Titel:
Erfolglose Nachbarklage - Verschattung von Photovoltaikmodulen
Normenketten:
VwGO § 173 S. 1
ZPO § 227 Abs. 1 S. 1
BauGB § 31 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Anspruch darauf, dass ausschließlich der sachbearbeitende Rechtsanwalt den Termin zur mündlichen Verhandlung wahrnimmt, besteht grundsätzlich nicht. In Fällen, in denen ein Rechtsanwalt an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, ist grundsätzlich die Inanspruchnahme von Rechtsanwälten derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft zumutbar, wenn die Einarbeitung eines Vertreters in den Prozessstoff möglich und zumutbar ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn die Verfahrensbeteiligten infolge der Ablehnung einer Schriftsatzfrist nicht die Möglichkeit hatten, sich sachgemäß und erschöpfend zu einem bis zur Entscheidung nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt zu äußern, den das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der der davon betroffene Verfahrensbeteiligte nach dem bis zu diesem Zeitpunkt gegebenen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Anspruch auf die unveränderte Beibehaltung einer einmal gegebenen Besonnung eines Grundstücks ist aus dem Rücksichtnahmegebot nicht abzuleiten. Die Einhaltung einer bestimmten Besonnungsdauer gewährleistet das Baurecht nicht. Dies gilt auch für eine Beeinträchtigung einer Photovoltaikanlage durch Verschattung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gehörsverstoß (verneint), Antrag auf Terminverlegung bei Verhinderung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts, Ablehnung eines Antrags auf Gewährung einer Schriftsatzfrist, Nachbarlicher Drittschutz bei Befreiung bzw. unterbliebener Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans, Verstoß gegen Rücksichtnahmegebot bei Verschattung einer Photovoltaikanlage (verneint)
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 06.04.2022 – M 9 K 21.3076
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25898
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine dem Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Einliegerwohnung auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung S.
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Sie ist Eigentümerin des östlich angrenzenden Grundstücks FlNr. …, das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Auf diesem Grundstück sind in einer Entfernung von ca. 5 m zur Grenze zum Baugrundstück auf einem Unterstand mehrere Photovoltaikmodule nahezu ebenerdig angeordnet. Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 20 „Schöneck - 2. Änderung -, der auf dem vormalig ungeteilten Grundstück FlNr. … zwei Baufenster für die Errichtung von Einfamilienhäusern vorsieht. Der Bebauungsplan Nr. 20 „Schöneck“ - 1. Änderung - hatte auf dem ungeteilten Grundstück FlNr. … ein Baufenster für die Errichtung eines Einfamilienhauses vorgesehen. Die Baugenehmigung enthält Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zum giebelständigen Dachüberstand sowie zur Unterschreitung der Höhe der Oberkante des Rohfußbodens.
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Die Ladung des Verwaltungsgerichts zur mündlichen Verhandlung am 6. April 2022 wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am 18. März 2022 zugestellt. Den Terminsverlegungsantrag, den der sachbearbeitende Bevollmächtigte der Klägerin mit seiner Verhinderung aufgrund eines Fachanwaltslehrgangs begründete, sowie den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist lehnte das Verwaltungsgericht ab. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Baugenehmigung verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Bebauungsplan enthalte keine nachbarschützenden Festsetzungen, von denen zu ihren Lasten befreit worden sei. Soweit die Klägerin einen Abwehranspruch darauf stütze, dass das geplante Bauvorhaben ihre Photovoltaikmodule verschatte, werde dadurch das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt. Zum einen sei bereits auf Grund der Lage der Grundstücke und des Einfallswinkels der Sonne nicht erkennbar, dass bei der Nord-Südausrichtung beider Grundstücke durch ein im Westen stehendes Gebäude die auf Erdbodenhöhe angebrachten Module den Tag über verschattet würden. Die Entfernung zwischen dem geplanten Gebäude und der ersten Reihe der Module betrage über 12 m. Zum anderen könne die Klägerin nicht beanspruchen, dass Nachbargrundstücke ungenutzt blieben, damit ihre Solarmodule auf Erdbodenhöhe uneingeschränkt funktionierten.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Die von der Klägerin primär geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) in Gestalt von Gehörsverstößen liegen nicht vor.
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1.1 Die Klägerin wurde durch die Ablehnung des Antrags auf Verlegung des Termins für die mündliche Verhandlung nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt.
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Nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe“ ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der Beschleunigung des Verfahrens und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen, andererseits dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs Rechnung zu tragen (BVerwG, B.v. 25.9.2013 - 1 B 8.13 - juris Rn. 13; B.v. 28.4.2008 - 4 B 47.07 - juris Rn. 22). Ein Anspruch darauf, dass ausschließlich der sachbearbeitende Rechtsanwalt den Termin zur mündlichen Verhandlung wahrnimmt, besteht grundsätzlich nicht (SächsOVG, B.v. 23.2.2022 - 6 A 548/20 - juris Rn. 17; OVG NW, B.v. 9.6.2022 - 19 E 376/22 - juris Rn. 5). In Fällen, in denen ein Rechtsanwalt an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, ist grundsätzlich die Inanspruchnahme von Rechtsanwälten derselben Sozietät oder Bürogemeinschaft zumutbar, wenn die Einarbeitung eines Vertreters in den Prozessstoff möglich und zumutbar ist (BVerwG, B.v 23.1.1995 - 9 B 1.95 - NJW 1995, 1231; BayVGH, B.v. 8.11.2019 - 5 ZB 19.33789 - juris Rn. 11).
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Hieran gemessen begegnet die Ablehnung des Terminverlegungsantrags durch das Verwaltungsgericht keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es handelt sich um ein in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einfach gelagertes Verfahren, das keine speziellen baurechtlichen Kenntnisse erfordert, so dass eine kurzfristige Einarbeitung in den überschaubaren Prozessstoff durch einen Sozietätskollegen, der bislang nicht mit dem Fall vertraut war, möglich und zumutbar war. Dass es sich formal um drei verschiedene Verfahren handelt (Klage gegen Baugenehmigung, Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung sowie Klage gegen Vorbescheid), rechtfertigt keine andere Beurteilung, da zwischen diesen Verfahren ein enger Sachzusammenhang besteht, sodass der Einarbeitungsaufwand in die Rechtsfragen durch die Verfahrenszahl nicht erhöht wird.
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Unerheblich ist auch, dass die zur Verfügung stehenden Vertreter - die im Übrigen alle ausweislich der vorgelegten Prozessvollmacht von der Klägerin bevollmächtigt wurden - keine Fachanwälte für Verwaltungsrecht sind. Besondere Umstände, die eine persönliche Vertretung durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt erfordern, zeigt weder der Terminverlegungs- noch der Zulassungsantrag auf.
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1.2 Die weiter sinngemäß auf die Versagung einer Schriftsatzfrist gestützte Rüge einer Gehörsverletzung greift ebenfalls nicht durch.
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist in diesem Zusammenhang nur dann verletzt, wenn die Verfahrensbeteiligten infolge der Ablehnung einer Schriftsatzfrist nicht die Möglichkeit hatten, sich sachgemäß und erschöpfend zu einem bis zur Entscheidung nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt zu äußern, den das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der der davon betroffene Verfahrensbeteiligte nach dem bis zu diesem Zeitpunkt gegebenen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. So wird das rechtliche Gehör beispielsweise verletzt, wenn ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung von einem Hinweis des Gerichts überrascht wird, zu dem er nicht sofort Stellung nehmen kann (vgl. BVerfG, B.v. 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07 - juris Rn. 30; BVerwG, B.v. 25.4.1990 - 2 B 37.90 - juris Rn. 3). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Einräumung einer ergänzenden Schriftsatzfrist zu Recht nicht entsprochen. Die anwaltlich vertretene Klägerin hatte während des gesamten Verfahrens ausreichend Gelegenheit, ihren Standpunkt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht darzulegen und gegebenenfalls Beweisanträge, die auch von dem sachbearbeitenden Bevollmächtigten im Vorfeld der mündlichen Verhandlung vorsorglich hätten vorbereitet werden können, zu stellen.
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2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind nicht dargelegt bzw. liegen nicht vor.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 - 2 BvR 657/19 - juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl 2004, 838). Dies ist hier nicht der Fall.
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2.1 Soweit die Klägerin anführt, dass im Rahmen der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB die notwendige Würdigung nachbarlicher Interessen zu Unrecht unterblieben sei, werden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aufgezeigt.
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In der Rechtsprechung ist geklärt, dass sich ein Nachbar auf eine allein objektiv rechtswidrige Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans nur berufen kann, wenn er durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird. Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung von nicht nachbarschützenden Vorschriften die Rechte des Nachbarn verletzt, ist nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 - 4 B 64.98 - NVwZ-RR 1999, 8; BayVGH, B.v. 31.5.2021 - 1 ZB 19.2034 - juris Rn. 5). Dasselbe gilt, wenn eine an sich erforderliche Befreiung nicht erteilt worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.6.2018 - 9 ZB 16.1012 - juris Rn. 12).
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Einen solchen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot hat das Verwaltungsgericht hier allerdings zu Recht nicht angenommen. Anhaltspunkte für eine unzumutbare Beeinträchtigung zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf. Verschattungseffekte sind regelmäßig hinzunehmen, wenn die landesrechtlichen Abstandsflächen eingehalten sind, die gerade darauf abzielen, eine ausreichende Belüftung und Besonnung von Nachbargrundstücken sicherzustellen (vgl. OVG NW, B.v. 16.11.2020 - 2 B 1537/20 - juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 12.12.2013 - 15 CS 13.1561 - juris Rn 15). Ein Anspruch auf die unveränderte Beibehaltung einer einmal gegebenen Besonnung eines Grundstücks ist aus dem Rücksichtnahmegebot nicht abzuleiten. Die Einhaltung einer bestimmten Besonnungsdauer gewährleistet das Baurecht nicht. Dies gilt auch für eine Beeinträchtigung einer Photovoltaikanlage durch Verschattung (OVG NW, B.v. 18.7.2022 - 7 A 924/21 - juris Rn. 6; B.v. 17.12.2020 - 7 B 1616/20 - BauR 2021, 512; OVG SH, B.v. 15.10.2019 - 1 MB 20/19 - juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 18.6.2018 - 1 ZB 18.696 - juris Rn. 9). Dass sich die Situation im vorliegenden Einzelfall abweichend von diesen Grundsätzen ausnahmsweise dennoch als für die Klägerin unzumutbar darstellen könnte, ist nicht aufgezeigt und angesichts der vorhandenen und geplanten Gebäudesituierungen sowie des Verlaufs des Sonnenstands, aufgrund derer sich die Verschattungseffekte durch das genehmigte Vorhaben je nach Jahreszeit im Wesentlichen auf wenige Nachmittags- bzw. Abendstunden beschränken, auch nicht ersichtlich. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin selbst durch die grenz- und zudem bodennahe Situierung der Photovoltaikanlage sich dem Risiko ausgesetzt hat, dass deren Funktion durch bauliche Anlagen oder Bepflanzungen auf dem Nachbargrundstück beeinträchtigt werden, da sie eine umfassende Besonnung durch Vorhalten eines Freiraums auf dem eigenen Grundstück nicht sicherstellen kann.
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2.2 Soweit das Zulassungsvorbringen sinngemäß geltend macht, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht offengelassen habe, ob der Bebauungsplan - 2. Änderung -wirksam sei, liegen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht vor. Die von der Klägerin geltend gemachte Unwirksamkeit des Bebauungsplans - 2. Änderung - ist nicht entscheidungserheblich. Bei unterstellter Unwirksamkeit wird die Klägerin durch die erteilte Baugenehmigung gleichwohl nicht in eigenen Rechten verletzt. Die Zulässigkeit des Bauvorhabens würde sich nach dem Bebauungsplan - 1. Änderung - beurteilen. Auf eine fehlende Befreiung für die Abweichung von der nördlichen Baugrenze kann sich die Klägerin nicht berufen, da dieser Festsetzung nach den nicht substantiiert angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts keine nachbarschützende Wirkung zukommt und das zugelassene Vorhaben nach obenstehenden Ausführungen nicht gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt.
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2.3 Die weiteren Rügen im Zulassungsvorbringen beziehen sich auf die Entscheidungsgründe des Urteils im Parallelverfahren M 9 K 20.1379 der Klage gegen den Vorbescheid. Hierzu bedarf es keiner Ausführungen, da in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils eine Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Parallelverfahrens nicht erfolgt ist; das Vorbescheidsverfahren wurde lediglich im Tatbestand erwähnt.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).