Titel:
Weder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Feststellung von Abschiebungsverbote für staatenlosen Palästinenser aus dem Gazastreifen – erfolgloser Berufungszulassungsantrag
Normenkette:
AsylG § 4, § 78 Abs. 3 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht (staatenloser Palästinenser), Palästinenser, Gazastreifen, staatenlos, Flüchtlingseigenschaft, Asylrecht, grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, UN-Menschenrechtskommissarin, UNHCR, Tel-Al Halwa, Existenzminimum
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 08.07.2022 – W 5 K 20.31280
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25929
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Kläger ist staatenloser Palästinenser aus dem Gazastreifen und begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage mit Urteil vom 8. Juli 2022 abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt worden.
3
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2022 - 15 ZB 22.30752 - juris Rn. 4). Dies ist hier nicht der Fall.
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1. Der Kläger wirft die Frage auf, „ob sich die politische Situation in Gaza, insbesondere seit dem 10.5.2021 in einer Weise verändert oder verschlechtert hat, dass Personen bei einer Rückkehr nach Gaza ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht“. Er begründet die Verschlechterung u.a. mit Aussagen der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet vom August 2022 und ist der Auffassung, der Großteil der palästinensischen Opfer im Mai 2021 gehe nicht nur auf einen punktuellen Ausbruch von Gewalthandlungen zurück. Das Verwaltungsgericht hat sich in den Entschdeidungsgründen seines Urteils vom 8. Juli 2022 unter Würdigung aktueller Erkenntnisse und Erkenntnismittel mit der Situation im Gazastreifen, insbesondere auch mit den Vorfällen im Zeitraum 10. bis 21. Mai 2021, befasst und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass mangels gefahrerhöhender Umstände in der Person des Klägers diesem kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG drohe. Es hat hierzu auch neuere Erkenntnismittel und einen Report des UNHCR vom März 2022 bewertet und einbezogen. Unabhängig davon, ob die im Zulassungsvorbringen vom August 2022 angeführte Verschärfung der Situation im Zulassungsverfahren geltend gemacht werden könnte (vgl. VGH, B.v. 7.11.2017 - 15 ZB 17.31475 - juris Rn. 18), lässt der Kläger insoweit eine zwischenzeitliche Entspannung außer Betracht (vgl. www.faz.net/aktuell/politik/ausland/israel-und-gaza-kehren-zurueck-zur-normalitaet-waffenruhe-haelt-18230469.html; abgerufen am 14.9.2022). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht unter Würdigung aller Umstände und Erkenntnismittel ausgeführt, dass für den Kläger keine landesweite und insbesondere in der Stadt Tel-Al Halwa, in der der Kläger zuletzt wohnhaft gewesen ist, Gefahr für Leib und Leben allein aufgrund der physischen Anwesenheit im Gazastreifen besteht (UA S. 22). Den vom Kläger angeführten Erkenntnismitteln lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen, zumal der Kläger, auch wenn der Gazastreifen insgesamt flächenmäßig überschaubar ist, durch einen Aufenthalt in Regionen, die sich nicht unmittelbar in Grenznähe und in der Nähe potenzieller militärischer Ziel befinden, das Risiko, Opfer von militärischen Operationen zu werden, durch eigen Aufenthaltsentscheidung weiter minimieren kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2020 - 15 ZB 20.30526 - juris Rn. 15). Eine maßgebliche Änderung der politischen und wirtschaftlichen Umstände, wie sie das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf. Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Sicherheitslage im Gazastreifen nach wie vor im Wesentlichen vom Konflikt zwischen Israel und Palästina geprägt ist. Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht dabei auch wechselseitige Raketenangriffe in seine Bewertung einbezogen (UA S. 19). Das Vorbringen zielt insoweit vielmehr auf die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts ab, womit kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird (BayVGH, B.v. 12.3.2022 - 15 ZB 22.30354 - juris Rn. 4).
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2. Der Frage, „ob ein alleinstehender, junger, gesunder Mann bei einer Rückkehr nach Gaza mit Blick auf die aktuelle Lage ein Existenzminimum sichern kann und ob aufgrund der aktuellen Erkenntnisse die Sicherheitslage eine kritische Gefahrendichte erreicht hat, die zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigt“, kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Frage lässt sich bereits nicht abstrakt und losgelöst vom Einzelfall beantworten, sondern nur anhand der Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts. Aufgrund der notwendigen Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ist die Frage damit nicht verallgemeinerungsfähig zu beantworten (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9 ff.; BayVGH, B.v. 31.5.2022 - 15 ZB 22.30463 - juris Rn. 16).
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3. Die Frage, „ob nicht bereits die Registrierung bei UNRWA als palästinensischer Flüchtling eine tatsächliche Inanspruchnahme in Form von Schutz und Beistand der UNRWA darstellt, die - sofern die weiteren Voraussetzungen gegeben sind, welche die Rechtsprechung des BVerwG (vgl. U.v. 27.4.2021 - 1 C 2.21) aufstellt, zu einer Anerkennung als ipso facto-Flüchtling gem. § 3 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 1 AsylG führen“, ist weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig. Es ist geklärt, dass als ausreichender Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme des Schutzes oder Beistands die Registrierung bei dem UNRWA anzusehen ist (BVerwG, U.v. 27.4.2021 - 1 C 2.21 - juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 7.11.2017 - 15 ZB 17.31475 - juris Rn. 27 ff.). Soweit das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ausführt, der Kläger sei zwar bei der UNRWA als palästinensischer Flüchtling registriert, er habe aber nicht das Geringste dafür vorgetragen, dass er Zuwendungen der UNRWA erhalten hätte, und das Verwaltungsgericht ferner anführt, dass Umstände, die für eine tatsächliche Inanspruchnahme von Hilfsgütern der UNRWA sprächen, vom Kläger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich seien (UA S. 9), werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geltend gemacht. Solche stellen aber keinen Zulassungsgrund i.S.d. § 78 Abs. 3 AsylG dar (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2022 - 15 ZB 22.30228 - juris Rn. 5). Die Frage ist im Übrigen auch nicht entscheidungserheblich, da das Verwaltungsgericht in den Urteilsgründen im Folgenden eine begründete Furcht vor Verfolgung verneint und damit kein unfreiwilliges Verlassen des Herkunftsgebiets des Klägers vorliegt. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Dass dem Kläger eine Rückkehr in den Gazastreifen nicht möglich wäre und dass gegebenenfalls deshalb für ihn der Schutz und Beistand des UNRWA i.S.d. § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG weggefallen wäre, wird vom Kläger nicht substantiiert dargelegt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).