Titel:
Erfolglose Berufung in baurechtlichem Nachbarstreitverfahren gegen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Hotels
Normenketten:
VwGO §124, § 124a
TA Lärm Nr. 6.1
Leitsatz:
Für Gemengelagen sieht die TA Lärm die Bildung eines „geeigneten Zwischenwertes der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte“ vor. Die Zwischenwertbildung unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit. Bei der Bildung ist von den in Nr. 6.1 TA Lärm festgelegten Immissionsrichtwerten auszugehen. Dabei ist eine Erhöhung des für das schutzbedürftige Gebiet geltenden Immissionsrichtwertes zu prüfen. Diese Erhöhung darf nicht den Immissionsrichtwert für das Gebiet mit der störenden Nutzung erreichen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Geplanter Hotelbetrieb in Nachbarschaft zu reinem Wohngebiet, Gemengelage, Festsetzung von Immissionsrichtwerten, Baurecht, drittschützende Nachbarrechte, Lärmimmissionen, Beriebsbeschreibung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 18.02.2022 – M 9 K 20.3101
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25937
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinem ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die angegriffene Baugenehmigung zum Neubau eines Hotels mit Wellness und Therapie vom 9. Juni 2020 verletzt keine im Zulassungsverfahren thematisierten drittschützenden Vorschriften.
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a) Zu Recht ist das Verwaltungsgericht entgegen der Zulassungsbegründung davon ausgegangen, dass für die Frage der zulässigen Lärmimmissionen im hier zu entscheidenden Fall von einer Gemengelage auszugehen ist, die zur Heranziehung der Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet führt. Als Gemengelage bezeichnet die TA Lärm das Aneinandergrenzen von einerseits gewerblich oder in ihrer Geräuschauswirkung vergleichbar genutzten Gebieten und von andererseits zum Wohnen dienenden Gebieten, ohne dass es auf eine entsprechende bauplanungsrechtliche Ausweisung ankommt (Landmann/Rohmer UmweltR/Hansmann, 97. EL Dezember 2021, TA Lärm 6 Rn. 25). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob der geplante Hotelbetrieb in einem Sondergebiet Fremdenverkehr liegt, oder ob von einem Sondergebiet Klinik/Sanatorium auszugehen ist. Letzteres behauptet die Zulassungsbegründung unter dem Gesichtspunkt, dass die Bebauungspläne der Beigeladenen zu 2 vom 7. April 2005 bzw. vom 5. Juni 2020 unwirksam seien. Denn jedenfalls wird das Vorhabengrundstück (derzeit und zukünftig) als Hotelbetrieb gewerblich genutzt und grenzt durch einen öffentlichen Weg getrennt an das klägerische Grundstück an, das unstreitig in einem reinen Wohngebiet liegt.
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Es kommt auch nicht darauf an, dass - wie die Zulassungsbegründung meint - die sich gegenüberliegenden Nutzungen zeitgleich entstanden sind oder dass die möglicherweise schützenswerte Nutzung zeitlich vor der möglicherweise störenden Nutzung vorhanden war. Unabhängig von dieser zeitlichen Komponente sind Nutzungskonflikte infolge Lärmimmissionen in Gemengelagen, also in Bereichen, in denen Gebiete unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit zusammentreffen, dem Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme entsprechend auszugleichen (BVerwG, U.v. 12.12.1975 - 4 C 71.73 - BVerwGE 50, 49). Dabei können situationsbedingte Umstände die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme mindern und zu einer erhöhten Hinnahme von sonst nicht (mehr) zumutbaren Beeinträchtigungen führen. Angesichts der Belastung der Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme ist eine Art „Mittelwert“ zu bilden, der zwischen den Immissionsrichtwerten liegt, die für benachbarte Gebiete unterschiedlicher Nutzung und damit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit - bei jeweils isolierter Betrachtung - vorgegeben sind (BVerwG, B.v. 5.3.1984 - 4 B 171.83 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 98).
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Für Gemengelagen sieht die TA Lärm die Bildung eines „geeigneten Zwischenwertes der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte“ vor. Die Zwischenwertbildung unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit. Bei der Bildung ist von den in Nr. 6.1 TA Lärm festgelegten Immissionsrichtwerten auszugehen. Dabei ist eine Erhöhung des für das schutzbedürftige Gebiet geltenden Immissionsrichtwertes zu prüfen. Diese Erhöhung darf nicht den Immissionsrichtwert für das Gebiet mit der störenden Nutzung erreichen. Geeignet ist ein Zwischenwert dann, wenn ihm ein zutreffender Maßstab dafür entnommen werden kann, ob die in dem zum Wohnen dienenden Gebiet auftretenden Geräuschimmissionen als unzumutbare Belästigungen und damit als schädliche Umwelteinwirkungen anzusehen sind (Landmann/Rohmer UmweltR/Hansmann, 97. EL Dezember 2021, TA Lärm 6 Rn. 26). Die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Mittelwertbildung führe zu einer Zugrundelegung der Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet, hat die Zulassungsbegründung nicht substantiiert in Zweifel gezogen; sie erscheint auch dem Senat angemessen.
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b) Unter Zugrundelegung der für ein allgemeines Wohngebiet einschlägigen Immissionsrichtwerte ist in Ansehung der Zulassungsbegründung nicht davon auszugehen, dass das Anwesen der Klägerin unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen ausgesetzt wird.
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Die Auflage Nr. 3 der Auflagen der Fachstelle -Technischer Umweltschutzim streitgegenständlichen Bescheid (S. 152 d. B.A.) ist entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung zur Sicherung der Nachbarrechte ausreichend. Dort wird festgelegt, dass die Beurteilungspegel (entsprechend 2.10 TA-Lärm) aller Geräusche, die von den gewerblichen Nutzungen auf dem Vorhabengrundstück ausgehen, einschließlich dem betriebszugehörigen Liefer- und Kundenverkehr, an den nächstgelegenen Wohngebäuden - wie demjenigen der Klägerin - 55 dB(A) am Tag und 40 db(A) in der Nacht nicht überschreiten dürfen. In der Rechtsprechung wird teilweise vertreten, dass die Festlegung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte als Grenzwert dann nicht ausreichend ist, wenn abzusehen ist, dass die bei der Nutzung einer Anlage entstehenden Emissionen bei regelmäßigen Betrieb die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. Vielmehr müsse die genehmigte Nutzung dann bereits in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden (VG Würzburg, B.v. 7.7.2020 - W 5 S 20.700 - juris). Die Zulassungsbegründung legt aber nicht dar, dass es bei der Nutzung der geplanten Anlage regelmäßig zu einer Überschreitung der maßgeblichen Zumutbarkeitsgrenze kommen wird.
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Insbesondere die von der Klägerin beauftragte Stellungnahme der IBAS Ingenieurgesellschaft vom 7. Februar 2022 ist hierzu ungeeignet. Soweit dort ausgeführt wird, die Nutzung der Hotelvorfahrt würde unter Einbeziehung der Zu- und Abfahrten von externen Gästen nachts zu einer Überschreitung des festgesetzten Immissionsrichtwertes führen, geht sie von unzutreffenden Annahmen aus, da eine Nutzung des Hotelbetriebs durch externe Gäste ausweislich der Betriebsbeschreibung nicht vorgesehen ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass entgegen der von der Baugenehmigung als verbindlich festgelegten Betriebsbeschreibung vom 11. April 2019 tatsächlich eine Nutzung durch externe Gäste stattfinden wird. In der Betriebsbeschreibung wird ausgeführt, dass die Gastronomie ausschließlich den Hotelgästen zur Verfügung steht und der Saal und die zwei Seminarräume ausschließlich von Hotelgästen genutzt werden können. Auch der unter Nr. 8 der Betriebsbeschreibung genannte Wellness- und Sportbereich steht ausschließlich Hotelgästen zur Verfügung. Entgegen der Zulassungsbegründung ergibt sich auch aus der Auflage Nr. 9 der Auflagen der Fachstelle -Technischer Umweltschutzim streitgegenständlichen Bescheid (S. 154 d. B.A.) nichts für die Teilnahme externer Gäste am Hotelbetrieb, da es dort um Immissionsrichtwerte für Live-Musikveranstaltungen im Sinne von seltenen Ereignissen entsprechend den Nrn. 7.2 und 6.3 der TA-Lärm geht, ohne dass Aussagen zum Teilnehmerkreis getroffen werden. Hinzu kommt, dass die Nutzung der östlichen Hotelzufahrt, also derjenigen, die zum Anwesen der Klägerin hin gelegen ist, durch die Auflage Nr. 15 der Auflagen der Fachstelle -Technischer Umweltschutzim streitgegenständlichen Bescheid (S. 155 d. B.A.) auf die Zeit von 6:00 Uhr bis 21:45 Uhr zu beschränken ist. Individuelle immissionsrelevante Nebenbestimmungen führen dann zu einer tatsächlichen Konfliktbewältigung, wenn sie auf effektive Umsetzung angelegt sind, so dass bei realistischer Betrachtungsweise mit ihrer Beachtung gerechnet werden kann (OVG NRW, B.v. 10.8.2007 - 10 B 401/07 - juris). So verhält es sich hier. Zwar überlässt die Baugenehmigung die Sicherstellung der Nichtnutzung der östlichen Hotelzufahrt im fraglichen Zeitraum dem Beigeladenen zu 1. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass dies nicht mit geringem Aufwand, etwa durch die Aufstellung von Hinweisschildern oder Anbringung von Sperrketten o.ä. möglich sein sollte. Zwar ist in Einzelfällen die An- und Abfahrt von Hotelgästen auch außerhalb des fraglichen Zeitraums nicht ausgeschlossen; solche können jedoch über eine weitere, in eine Tiefgarage mündende Hotelzufahrt abgewickelt werden. Eine Vergleichbarkeit zu dem von der Zulassungsbegründung bemühten Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (B.v. 10.8.2007 - 10 B 401/07 - juris) liegt nicht vor; dort ging es um die Ausgestaltung einer Zufahrtsbeschränkung einer Gastronomie mit ausschließlich externen Nutzern.
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Außerdem befürchtet die Klägerin zu Unrecht eine Überschreitung der festgesetzten Immissionsrichtwerte durch die Nutzung der Terrassen zweier zu ihrem Anwesen hin gelegener kleiner Hotel-Dependancen (sog. Chalets mit jeweils zwei Doppelzimmern). Dass von dem Chalet 2 ausgehende Kommunikationsgeräusche in unzumutbarer Art und Weise auf das klägerische Anwesen einwirken könnten, erscheint angesichts der Entfernung schon nicht plausibel. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere die abschirmende Wirkung des Chalets gegenüber seiner Terrasse. Soweit die Stellungnahme der IBAS Ingenieurgesellschaft vom 7. Februar 2022 für die Begründung der gegenteiligen Annahme für die Nachtzeit von fünf gleichzeitig in „gehobener Sprechweise“ kommunizierenden Personen auf der Terrasse des Chalets 1 ausgeht, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, da eine Überbelegung von Hotelzimmern branchenunüblich ist. Auch widerspricht die Annahme einer dauerhaft gehobenen Sprechweise auf einem Balkon oder einer Terrasse eines Hotelzimmers (um nichts anderes handelt es sich letztlich bei den sog. Chalets) zur Nachtzeit jeder Lebenserfahrung. Im Übrigen lässt sich nicht allein anhand der Überschreitung eines Immissionsrichtwertes abschließend beurteilen, ob auf Menschen aus der Nachbarschaft einwirkenden Geräusche der Anlage schädliche Umwelteinwirkungen sind. Vielmehr ist die Erheblichkeit und damit die Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und hängt neben der speziellen Schutzwürdigkeit des betroffenen Baugebietes auch von wertenden Elementen wie solchen der Herkömmlichkeit, der sozialen Adäquanz und einer allgemeinen Akzeptanz ab (BVerwG, U.v. 29.4.1988 - BVerwG 7 C 33.87 - NJW 1988, 2396). Zu Recht weist das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Nutzung eines Hotelzimmers mit Balkon oder Terrasse derjenigen eines Wohnhauses mit Balkon oder Terrasse durchaus vergleichbar ist - zumal die Chalets in Ausgestaltung und Größe kleinen Wohnhäusern entsprechen - und vor diesem Hintergrund die möglicherweise in seltenen Einzelfällen auftretenden kurzzeitigen Belästigungen denjenigen gleichkommen, die auch ohne weiteres von dem Anwesen der Klägerin benachbarten Wohnhäusern im reinen Wohngebiet ausgehen können.
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2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Mittelwertbildung für eine Gemengelage ist ständige verwaltungsbehördliche und verwaltungsgerichtliche Praxis in baurechtlichen Nachbarstreitfällen und unter Zugrundelegung der insoweit entwickelten Grundsätze im hier zu entscheidenden Fall ohne weitere Schwierigkeiten zu treffen. Insoweit wird auf die Ausführungen unter oben 1. verwiesen. Gleiches gilt für die Feststellung, ob mit einer Überschreitung der festgesetzten Immissionsrichtwerte zu rechnen ist. Diesbezüglich unterscheidet sich der hier zu entscheidende Fall nicht wesentlich von zahlreichen anderen Nachbarschaftsverhältnissen in einer Gemengelage, die stets eine wertende Einzelfallprüfung notwendig machen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Im Berufungszulassung Verfahren sind die außergerichtlichen Kosten eines beigeladenen in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterliegenden Partei aufzuerlegen (BayVGH, B.v. 11.10.2001 - 8 ZB 01.1789 - BayVBl 2002, 378). Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).