Titel:
Disziplinarmaßnahme wegen des reichsbürgertypischen Schreibens eines Beamten
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BayDG Art. 6 Abs. 1 Nr. 2, 8, Art. 62 Abs. 2 S. 1
BeamtStG § 34 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Um eine bedingt vorsätzliche Begehung einer Dienstpflichtverletzung nach § 34 S. 3 BeamtStG aF annehmen zu können, reicht es aus, dass der Kläger es zumindest für möglich gehalten hat, mit seinem Verhalten den Anschein zu erwecken, die Existenz der Bundesrepublik zu leugnen und diesen Umstand billigend in Kauf zu nehmen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit setzt keine juristisch genaue Kenntnis der verletzten Rechtsvorschriften und Verwaltungsanordnungen voraus; es genügt vielmehr, wenn der Beamte Umfang und Inhalt seiner Dienstpflichten im weitesten Sinne erfasst. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klage gegen Disziplinarverfügung, Geldbuße in Höhe von 1.500 Euro, Übergabe von Schreiben an Gerichtsvollzieherin, Rundfunkgebühren, Dienstpflichtverletzung, achtungs- und vertrauenswürdiges Verhalten, bedingter Vorsatz, Disziplinarverfügung, Geldbuße, Schreiben, Gerichtsvollzieher, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Zulassung, Berufung, Musterschreiben, Verfassungsfeindlichkeit, Zahlungsaufforderung, Vermögensauskunft, Reichsbürger, Reichsbürgerbewegung, Pflichtwidrigkeit, Akademiker, Irrtum, Verbotsirrtum, Zahlungsverweigerung, Leugnung, Existenz, Bundesrepublik Deutschland
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 16.11.2020 – M 19L DB 19.5882
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25935
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung, der auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (Art. 62 Abs. 2 Satz 2 BayDG i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützt wird, ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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Der Kläger hält die Feststellungen des angefochtenen Urteils zum subjektiven Tatbestand für unzutreffend. Es könne allenfalls eine fahrlässige Begehung des außerdienstlichen Verstoßes gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.d.F. v. 8.6.2017) angenommen werden. Vorsatz scheide aus, weil der Kläger bei der Übernahme der ihm vorgeworfenen Passagen aus dem Musterschreiben im Internet davon ausgehen habe dürfen, dass diese in juristischer Hinsicht zutreffend seien. Die unreflektierte Übernahme der Passagen aus dem Internet, ohne sich damit tiefgreifend auseinander gesetzt zu haben, schließe den Vorsatz im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 34 Satz 3 BeamtStG a.F. aus. Die fehlerhafte Bewertung eines Textes mit Eventualvorsatz sei nicht möglich; der Kläger habe die Verfassungsfeindlichkeit der Textpassage schon mangels entsprechender Erkenntnismöglichkeit nicht billigend in Kauf genommen. Sie habe sich ihm auch nicht aufdrängen müssen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils legt der Kläger mit diesem ausschließlich auf die subjektive Tatseite bezogenen Vortrag nicht dar (vgl. UA S. 11 f., 3.).
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1. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger die ihm vorgeworfene Dienstpflichtverletzung „bedingt vorsätzlich und damit schuldhaft“ begangen hat. Er hat dem hier maßgeblichen Schreiben vom 24. September 2017 („Begründung für die Verweigerung der Zahlungsaufforderung und der Vermögensauskunft“), das er an die zuständige Obergerichtsvollzieherin gerichtet und ihr persönlich überbracht hat, ein dem Internet entnommenes Musterschreiben zugrunde gelegt, das typischerweise von Anhängern der Reichsbürgerbewegung verwendet wird. Dabei hat er nach eigener Vorstellung etliche Textpassagen weggelassen sowie einen eigenständigen Absatz (S. 3, Abs. 3) hinzugefügt. Schon vor diesem Hintergrund kann der Vortrag des Klägers, er habe ohne weitere Überlegung lediglich Inhalte aus dem Internet übernommen, ohne deren disziplinarrechtliche Relevanz zu erkennen, nicht überzeugen. Es entlastet ihn nicht, dass er die meisten Passagen seines Schreibens wörtlich aus der Vorlage übernommen hat („copy and paste“), denn - wie er im Rahmen seiner Anhörung vor der Disziplinarbehörde angegeben hat - hat er die einzelnen aus seiner Sicht gegen die Zahlung der Rundfunkbeiträge sprechenden Argumente genau abgewogen und sie in eine bestimmte Reihenfolge gebracht. Ein Irrtum über ihre juristische Bewertung spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle und schließt vorsätzliches Handeln des Klägers nicht aus, zumal bekannt ist, dass Aussagen auf beliebigen Internetseiten keine Gewähr für ihre juristische Richtigkeit bieten. Für den Kläger als Beamten der vierten Qualifikationsebene hätte es vielmehr nahegelegen, vor Abgabe der ihm nun vorgeworfenen schriftlichen Äußerungen sachkundigen Rat einzuholen, um sich nicht dem Vorwurf einer wie auch immer begründeten Dienstpflichtverletzung auszusetzen. Dieser Vorwurf musste dem Kläger gerade im Zusammenhang mit seinem in dem Schreiben vom 24. September 2017 erhobenen Vorwurf vor Augen stehen, die Obergerichtsvollzieherin mache sich wie alle Beteiligten durch die Amtshilfe für „die private Inkassobude ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“ strafbar.
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Um eine bedingt vorsätzliche Begehung einer Dienstpflichtverletzung nach § 34 Satz 3 BeamtStG a.F. annehmen zu können, reicht es aus, dass der Kläger es zumindest für möglich gehalten hat, mit seinem Verhalten den Anschein zu erwecken, die Existenz der Bundesrepublik zu leugnen und diesen Umstand billigend in Kauf zu nehmen (BVerwG, U.v. 12.5.2022 - 2 WD 10.21 - juris Rn. 39; U.v. 26.9.2006 - 2 WD 2.06 - juris Rn. 75). Nachdem das Verwaltungsgericht als Motivation für das die Zahlungsverweigerung begründende Schreiben eine verfassungsfeindliche Einstellung des Klägers nicht ausmachen konnte, bleibt gleichwohl als disziplinarrechtlich relevante Dienstpflichtverletzung bestehen, dass der Kläger in zurechenbarer Weise den Anschein erweckt hat, er identifiziere sich mit einem dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat entgegenstehenden Gedankengut, das vielfach in Reichsbürgerkreisen gepflegt wird. Dieser Umstand musste ihm im Übrigen spätestens in dem Moment offenbar geworden sein, als ihn die Gerichtsvollzieherin während seiner persönlichen Vorsprache fragte, ob er „Reichsbürger sei“ (vgl. Disziplinarakte Bl. 106).
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2. Soweit der Kläger der Sache nach geltend macht, einem Verbotsirrtum (entsprechend § 17 Satz 1 StGB) unterlegen zu sein, der für ihn unvermeidbar gewesen sei, ist dem das Verwaltungsgericht (UA S. 12: „Selbst wenn…“) im Rahmen einer Hilfsüberlegung mit guten Gründen nicht gefolgt. Schon angesichts seiner akademischen Vorbildung und der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Informationsbeschaffung hätte er den (hier unterstellten) Irrtum über die Pflichtwidrigkeit seines Handelns ohne weiteres vermeiden können (BVerwG, U.v. 12.5.2022 a.a.O. Rn. 40). Ob ein Verbotsirrtum vermeidbar oder unvermeidbar ist, bestimmt sich insbesondere nach der vom jeweiligen Beamten nach seiner Amtsstellung (Status, Dienstposten) und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten (Vorbildung, dienstlicher Werdegang) zu fordernden Sorgfalt (vgl. Zängl, BayDG, Stand August 2021, MatR/I Rn. 50).
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Ihm hätte ohne weiteres klar sein müssen, dass seine Weigerung, die Beiträge für die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten zu leisten, ebenso ein in Reichsbürgerkreisen typisches Verhalten darstellt wie es auch die Verwendung verschiedener Stereotype („BRD GmbH“, Zweifel an der Legitimation von Gerichtsvollziehern etc.) ist, die der Bundesrepublik Deutschland im Ergebnis die Staatlichkeit absprechen. Dann musste ihm aber auch zweifelsfrei vor Augen stehen, dass er durch sein Verhalten jedenfalls den Anschein einer verfassungsfeindlichen Einstellung erweckt und damit zumindest gegen seine Verpflichtung verstößt, durch sein Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert. In diesem Zusammenhang ist dem angefochtenen Urteil in der Aussage zuzustimmen, dass das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit keine juristisch genaue Kenntnis der verletzten Rechtsvorschriften und Verwaltungsanordnungen voraussetzt; es genügt vielmehr, wenn der Beamte Umfang und Inhalt seiner Dienstpflichten im weitesten Sinne erfasst (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 2 WD 20.18 - juris Rn. 59). Davon ist hier auszugehen, denn eine Gesamtschau der Umstände des vorliegenden Falls lässt nur den Schluss zu, der Kläger habe die festgestellten Dienstpflichtverletzungen schuldhaft und nicht in einem die Schuld ausschließenden (unvermeidbaren) Verbotsirrtum begangen. Die geltend gemachte Fahrlässigkeit vermag der Senat danach nicht zu erkennen.
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3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge aus Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Gerichtsgebühren werden nach Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG nicht erhoben.
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (Art. 62 Abs. 2 Satz 2 BayDG i.V.m. § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).