die vorgegebenen Grenzwerte zu reduzieren.
16
Des Weiteren werde nach Erkennen des Prüfstands auf die Schaltpunkte des Getriebes eingewirkt. Ab einer bestimmten Drehzahl werde die Abgasreinigungsanlage vollständig abgeschaltet.
17
Auch habe die Beklagte Manipulationen am Ladeverhalten der Autobatterie vorgenommen, indem diese auf dem Prüfstand - anders als im normalen Fahrbetrieb - nicht über die Lichtmaschine nach geladen werde.
18
Schließlich habe die Beklagte in dem streitgegenständlichen Fahrzeug auch ein manipuliertes On Board Diagnosesystem (OBD) verwendet, welches als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen sei.
19
Die Klagepartei habe zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages keinerlei Kenntnis von der Existenz der Abschalteinrichtungen und der fehlenden Zulassungsfähigkeit gehabt. Sie sei davon ausgegangen, ein mangelfreies Fahrzeug zu erwerben. Gesetzeskonformität sowie uneingeschränkte Fahrmöglichkeit seien entscheidend für den Kauf des Fahrzeugs gewesen. Wären der Klagepartei die tatsächlichen Gegebenheiten bekannt gewesen, hätte sie vom Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeuges Abstand genommen.
20
Die Klagepartei behauptet weiter, dass sowohl der Vorstand wie auch zahlreiche Mitarbeiter der Beklagten Kenntnis vom Einsatz der illegalen Abschalteinrichtungen gehabt und diese auch gebilligt hätten. Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig gewesen, da die vorgenommene Programmierung der Motorsteuerungssoftware gesetzeswidrig, weil nicht zulassungsfähig und deswegen mangelhaft, gewesen sei.
21
Die Klagepartei habe einen Schäden erlitten, der im Abschluss des Kaufvertrages über ein nicht zulassungsfähiges Fahrzeug zu sehen sei. Es handele sich um eine Belastung mit einer wirtschaftlich nachteiligen und ungewollten Verpflichtung. Es bestehe die Gefahr der Betriebsuntersagung und Außerbetriebsetzung. Zudem habe das Fahrzeug einen erheblichen Wertverlust erlitten.
22
Die Klagepartei beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des … Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer … an die Klagepartei … € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich … € zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer … im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von … € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
23
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
24
Die Beklagte behauptet, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien. Denn dies setze voraus, dass auf die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems eingewirkt werde. Es sei im streitgegenständlichen Fahrzeug gerade kein Motor des Typs EA 189 mit einer prüfstandsoptimierten Software verbaut. Es sei deshalb unzutreffend, dass die installierte Software zwischen der Situation auf dem Prüfstand und der Straße differenziere und nur auf dem Prüfstand in einem abgasoptimierten, die Abgasgrenzwerte einhaltenden Modus arbeite. Das Kraftfahrtbundesamt habe eingehende Prüfungen des Motors EA 288 vorgenommen, die gezeigt hätten, dass es keine im Prüfstandsbetrieb den Abgasausstoß optimierende Funktion gebe, die erforderlich wäre, um die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte einzuhalten. Die im streitgegenständlichen Fahrzeug hinterlegte „Fahrkurve“ sei eine Softwarefunktion, die erkennt, ob das Fahrzeug einen Prüfzyklus durchfährt, was als Zykluserkennung nicht unzulässig sei. Denn die Zykluserkennung sei nicht gleichbedeutend mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Ein reines Erkenntnisinstrument ohne Einwirkung auf die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems sei der Tatbestand der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erfüllt. Insbesondere sei an die Zykluserkennung des EA 288 gerade nicht die aus dem Motor EA 189 bekannte Folge der Umschaltlogik geknüpft.
25
Auch das im Fahrzeug verbaute Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, weil es außer bei praktisch nicht vorkommenden Extremtemperaturen von unter - 24° oder über +70° stets aktiv sei. In dieser konkreten Form erweise sich das Thermofenster als rechtlich zulässig, um plötzliche und unvorhersehbare Motorschäden bei Extremtemperaturen zu vermeiden.
26
Die darüber hinaus klägerseits behaupteten „Manipulationen“ im Hinblick auf den ebenfalls verbauten SCR-Katalysators seien schlicht pauschal und ohne Substanz erfolgt.
27
Das Kraftfahrtbundesamt habe im Rahmen der Messungen zum Untersuchungsbericht „Volkswagen“ Messungen auch auf der Straße durchgeführt und dennoch festgestellt, dass unzulässige Abschalteinrichtungen nicht verbaut seien. Zudem seien weitere Untersuchungen von 2017-2019 und von 2019-2020 durchgeführt worden. Das KBA sei stets zu dem Ergebnis gekommen, dass im EA 288 keine unzulässigen Abschalteinrichtungenn verbaut seien. Dies gelte sowohl für Fahrzeuge der Euro 5 - Norm als auch für solche der Euro 6 - Norm. Insbesondere sei das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von dem - den Motor EA 189 betreffenden - Rückruf mit dem Code 23R7 betroffen.
28
Die Beklagte behauptet weiter, dass die Klagepartei bei ihrer Kaufentscheidung auch keinem Irrtum unterlegen gewesen sei. Das Fahrzeug verfüge über eine wirksame Typgenehmigung der Emissionsklasse 6, es drohe auch keine Stilllegung des Fahrzeuges. Ein Schaden sei auch deshalb nicht entstanden, weil sich das streitgegenständliche Fahrzeug in den üblichen Spannbreiten vergleichbarer Gebrauchtwagenfahrzeuge mit ähnlichem Alter und ähnlicher Laufleistung befunden habe. Ein angeblicher Schaden lasse sich auch nicht mit der allgemeinen Verschiebung der Nachfrage von Dieselfahrzeugen hin zu Benzinfahrzeugen begründen. Die Ursache hierfür liege nicht zuletzt in der öffentlichen Debatte über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in deutschen Innenstädten…
29
Ein Schaden liege auch deshalb nicht vor, weil weder eine Betriebsbeschränkung noch eine Betriebsuntersagung aufgrund eines KBA-Rückrufbescheides drohe. Hierauf komme es nach Ansicht des Bundesgerichtshofes aber maßgeblich an.
30
Zur Ergänzung des Parteivortrages wird Bezug genommen auf die eingereichten Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.03.2022.

Entscheidungsgründe

A.) Zulässigkeit
31
Die Klage ist zulässig gemäß §§ 32, 39, .253, 256 ZPO, 23 Nr. 1, 74 Abs. 1 GVG.
B.) Begründetheit
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klagepartei steht ein Anspruch auf Schadensersatz in Form der Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung weder aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB noch aus den weiteren genannten Anspruchsgrundlagen der § 831 BGB bzw. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu.
I.) § 826 BGB
33
Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der von ihm behaupteten Ausstattung seines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu. Es fehlen in mehrfacher Hinsicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzanspruchs.
1.) Zykluserkennung bzw. Fahrkurve
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Zwar war im streitgegenständlichen Fahrzeug der Klagepartei eine sogenannte Fahrkurve verbaut, diese verhilft der Klage jedoch nicht zum Erfolg.
35
Die Parteien sind sich zunächst dahingehend einig, dass in der „Applikationsrichtlinie“ der Beklagten zum Motor EA 288 vom 18.11.2015 (= Anlage … ), in der konkreten Ausgestaltung durch die Aktualisierung vom Juli 2016, festgehalten ist, dass Fahrzeuge, die ab der Kalenderwoche 47/2015 neu hergestellt werden (= SOP = Start of Production), nicht mehr mit einer Fahrkurve versehen werden. Wäre die Applikationsrichtlinie entsprechend ihres Wortlautes korrekt umgesetzt worden, dürfte im streitgegenständlichen Fahrzeug eine Fahrkurve gar nicht vorhanden (gewesen) sein. Die Beklagte bleibt hierfür eine Erklärung schuldig, was aber dennoch nicht zu einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung führt.
36
Denn die Beklagte hat plausibel dargelegt, dass die Fahrkurve als - unstreitige - Erkennung des NEFZ-Prüfzyklus nicht per se unzulässig ist. Es dürfe nur nicht die Wirkung von Emissionskontrollsystemen manipulativ verringert werden. Gerade das sei mit der angegriffenen Fahrkurve jedenfalls nicht gegeben. Das Gericht stimmt der diesbezüglichen Würdigung der beklagten Partei zu. Selbst das Kraftfahrtbundesamt weist in zahlreichen amtlichen Auskünften, hier vorgelegt als Anlage B 15 ff., darauf hin, dass eine sehr umfassende Untersuchung der Fahrzeuge mit dem Motor EA 288 durchgeführt worden sei, die stets zu dem Ergebnis geführt habe, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorhanden sei.
37
Das KBA stellte jeweils im Rahmen seiner Untersuchungen, die nicht nur Prüffahrten auf dem Rollenprüfstand nach dem NEFZ beinhalteten, sondern auch Fahrten auf der Straße, seit 2015 zum Motor EA 288 fest, dass die Grenzwerte in den Prüfverfahren auch bei Deaktivierung der Fahrkurve nicht überschritten worden sind, woraus der Rückschluss gezogen werden kann und muss, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorliegt. Denn auch wenn die Klagepartei eine Relevanz der sog. „Grenzwertkausalität“ vehement in Abrede stellt, ergaben die Untersuchungen doch unzweifelhaft, dass durch die Fahrkurve nicht auf die Stickoxidemissionen eingewirkt wird.
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Selbst wenn aber dennoch - wie tatsächlich nicht - im Einklang mit dem klägerischen Vortrag von einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen würde, würde schlussendlich der Anspruch auf Schadensersatz an der fehlenden Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten scheitern.
39
Denn sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen. Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren . Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19).
40
Allein das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt einer Fahrkurve reicht hierfür nicht aus: Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer Software ausgestattet und in Verkehr gebracht haben, die die Abgasrückführung - anders als im Realverkehr - auf dem Prüfstand bei Erreichen der Betriebstemperatur des SCR-Katalysators unverändert hochhält, also nicht mehr zurückschaltet. Denn sämtliche Messungen ergaben, dass sich diese Software-Programmierung nicht auf die Stickoxid-Emissionen auswirkt. Auch tritt nach dem übereinstimmenden Parteivortrag die vom Realverkehr abweichende Abgasrückführungsrate nur noch im letzten, nicht mehr entscheidenden Teil des NEFZ auf, wodurch vorbesagte Grenzwertkausalität ausscheidet. Die Klagepartei wirft insofern zwar zu Recht die Frage nach Sinn und Zweck der Fahrkurve auf. Allein das Fehlen einer für die Klagepartei plausiblen Erklärung macht jedoch die unternehmerische Entscheidung, die - wie ausgeführt - keine Auswirkung auf die Stickoxid-Emissionen hat, nicht zu einer sittenwidrigen Handlung.
41
Das gilt sogar dann, wenn mit dieser Entscheidung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn angestrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschl. v. 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Einsatz der Fahrkurve nach Auffassung des Gerichtes nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen ist, die dem Urteil des BGH vom 25.05.2020 (AZ. VI ZR 252/19) zum Motor des Typs EA189 zugrunde lag. Denn im dortigen Fall, dies ergibt sich auch aus der klägerseits vorgelegten Präsentation der Beklagten, führte die Umschaltlogik zu unterschiedlichen Emissionen auf dem Prüfstand einerseits und im Straßenverkehr andererseits. Dieser angestrebte Zweck ließ keinen anderen Schluss zu als die Annahme einer bewussten und als verwerflich zu qualifizierenden Täuschung der Behörden und auch der Käufer. Der Fall des EA 288 liegt hingegen anders.
42
Auch aus nachfolgenden Gründen kann nicht angenommen werden, dass die Verantwortlichen bei der Entwicklung und/oder Verwendung in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß zumindest billigend in Kauf nahmen. Denn sogar das KBA hat in seinem Untersuchungsbericht 2015/2016 darauf hingewiesen, dass es zugegebenermaßen mehrere Interpretationsspielräume aufgrund der wenig präzisen Formulierungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gegeben habe und deshalb der Hersteller durchaus davon habe ausgehen können, dass die implementierten Fahrzeugkomponenten zulässig seien. Dem Klagevortrag ist insofern auch kein stichhaltiges Gegenargument zu entnehmen, das über einen Generalverdacht hinausgeht. Soweit die Klagepartei behauptet, das KBA sei von einer unzulässigen Abschalteinrichtung; ausgegangen und habe einen Rückruf angeordnet, fehlt es an jeglichem Bezug zum konkreten streitgegenständlichen Fahrzeug. Die vorgelegten Rückrufbescheide (Anlage K1e bzw. K25) betreffen sämtlich Audi-Fahrzeuge mit einem 3,0 Liter Dieselmotor und haben daher für den vorliegenden Fall (2,0 Liter Motor) keine Aussagekraft. Der Vortrag der Klagepartei bezieht sich an keiner Stelle ausreichend auf das streitgegenständliche Fahrzeug. Den Motor EA288 gibt es - wie dem Gericht aus der Vielzahl der Fälle bekannt ist - in verschiedenen Varianten (Hubraum, Leistung, Methoden der Abgasreinigung). Es ist daher unbehelflich, wenn die Klagepartei pauschal auf „den“ Motor EA288 abstellt und meint, aus Entscheidungen zu völlig anderen Fahrzeugtypen mit anderer technischer Ausstattung Rückschlüsse auf das vorliegende Verfahren ziehen zu können.
43
Letztendlich muss das Gericht zum Themenkomplex der Fahrkurve zu dem Ergebnis gelangen, dass jedenfalls, sollte eine unzulässige Abschalteinrichtung überhaupt bejaht werden können, das Tatbestandsmerkmal der vorsätzlichen Sittenwidrigkeit nicht nachgewiesen werden kann. Im Ergebnis reichen jedenfalls die Behauptungen der Klagepartei zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht aus.
44
Es kann folglich auch dahinstehen, ob die Fahrkurve tatsächlich - wie wohl nicht - eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 darstellt.
2.) Weitere behauptete Abschalteinrichtungen
45
Soweit die Klagepartei weitere unzulässige Abschalteinrichtungen im Zusammenhang mit der Fahrkurvenerkennung behauptet (Aufheizstrategie, Manipulation AdBlue-Verbrauch, Einwirken auf Schaltpunkte des Getriebes), gilt hinsichtlich der Bewertung nichts anderes. Auch hier ist der Vortrag der Klagepartei jedenfalls nicht ausreichend, um eine die Sittenwidrigkeit und den Vorsatz der Beklagten darzulegen.
3.) Thermofenster
46
In welcher Art und Weise das Thermofenster in konkreten Fall ausgestaltet ist, ist nach Auffassung des zuständigen Gerichtes, nicht streitentscheidend. Dahinstehen kann auch, ob die - an sich unstreitige - Implementierung eines Thermofensters in tatsächlicher Hinsicht objektiv mit den EU-Vorschriften vereinbar ist.
47
Zur Überzeugung des Gerichtes stellt sich das Inverkehrbringen eines so konzipierten Fahrzeugs subjektiv nicht als vorsätzliche sittenwidrige Handlung der Beklagten i.S.d. § 826 BGB dar. Es wird auf obige Ausführungen Bezug genommen. Eine Vielzahl von Landgerichten und Obergerichten vertritt zwischenzeitlich diese Auffassung, der sich auch das hier zuständige Gericht anschließt.
48
Soweit sich die Klagepartei also auf das sogenannte „Thermofenster“ stützt, kommt auch die Annahme eines Vorsatzes nicht in Betracht. Wie bereits ausgeführt ist die Gesetzeslage an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig (gewesen). Das zeigt zum einen die kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 II lit. a) EG VO 715/2007, zum anderen auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrtbundesamt und auch das BMVI bislang nicht von der Unzulässigkeit des behaupteten sog. „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können und einen Rückruf sämtlicher betroffenen Fahrzeuge mit einem EA 288 (wie aber beim EA 189) behördlich bis heute nicht angeordnet haben. Auch die Bewertung des Berichts der Untersuchungskommission Volkswagen hat sich gerade nicht im Sinne der klägerischen Rechtsauffassung positioniert. (So beispielsweise auch entschieden vom OLG Köln, Urteil vom 27.09.2019 zu 6 U 57/19.)
4.) Manipuliertes On-Board-Diagnose-System
49
Das seitens der Klagepartei behauptete Vorliegen eines manipulierten On-Board-Diagnose-Systems ist bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht geeignet, die Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 zu erfüllen. Denn es ist zwischen den Parteien bereits unstreitig, dass das OBD ein Fahrzeugdiagnose system ist, das während des Fahrbetriebes u.a. die: abgasbeeinflussenden Systeme überwacht. Es zeigt über Kontrollleuchten auftretende Fehler an und speichert sie. Eine Einflussnahme auf die Stickoxidwerte liegt beim OBD gerade nicht vor. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Klagepartei.
II.) Weitere Anspruchsgrundlagen
50
Der Klagepartei steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auch aus keiner sonstigen Anspruchsgründlage zu. Insbesondere besteht ein Schadensersatzanspruch weder aus § 831 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27. Abs. 1 EG-FGV, noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007.
III.) Klageanträge im Übrigen
51
Da der Klagepartei ein Schadensersatzanspruch nicht zusteht, stehen ihr auch der geltend gemachte Zinsanspruch und der Freistellungsanspruch von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht zu und die Beklagte befindet sich mit der Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch nicht im Annahmeverzug.
C.) Nebenentscheidungen
52
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.