Titel:
Erfolglose Nachbarklage wegen Verschattung von Solarmodulen
Normenketten:
BauGB § 30, § 32
BauNVO § 15
Leitsatz:
Es besteht kein Anspruch darauf, dass Nachbargrundstücke ungenutzt bleiben, damit Solarmodule auf Erdbodenhöhe uneingeschränkt funktionieren. Es ist in einem Wohngebiet weder baulicher Standard noch üblich, im eigenen Garten Solarmodule in Bodenhöhe zu haben, wenn deren Leistungsstärke vom baulichen Zustand auf den Nachbargrundstücken abhängt. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gebot der Rücksichtnahme, Verschattung von Solarmodulen auf Bodenhöhe in Wohnhausgarten, Nachbar
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 23.09.2022 – 1 ZB 22.1296
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25899
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) zu tragen. Der Beigeladene zu 1) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die Baugenehmigung für ihren Nachbarn.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 653/3 (...), das in seinem südwestlichen Teil eine gemeinsame Grenze mit dem Vorhabensgrundstück FlNr. 1493/1 des Beigeladenen Bauherrn hat. Beide Grundstücke liegen im Bebauungsplangebiet Nr. 20 „…“. Das Grundstück der Klägerin ist mit einem Einfamilienhaus bebaut. Das Grundstück der Klägerin ist ebenso wie das Grundstück des Beigeladenen Bauherrn von Süd nach Nord hängig. In einem Abstand ca. 5,00 m zur gemeinsamen Grenze fällt das Grundstück der Klägerin außerdem Richtung Osten ab. Auf dem Dach des dort im tieferen Teil des klägerischen Grundstücks stehenden Unterstands sind die Module einer Photovoltaikanlage Vom Grundstück des Bauherrn aus gesehen sind die Module ab einem Abstand von ca. 5,00 m von der gemeinsamen Grenze entfernt fast ebenerdig angeordnet, da sie sich auf einer Höhe befinden, die in etwa dem natürlichen Gelände beider Grundstücke Richtung Westen entspricht.
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Bereits mit Bescheid des Landratsamts vom 12. März 2020 wurde der Voreigentümerin des Bauherrengrundstücks für das damals noch ungeteilte Grundstück FlNr. 1493 unter Befreiung von dem damals noch geltenden Bebauungsplan in der Fassung der 1. Änderung ein Vorbescheid für zwei Einfamilienhäuser auf dem damals insgesamt ca. 1200 m² großen Grundstück erteilt. Der Bebauungsplan in der damaligen Fassung sah für das Vorhabensgrundstück ein Einfamilienhaus vor und setzte Baufenster fest. Im Hinblick darauf, dass es sich dabei um einen Grundzug der Planung handelte, beschloss die Gemeinde mit Aufstellungsbeschluss vom 18. Februar 2020 die 2. Änderung des Bebauungsplans (Blatt 38 Behördenakte). Aufgrund dessen wurde der Vorbescheid vom 12. März 2020 unter Befreiung vom Bebauungsplan (in der damals noch gültigen Fassung der 1. Änderung) für zwei Einfamilienhäuser, die Überschreitung der nördlichen Baugrenze um ca. 4,50 m und Verlegung des Baufensters für die Garage und die Teilung des Grundstücks erteilt. Gegen diesen Vorbescheid hat die Klägerin Klage erhoben, über die mit Datum vom heutigen Tag ebenfalls entschieden wurde (M 9 K 20.1379).
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Bereits im Vorbescheidsverfahren hatte sich die Klägerin mit Datum vom 1. Mai 2019 an die Gemeinde gewandt und der beabsichtigten Bebauung ihres Nachbargrundstücks widersprochen. Der frühere Bürgermeister der Gemeinde habe ihr versprochen, dass auf dem Nachbargrundstück nur ein Einfamilienhaus errichtet werde; ansonsten hätte sie dem Umlageverfahren für die Straße im Bebauungsplanverfahren nicht zugestimmt.
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Der Bebauungsplan 2. Änderung Bebauungsplan Nr. 20 „…“ ist mittlerweile in Kraft getreten.
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Der beigeladene Bauherr beantragte am 16. Februar 2021 die Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus und die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans für eine Stützwand an der südlichen Baugrenze sowie für einen giebelseitigen Dachüberstand. Mit Beschluss vom 23. März 2021 erklärte die beigeladene Gemeinde das Einvernehmen und die beantragten Befreiungen.
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Mit dem hier verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 11. Mai 2021 erteilte das Landratsamt die beantragte Baugenehmigung unter Befreiungen für den giebelseitigen Dachüberstand von 1 m statt dem im Bebauungsplan festgesetzten 50 cm sowie einer Unterschreitung der Höhe Oberkante Rohfußboden auf 467,60 m statt 468,00 m üNN. Wegen der Bezugsfälle und der im Bebauungsplan als Maximum festgelegten Höhenlage OK RFB seien die Befreiungen möglich. Nach dem genehmigten Bauplan befindet sich das Einfamilienhaus im Baufenster der 2. Änderung B-Plan Nr. 20. Das Gelände ist wegen der Hängigkeit auf Höhe der vorgesehenen Stellplätze an der Nordgrenze von 465,71 m üNN. auf 467,74 m üNN. aufgeschüttet. Der Abstand der Hauswand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze mit der Klägerin beträgt 7,50 m (östliche Hauswand mit Außentreppe, zwei Stellplätzen und ca. 1 m Freifläche).
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Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob mit Schriftsatz vom 9. Juni 2021 Klage und beantragte mit Schriftsatz vom 15. September 2021:
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Der Bescheid des Landratsamts vom 11. Mai 2021 (Baugenehmigung für den Beigeladenen) wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Bebauungsplanung beachtliche Fehler im Sinne des § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB habe, da die Abwägung fehlerhaft sei. Es bestehe ein Abwägungsausfall, da die Gemeinde einen ihr bekannten Belang nicht berücksichtigt habe und dies gerügt worden sei, § 215 BauGB. Durch den damaligen 1. Bürgermeister sei im Rahmen des Umlegungsverfahrens zugesichert worden, dass außer dem im Bebauungsplan festgesetzten Einfamilienhaus keine weiteren Änderungen auf dem Vorhabensgrundstück erfolgten; die Klägerin habe nur deshalb der für die Straße notwendigen Umlegung zugestimmt. Sie habe eine Photovoltaikanlage auf Höhe des Erdbodens, die verschattet werde. Die Befreiung vom Bebauungsplan-Nr. 20, 2. Änderung, habe nachbarliche Interessen nicht berücksichtigt und der Bescheid treffe dazu keine Aussagen. Die nachbarlichen Belange seien im Vorbescheidsverfahren und der dortigen Klage im Schriftsatz vom 29.3.2020 dargestellt worden. Nachbarbelange der Klägerin würden insbesondere deshalb verletzt, weil die Baugenehmigung eine objektiv rechtswidrige Befreiung von drittschützenden Vorschriften enthalte. Anders als der Vorbescheid treffe der Bescheid zu nachbarlichen Interessen keine Aussagen. Bereits im Vorbescheid hätten die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB für Befreiungen gefehlt, da wegen der Überschreitung der nördlichen Baugrenze um 4,50 m dort auch nachbarliche Interessen nicht berücksichtigt worden seien. Außerdem liege ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör vor.
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Der Beklagte beantragte,
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Die 2. Bebauungsplanänderung sei abwägungsfehlerfrei gewesen, da das Schreiben der Klägerin vom 1. Mai 2019 den Vorbescheid betraf und ein Jahr vor Auslegung der Änderung des Bebauungsplans bei der Gemeinde einging. Es habe sich damit nicht um eine fristgemäße Stellungnahme im Sinne der § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB gehalten. Die Befreiungen in der Baugenehmigung beträfen den Dachüberstand und die Höhe der Oberkante Rohfußboden. Beides beträfe keinen Drittschutz. Die Höhe OK RFB sei niedriger als die maximale Höhe, die im Bebauungsplan festgesetzt worden sei und der Dachüberstand sei lediglich eine gestalterische Festsetzung. Zum Zeitpunkt der Baugenehmigung sei die 2. Änderung des Bebauungsplans bereits seit mehreren Monaten bestandskräftig bekanntgemacht worden, weshalb Befreiungen von diesem und anders als im Vorbescheid nicht von der vorherigen Fassung nötig gewesen seien. Vor seiner Änderung habe der Bebauungsplan für das dort vorgesehene Einfamilienhaus auf dem damals noch ungeteilten Grundstück andere Baugrenzen vorgesehen.
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Der Bevollmächtigte der beigeladenen Gemeinde beantragte,
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Auf die Ausführungen im Eilverfahren werde Bezug genommen. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften durch Verletzung des Rücksichtnahmegebots sei nicht erkennbar. Die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans beträfen keine nachbarschützenden Regelungen; dies gelte für den Bebauungsplan Nr. 20 Schöneck, 1. Änderung und 2. Änderung. Abstandsflächen seien nicht verletzt. Eine einmauernde Wirkung sei ebenfalls nicht erkennbar.
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Ebenfalls mit Datum 6.4.2022 wurde ein Antrag nach § 80 Abs. 5 i.V.m. § 80 a Abs. 3 VwGO abgelehnt (M 9 SN 21.4908).
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, das Protokoll des Augenscheins und der mündlichnr Verhandlung sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die ihrem Nachbarn erteilte Baugenehmigung vom 11.5.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
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Ein Nachbar kann sich gegen die einem anderem erteilte Baugenehmigung nur dann mit Erfolg zur Wehr setzen, wenn diese Baugenehmigung rechtswidrig ist und eine Verletzung von Normen vorliegt, die den Schutz des Nachbarn bezwecken und Prüfungsgegenstand des Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO sind.
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1. Weder der Bebauungsplan 20,1. Änderung, noch der Bebauungsplan 20, 2. Änderung, enthalten nachbarschützende Regelungen, von denen zu Lasten des Nachbarn befreit wurde.
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Der Bebauungsplan Nr.20 in der für die Baugenehmigung maßgeblichen Fassung der 2. Änderung enthält ebenso wenig wie die davor geltende Fassung der 1. Änderung nachbarschützende Festsetzungen, die dem Schutz des Nachbarn dienen und von denen zu Lasten der Klägerin abgewichen wurde. Die Festsetzung der Zahl der Einfamilienhäuser pro Baugrundstück verbunden mit der Festsetzung von Baugrenzen sind nicht nachbarschützend, sondern von der gemeindlichen Planungshoheit umfasste städtebauliche und gestalterische Regelungen. Die maximale Höhe des Rohfußbodens und die Tiefe der Dachüberstände sind ebenfalls städtebauliche und gestalterische Festsetzungen, weshalb durch die Befreiungen davon ebenfalls keine nachbarlichen Interessen verletzt werden. Die Auffassung der Klägerin, ihr sei bei Aufstellung des Bebauungsplans versprochen worden, dass auf dem Nachbargrundstück nur ein Haus entstehe, hat weder im Bebauungsplan noch nach Aktenlage eine verbindliche Regelungswirkung, auf die sich die Klägerin berufen könnte. Eine verbindliche gemeindliche Zusicherung durch den früheren Bürgermeister gibt es nicht.
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Wenn wie hier der Bebauungsplan keine nachbarschützenden Festsetzungen enthält, wird der Nachbar nicht in eigenen Rechten verletzt, wenn von sonstigen städtebaulichen und gestalterischen Festsetzungen wie hier der Höhe des Rohfußbodens und der tiefe des Dachüberstands befreit wird.
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2. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ist weder nach Aktenlagen noch nach dem Ergebnis des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung erkennbar.
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Das Gebot der Rücksichtnahme ist in seiner subjektivrechtlichen Ausprägung drittschützend und folgt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, § 30 BauGB, unmittelbar aus § 15 Satz 2 BauNVO und ist im unbeplanten Innenbereich je nach Gebietscharakter Teil des Tatbestandsmerkmals des sich Einfügens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bzw. 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 BauNVO. Soweit im Klageverfahren vorgetragen wird, dass die 2. Bebauungsplanänderung rechtfehlerhaft sei, ist dies deshalb unerheblich, da es bei einer Nachbarklage wie hier auf die Wirksamkeit des Bebauungsplans und seiner Änderungen insoweit nicht ankommt. Das Gebot der Rücksichtnahme ist immer nur dann verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt würde (BayVGH B.v. 13.3.2014 - 15 ZB 13.1017).
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Bauvorhaben gegenüber dem klägerischen Grundstück nicht rücksichtslos. Eine erdrückende Wirkung ist im Hinblick auf die Entfernungen zwischen den beiden Wohnhäusern ausgeschlossen. Der geplante Baukörper des Einfamilienhauses befindet sich nicht auf Höhe des Wohnhauses der Klägerin, sondern weiter südlich hangaufwärts. Das Maß der baulichen Nutzung ist nicht drittschützend und die Art der baulichen Nutzung nicht beeinträchtigt, da die Baugenehmigung ein Wohnhaus in einer Umgebung mit Wohnhäusern betrifft.
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Soweit die Klägerin einen Abwehranspruch darauf stützt, dass das geplante Bauvorhaben ihre Solar/Photovoltaikmodule verschattet, wird dadurch das Gebot der Rücksichtnahme ebenfalls nicht verletzt. Zum einen ist bereits aufgrund der Lage der Grundstücke und des Einfallswinkels der Sonne nicht erkennbar, dass bei der hier vorliegenden Nord-Süd-Ausrichtung beider Grundstücke durch ein im Westen stehendes Gebäude die auf Erdbodenhöhe angebrachten Module den Tag über verschattet werden können; die Entfernung zwischen der östlichen Hauswand des geplanten klägerischen Wohnhauses und der ersten Reihe der Module beträgt über 12 m. Nach dem Ergebnis des Augenscheins und dem im Vorbescheidsverfahren vorgelegten Verschattungsgutachten, das die frühere Eigentümerin des Grundstücks erstellen ließ, ist lediglich bei tiefstehender Sonne gegen Abend mit einer Verschattung zu rechnen (Sonnenuntergang). Zum anderen ist es keine unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzung des eigenen Wohngrundstücks, wenn im Garten eines Wohngebiets auf Fußbodenhöhe eine Solaranlage errichtet wird. Die Klägerin kann nicht beanspruchen, dass Nachbargrundstücke ungenutzt bleiben, damit ihre Solarmodule auf Erdbodenhöhe uneingeschränkt funktionieren. Es ist in einem Wohngebiet weder baulicher Standard noch üblich, im eigenen Garten Solarmodule in Bodenhöhe zu haben, wenn deren Leistungsstärke vom baulichen Zustand auf den Nachbargrundstücken abhängt. Die Klägerin ist daher darauf zu verweisen, die Solarmodule anders aufzustellen.
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3. Nachbarrechtsschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften sind hier ebenfalls nicht verletzt. Das geplante Bauvorhaben hält mit einer Entfernung von 7,50 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze die Abstandsflächen des Art. 6 BayBO ein.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) trägt, da diese sich anders als der Beigeladenen zu 1) durch die Stellung des Klageabweisungsantrags ihrerseits einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 f. ZPO.