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VG München, Urteil v. 26.07.2022 – M 1 K 21.4356
Titel:

Erfolglose Klage des Nachbarn gegen eine Gemeinde, deren erteiltes Einvernehmen gem. § 36 BauGB aufzuheben, wobei die maßgebliche Baugenehmigung bereits bestandskräftig war

Normenketten:
BauGB § 36
VwGO § 42 Abs 2
Leitsätze:
1. Eine behauptete Rechtsverletzung im Hinblick auf das Vorliegen einer Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO (hier: analog, da es um eine allgemeine Leistungsklage des Nachbarn auf Aufhebung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB geht) im Zusammenhang mit der Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen ist ausgeschlossen. Mit dem Einvernehmenserfordernis werden weder Rechtsbeziehungen zwischen dem Bauherrn und der Gemeinde geschaffen, noch zu Dritten wie den Nachbarn des Bauvorhabens. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Selbst im Falle eines Klageerfolgs, also bei der weiteren Befassung der Gemeinde mit dem Einvernehmen und dessen Verweigerung besteht die – im Übrigen gegenüber den Klägern bestandskräftige – Baugenehmigung fort, die das Bauvorhaben legitimiert, sodass sich die Stellung der Nachbarn durch die Klage nicht verbessern kann. Insofern fehlt der Klage das Rechtsschutzbedürfnis. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gemeindliches Einvernehmen für Bauantrag, Klage eines Nachbarn, Unzulässigkeit der Klage, Klagebefugnis, Rechtschutzbedürfnis, gemeindliches Einvernehmen für Bauantrag, Nachbarklage, gemeindliches Einvernehmen, Unzulässigkeit, Bauantrag, Aufhebung, allgemeine Leistungsklage, Baugenehmigung, Bestandskraft
Fundstelle:
BeckRS 2022, 26148

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger als Gesamtschuldner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen ein von der Beklagten erteiltes gemeindliches Einvernehmen zu einem Bauantrag und begehren dessen Aufhebung.
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Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. 1...4/54 Gem. ... Hiervon südlich liegt das Grundstück FlNr. 1...4/55 (im folgenden: Vorhabengrundstück). Für die genannten Grundstücke findet der Bebauungsplan „S. …“, der am 5. Juni 1972 bekannt gemacht wurde, Geltung. Dieser setzt Baugrenzen fest. Für das Vorhabengrundstück wurde unter dem 25. Juli 2018 eine Baugenehmigung für den Anbau einer Terrasse und den Ausbau eines Geräteraums beantragt.
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Die Beklagte erteilte mit Beschluss vom 11. September 2018 das gemeindliche Einvernehmen zu dem Bauantrag.
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Mit Bescheid vom 30. Oktober 2018 erteilte das Landratsamt die beantragte Baugenehmigung unter Erteilung einer Befreiung. Aufgrund einer Nachbarbeschwerde wurde im Folgenden die Einhaltung der Baugrenzen vom Landratsamt überprüft. Sodann erteilte das Landratsamt einen Änderungsbescheid vom 31. Juli 2019, durch den die im Bescheid vom 30. Oktober 2018 erteilte Befreiung neu gefasst wurde.
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Die gegen den Änderungsbescheid erhobene Klage der Kläger (M 1 K 19.4402) wurde zurückgenommen und das Verfahren mit Beschluss vom 15. Mai 2020 eingestellt. Die zugleich gestellten Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz (M 1 SN 19.4403) hat das Gericht mit Beschluss vom 19. März 2020 rechtskräftig abgelehnt.
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In der Folge wandten sich die Kläger wegen des erteilten gemeindlichen Einvernehmens an die Beklagte. Mit Schreiben vom 27. Juli 2021 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass sie keine Veranlassung sehe, den in Rede stehenden Antrag auf Baugenehmigung dem Gemeindegremium nochmals zu einer Beschlussfassung vorzulegen. Das Bauvorhaben sei inzwischen fertiggestellt worden.
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Die Kläger haben am … August 2021 Klage erhoben und beantragen,
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die Beklagte zu verpflichten, den von den Klägern eingereichten Antrag zu behandeln und den Beschluss, das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen, aufzuheben.
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Der Gemeinderatsbeschluss, mit dem das gemeindliche Einvernehmen erteilt worden sei, sei fehlerhaft. Es werde gegen den Bebauungsplan verstoßen; dessen Festsetzungen seien bindend. Die Zustimmung für die unzulässige Überbauung werde mit unzutreffenden Maßdaten begründet. Zudem sei eine unzutreffende Flurnummer genannt. Tatsächlich seien entgegen der Annahme der Beklagten die Grundzüge der Planung in mehrerlei Hinsicht durchaus berührt. Die festgesetzten Baugrenzen seien von der Eingabeplanung unterschlagen worden. Somit würden die im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen deutlich überschritten. Dies sei schon bei Stellung des Bauantrages bekannt gewesen. Damit sei die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nicht nachvollziehbar, und es fehle hierfür jegliche Grundlage. Im Übrigen könne nunmehr belegt werden, dass das errichtete Bauvorhaben auch nicht dem nachgeschobenen Änderungsbescheid entspreche. Außerdem habe eine Recherche Unstimmigkeiten und Manipulationen mit Blick auf die Festsetzungen des Bebauungsplans ergeben. Die im rechtskräftigen Original-Bebauungsplan ursprünglich vorgegebene rote Baulinie sei nachträglich zu einer blauen Baugrenze ‚umfrisiert‘, d. h. übermalt worden. In zahlreichen Schriftsätzen vertieften die Kläger ihr Vorbringen.
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Die Beklagte, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, beantragt
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Klageabweisung.
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Die Klage sei unzulässig. Bei dem gemeindlichen Einvernehmenserfordernis handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um ein Verwaltungsinternum. Über den Bauantrag entscheide alleine die Baugenehmigungsbehörde. Nur deren Bescheid wirke unmittelbar nach außen und wäre damit richtiger Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage liege nicht vor, weil die Bauherren hier bereits bestandskräftig verbeschieden worden sein und das Bauvorhaben bereits fertiggestellt worden sei. Somit könne die im Wege der Klage begehrte Entscheidung hierauf keinen Einfluss mehr haben. Die Klage sei darüber hinaus auch unbegründet. Das Einvernehmen sei nicht rechtswidrig erteilt worden; insoweit werde auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Beschluss vom 19. März 2020 verwiesen.
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Die Kläger und die Beklagte haben schriftsätzlich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Zu dem Vortrag der Beteiligten in seinen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Über die Klage konnte im Einverständnis der Parteien gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
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II. Die Klage hat keinen Erfolg, weil sie unzulässig ist.
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Die Kläger begehren, die Beklagte dazu zu verurteilen, die Entscheidung über die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens zu dem Bauvorhaben auf dem Grundstück FlNr. 1...4/55 Gem. ... erneut im Gemeinderat zu behandeln und dieses zu verweigern.
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1. Statthafte Klageart ist hierfür die allgemeine Leistungsklage und nicht die Verpflichtungsklage. Denn das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB stellt mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 BayVwVfG dar, sondern eine innerbehördliche Handlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. 11. 1965 - IV C 184/65 - juris Rn. 23; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 36 Rn. 24, 44).
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2. Die Kläger sind für ihr Begehren nicht klagebefugt.
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Auch im Fall der allgemeinen Leistungsklage bedarf es nach überwiegender Ansicht analog § 42 Abs. 2 VwGO einer Klagebefugnis (Wahl/Schütz in Schoch/Schneider, VwGO, 42. EL Februar 2022, § 42 Abs. 2 Rn. 33 m.w.N.). Hierbei haben die Kläger geltend zu machen, dass sie durch das Unterlassen der begehrten Handlung in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein könnten.
21
Eine Rechtsverletzung der Kläger im Zusammenhang mit der Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen ist jedoch ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich bei dem gemeindlichen Einvernehmen um ein Verwaltungsinternum handelt, das nach außen keine Rechtswirkung entfaltet (vgl. BVerwG, U.v. 19. 11.1965 - IV C 184/65 - juris Rn. 23). Das Einvernehmenserfordernis stellt eine besondere Form der Beteiligung der Gemeinde an der Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde dar. Mit dem Einvernehmenserfordernis werden weder Rechtsbeziehungen zwischen dem Bauherrn und der Gemeinde geschaffen, noch zu Dritten wie den Klägern als Nachbarn des Bauvorhabens. Es handelt sich bei dem Einvernehmen lediglich um eine Ordnung der Zusammenarbeit von Baugenehmigungsbehörde und Gemeinde bei der Erteilung einer Baugenehmigung. Das Einvernehmen der Gemeinde bedeutet der rechtlichen Wirkung nach einen innerhalb der Behörden verbleibenden Vorgang, der der Vorbereitung der Entscheidung über den mit dem Baugesuch geltend gemachten Anspruch dient (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 36 Rn. 23 f.). § 36 BauGB dient nicht dem Interesse des Bürgers (BVerwG, U.v. 6.12.1967 - IV C 94.66 - BVerwGE 28, 268-278, juris Rn. 22) und ist daher auch nicht nachbarschützend (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 36 Rn. 44).
22
3. Ferner liegt auch das für die Klage erforderliche Rechtschutzbedürfnis nicht vor.
23
Ungeschriebene Voraussetzung für die Zulässigkeit einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts ist das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, d.h. die Verfolgung eines rechtsschutzwürdigen Interesses. Für eine unnötige oder gar missbräuchliche Ausübung von Klagemöglichkeiten brauchen die Gerichte nicht zur Verfügung zu stehen. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist etwa dann nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller und einfacher erreichen könnte, oder wenn ein Erfolg seine Rechtsstellung nicht verbessern würde (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, vor § 40 Rn. 11 m.w.N.).
24
Die Kläger sind für ihr Begehren nicht rechtschutzbedürftig. Ein Erfolg würde ihre Rechtsstellung nicht verbessern. Selbst im Falle der weiteren Befassung der Beklagten mit dem Einvernehmen und dessen Verweigerung besteht die - im Übrigen gegenüber den Klägern bestandskräftige - Baugenehmigung fort, die das Bauvorhaben legitimiert.
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Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.