Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen Hotelneubau in Gemengelage
Normenkette:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Nutzungskonflikte infolge Lärmimmissionen in Gemengelagen, also in Bereichen, in denen Gebiete unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit zusammentreffen, sind dem Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme entsprechend auszugleichen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für Gemengelagen sieht die TA Lärm die Bildung eines geeigneten Zwischenwertes der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte vor. Die Zwischenwertbildung unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Individuelle immissionsrelevante Nebenbestimmungen führen zu einer tatsächlichen Konfliktbewältigung, wenn sie auf effektive Umsetzung angelegt sind, so dass bei realistischer Betrachtungsweise mit ihrer Beachtung gerechnet werden kann. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baugenehmigung zum Neubau eines Hotels, Nachbar, Lärmimmissionen, Gemengelage, Grundsatz gegenseitiger Rücksichtnahme, TA Lärm, Zwischenwert, Nebenbestimmung
Vorinstanz:
VG München, Gerichtsbescheid vom 10.05.2021 – M 9 K 20.3053
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25936
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerinnen haben die Kosten des Zulassungsverfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinem ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die angegriffene Baugenehmigung zum Neubau eines Hotels mit Wellness und Therapie vom 9. Juni 2020 verletzt keine im Zulassungsverfahren thematisierten drittschützenden Vorschriften.
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a) Bereits mit Urteil vom 28. Juni 2012 (Az. 2 B 10.788), auf das die Klägerinnen in anderem Zusammenhang Bezug nehmen, hat der Senat entschieden, dass den Nachbarn des Vorhabengrundstücks kein (übergreifender) Gebietserhaltungsanspruch zukommt; hierauf wird verwiesen.
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b) Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass für die Frage der zulässigen Lärmimmissionen im hier zu entscheidenden Fall von einer Gemengelage auszugehen ist, die zur Heranziehung der Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet führt. Als Gemengelage bezeichnet die TA Lärm das Aneinandergrenzen von einerseits gewerblich oder in ihrer Geräuschauswirkung vergleichbar genutzten Gebieten und von andererseits zum Wohnen dienenden Gebieten, ohne dass es auf eine entsprechende bauplanungsrechtliche Ausweisung ankommt (Landmann/Rohmer UmweltR/Hansmann, 97. EL Dezember 2021, TA Lärm 6 Rn. 25). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob der geplante Hotelbetrieb in einem Sondergebiet Fremdenverkehr liegt, oder ob von einem Sondergebiet Klinik/Sanatorium auszugehen ist. Letzteres behauptet die Zulassungsbegründung unter dem Gesichtspunkt, dass die Bebauungspläne der Beigeladenen zu 2 vom 7. April 2005 bzw. vom 5. Juni 2020 unwirksam seien. Denn jedenfalls wird das Vorhabengrundstück (derzeit und zukünftig) als Hotelbetrieb gewerblich genutzt und grenzt am Hang höher liegend und durch eine öffentliche Straße getrennt an das klägerische Grundstück an, das unstreitig in einem reinen Wohngebiet liegt.
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Es kommt auch nicht darauf an, dass die sich gegenüberliegenden Nutzungen zeitgleich entstanden sind oder dass die möglicherweise schützenswerte Nutzung zeitlich vor der möglicherweise störenden Nutzung vorhanden war. Unabhängig von dieser zeitlichen Komponente sind Nutzungskonflikte infolge Lärmimmissionen in Gemengelagen, also in Bereichen, in denen Gebiete unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit zusammentreffen, dem Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme entsprechend auszugleichen (BVerwG, U.v. 12.12.1975 - 4 C 71.73 - BVerwGE 50, 49). Dabei können situationsbedingte Umstände die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme mindern und zu einer erhöhten Hinnahme von sonst nicht (mehr) zumutbaren Beeinträchtigungen führen. Angesichts der Belastung der Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme ist eine Art „Mittelwert“ zu bilden, der zwischen den Immissionsrichtwerten liegt, die für benachbarte Gebiete unterschiedlicher Nutzung und damit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit - bei jeweils isolierter Betrachtung - vorgegeben sind (BVerwG, B.v. 5.3.1984 - 4 B 171.83 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 98).
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Für Gemengelagen sieht die TA Lärm die Bildung eines „geeigneten Zwischenwertes der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte“ vor. Die Zwischenwertbildung unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit. Bei der Bildung ist von den in Nr. 6.1 TA Lärm festgelegten Immissionsrichtwerten auszugehen. Dabei ist eine Erhöhung des für das schutzbedürftige Gebiet geltenden Immissionsrichtwertes zu prüfen. Diese Erhöhung darf nicht den Immissionsrichtwert für das Gebiet mit der störenden Nutzung erreichen. Geeignet ist ein Zwischenwert dann, wenn ihm ein zutreffender Maßstab dafür entnommen werden kann, ob die in dem zum Wohnen dienenden Gebiet auftretenden Geräuschimmissionen als unzumutbare Belästigungen und damit als schädliche Umwelteinwirkungen anzusehen sind (Landmann/Rohmer UmweltR/Hansmann, 97. EL Dezember 2021, TA Lärm 6 Rn. 26). Die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Mittelwertbildung führe zu einer Zugrundelegung der Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet, hat die Zulassungsbegründung nicht substantiiert in Zweifel gezogen; sie erscheint auch dem Senat angemessen.
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c) Unter Zugrundelegung der für ein allgemeines Wohngebiet einschlägigen Immissionsrichtwerte ist in Ansehung der Zulassungsbegründung nicht davon auszugehen, dass das Anwesen der Klägerinnen unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen ausgesetzt wird.
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Die Auflage Nr. 3 der Auflagen der Fachstelle -Technischer Umweltschutzim streitgegenständlichen Bescheid (S. 152 d. B.A.) ist entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung zur Sicherung der Nachbarrechte ausreichend. Dort wird festgelegt, dass die Beurteilungspegel (entsprechend 2.10 TA-Lärm) aller Geräusche, die von den gewerblichen Nutzungen auf dem Vorhabengrundstück ausgehen, einschließlich dem betriebszugehörigen Liefer- und Kundenverkehr, an den nächstgelegenen Wohngebäuden - wie demjenigen der Klägerinnen - 55 dB(A) am Tag und 40 db(A) in der Nacht nicht überschreiten dürfen. In der Rechtsprechung wird teilweise vertreten, dass die Festlegung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte als Grenzwert dann nicht ausreichend ist, wenn abzusehen ist, dass die bei der Nutzung einer Anlage entstehenden Emissionen bei regelmäßigen Betrieb die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. Vielmehr müsse die genehmigte Nutzung dann bereits in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden (VG Würzburg, B.v. 7.7.2020 - W 5 S 20.700 - juris). Die Zulassungsbegründung legt aber nicht substantiiert dar, dass es bei der Nutzung der geplanten Anlage regelmäßig zu einer Überschreitung der maßgeblichen Zumutbarkeitsgrenze kommen wird.
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Soweit in der Zulassungsbegründung ausgeführt wird, in der schalltechnischen Untersuchung von 11. April 2019, die eine Einhaltung der festgesetzten Immissionsgrenzwerte prognostiziert, sei zu Unrecht ein nächtlicher Zu- und Abfahrtsverkehr von externen Gästen nicht angesetzt worden, geht sie von unzutreffenden Annahmen aus, da eine Nutzung des Hotelbetriebs durch externe Gäste ausweislich der Betriebsbeschreibung nicht vorgesehen ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass entgegen der von der Baugenehmigung als verbindlich festgelegten Betriebsbeschreibung vom 11. April 2019 tatsächlich eine Nutzung durch externe Gäste stattfinden wird. In der Betriebsbeschreibung wird ausgeführt, dass die Gastronomie ausschließlich den Hotelgästen zur Verfügung steht und der Saal und die zwei Seminarräume ausschließlich von Hotelgästen genutzt werden können. Auch der unter Nr. 8 der Betriebsbeschreibung genannte Wellness- und Sportbereich steht ausschließlich Hotelgästen zur Verfügung. Auch ergibt sich auch aus der Auflage Nr. 9 der Auflagen der Fachstelle -Technischer Umweltschutzim streitgegenständlichen Bescheid (S. 154 d. B.A.) nichts für die Teilnahme externer Gäste am Hotelbetrieb, da es dort um Immissionsrichtwerte für Live-Musikveranstaltungen im Sinne von seltenen Ereignissen entsprechend den Nrn. 7.2 und 6.3 der TA-Lärm geht, ohne dass Aussagen zum Teilnehmerkreis getroffen werden.
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Entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung sind auch die An- und Abfahrten der geplanten Tiefgarage in der schalltechnischen Untersuchung vom 11. April 2019 tatsächlich berücksichtigt worden. Gleiches gilt für etwaige Zu- und Abfahrten von Omnibussen zum geplanten Hotel. Der zu erwartende Straßenverkehrslärm wurde nach der 16. BImSchV berechnet. Hierbei wurden entgegen den Ausführungen der Klägerinnen auch die Reflexionen auf das klägerische Grundstück berücksichtigt (vgl. S. 12 der schalltechnischen Untersuchung vom 11. April 2019).
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Soweit die Zulassungsbegründung ausführt, die Festschreibung von Lieferzeiten sei nicht ausreichend, um zusätzliche Lärmbelästigungen durch den Lieferverkehr zu vermeiden, kann dem nicht gefolgt werden. Individuelle immissionsrelevante Nebenbestimmungen führen dann zu einer tatsächlichen Konfliktbewältigung, wenn sie auf effektive Umsetzung angelegt sind, so dass bei realistischer Betrachtungsweise mit ihrer Beachtung gerechnet werden kann (OVG NRW, B.v. 10.8.2007 - 10 B 401/07 - juris). So verhält es sich hier. Zwar überlässt die Baugenehmigung die Sicherstellung der Einhaltung der Lieferzeiten dem Beigeladenen zu 1. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass dies nicht mit geringem Aufwand möglich sein sollte.
12
Entgegen der Zulassungsbegründung kann aus dem Umstand, dass in der Auflage Nr. 1 der Fachstelle -Technischer Umweltschutz- (S. 152 der Behördenakten) auf eine E-Mail vom 2. Dezember 2019 Bezug genommen wird, nicht auf eine Unbestimmtheit der streitgegenständlichen Baugenehmigung geschlossen werden. Tatsächlich datiert die fragliche E-Mail vom 3. Dezember 2019; insoweit handelt es sich aber um ein offensichtliches Schreibversehen.
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Die Nrn. 8, 9 und 23 der Auflagen der Fachstelle -Technischer Umweltschutz- (S. 154 bzw. 157 der Behördenakten) sind nicht zu unbestimmt, soweit dort zur Vermeidung von unzumutbaren Tiefenfrequenzen ein ausgewogenes Bass-/Höhenverhältnis vorgegeben wird. Eine solche Vorgabe ist ohne weiteres nachvollziehbar. Gleiches gilt für die konkreten Vorgaben zur Vermeidung von Körperschallübertragungen.
14
Ein Widerspruch zwischen den Auflagen Nr. 10 und Nr. 14 der Fachstelle -Technischer Umweltschutz- (S. 155 der Behördenakten) besteht nicht. Die Auflage Nr. 10 betrifft generell lärmintensive Arbeiten im Freien; die Auflage Nr. 14 befasst sich dagegen speziell mit dem Lieferverkehr - was im Übrigen entgegen der Zulassungsbegründung bereits nach dem Sprachgebrauch auch die Anlieferung von Paketen umfasst - und in diesem Zusammenhang anfallenden Verladetätigkeiten.
15
Die Auflage Nr. 11 der Fachstelle -Technischer Umweltschutz- (S. 155 der Behördenakten), die die Anordnung von Raucherzonen betrifft, ist ebenfalls ausreichend bestimmt. Im Übrigen ist aufgrund der Trennung des klägerischen Anwesens durch die öffentliche Straße vom Baugrundstück insoweit bereits nicht von einer denkbaren Belästigung oder Störung auszugehen.
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Die Bezeichnung der östlichen Hotelzufahrt in der Auflage Nr. 15 der Fachstelle -Technischer Umweltschutzist ebenfalls hinreichend bestimmt. Sie liegt deutlich östlicher als die weitere Zufahrt zum Hotel.
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2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Mittelwertbildung für eine Gemengelage ist ständige verwaltungsbehördliche und verwaltungsgerichtliche Praxis in baurechtlichen Nachbarstreitfällen und unter Zugrundelegung der insoweit entwickelten Grundsätze im hier zu entscheidenden Fall ohne weitere Schwierigkeiten zu treffen. Insoweit wird auf die Ausführungen unter oben 1. verwiesen. Gleiches gilt für die Feststellung, ob mit einer Überschreitung der festgesetzten Immissionsrichtwerte zu rechnen ist. Diesbezüglich unterscheidet sich der hier zu entscheidende Fall nicht wesentlich von zahlreichen anderen Nachbarschaftsverhältnissen in einer Gemengelage, die stets eine wertende Einzelfallprüfung notwendig machen.
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3. Die Zulassungsbegründung behauptet eine Divergenz der erstgerichtlichen Entscheidung zur Entscheidung des Senats vom 28. Juni 2012 (Az. 2 ZB 10.788) im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO dahingehend, dass in dieser Entscheidung nicht angenommen worden sei, dass als Grenzwert für die vom Baugrundstück ausgehenden Emissionen der Immissionsrichtwert für allgemeine Wohngebiete festzusetzen sei. Diese Frage spielte im damaligen Urteil des Senats tatsächlich keine Rolle und blieb deshalb offen. Schon vor diesem Hintergrund liegt insoweit keine Abweichung vor.
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4. Schließlich liegt auch kein Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vor. Die Zulassungsbegründung sieht ihn darin, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht durch Gerichtsbescheid entschieden habe, obwohl die Voraussetzungen des § 84 VwGO nicht vorgelegen hätten. Nachdem die Klägerinnen von der Möglichkeit des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht haben, ist ihnen die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs unter diesem Gesichtspunkt allerdings bereits abgeschnitten (BayVGH, B.v. 18.5.2021 - 10 ZB 21.1128 - juris).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Im Berufungszulassungsverfahren sind die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterliegenden Partei aufzuerlegen (BayVGH, B.v. 11.10.2001 - 8 ZB 01.1789 - BayVBl 2002, 378). Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).