Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.09.2022 – 3 CS 22.1637
Titel:

Verbots des Führens der Dienstgeschäfte bei Zweifel an Dienstfähigkeit

Normenketten:
BayBG § 6 Abs. 4
BeamtStG § 39
VwGO § 80 Abs. 5
BayVwVfG Art 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
Leitsatz:
Es kann zwingende dienstliche Gründe für die Anordnung des Verbots des Führens der Dienstgeschäfte darstellen, wenn bei einem geschäftsleitenden Beamten eine bipolare affektive Störung bekannt ist, Anhaltspunkte für ein kontinuierliches Absinken der Arbeitsleistung und fehlende Impulskontrolle bestehen und er einen axt-ähnlichen Gegenstand in seinem Dienstzimmer aufbewahrt.  (Rn. 5 und 8 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verbot der Führung der Dienstgeschäfte, Geschäftsleitender Beamter, Zweifel an Dienstfähigkeit, Verdacht auf Gefährdung des Dienstbetriebs, geschäftsleitender Beamter, Gefährdung des Dienstbetriebs
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 06.07.2022 – B 5 S 22.457
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25940

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Das Erstgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen das mit Bescheid vom 29. März 2022 für sofort vollziehbar erklärte (Ziffer III.) Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (Ziffer I.) und Betretungsverbot der Geschäftsräume der Antragsgegnerin ohne vorherige Genehmigung durch den Gemeinschaftsvorsitzenden (Ziffer II.) wiederherzustellen, zutreffend abgelehnt. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen - und gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfenden - Gründe führen zu keiner anderen Beurteilung.
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1. Ein etwaiger Anhörungsmangel (§ 39 BeamtStG i.V.m. Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBG) ist mittlerweile geheilt, Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG. Im Rahmen seines Klage- und Eilverfahrens hatte der Antragsteller umfassend Gelegenheit, zur Sache Stellung zu nehmen. Die Antragsgegnerin hat das Vorbringen zur Kenntnis genommen und sich mit diesem in ihren Schriftsätzen vom 1. Juni 2022 und 5. September 2022 vollumfänglich auseinandergesetzt. Sie hat sich insbesondere nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung (nur) zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Antragstellers erkennbar zum Anlass genommen, die Entscheidung kritisch zu überdenken. So führte sie unter anderem aus, dass „die bestehenden Zweifel an der Dienstfähigkeit des Antragstellers … trotz der vorgelegten privatärztlichen Atteste vollumfänglich bestehen“ blieben (Schr. v. 1.6.2022, S. 2) und nicht „durch die Ausführungen in der Antragserwiderung … relativiert, geschweige denn beseitigt“ (Schr. v. 1.6.2022, S. 6; v. 5.9.2022, S. 2) würden.
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2. In materieller Hinsicht zeigt der Antragsteller gleichfalls keine durchgreifenden Mängel auf, die seiner Beschwerde zum Erfolg verhelfen könnten.
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Die Antragsgegnerin und mit ihr das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass in der Person des Antragstellers zwingende dienstliche Gründe für die Anordnung des Verbots des Führens der Dienstgeschäfte (§ 39 Satz 1 BeamtStG) gegeben sind.
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Bei dem Begriff der zwingenden dienstlichen Gründe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Diese liegen vor, wenn bei einer weiteren Ausübung des Dienstes durch den Beamten auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären. Die zu befürchtenden Nachteile müssen so gewichtig sein, dass dem Dienstherrn die Führung der Dienstgeschäfte durch den Beamten bis zur abschließenden Klärung und Entscheidung nicht zugemutet werden kann (OVG NW, B.v. 30.7.2015 - 6 A 1454/13 - juris Rn. 7 ff. m.w.N.). Anders als bei der vorläufigen Dienstenthebung im Zusammenhang mit einem Disziplinarverfahren kommt es bei einem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Satz 1 BeamtStG nicht auf ein vorwerfbares Fehlverhalten des Beamten an, sondern auf die objektive Gefährdung des Dienstes (BVerwG, B.v. 17.7.1979 - 1 WB 67.78 - juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 20.3.2017 - 3 ZB 16.921 - juris Rn. 6; Kohde in v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Stand: September 2022, § 39 Rn. 29).
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Die Feststellung des Verwaltungsgerichts (BA S. 14), dass gegenwärtig ein auf hinreichenden Anhaltspunkten beruhender Verdacht einer Gefahrenlage besteht, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ein solcher Verdacht ist für das Vorliegen eines zwingenden dienstlichen Grundes ausreichend (BayVGH, B.v. 20.3.2017 - 3 ZB 16.921 - juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 25.3.2021 - 6 B 2055/20 - juris Rn. 21; Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Mai 2022, § 39 BeamtStG Rn. 28).
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a) Das Verwaltungsgericht führt hinsichtlich der von der Antragsgegnerin geltend gemachten Zweifel an der Dienstfähigkeit des Antragstellers zu Recht aus (BA S. 14), dass beim Antragsteller unstreitig eine bipolare affektive Störung bestehe, derentwegen er jedenfalls im Jahr 2022 über einen längeren Zeitraum dienstunfähig erkrankt gewesen sei. Soweit das Verwaltungsgericht die ärztliche Feststellung (vorl. Arztbrief v. 8.6.2022), im Entlassungszeitpunkt habe sich der Antragsteller glaubhaft von Eigen- und Fremdgefährdung distanziert und es hätten keine kognitiven Beeinträchtigungen vorgelegen, als „Momentaufnahme“ bezeichnet (BA S. 15), ist dies angesichts des im gleichen Arztbrief (v. 8.6.2022 und 28.6.2022, S. 4) ausdrücklich enthaltenen Vorbehalts, dass eine endgültige diagnostische Einordnung erst nach Einbeziehung der neuropsychologischen Diagnostik und der Demenzmarker in der Liquordiagnostik möglich sei, rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit maßt sich das Verwaltungsgericht keine eigene medizinische Sachkunde an.
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Aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen lässt sich weiter entnehmen, dass der Antragsteller selbst „eine Minderung der kognitiven Leistung in Bezug auf die Arbeit“ wahrnahm. „Fremdamnamnestisch beschrieb die Ehefrau kognitive Einschränkungen im Rahmen der depressiven Phasen seit 2015, die bei psychischer Stabilisierung rückläufig seien (…). Seit Ende letzten Jahres nehme sie eine zunehmende Vergesslichkeit und leichtere Reizbarkeit wahr, die zeitlich mit Zunahme der beruflichen Belastung auftrete“ (Arztbrief v. 8.6.2022, S. 4; v. 29.7.2022 S. 4). Ärztlicherseits werde aktuell von einer Anpassungsstörung im Rahmen der beruflichen Belastungssituation mit konsekutiv leicht depressiver Symptomatik ausgegangen. Im Hinblick auf die bipolare Störung werde dringend eine ambulante Fortführung der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung empfohlen (Arztbrief v. 29.7.2022 S. 5). Die neuropsychologische Testung liefere Hinweise auf unterdurchschnittliche Leistungen im Bereich der Wortfindung und des Arbeitsgedächtnisses. Das Testprofil entspreche dem einer leichten kognitiven Störung (Arztbrief v. 7./11.7.2022, S. 2 f.). Insoweit trifft der Einwand des Antragstellers, in den aktuellen (sechs) Arztbriefen vom 2. Juni bis 29. Juli 2022 würden weder kognitive Einschränkungen noch sonstige psychische Beeinträchtigungen festgestellt, die über eine bipolare affektive Störung hinausgingen, ersichtlich nicht zu.
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b) Der Antragsteller bestreitet darüber hinaus ein kontinuierliches Absinken seiner Arbeitsleistung. Das Erstgericht habe die Angaben der Antragsgegnerin zu Schwächen seiner Arbeitsleistungen trotz seiner Gegendarstellung und des von ihm vorgelegten vorläufigen Arztbriefs vom 8. Juni 2022 (Anlage ASt 8) unkritisch übernommen. Dabei verkennt der Antragsteller jedoch, dass es entsprechend dem Zweck des Verbots genügt, wenn der zuständige Vorgesetzte auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse zu der begründeten Überzeugung gelangt, dass dienstliche Gründe ein sofortiges Handeln erfordern und das Verbot der Ausübung des Dienstes nach § 39 Satz 1 BeamtStG als zwingend geboten erscheinen lassen (vgl. zu § 22 SG: BVerwG, B.v. 19.11.1998 - 1 WB 36.98 - juris Rn. 8; NdsOVG, B.v. 20.4.2010 - 5 ME 282/09 - juris Rn. 13). Die endgültige Aufklärung ist den in § 39 Satz 2 BeamtStG aufgeführten weiteren Verfahren vorbehalten (OVG NW, B.v. 17.6.2013 a.a.O).
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Vor diesem Hintergrund sind auch die Ausführungen des Verwaltungsgericht (BA S. 15) hinsichtlich der Vorgänge, die zu vermeidbaren finanziellen Belastungen der Gemeinden geführt hätten (Kleineinleiterabwasserabgabe und Niederschlagswasserabgabe), nicht zu beanstanden, wonach sich aus dem vorgelegten Schriftverkehr des Antragstellers mit dem Landratsamt jedenfalls eine erheblich verzögerte Aufgabenerledigung ergebe, bezüglich derer der Antragsteller in seiner damaligen Funktion als geschäftsleitender Beamter jedenfalls eine Mitverantwortung tragen dürfte. Wie aus der E-Mail des Landratsamtes vom 29. Juni 2021 ersichtlich, war der Antragsteller zuständiger Ansprechpartner für die Kleineinleiterabwasserabgabe. Als Adressat der E-Mail wurde er für die Gemeinde aufgefordert, die erforderlichen Informationen und Unterlagen bis zum 31. Juli 2021 vorzulegen. Die vom Antragsteller mit E-Mail vom 30.7./4.8.2021 übersandten Aufstellungen und Unterlagen erwiesen sich jedoch als „unzureichend“ bzw. „nicht plausibel“ (E-Mail des Landratsamtes v. 30.12.2021).
12
c) Zu Recht pflichtete das Verwaltungsgericht dem Antragsteller bei, dass der Schriftverkehr, in dem sich der Antragsteller gegenüber Behörden und Bürgern im Ton vergriffen habe (Schr. v. 21.8.2018/ 27.8.2019), bereits einige Jahre zurückläge. Gleichwohl stellte das Verwaltungsgericht aber auch zutreffend fest, dass die beiden Schreiben „in Zusammenschau mit den beiden aktuellen Stellungnahmen der (ehemaligen) Verwaltungsmitarbeiter“ (v. 30.4.2021 und 10.5.2022, VG-Akte S. 76 f.) jedenfalls zureichende tatsächliche Anhaltspunkte lieferten, die weitere Ermittlungen der Antragsgegnerin erforderlich machten. Allenfalls flankierend rekurrierte es somit auf die beiden älteren Schreiben, währenddessen es folgerichtig im Schwerpunkt auf die beiden vorliegenden aktuellen Stellungnahmen abstellte, wonach der Antragsteller während des Dienstbetriebs eine fehlende Impulskontrolle an den Tag gelegt habe und Auseinandersetzungen häufig lautstark habe eskalieren lassen.
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d) Die Klassifizierung des sich im Dienstzimmer des Antragstellers vorgefundenen Gegenstandes als „Axt“ (vgl. noch Antragsschrift v. 13.5.2022, S. 8) oder als „Hammer mit einer spitz zulaufenden Seite“ (so nunmehr Beschwerdebegründung v. 8.8.2022, S. 4) kann ebenso dahinstehen wie die Glaubhaftigkeit seines Vortrags, wie und wann er in den Besitz des Gegenstandes gelangt ist. Denn seine Ausführungen vermögen jedenfalls nicht zu erklären, weshalb sich die Axt/der Hammer seit 2014 im Geschäftszimmer des Antragstellers befindet. Entgegen der Beschwerdebegründung haben zudem weder die Antragsgegnerin noch das Verwaltungsgericht behauptet, dass der Antragsteller den Gegenstand erst in letzer Zeit in seine Diensträume verbracht habe, um sich in welcher Form auch immer abreagieren zu können. Dass das Auffinden der Axt/des Hammers aber dazu geeignet ist, den Verdacht einer erheblichen Beeinträchtigung dienstlicher Belange zu begründen, vermag der Antragsteller schon angesichts der Erläuterung der Kündigungsgründe einer ehemaligen Kollegin des Antragstellers (v. 10.5.2022 - VG-Akte S. 77) nicht ernstlich in Abrede zu stellen.
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e) Da - wie dargestellt - der Verdacht einer Gefahrenlage auf einer Vielzahl weiterer hinreichender Anhaltspunkte beruht, kann offen bleiben, ob die zwischen den Beteiligten außer Streit stehende Entgleisung des Antragstellers am 30. April 2021 (vgl. Aktenvermerk v. 30.4.2021, VG-Akte S. 76) sowie die Vielzahl von Akten in seinem Arbeitszimmer allein die Anordnung des Verbots des Führens der Dienstgeschäfte (§ 39 Satz 1 BeamtStG) rechtfertigen können.
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f) Zu den erstinstanzlichen Ausführungen über die Unschädlichkeit unterbliebener Mitarbeitergespräche verhält sich die Beschwerdebegründung nicht. Der Antragsteller wiederholt lediglich seine unzutreffende Sichtweise, dass die vorgelegten ärztlichen Unterlagen keine kognitiven Einschränkungen belegten (siehe hierzu unter 2.a). Indem er meint, Mitarbeitergespräche bewirkten regelmäßig auch Verhaltensänderungen der Betroffenen, setzt er sich nicht ansatzweise mit dem zutreffenden Hinweis des Verwaltungsgerichts auseinander, dass es auf ein vorwerfbares Fehlverhalten des Beamten gerade nicht ankomme (BA S. 16). Zudem kommen (regelmäßige) Mitarbeitergespräche gegenüber dem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte auch nicht als milderes Mittel in Betracht. Abgesehen davon, dass ausgesprochen fraglich ist, ob die gesundheitlichen Defizite des Antragstellers mit Mitarbeitergesprächen überhaupt gelöst werden können, erweisen sich diese nicht als gleichermaßen geeignete Mittel, um dem Verdacht einer Gefährdung des Dienstbetriebs wirksam zu begegnen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).