Inhalt

VG München, Beschluss v. 15.09.2022 – M 30 S 22.50315
Titel:

Dublin III-VO: Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen Abschiebung nach Bulgarien

Normenketten:
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1, Abs. 2, Art. 18, Art. 23, Art. 28 Abs. 3
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4
AsylG § 29, § 34a
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsätze:
1. Es gibt - jedenfalls für nichtvulnerable Personen - keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung mit sich bringen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn eine Überstellung nach Bulgarien aufgrund der Sperrtage für Überstellungen in zeitlicher Hinsicht besonders stark eingeschränkt ist, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung, wenn dem Bundesamt innerhalb der nach Erlass dieser Entscheidung noch verbleibenden sechsmonatigen Überstellungsfrist noch hinreichend freie Tage bestehen, um den Antragsteller mittels eines Linienflugs zu überstellen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, Zielstaat Bulgarien, Systemische Mängel (verneint), Unmöglichkeit der Überstellung (verneint), Sperrtage, Dublin, Bulgarien, systemische Mängel, systemische Schwachstellen, Unmöglichkeit, Überstellung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 26192

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung nach Bulgarien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
2
Der am ... 2002 geborene afghanische Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am 12. April 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 26. April 2022 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag.
3
Bei seiner Befragung vor dem Bundesamt am 3. Mai 2022 gab er an, sein Heimatland verlassen zu haben und unter anderem über die Türkei, Bulgarien, Ungarn, und Österreich nach Deutschland eingereist zu sein.
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Eine EURODAC-Recherche vom … April 2022 ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Bulgarien für den … Dezember 2021. Das Bundesamt stellte ausweislich der Zugangsbestätigung am 19. April 2022 ein Wiederaufnahmeersuchen an Bulgarien, welches hierauf aber nicht antwortete.
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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 3. Mai 2022 erklärte der Antragsteller, dass er in Bulgarien kein Brot erhalte, beschimpft und geschlagen werde.
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Mit Bescheid vom 11. Mai 2022 - Gesch.-Z.: … lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Es ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Nr. 3) und setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von elf Monaten ab dem Tag der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 AufenthG fest (Nr. 4). Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass Bulgarien aufgrund des dort gestellten Asylantrags für dessen Behandlung zuständig sei. Gründe zur Annahme systemischer Mängel im bulgarischen Asylverfahren und der dortigen Aufnahmebedingungen lägen nicht vor. Abschiebungsverbote seien ebenfalls nicht festzustellen. Im Übrigen wird auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
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Der Antragsteller ließ am 18. Mai 2022 durch seine Prozessbevollmächtigte Klage zum Verwaltungsgericht München (M 30 K 22.50314) erheben und begehrt zugleich vorläufigen Rechtsschutz (M 30 S 22.50315). Zur Begründung lässt er ausführen, dass eine Überstellung nach Bulgarien infolge der Überlastung durch die Flüchtlinge aus der Ukraine derzeit faktisch unmöglich sei. Deshalb sei er auch am … Mai 2022 aus der Abschiebehaft entlassen worden. Auch fehle es an einer positiv geklärten Aufnahmebereitschaft Bulgariens im vorliegenden Einzelfall. Auch gehe aus den seitens Bulgarien mitgeteilten Sperrfristen hervor, dass es zur Annahme einer Überstellung nicht bereit sei. Dies zeige sich auch im vorliegenden Fall, so wäre eine Überstellung innerhalb der sechs Monate im Zeitpunkt der Erstellung des Bescheides am 11. Mai 2022 aufgrund der mitgeteilten Sperrtage bis zum 11. November 2022 nicht durchführbar gewesen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids hätte vielmehr feststehen müssen, dass die Abschiebung durchführbar sei. Die von der Antragsgegnerin ins Feld geführten Charterflüge beträfen in erster Linie Haftfälle; der Antragsteller befinde sich jedoch derzeit nicht in Abschiebehaft. Die Abschiebungsanordnung sei damit nicht durchführbar und folglich rechtswidrig.
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Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 11.05.2022, Gesch.Z. … anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Die Antragsgegnerin nimmt hinsichtlich der Begründung ihres Antrags Bezug auf den streitgegenständlichen Bescheid und teilt mit, dass Überstellungen nach Bulgarien auch weiterhin durchgeführt werden können. Die sechsmonatige Überstellungsfrist sei wegen dem Eilantrag gehemmt und beginne frühestens mit einer ablehnenden Entscheidung des Gerichts an zu laufen. Zwar habe Bulgarien derzeit für Überstellungen mittels Linienflügen Sperrtage verkündet, doch stehe weiterhin ausreichend Zeit für eine Überstellung des Antragstellers zur Verfügung. So seien dieses Jahr bis zum August bereits 36 Personen nach Bulgarien überstellt worden. Des Weiteren habe Bulgarien zwei Charterflügen pro Monat zugestimmt, welche unabhängig von den Sperrtagen möglich seien und welche dieses Jahr bereits vier Mal genutzt worden seien, um insgesamt 14 Personen nach Bulgarien zu überstellen. Ferner bestünde die Möglichkeit über DublinNet in dringenden Fällen trotz Sperrtagsregelung eine Anfrage für eine Überstellung mittels Linienflug an Bulgarien zu stellen. Auch die Ausführungen zur Beendigung der Haft des Antragstellers gingen ins Leere. Denn die Haftentlassung sei nur deshalb erfolgt, weil eine Abschiebung wegen der Sperrtage innerhalb der sechswöchigen Frist des Art. 28 Abs. 3 UAbs. 3 Dublin III-VO nicht absehbar gewesen sei und nicht innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Verfahren sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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1. Der Antrag hat keinen Erfolg.
13
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zwar zulässig, da wegen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG der Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt und er innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt wurde, jedoch unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind einerseits das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und andererseits das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist hierbei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
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Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung in Nummer 3 des Bescheids vom 11. Mai 2022 begegnet bei summarischer Prüfung keinen durchgreifenden Bedenken.
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Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung unter anderem in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Die Antragsgegnerin ist voraussichtlich zutreffend davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen vorliegen und Bulgarien der zuständige Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers ist. Der Asylantrag war daher als unzulässig abzulehnen. Da auch die Abschiebung weder tatsächlich unmöglich noch rechtlich unzulässig ist, war auch die Abschiebung nach Bulgarien anzuordnen.
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1.1 Die Antragsgegnerin ist voraussichtlich zutreffend davon ausgegangen, dass Bulgarien der zuständige Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers ist.
18
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31) - im Folgenden: Dublin III-VO - für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
19
1.1.1 Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Bulgarien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
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Gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO ist ein Mitgliedstaat verpflichtet einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen. Insoweit ist Bulgarien nach Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig. Denn ausweislich des EURODAC-Treffers für den … Dezember 2021 mit der Kennzeichnung „BG1“ hat der Antragsteller, entgegen seinem Vortrag, in Bulgarien einen Asylantrag gestellt. Die Ziffer „1“ in der Kennzeichnung „BG1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013 - EURODAC-VO).
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1.1.2 Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 der Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Bulgarien als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin III-VO nicht scheitern würde.
22
Dies würde voraussetzen, dass es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) mit sich bringen. Dies ist nicht der Fall.
23
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - „Jawo“ - juris Rn. 80 f.; U.v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. - „Ibrahim u.a.“ - juris Rn. 84; U.v. 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10 - juris Rn. 79 ff.) ist davon auszugehen, dass Bulgarien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Diese nicht unwiderlegliche Vermutung ist auch nicht erschüttert. Von systemischen Mängeln ist nur auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10 - juris Rn. 86 ff.; BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris Ls. und Rn. 6). Systemische Schwachstellen sind dabei nur dann als Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu werten, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht wird, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese Schwelle ist nach der Rechtsprechung des EuGH aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats muss nach Ansicht des EuGH zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinden wird, die es ihr nicht erlauben wird, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 92 f.). Der in diesem Rahmen maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf der Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und darf sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 - NVwZ 2012, 417, Rn. 80; VGH BaWü, U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - juris Rn. 41).
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Zunächst wird hinsichtlich des antragstellerischen Vortrags, in Bulgarien lägen systemische Mängel vor, gemäß § 77 Abs. 2 AsylG vollumfänglich auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
25
Darüber hinaus kann nach Auffassung des Gerichts auch in Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung von systemischen Mängeln für Bulgarien - jedenfalls für nichtvulnerable Personen wie vorliegend den Antragsteller - nicht ausgegangen werden (vgl. VGH BW, B.v. 24.2.2022 - A 4 S 162/22 - juris Rn. 32 ff. m.w.N.; Sächs. OVG, U.v. 15.6.2020 - 5 A 382/17 - juris; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 22.9.2020 - 3 B 33.19 - juris; Nds. OVG, U.v. 7.12.2021 - 10 LB 257/20; VG München, B.v. 16.5.2022 - M 30 S 22.50293 - n.v.; B.v. 24.3.2022 - M 5 S 22.50150 - juris Rn. 19 ff.; VG Düsseldorf, B.v. 31.1.2022 - 12 L 2724/21.A - juris Rn. 19 ff.; VG Aachen, U.v. 15.4.2021 - 8 K 2760/18.A - juris Rn. 43 ff.).
26
Etwas anderes ergibt sich auf nicht auf Grund der derzeitigen Fluchtbewegungen ukrainischer Schutzsuchender vor dem Ukrainekrieg (vgl. VG Bremen, U.v. 24.6.2022 - 2 K 860/21 - juris; VG Köln, B.v. 23.6.2022 - 13 L 878/22.A - juris; VG München, B.v. 2.6.2022 - M 30 S 22.50300 - juris Rn. 27 ff.; VG Stuttgart, B.v. 16.5.2022 - A 16 K 2402/22 - juris S. 3; VG Münster, B.v. 5.5.2022 - 8 L 362/22.A - juris; VG Minden, B.v. 22.4.2022 - 12 L 250/22.A - juris; VG Schwerin, B.v. 14.4.2022 - 5 B 222/22 SN - Migrations-InfoLogistik MILo S. 16 f.; VG Aachen, B.v. 7.4.2022 - 8 L 123/22.A - juris S. 22 ff.; B.v. 23.3.2022 - 8 L 103/22.A - juris S. 24 ff.).
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1.1.3 Die demnach bestehende Zuständigkeit Bulgariens ändert sich schließlich auch nicht deshalb, weil individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen würden. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.
28
1.1.4 Auch trat kein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO ein, weil das Wiederaufnahmegesuch vom 19. April 2022 nicht entsprechend Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO fristgerecht innerhalb von zwei Wochen beantwortet worden ist.
29
1.1.5 Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin wurde bislang auch nicht durch Fristablauf begründet, da die sechsmonatige Überstellungsfrist (fristauslösendes Ereignis ist das Wiederaufnahmegesuch) im Zeitpunkt des vorliegenden Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch nicht abgelaufen war. Der Antrag unterbricht daher nun den Lauf der Frist (Art. 29 Abs. 1 i.V.m. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c) Dublin III-VO i.V.m. § 34 a Abs. 2 Satz 2 AsylG).
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1.1.6 Eine Überstellung des Antragstellers nach Bulgarien ist auch nicht mit einer tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtecharta verbunden (vgl. zu diesem Prüfungspunkt EuGH, U.v. 16.2.2017 - C-578/16 PPU - NVwZ 2017, 691 Rn. 90 ff.), so dass eine Aussetzung der Durchführung der Überstellung nicht geboten ist.
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1.2 Die Überstellung an Bulgarien ist auch tatsächlich möglich und rechtlich zulässig, die Abschiebung kann daher im Sinne des § 34a AsylG durchgeführt werden.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG im vorliegenden Fall der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 34. Edition 01.01.2022, § 34a AsylG Rn. 27). Die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat muss zwar zeitnah tatsächlich möglich sein (vgl. Pietzsch, a.a.O., § 34a AsylG Rn. 9). Doch steht nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO dem ersuchenden Mitgliedstaat für die Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat grundsätzlich ein Zeitraum von sechs Monaten zur Verfügung. Weiter ist zu berücksichtigen, dass eine tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung erst dann vorliegt, wenn diese auf Schwierigkeiten stößt, die nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand zu beheben sind (vgl. zu § 60a Abs. 2 AufenthG: Gordzielik/Huber in Huber/Mantel, Aufenthaltsgesetz/Asylgesetz, 3. Aufl. 2021, § 60a AufenthG Rn. 16). Auch muss zwar die Übernahmebereitschaft des zuständigen Mitgliedstaates abschließend geklärt sein, was jedoch nicht zwingend eine positive Erklärung des zuständigen Mitgliedstaates voraussetzt, sondern sich auch aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen oder den unionsrechtlichen Regelungen über Rückführungen (beachte hier z.B. die Fiktionswirkung nach Art. 22 Abs. 7, 25 Abs. 2 Dublin III-VO; vgl. Pietzsch, a.a.O., 34. Edition 01.01.2022, § 34a AsylG Rn. 13) ergeben kann (Faßbender in Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigR, 12. Edition 15.7.2022, § 34a Rn. 15).
33
Auch wenn eine Überstellung nach Bulgarien aufgrund der Sperrtage für Überstellungen mittels Linienflügen vom 1 September 2022 bis 27 November 2022 sowie vom 23. bis 31. Dezember 2022 in zeitlicher Hinsicht besonders stark eingeschränkt ist, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung. Innerhalb der dem Bundesamt nach Erlass dieser Entscheidung noch verbleibenden sechsmonatigen Überstellungsfrist bestehen noch hinreichend freie Tage, um den Antragsteller mittels eines Linienflugs zu überstellen. Des Weiteren besteht die Möglichkeit entsprechend der Chartervereinbarung zwischen der Antragsgegnerin und Bulgarien Überstellungen durchzuführen. Letztlich können mit verhältnismäßigem Aufwand auch aufgrund einer Ausnahmegenehmigung Bulgariens während der Sperrtage Überstellungen durchgeführt werden. Dass diese beiden Überstellungsvarianten auch tatsächlich möglich sind, zeigt sich an der in diesem Jahr bereits erfolgten Überstellung von 36 bzw. 14 Personen nach Bulgarien. Dementsprechend sieht das Gericht zwar, dass eine Überstellung nach Bulgarien einigen Schwierigkeiten ausgesetzt ist, dass eine solche aber gänzlich unmöglich oder nicht innerhalb der Überstellungsfrist durchführbar wäre, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Ebenso ist aufgrund der unionsrechtlichen Regelungen, der bestehenden Chartervereinbarung und den in diesem Jahr bereits durchgeführten Überstellungen von einer Übernahmebereitschaft Bulgariens auszugehen. Dass der Antragsteller zwischenzeitlich nach Art. 28 Abs. 3 UAbs. 3 Dublin III-VO aus der Abschiebehaft entlassen worden ist, ist für die weitere Durchführung der Überstellung wie Art. 28 Abs. 3 UAbs. 3 Satz 2 a.E Dublin III-VO selbst aufzeigt, rechtlich unerheblich.
34
1.2.1 Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG angesichts des Wortlauts der Norm („feststeht“) von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Antragsgegnerin zu prüfen sind (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 732/14 - juris Rn. 11; NdsOVG, B.v. 30.1.2019 - 10 LA 21/19 - juris Rn. 10; OVG NW, U.v. 18.7.2016 - 13 A 1859/14.A - juris Rn. 125), sind nicht ersichtlich.
35
1.2.2 Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote sind ebenfalls nicht ersichtlich; insbesondere ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich beim gesunden Antragsteller nicht. Im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
36
1.3 Im Übrigen wird auf die Bescheidsbegründung gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
37
1.4 Da die Klage in der Hauptsache hinsichtlich der streitgegenständlichen Nummer 3 des Bescheids vom 11. Mai 2022 voraussichtlich erfolglos bleiben wird, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides des Bundesamtes.
38
2. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).