Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.09.2022 – 4 ZB 21.1994
Titel:

zur Änderung der Nutzungseis eines Holznutzungsrechts

Normenkette:
BayGO Art. 80 Abs. 1
Leitsatz:
Wird ein bestehendes Nutzungsrecht einseitig durch die Rechtler anders ausgeübt, führt eine solche geänderte Ausübung nicht zum Erlöschen des Nutzungsrechts mangels gemeinsamer Rechtsüberzeugung, diese ist vielmehr von der Gemeinde oder ihrer Rechtsaufsichtsbehörde zu beanstanden.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Holznutzungsrecht kraft Herkommens, Änderung der Nutzungsweise, Gemeinsame Rechtsüberzeugung, radiziertes Nutzungsrecht, Holznutzungsrecht, Herkommensrecht, Rechtlerwald, gemeinsame Rechtsüberzeugung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 05.05.2021 – W 2 K 20.157
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25941

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die klagende Gemeinde ist Eigentümerin eines 450 ha großen Waldes, an dem hundert ganze und acht halbe mit bestimmten Anwesen verbundene Nutzungsrechte (sog. radizierte Nutzungsrechte) bestehen. Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass auf dem Grundstück Fl.Nr. 200, das im Eigentum des Beklagten steht, kein Holznutzungsrecht am Gemeindewald ruht.
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Mit Urteil vom 5. Mai 2021 wies das Verwaltungsgericht die Feststellungsklage der Klägerin ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass das streitgegenständliche Nutzungsrecht als Herkommensrecht bereits vor einem im Jahr 1901 mit Zustimmung der Klägerin geschlossenen Vergleich zwischen Rechtlern und Nichtrechtlern bestanden habe. Ab dem Jahr 1978 habe sich am Bestehen der Nutzungsrechte weder durch die Bildung der Verwaltungsgemeinschaft E. noch durch die zeitweise Selbstbewirtschaftung des „Rechtlerwaldes“ - mit Zustimmung der Klägerin und in Abstimmung mit der Forstbehörde - und die Verteilung der Nutzungen durch die Rechtler etwas geändert. Die Klägerin vermenge die Existenz der Nutzungsrechte mit der Frage der Waldbewirtschaftung. Die Klägerin habe bereits etwa 1929 und nicht erst 1978 durch ihren ersten Bürgermeister diese Aufgaben auf die Rechtler übertragen, wobei sie sich ihrer Eigentümerstellung am Wald bewusst gewesen sei. Es sei Obliegenheit der Klägerin, sich um ihr Eigentum zu kümmern, wie es die Gemeindeordnung vorschreibe (vgl. Art. 74 Abs. 2 und 3 GO). Dem Protokoll der Versammlung vom 12. November 1929 sei zu entnehmen, dass der damals nach außen vertretungsberechtigte erste Bürgermeister der „Trennung der Rechtlersache von der Gemeinde“ zugestimmt habe und ein Rechtlerausschuss mit einem Rechtlervorstand habe gebildet werden sollen. Der Rechtlervorstand habe künftig den „Holzstrich“ (Versteigerung des Holzes) anstelle des ersten Bürgermeisters durchführen sollen, alle weiteren anfallenden Arbeiten hätten ehrenamtlich erledigt werden sollen. Diese Übertragung der gemeindlichen Aufgaben bei der Waldbewirtschaftung und Holzverteilung auf die Rechtler sei grundsätzlich zulässig. Die Gemeinde könne sich zur Verwaltung und Bewirtschaftung der belasteten Grundstücke im Einzelfall durchaus der Rechtler bedienen. Der Klägerin sei dadurch aber nicht die Mitsprache an der Verteilung der in ihr Eigentum fallenden Erzeugnisse und Erträge aus dem Gemeindewald nach Maßgabe des Herkommensrechts von vornherein genommen worden. Der Vergleich von 1901 sei auch ansonsten wirksam, ohne dass es einer ergänzenden Vertragsauslegung bedürfe. Auch eine Anpassung des Vergleiches hinsichtlich der Verteilung des Stammholzes sei nicht zulässig, da dies zu einer inhaltlichen Umgestaltung und Ausweitung des Nutzungsrechts zugunsten der Gemeinde führen würde, die nach Art. 80 Abs. 1 GO nicht zulässig sei.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Der Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Zulassungsantrag ist nicht mangels Vertretungsmacht des ersten Bürgermeisters der Klägerin unzulässig.
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Mit Bescheid vom 30. Oktober 2017 erklärte das Landratsamt H. als Rechtsaufsichtsbehörde den Selbsteintritt in Rechtlerangelegenheiten der klagenden Gemeinde, weil der Gemeinderat mehrheitlich und alle Bürgermeister selbst Rechtler seien. Mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 30. Juni 2021 hob das Landratsamt den Selbsteintritt auf und ermächtigte den ersten Bürgermeister in Angelegenheiten, die den mit Nutzungsrechten belasteten Gemeindewald betreffen, anstelle des Gemeinderats zu handeln. Zur Begründung führte das Landratsamt aus, dass die Gründe für den Selbsteintritt gemäß Art. 114 Abs. 2 GO entfallen seien, da der erste Bürgermeister sein Holznutzungsrecht an den Sohn seiner Nichte verschenkt habe. Die Beauftragung gelte insbesondere nicht für solche gemeindlichen Entscheidungen, bei denen es um die Genehmigung der Übertragung von Nutzungsrechten gehe.
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Der Beklagte ist der Meinung, dass die Stellung des Zulassungsantrags einer Beschlussfassung im Gemeinderat bedurft hätte, weil die Gemeinderatsmitglieder, die auch Rechtler seien, nicht unmittelbar von diesem Gerichtsverfahren betroffen seien. Es gehe nicht um deren Rechte, sondern nur um sein Holznutzungsrecht. Diesem Einwand folgt der Senat nicht.
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Wenngleich das vorliegende Verfahren - ohne Beiladung (§ 65 Abs. 1 VwGO) der anderen Rechtler - nur Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten dieses Gerichtsverfahrens zur Folge hat (§ 121 Nr. 1 VwGO) und das Nutzungsrecht ein Individualrecht ist, sind die Gemeinderatsmitglieder, die ebenfalls Rechtler oder aus den sonstigen Gründen des Art. 49 Abs. 1 Satz 1 GO persönlich beteiligt sind, von dieser Entscheidung unmittelbar betroffen. Die zu entscheidenden Rechtsfragen haben tatsächliche Konsequenzen für alle Rechtler der Gemeinde, da das Nutzungsrecht unteilbar und für alle Rechtler inhaltsgleich ist (Thomas Bauer, Die öffentlichen Nutzungsrechte in Bayern, beck-online, PdK Bay D-6, Anm. 2.4.3, 2.4.4 m.w.N.). Ein Beschluss des Gemeinderats über die Stellung eines Zulassungsantrags könnte diesen Gemeinderäten einen unmittelbaren, nämlich adäquat-kausalen Vorteil im Sinn von Art. 49 Abs. 1 Satz 1 GO bringen, weil bei einer ablehnenden Entscheidung des Gemeinderats (die im Übrigen nach dem Vortrag des Beklagten zu erwarten wäre) das zugunsten des Beklagten ergangene Urteil der Erstinstanz in Rechtskraft erwachsen würde und präjudizierende Wirkung für das Nutzungsrecht der anderen Rechtler hätte (vgl. HessVGH, U.v. 28.11.2013 - 8 A 865/12 - juris - Rn.24, 26).
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2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
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a) Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) liegt nicht vor. Ihr Vorbringen ist nicht geeignet, einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 - BVerfGE 151,173 Rn. 32 m.w.N.).
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Die Klägerin wendet unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 16. März 2015 (4 ZB 14.359 - juris) ein, dass die Rechtler und damit auch der Beklagte und seine Rechtsvorgänger ab 1978 den Gemeindewald selbst bewirtschaftet hätten. Die Rechtler hätten sich die Erzeugnisse und Erträge des Gemeindewaldes ohne Zuteilung durch die Gemeinde angeeignet, auf eigene Rechnung vermarktet und unter sich verteilt. Durch diese nichtrechtskonforme Ausübung sei das Nutzungsrecht der Rechtler erloschen. Es habe ab diesem Zeitpunkt auch keine gemeinsame Rechtsüberzeugung seitens der Gemeinde bestanden. Die bloße Duldung durch den Bürgermeister und den Gemeinderat, die immer - mehrheitlich - persönlich beteiligt gewesen seien, sei keine Rechtsüberzeugung im Sinn von Art. 80 Abs. 2 Satz 1 GO.
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Der Senat ist mit dem Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass das Holznutzungsrecht des Beklagten nicht erloschen ist. Es ist weder durch die Änderung der Ausübungsweise (aa) noch mangels gemeinsamer Rechtsüberzeugung (bb) erloschen.
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Die Klägerin bestreitet das Holznutzungsrecht des Beklagten kraft Herkommens als solches im Zulassungsverfahren nicht mehr (so bereits die Entscheidung des Königlichen Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1912 - Nr. 76 II/10 - nach einem Vergleich zwischen Rechtlern, Nichtrechtlern und Gemeinde mit Zustimmung der Staatsbehörde am 23. Juni 1901).
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Gemäß Art. 80 Abs. 2 Satz 1 GO sind Nutzungsrechte nur begründet, wenn ein besonderer Rechtstitel vorhanden ist oder wenn das Recht mindestens seit dem 18. Januar 1922 ununterbrochen kraft Rechtsüberzeugung ausgeübt wird. Art. 80 Abs. 2 Satz 2 GO regelt die Unschädlichkeit bestimmter Unterbrechungen.
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aa) Voraussetzung des Fortbestehens eines Nutzungsrechts ist, dass der Rechtler das Nutzungsrecht seit dem 18. Januar 1922 ununterbrochen ausübt.
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Ausüben bedeutet, dass der Rechtler die aus dem Nutzungsrecht folgenden Ansprüche tatsächlich laufend wahrnimmt. Tatsächliche Ausübung bedeutet regelmäßig Ausübung in „Natur“. Da Nutzungsrechte aber keine dingliche Rechtsposition des Berechtigten beinhalten (BayVGH, B.v. 16.3.2015 - 4 ZB 14.359 - juris Rn. 6 m.w.N.), obliegt es der Gemeinde als Eigentümerin der belasteten Grundstücke die Früchte zu ziehen und die von den Nutzungsrechten erfasste Menge in Natur so aufzuteilen, wie ganze Nutzungsrechte bestehen. Diese Teile werden dann von der Gemeinde den einzelnen Rechtlern ganz oder teilweise zugeteilt und übertragen (BayVGH, U.v. 13.6.1973 - 146 IV 68 - BayVBl 1973, 611/613).
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Vorliegend haben die Rechtler kraft Herkommens ein nahezu uneingeschränktes Holznutzungsrecht am Gemeindewald. Anders als in der Entscheidung des Senats vom 16. März 2015 (a.a.O.) stellt sich hier nicht die Frage, ob bei einer bestimmten Rechtsausübung ein Nutzungsrecht kraft Herkommens entstanden ist, sondern, ob eine geänderte Ausübung des Nutzungsrechts das Nutzungsrecht als solches zum Erlöschen bringt. Dies ist hier nicht der Fall: Die Gemeinde oder mittelbar deren Rechtsaufsicht können und müssen - wie vorliegend geschehen - die Bewirtschaftung, Zuteilung und Gewährung der Nutzungen wieder an sich ziehen. Die rechtmäßige Ausübung des Nutzungsrechts ist selbständig durchsetzbar. Die Bewirtschaftung durch die Gemeinde ist Folge ihrer Eigentümerstellung hinsichtlich der belasteten Grundstücke, nicht aber Bedingung für ihr Fortbestehen (vgl. BayVGH, U.v. 10.8.1983 - 4 B 81.2482 - BayVBL 1984, 210 zur Nichtzahlung eines Rechtlerbeitrags; vgl. auch BayVGH, U.v. 31.7.1992 - 4 B 88.486 - UA S. 10/11: die Gemeinde muss sich die Einzelverpachtung der Grundstücke durch Rechtler zurechnen lassen, weil sie Träger der Bewirtschaftungsbefugnis ist; vgl. auch Entschließung des bayerischen Innenministeriums vom 28.2.1958 Nr. I B 1 - 3003 - 91/1, kommentiert in Fundstelle 1958 Nr. 230 Nr. 2, wonach gegen den Grundsatz der Verwaltung durch die Gemeinde in der Praxis häufig verstoßen wird).
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bb) Auch die Ausübung des Nutzungsrechts kraft gemeinsamer Rechtsüberzeugung ist durch die Selbstbewirtschaftung des Gemeindewaldes seitens der Rechtler nicht entfallen.
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Eine gemeinsame Rechtsüberzeugung ist anzunehmen, wenn Gemeinde und Rechtler der Überzeugung sind, dass die Rechtler aufgrund ihrer Nutzungsbefugnis ihr Nutzungsrecht ausüben.
22
Dies bestreitet die Klägerin im Hinblick auf die umfassende Selbstbewirtschaftung durch die Rechtler ab 1978. Fest steht jedoch, dass die Gemeinde und ihre Rechtsaufsicht (wie auch die zuständigen forstwirtschaftlichen Ämter) diese Änderung der Ausübungsweise gekannt und nichts dagegen unternommen haben, so dass die Klägerin sich diese langjährige Praxis wie im Fall positiver Billigung zurechnen lassen muss (vgl. BayVGH, U.v. 31.7.1992 - 4 B 88.486 - UA S. 12 - n.v.). Eine Billigung oder Duldung seitens der Gemeinde kann ein Herkommensrecht auf Gemeindenutzungen zwar nicht begründen. Davon zu unterscheiden ist aber der Fall, dass ein bestehendes Nutzungsrecht später einseitig durch die Rechtler anders ausgeübt wird. Eine solche geänderte Ausübung führt - auch im Hinblick auf Art. 49 GO analog - nicht zum Erlöschen des Nutzungsrechts mangels gemeinsamer Rechtsüberzeugung, sondern ist von der Gemeinde oder ihrer Rechtsaufsichtsbehörde zu beanstanden (vgl. Thomas Bauer, Die öffentlichen Nutzungsrechte in Bayern, beck-online, PdK Bay D-6, Anm. 3.2.2.2.4).
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b) Die Klägerin rügt die Unwirksamkeit des Vergleichs von 1901. Der Vergleich könne wegen Unverhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht aufrechterhalten werden. Die Rechtler hätten für die Erzeugnisse (Brennholz) und Erträgnisse (Verkauf des Stammholzes) aus dem Gemeindewald nur 35.000 Mark (20 Jahre lang 1.750 Mark) bezahlt.
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Wie bereits vom Königlichen Verwaltungsgerichtshof 1912 festgestellt, hat der Vergleich keine Nutzungsrechte der Rechtler begründet, diese bestanden vielmehr kraft Herkommen. Die Zahlung der 35.000 Mark ist somit schon keine Gegenleistung, bei der die Verhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung geprüft werden könnte. Im Übrigen dürfte diese Zahlung ihren Grund darin haben, dass die Rechtler bis 1903 keine Lasten und Auslagen der Gemeinde für den Gemeindewald getragen haben (BayVGH, U.v. 12.12.1912, UA S. 24).
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3. Besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) bestehen nicht. Aufgrund der bereits vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zu den Holznutzungsrechten lassen sich die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen ohne weiteres anhand der anzuwendenden Rechtsvorschriften und der dazu ergangenen Rechtsprechung beantworten.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).