Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.09.2022 – 1 CS 22.1541
Titel:

Erfolgloser Nachbareilantrag gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines fünfstöckigen Wohn- und Geschäftshauses

Normenketten:
VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
BauGB § 34
BayBO Art. 6 Abs. 5 S. 1
BayDSchG Art. 6 Abs. 2 S. 2, Art. 15 Abs. 2
Leitsätze:
1. Sofern die Abstandsflächen eingehalten sind, kommt regelmäßig ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot in Form einer erdrückenden Wirkung aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem bayerischen Denkmalschutzgesetz lässt sich kein allgemeiner Drittschutz zugunsten des Denkmaleigentümers entnehmen. Es besteht allerdings ein Abwehrrecht gegen eine Baumaßnahme in der Nähe des Baudenkmals, wenn sich diese auf den Bestand oder das Erscheinungsbild des Baudenkmals erheblich auswirkt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 15 Abs. 2 BayDSchG vermittelt keinen Drittschutz.(Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
bauplanungsrechtliches Gebot der Rücksichtnahme, erdrückende bzw. abriegelnde Wirkung (verneint), Beeinträchtigung eines Denkmals (verneint), Innenbereich, Nachbarschutz, Maß der baulichen Nutzung, Gebot der Rücksichtnahme, erdrückende Wirkung, Abstandsflächen, Denkmal, Beeinträchtigung, Abwehrrecht, unterlassene Beteiligung Landesamt für Denkmalpflege
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 13.06.2022 – M 1 SN 21.3590
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25894

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 15. Dezember 2020 in Gestalt der Tekturgenehmigung vom 23. Juni 2021 für den Abbruch der Bestandsgebäude und den Neubau eines fünfstöckigen Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. …12, Gemarkung T., sowie die Erweiterung des Bestandsgebäudes auf dem Grundstück FlNr. …24.
2
Das Wohn- und Geschäftsgebäude, das nach Norden hin grenzständig zur M. H. straße errichtet werden soll, weist dort eine Breite von ca. 53 m auf. Das fünfte Stockwerk ist zur M. straße hin nach Süden zurückversetzt und an der Ost- und Westseite deutlich (Breite ca. 34 m) eingerückt.
3
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, das mit einem in die Denkmalliste als Einzeldenkmal eingetragenen Haus bebaut ist. Das Gebäude wird dort als vornehmer, palaisartiger Bau, zweigeschossig mit abgewalmtem Mansarddach beschrieben. Dieses Grundstück befindet sich getrennt durch die an dieser Stelle ca. 11,50 m breite M. straße nördlich der Vorhabengrundstücke.
4
Die vorgenannten Grundstücke liegen im Geltungsbereich des (einfachen) Bebauungsplans „Altstadtkern - Vergnügungsstätten“, der für diesen Bereich ein Mischgebiet festsetzt.
5
Die Antragsteller erhoben gegen die Baugenehmigung in Gestalt der Tekturgenehmigung Klage und stellten einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag abgelehnt. Die Baugenehmigung verletze die Antragsteller nicht in ihren Rechten, insbesondere verstoße sie nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Auch liege eine Verletzung in drittschützenden Rechten des Denkmalschutzes nicht vor. Die Genehmigung verstoße zudem nicht zu Lasten der Antragsteller gegen Abstandsflächenrecht.
6
Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Ziel, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auszusetzen, weiter. Die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
8
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
9
Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Nachbarklage der Antragsteller im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben wird, so dass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen nachrangig ist.
10
1. Die angegriffene Baugenehmigung verstößt im Hinblick auf die Dimensionierung des Vorhabens nicht gegen drittschützende Vorschriften.
11
§ 34 BauGB vermittelt hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich keinen Drittschutz. Für eine Verletzung der nachbarlichen Rechte der Antragsteller kommt es insoweit allein darauf an, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme wahrt (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2018 - 4 C 5.12 - BVerwGE 148, 290). Eine Rücksichtslosigkeit aufgrund einer vom Baukörper ausgehenden „abriegelnden“ oder „erdrückenden“ Wirkung in Folge des Nutzungsmaßes eines Bauvorhabens kann ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung als unzumutbare Beeinträchtigung nach der Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommen (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78 - DVBl. 1981, 928: elf- bzw. zwölfgeschossiges Gebäude in naher Entfernung zu zweieinhalb geschossigem Wohnhaus; BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85 - DVBl. 1986, 1271: grenznahe 11,5 m hohe und 13,31 m lange, wie eine „riesenhafte metallische Mauer“ wirkende Siloanlage bei einem sieben Meter breiten Nachbargrundstück).
12
Das Verwaltungsgericht hat die notwendige Gesamtschau vorgenommen und die konkrete Grundstückssituation einschließlich der Bebauung auf dem Grundstück der Antragsteller, der Lage, der Höhe und Abstände der Baukörper, des zurückversetzten fünften Geschosses und der bereits im Bestand vorhandenen geschlossenen Bauweise bewertet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das Gebäude aufgrund des zurückversetzten Staffelgeschosses keine erdrückende Wirkung gegenüber dem Grundstück der Antragsteller entfaltet, begegnet keinen Bedenken. Der bayerische Gesetzgeber hat - ähnlich wie in anderen Bundesländern - mit dem ab 1. Februar 2021 in Kraft getretenen Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus eine Anpassung der regulären Abstandsfläche vorgenommen und geht davon aus, dass bei einer Tiefe der Abstandsflächen von 0,4 H regelmäßig eine ausreichende Belichtung und Besonnung der Bebauung gewährleistet ist. Nach den mit der Beschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts hält das Staffelgeschoss die Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO zum Grundstück der Antragsteller ein. Sofern die Abstandsflächen eingehalten sind, kommt regelmäßig ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot in Form einer erdrückenden Wirkung aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht (vgl. zur Indizwirkung: BayVGH, B.v. 18.2.2020 - 15 CS 20.57 - BayVBl. 2020, 646; B.v. 26.11.2018 - 9 ZB 18.912 - juris Rn. 10). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht auch zutreffend darauf abgestellt, dass das oberste Geschoss um ca. 10 m nach Osten versetzt ist, so dass es nur zu einem kleineren Teil gegenüber dem Gebäude der Antragsteller fünfstöckig in Erscheinung tritt. Das Vorhaben hat zwar zur Straßenseite hin über vier Stockwerke eine Breite von ca. 53 m. Daraus ergibt sich hier jedoch keine abriegelnde Wirkung für das Grundstück der Antragsteller. Die Breite ist durch die bereits im Bestand vorhandene geschlossene Bauweise in der dicht bebauten Innenstadtlage vorgezeichnet. Zudem ist das Grundstück der Antragsteller nicht durch die Gesamtbreite des Vorhabens betroffen, da es nur gegenüber dem westlichen Teil des Vorhabens gelegen ist. Weiter tritt das Gebäude der Antragsteller zur Straßenseite hin selbst als dreistöckig in Erscheinung; das unmittelbar östlich an ihr Grundstück anschließende Gebäude, das dem Bauvorhaben gegenüberliegt, weist bereits vier Geschosse auf. Eine erdrückende bzw. abriegelnde Wirkung durch das Vorhaben für das denkmalgeschützte palaisartige Gebäude der Antragsteller liegt daher fern.
13
2. Das Beschwerdevorbringen zeigt auch nicht auf, dass durch das Bauvorhaben erhebliche Beeinträchtigungen des denkmalgeschützten Gebäudes auf dem Nachbargrundstück zu erwarten stehen. Dem bayerischen Denkmalschutzgesetz lässt sich kein allgemeiner Drittschutz zugunsten des Denkmaleigentümers entnehmen. Es besteht allerdings ein Abwehrrecht gegen eine Baumaßnahme in der Nähe des Baudenkmals, wenn sich diese auf den Bestand oder das Erscheinungsbild des Baudenkmals erheblich auswirkt (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 - 4 C 3.08 - BVerwGE 133, 347; BayVGH, B.v. 6.12.2021 - 1 CS 21.2191 - juris Rn 14; B.v. 10.8.2020 - 1 CS 20.1440 - juris Rn. 3).
14
Gemessen an diesen Maßstäben ist hier eine solche an den Versagungsgründen des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG orientierte Beeinträchtigung des Denkmals der Antragsteller, welche im Rahmen der Interessenabwägung zu ihren Gunsten hätte berücksichtigt werden müssen, nicht dargetan. Das denkmalgeschützte Gebäude der Antragsteller ist bereits jetzt durch die massive Bebauung auf den unmittelbar angrenzenden Grundstücken FlNr. …3 und FlNr. …6 bzw. FlNr. …3 geprägt (vgl. zur Berücksichtigung einer Vorbelastung eines Denkmals durch bereits vorhandene Bebauung: BayVGH, B.v. 9.2.2018 - 1 CS 17.2517 - juris Rn. 4). Es ist deutlich vom Straßenzug zurückgesetzt und wird durch die unmittelbar angrenzenden Gebäude überlagert. Eine (erhebliche) Beeinträchtigung der Wirkung des Denkmals durch das auf der gegenüberliegenden Straßenseite genehmigte Vorhaben ist daher fernliegend und in der Beschwerdebegründung auch nicht näher dargelegt, zumal das Vorhabengrundstück in diesem Bereich auch im Bestand (wenngleich mit geringerer Höhenentwicklung) bereits bebaut war. Die fehlende Beteiligung des Landesamts für Denkmalpflege kann der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen, da die Vorschrift des Art. 15 Abs. 2 BayDSchG keinen Drittschutz vermittelt (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2020 - 1 CS 20.1440 - juris Rn. 5). Soweit das Beschwerdevorbringen rügt, dass es der angegriffenen Genehmigung in denkmalschutzrechtlicher Hinsicht an Ermessenserwägungen fehle, lässt es unberücksichtigt, dass bei Nichtvorliegen der tatbestandlichen Versagungsmöglichkeit des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG eine Ermessensentscheidung nicht erforderlich ist (vgl. zur Rechtsnatur des Art. 6 Abs. 2 BayDSchG als Versagungsermessen: BayVGH, U.v. 26.10.2021 - 15 B 19.2130 - juris Rn. 32; U.v. 19.12.2013 - 1 B 12.2596 - BayVBl 2014, 506).
15
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, ihnen auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen, weil die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
16
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. 1.1.3, 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).