Inhalt

SG Würzburg, Beschluss v. 07.07.2022 – S 9 AY 106/22 ER
Titel:

Leistungseinschränkung bei bestehender Abschiebungsanordnung des BAMF rechtmäßig

Normenkette:
AsylbLG § 1a Abs. 7, § 3
Leitsatz:
Weder bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 1 a Abs. 7 AsylbLG noch ist eine teleologische Reduktion der Vorschrift aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grundleistungen, Leistungseinschränkung, Rechtsschutzbedürfnis
Rechtsmittelinstanz:
LSG München, Beschluss vom 06.09.2022 – L 8 AY 73/22 B ER
Fundstelle:
BeckRS 2022, 26133

Tenor

I. Die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes werden abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zum einen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 29.06.2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.06.2022, mit dem der Antragsgegner in Anwendung des § 1 a Abs. 7, Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eine Einschränkung des Leistungsanspruchs für die Zeit vom 01.07.2022 bis zum 31.12.2022 festgestellt hat und den zuvor erlassenen Bescheid vom 04.01.2022 über die Bewilligung sogenannter Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) für die Zeit ab dem 01.07.2022 aufgehoben hat. Zum anderen begehrt der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) für die Zeit vom 01.07.2022 bis zum 31.12.2022.
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Aus dem in der Akte des Antragsgegners befindlichen Auszug aus dem Ausländerzentralregister geht hervor, dass der am ... 1990 geborene Antragsteller afghanischer Staatsangehöriger ist und am 14.12.2021 nach seiner - wohl am 06.12.2021 erfolgten - erstmaligen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ein Asylgesuch geäußert hat. Der Antragsteller ist in der A.-Einrichtung U. untergebracht.
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Auf den entsprechenden Antrag des Antragstellers hin wurden ihm vom Antragsgegner mit Bewilligungsbescheid vom 03.01.2022 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit vom 17.12.2021 bis zum 31.12.2021 bewilligt. Mit Bescheid vom 04.01.2022 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit vom 01.01.2022 bis zum 31.12.2022 in Form von Geldleistungen in Höhe von 122,00 Euro monatlich. Beide Bescheide enthielten den Hinweis, dass für die Bedarfe Ernährung, Unterkunft, Heizung, Wohnungsinstandhaltung, Haushaltsenergie, Kleidung, Körperpflegeartikel, Hygieneartikel, WLAN, Babyerstausstattung, Kinderwagen und Schulbeihilfe Sachleistungen zur Verfügung gestellt würden.
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Per E-Mail vom 26.04.2022 übermittelte die Regierung von U., Zentrale Ausländerbehörde U., dem Antragsgegner unter anderem den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20.04.2022, mit dem der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. Weiterhin wurde die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien angeordnet. Zur Begründung des Bescheids wurde unter anderem ausgeführt, dass der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) unzulässig sei, da Bulgarien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags nach Art. 18 Abs. 1 b Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG.
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Nach Anhörung des Antragstellers stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22.06.2022 fest, dass der Leistungsanspruch des Antragstellers in der Zeit vom 01.07.2022 bis zum 31.12.2022 nach § 1 a Abs. 7 AsylbLG eingeschränkt sei und hob den Bescheid vom 04.01.2022 für die Zeit ab dem 01.07.2022 auf. Weiterhin wurde der Antrag vom 03.01.2022 auf Leistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit vom 01.07.2022 bis zum 31.12.2022 abgelehnt. Für den genannten Zeitraum wurden dem Antragsteller Sachleistungen bewilligt, wobei der Bedarf an Ernährung, Bekleidung, Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege in der A.-Einrichtung sichergestellt werde. Ergänzend zu den Sachleistungen wurden dem Antragsteller Hilfe bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (Krankenhilfe) nach § 4 AsylbLG gewährt. Zur Begründung des Bescheids wurde unter anderem ausgeführt, dass beim Antragsteller aufgrund des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.04.2022 die Voraussetzungen des § 1 a Abs. 7 AsylbLG erfüllt seien. Der Dauerverwaltungsakt (Bescheid) vom 04.01.2022 sei in Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab dem 01.07.2022 in vollem Umfang aufzuheben. Die insoweit erforderliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen ergebe sich beim Antragsteller aus der Tatsache, dass er ab dem 01.07.2022 in den Anwendungsbereich des § 1 a Abs. 7 AsylbLG falle und deshalb keine Anspruchsberechtigung mehr im bisherigen Umfang besitze.
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Durch den anwaltlichen Bevollmächtigten des Antragstellers wurde mit Schreiben vom 29.06.2022 Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.06.2022 eingelegt, über den nach Aktenlage bisher noch nicht entschieden wurde. Zugleich wurde ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X hinsichtlich der bestandskräftigen Bewilligungsbescheide für die Zeit ab dem 06.12.2021 gestellt. Insoweit wurde unter anderem ausgeführt, dass der Antragsteller Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) habe.
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Mit weiterem Schreiben des anwaltlichen Bevollmächtigten des Antragstellers vom 29.06.2022, beim Sozialgericht Würzburg eingegangen am 01.07.2022, wurde im vorliegenden Verfahren einstweiliger Rechtsschutz in Form der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22.06.2022 sowie in Form der Verpflichtung des Antragsgegners durch einstweilige Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) beantragt. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass der Bescheid vom 22.06.2022 rechtswidrig sei. Die Regelung des § 1 a AsylbLG sei evident verfassungswidrig. Auch seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 a Abs. 7 AsylbLG nicht erfüllt. Der Anspruch des Antragstellers ergebe sich aus einer verfassungsrechtlich gebotenen teleologischen Reduktion des § 1 a Abs. 7 AsylbLG. Der Antragsteller habe Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG nach der Regelbedarfsstufe 1 statt nach der Regelbedarfsstufe 2. Die Regelungen des § 3 a Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 Nr. 2 b AsylbLG seien evident verfassungswidrig. Auf die weiteren Ausführungen zur Begründung des Antrags wird verwiesen.
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Für den Antragsteller wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 22.06.2022 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit vom 01.07.2022 bis zum 31.12.2022 vorläufig Leistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
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Auf die Ausführungen des Antragsgegners wird verwiesen.
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Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
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Die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sind zum Teil unzulässig und zum Teil unbegründet.
13
Zunächst ist festzuhalten, dass der Antragsteller im vorliegenden Verfahren zwei verschiedene Rechtsschutzbegehren verfolgt. Zum einen beantragt der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 29.06.2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.06.2022. Dieser Antrag ist zulässig, aber unbegründet (im Folgenden unter Nr. 1). Zum anderen beantragt der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung sogenannter Grundleistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) verpflichtet werden soll. Dieser Antrag ist unzulässig (im Folgenden unter Nr. 2).
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 29.06.2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.06.2022 ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der vorliegenden Fallgestaltung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise in den Fällen anordnen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Vorliegend hat der vom Antragstellerbevollmächtigten eingelegte Widerspruch vom 29.06.2022 gegen den Bescheid vom 22.06.2022 nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG, § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung.
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Das Gericht entscheidet über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG aufgrund einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung sowie das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Widerspruchs bzw. der Klage eine wesentliche Bedeutung zu. Je größer die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene dadurch in seinen Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil in diesen Fällen ein öffentliches Interesse oder ein Interesse eines Dritten an der Vollziehung des Verwaltungsakts nicht erkennbar ist. Wenn der Widerspruch oder die Klage dagegen aussichtslos sind, dann wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei der Grad der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens mitberücksichtigt werden kann (zum Ganzen: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 86 b, RdNrn. 12e - 12i).
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Wenn - wie hier - ein Fall des § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG vorliegt, ist weiterhin zu berücksichtigen, dass das Gesetz ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zulasten des Suspensiveffekts vorsieht, weil der Gesetzgeber die sofortige Wirkung zunächst einmal angeordnet hat und damit dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen eingeräumt hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Meyer-Ladewig, a.a.O., RdNr. 12c) und ist in der Regel nur dann gerechtfertigt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (BayLSG, B. v. 20.12.2012, L 7 AS 862/12, LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 12.06.2009, L 7 B 120/09 AS).
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Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs kommt die erkennende Kammer zu dem Ergebnis, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Interesse an der Vollziehung des Bescheids vom 22.06.2022 nicht überwiegt, weil auf der Grundlage des aktuellen Sach- und Streitstandes keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner festgestellten Anspruchseinschränkung nach § 1 a Abs. 7, Abs. 1 AsylbLG sowie an der vom Antragsgegner nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft vorgenommenen Aufhebung des Bescheids vom 04.01.2022 bestehen.
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Nach § 1 a Abs. 7 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 5 AsylbLG, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde und für die eine Abschiebung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 AsylG angeordnet wurde, nur Leistungen entsprechend § 1 a Abs. 1 AsylbLG, auch wenn die Entscheidung des Bundesamtes noch nicht unanfechtbar ist. Dies gilt nach § 1 a Abs. 7 Satz 2 AsylbLG nicht, sofern - was vorliegend nach Aktenlage nicht der Fall ist - ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat. Gemäß § 1 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG haben Leistungsberechtigte unter bestimmten Voraussetzungen keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG. Ihnen werden nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt (§ 1 a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG). Diese Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden (§ 1 a Abs. 1 Satz 4 AsylbLG). Unter Zugrundelegung dieses gesetzlichen Maßstabs hat die erkennende Kammer keine ernstlichen Zweifel daran, dass die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 22.06.2022 getroffene Feststellung der Anspruchseinschränkung rechtmäßig ist.
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Zunächst ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die erkennende Kammer - anders als der Bevollmächtigte des Antragstellers - keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der dargestellten gesetzlichen Regelungen hat. Auch hält die erkennende Kammer eine teleologische Reduktion des § 1 a Abs. 7 AsylbLG aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht für geboten (so auch SG Osnabrück, Gerichtsbescheid vom 09.04.2021, S 44 AY 77/19; Beschluss vom 27.01.2020, S 44 AY 76/19 ER).
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Darüber hinaus hat die erkennende Kammer keine ernstlichen Zweifel daran, dass vorliegend die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 a Abs. 7 AsylbLG erfüllt sind. Aufgrund des Erlasses der Abschiebungsanordnung mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.04.2022 ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig und damit Leistungsberechtigter nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG. Mit dem genannten Bescheid vom 20.04.2022 wurde der Asylantrag des Antragstellers in Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG unter Hinweis auf die Zuständigkeit Bulgariens als unzulässig abgelehnt und nach § 34 a Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 AsylG die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien angeordnet. Anhaltspunkte dafür, dass ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.04.2022 enthaltene Abschiebungsanordnung angeordnet hat, bestehen nach Aktenlage nicht; insbesondere wurde diesbezüglich von der insoweit darlegungspflichtigen Antragstellerseite nichts vorgetragen. Demnach bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung nach § 1 a Abs. 7 AsylbLG erfüllt sind.
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Durch den Eintritt der gesetzlichen Anspruchseinschränkung nach § 1 a Abs. 7, Abs. 1 AsylbLG und durch die vom Antragsgegner im Bescheid vom 22.06.2022 vorgenommene entsprechende Feststellung ist eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten. Demnach war die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 22.06.2022 mit Wirkung für die Zukunft vorgenommene Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 04.01.2022 ab dem 01.07.2022 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gerechtfertigt.
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Demzufolge bestehen keine ernstlichen Zweifel an der vom Antragsgegner mit Bescheid vom 22.06.2022 festgestellten Leistungseinschränkung nach § 1 a Abs. 7, Abs. 1 AsylbLG für die Zeit vom 01.07.2022 bis zum 31.12.2022, so dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen diesen Bescheid als unbegründet abzulehnen ist.
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2. Darüber hinaus ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung von Grundleistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1 statt der vom Antragsgegner zugrundegelegten Regelbedarfsstufe 2) verpflichtet werden soll, bereits unzulässig. Insoweit fehlt dem Antrag das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
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Das Rechtsschutzbedürfnis gehört zu den Prozessvoraussetzungen, die in jeder Lage des gerichtlichen Verfahrens zu prüfen sind und deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Klage bzw. des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes führt. Es ist nur gegeben, wenn der Kläger bzw. Antragsteller ein schutzwürdiges Interesse an der beantragten Rechtsschutzform hat. Es fehlt insbesondere dann, wenn angesichts der besonderen Umstände des Falles die Erhebung bzw. Aufrechterhaltung der Klage bzw. des Antrags nicht erforderlich ist, weil z.B. das verfolgte Begehren auf einfachere Weise verwirklicht werden kann oder weil die Inanspruchnahme des Gerichts aus anderen Gründen zweckwidrig ist. Es fehlt weiterhin, wenn das verfolgte Begehren die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers bzw. des Antragstellers nicht verbessern würde. Im vorliegenden Fall ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis nicht gegeben, weil sich der Antragsteller vor der Antragstellung im vorliegenden Verfahren nicht rechtzeitig mit dem Begehren nach Leistungen unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 1 an den Antragsgegner gewandt hat. Denn ein Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung besteht in der Regel nur, wenn der Antragsteller zuvor sein Begehren an den zuständigen Verwaltungsträger herangetragen hat und die normale Bearbeitungszeit abgewartet hat (BayLSG, B. v. 05.01.2015, L 15 VK 8/14 ER; BayLSG, B. v. 03.12.2020, L 18 SB 151/20 B ER; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 86 b, RdNr. 26b; jeweils m.w.N.). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Antragsteller erhält seit dem 17.12.2021 nur Grundleistungen nach den §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 Nr. 2 b AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2). Gegen die betreffenden Bewilligungsbescheide vom 03.01.2022 und vom 04.01.2022 wurde kein Widerspruch eingelegt. Bis zur Einlegung des Widerspruchs vom 29.06.2022 wurden von Antragstellerseite beim Antragsgegner zu keinem Zeitpunkt Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 geltend gemacht. Nahezu zeitgleich mit der Einlegung des Widerspruchs vom 29.06.2022 beim Antragsgegner wurde im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Antrag auf vorläufige Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) gestellt. Der Antragsgegner hatte somit vor Einlegung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Gelegenheit, sich inhaltlich mit diesem Begehren des Antragstellers auseinanderzusetzen. Für das Antragsbegehren nach vorläufiger Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) fehlt es somit am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Anhaltspunkte, die eine Ausnahme vom oben dargestellten Grundsatz der Notwendigkeit einer vorhergehenden Befassung des Antragsgegners rechtfertigen würden, sind vorliegend nach Auffassung der erkennenden Kammer nicht ersichtlich.
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Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dem geltend gemachten Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG im vorliegenden Fall in der Sache der Umstand entgegensteht, dass der Antragsgegner - wie oben ausgeführt - in sofort vollziehbarer Weise festgestellt hat, dass der Leistungsanspruch des Antragstellers nach § 1 a Abs. 7, Abs. 1 AsylbLG eingeschränkt ist. Als Rechtsfolge sieht § 1 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ausdrücklich vor, dass die betreffenden Leistungsberechtigten keinen Anspruch auf Leistungen unter anderem nach § 3 AsylbLG haben.
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Nach alledem waren die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und der Erwägung, dass der Antragsteller mit seinen Antragsbegehren erfolglos geblieben ist.