Titel:
Anfechtbarkeit des Vollzugsplans
Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4
StVollzG § 7, § 109 Abs. 1
BaySvVollzG Art. 9, Art. 103
Leitsätze:
1. Der Vollzugsplan nach Art. 9 BaySvVollzG ist grundsätzlich der Anfechtung entzogen, soweit er – noch – keine Maßnahmen zur Regelung einer Angelegenheit auf dem Gebiet Strafvollzugs iSv § 109 Abs. 1 StVollzG, Art. 103 BaySvVollzG enthält. Zulässig ist ein Antrag erst dann, wenn der Vollzugsplan Maßnahmen vorsieht, die bereits Regelungscharakter besitzen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Darüber hinaus ist der Vollzugsplan wegen der bereichsspezifischen Bedeutung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im Bereich des Strafvollzugs auch daraufhin überprüfbar, ob er verfahrensrechtlich fehlerfrei zustande gekommen ist und inhaltlich den gesetzlichen Mindestanforderungen genügt (Fortführung von BayObLG BeckRS 2021, 32370). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sicherungsverwahrung, Strafvollzug, Maßnahmen, Regelungscharakter, verfahrensrechtlich, fehlerfrei
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 13.10.2021 – SR StVK 161/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 26061
Tenor
1. Dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 13.10.2021 gewährt.
2. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 13.10.2021 wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.
3. Der Geschäftswert wird auf 500,- € festgesetzt.
Gründe
1
Gegen den Beschwerdeführer wird in der Justizvollzugsanstalt St. - Einrichtung für Sicherungsverwahrung - Sicherungsverwahrung vollstreckt.
2
Mit an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing gerichtetem Schreiben vom 22.2.2021, dort eingegangen am 24.02.2021, wendet er sich gegen den ihn betreffenden Vollzugsplan Nummer 16 von 29.1.2021. Er weist darauf hin, dass aus seiner Sicht der Vollzugsplan aufgrund mehrerer grundlegender Fehler seiner Aufgabe nicht gerecht werde.
3
Der Beschwerdeführer rügt darüber hinaus unter Ziffer a und b seines Schreibens, dass auf Seite 10 des Vollzugsplans zwar darauf hingewiesen werde, dass die Gutachterin Dr. S. von der Diagnose sexueller Sadismus Abstand nehme, dies aber keinen Eingang in den Vollzugsplan in Form therapeutischer und vollzugsöffnender Maßnahmen gefunden habe. Weiter macht er geltend, dass der Vollzugsplan von Seite 11 bis Seite 13 das Ergänzungsgutachten vom 1.10.2020 ausführlich zitiere, aber unberücksichtigt lasse, dass dieses Gutachten von der Strafvollstreckungskammer nicht für ausreichend aussagekräftig angesehen wurde.
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Die Rüge c) beanstandet, dass ihm vollzugslockernde Maßnahmen mit dem Hinweis auf verschiedene Ermittlungs- und Strafverfahren verweigert worden seien, diese Strafverfahren aber mit Einstellungen oder Freisprüchen geendet hätten, was im Vollzugsplan nicht berücksichtigt worden sei. Die Rügen d) und e) beanstanden, dass dem Beschwerdeführer seit Monaten jeglicher Kontakt zu seiner Verlobten verweigert werde. Fehlerhaft sei auch Oberregierungsrat K. nicht als gleichrangiger Psychotherapeut im Vollzugsplan genannt (Rüge f).
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Die Justizvollzugsanstalt St. - Einrichtung für Sicherungsverwahrung - nahm zum Antrag des Beschwerdeführers Stellung. Sie hält den Antrag in Ziffer a und b für unzulässig, die übrigen Anträge für unbegründet. Mit Beschluss vom 13.10.2021 wies die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 22.2.2021 zurück. Die Anträge a und b seien unzulässig, die übrigen Anträge unbegründet. Gegen diese ihm am 14.10.2021 zugestellte Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde vom 17.11.2021, die der Beschwerdeführer zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt und begründet hat, wobei er bereits am 9.11.2021 einen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Protokollierung seines Rechtsmittels angefordert hatte, dieser aber aus dienstlichen Gründen erst am 17.11.2021 die Erklärung des Beschwerdeführers entgegennahm.
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1. Dem Beschwerdeführer war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss vom 13.10.2021 zu bewilligen, weil der Beschwerdeführer innerhalb der Monatsfrist des § 118 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, Art. 103 BaySvVollzG die Protokollierung seiner Rechtsbeschwerde beantragt hat, dies aber aus Gründen unterblieb, die der Beschwerdeführer nicht zu vertreten hat (§§ 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG in Verbindung mit Art. 103 BaySvVollzG, § 44 Abs. 1 StPO). Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtsbeschwerde sind - nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - gegeben.
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2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
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Die Strafvollstreckungskammer hat die Anträge auf gerichtliche Entscheidung im Schreiben des Beschwerdeführers vom 22.2.2021 zu Recht zurückgewiesen.
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a) Der Vollzugsplan nach Art. 9 BaySvVollzG ist grundsätzlich der Anfechtung entzogen, soweit er - noch - keine Maßnahmen zur Regelung einer Angelegenheit auf dem Gebiet Strafvollzugs im Sinne von § 109 Abs. 1 StVollzG, Art. 103 BaySvVollzG enthält. Zulässig ist ein Antrag erst dann, wenn der Vollzugsplan Maßnahmen vorsieht, die bereits Regelungscharakter besitzen (zur gleich gelagerten Problematik bei Art. 9 BayStVollzG bzw. § 7 StVollzG siehe Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., 2021, § 7 StVollzG Rn. 12, 13).
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Darüber hinaus ist der Vollzugsplan wegen der bereichsspezifischen Bedeutung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im Bereich des Strafvollzugs auch daraufhin überprüfbar, ob er verfahrensrechtlich fehlerfrei zustande gekommen ist und inhaltlich den gesetzlichen Mindestanforderungen genügt (BVerfG, Beschluss vom 16.02.1993 - 2 BvR 594/92, NStZ 1993, Seite 301; vom 25.9.2006 - 2 BvR 2132/05 NStZ-RR 2008, 61; BayObLG, Beschluss vom 26.03.2021, Az.: 203 StObWs 12/21, Seite 8).
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b) An diesem Maßstab gemessen hält der Vollzugsplan in der Fassung der Fortschreibung Nummer 16 vom 29.01.2021 rechtlicher Überprüfung stand. Fehler bei der Aufstellung des Vollzugsplans sind nicht ersichtlich. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Justizvollzugsanstalt St. - Einrichtung für Sicherungsverwahrung - haben an der Fortschreibung des Vollzugsplans alle Personen mitgewirkt, die maßgeblich mit der Vollzugsplanung des Beschwerdeführers betraut waren.
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Auch inhaltlich entspricht der Vollzugsplan den Anforderungen des Art. 9 Satz 2 Nummer 1 bis 12 BaySvVollzG.
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Die individuellen Ziele der Behandlung werden im Vollzugsplan festgelegt und fortgeschrieben. So sollen beim Beschwerdeführer dessen Empathie gesteigert, seine Gewaltbereitschaft abgebaut; seine Erregbarkeit, Aggressivität und Feindseligkeit reduziert und ein realistisches Selbstkonzept, Stressbewältigungsstrategien und die Stärkung der Beziehungsfähigkeit aufgebaut werden (Seite 4 des Vollzugsplans). Auch enthält der Vollzugsplan Angaben dazu, wie diese individuellen Ziele im Fall des Beschwerdeführers erreicht werden sollen. Auf Seite 5 und 6 schlägt der Vollzugsplan beispielsweise vor, die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in die therapeutische Arbeit einzubinden und neben einer sexualtherapeutischen Behandlung triebdämpfende Maßnahmen durchzuführen.
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c) Die vom Beschwerdeführer im einzelnen beanstandeten Teile des Vollzugsplans enthalten keine Einzelfallregelung; die gegen sie gerichteten Anträge sind unzulässig.
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Diese betreffen die aus Sicht des Beschwerdeführers unzutreffenden Gutachten bzw. Ergänzungsgutachten der Frau Dr. S. Die Feststellungen im Vollzugsplan geben den Inhalt dieser Gutachten wieder; eine Einzelfallregelung ist insoweit nicht gegeben. Erst wenn gegen den Beschwerdeführer aufgrund dieser aus seiner Sicht unrichtigen Gutachten ihn belastende Maßnahmen getroffen bzw. in begünstigende Maßnahmen versagt werden, kann er diese mit der Begründung anfechten, diese Entscheidungen seien auf Grundlage eines unrichtigen Sachverständigengutachtens ergangen. Ergänzend wird auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
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Tatsächlich enthält der Vollzugsplan keinen Hinweis darauf, zu welchem Ergebnis die gegen den Beschwerdeführer gerichteten Ermittlungsverfahren geführt haben (Seite 28). Soweit es zu Einstellungen bzw. Freisprüchen kam, ist der Vollzugsplan zwar insoweit unvollständig, stellt aber dennoch keine den Beschwerdeführer belastende Einzelfallregelung dar. Erst wenn die Justizvollzugsanstalt St. - Einrichtung für Sicherungsverwahrung - wegen der Strafverfahren belastende Anordnungen gegen den Beschwerdeführer trifft bzw. begünstigende Maßnahmen ablehnt, besteht für den Beschwerdeführer die Möglichkeit, diese Maßnahmen mit der Begründung anzufechten, dass tatsächlich die Ermittlungsverfahren mit Einstellungen bzw. Freisprüchen endeten.
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Dass der Vollzugsplan keinen Hinweis auf das Verfahren SR StVK 94…/1… enthält, beinhaltet keine Einzelfallregelung, die mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden könnte. Gleiches gilt für das Schweigen des Vollzugsplans zum untersagten Kontakt des Beschwerdeführers mit seiner Lebensgefährtin. Auch insoweit fehlt es an einer Einzelfallregelung.
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Auch die fehlende Erwähnung des den Beschwerdeführer behandelnden Psychotherapeuten Oberregierungsrat K. beinhaltet keine Einzelfallregelung im Sinne von § 109 Abs. 1 StVollzG.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 121 Abs. 1, 2 StVollzG, Art. 103 BaySvVollzG. Der Geschäftswert wurde gemäß §§ 1 Abs. 1 Nummer 8, 52, 60, 65 GKG festgesetzt.