Inhalt

VG München, Beschluss v. 08.08.2022 – M 24 E 22.3852
Titel:

Nebenbestimmung zur aufenthaltsrechtlichen Duldung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 8, § 123
AufenthG § 60a Abs. 5 S. 4, § 61 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Die mit der Duldung verbundene Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins“ ist rechtmäßig. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erlischt die Duldung infolge Bedingungseintritts, besteht keine Pflicht zur vorherigen Ankündigung der Abschiebung in direkter oder entsprechender Anwendung des § 60a Abs. 5 S. 4 AufenthG. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aussetzung der Abschiebung, Ankündigung der Abschiebung, Abschiebung, Duldung, Nebenbestimmung, Erlöschen, Ankündigung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.09.2022 – 10 CE 22.1939
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25887

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Außervollzugsetzung der Abschiebung und seinen weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland.
2
Der Antragsteller ist seit Ablehnung seines Asylantrages infolge des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 20. Mai 2017, des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 7. Januar 2020 und des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. April 2020 seit dem 3. Mai 2020 vollziehbar ausreisepflichtig. Seitdem wurde ihm wiederholt - zuletzt am 28. Juli 2022, befristet bis zum 26. Januar 2023 - eine Duldungsbescheinigung ausgestellt. Auf der zuletzt ausgestellten Duldungsbescheinigung wurde erstmals vermerkt, dass sie mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins erlöschen würde.
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Am 8. August 2022 wurde der Antragsteller polizeilich in Gewahrsam genommen und zum Zweck der Abschiebung zum Flughafen ... verbracht. Der Abflug ist für den 8. August 2022, … Uhr nach … geplant.
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Mit Schriftsatz vom 8. August 2022 beantragt der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes:
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I. Die gegen den Antragsteller am 8. August 2022 eingeleiteten Aufenthalts beendenden Maßnahmen seines Aufenthalts in Deutschland zur Abschiebung werden vorläufig außer Vollzug gesetzt.
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II. Der Antragsteller wird vorläufig zurück zu seinem Wohnort verbracht.
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III. Die Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins“ ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten wird aufgehoben, jedenfalls aber vorläufig außer Vollzug gesetzt.
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Die Klagepartei trägt vor, der Antragsteller habe aufgrund der mehrmals in Folge erteilten „Kettenduldung“ einen Anspruch auf Vorankündigung einer drohenden Abschiebung erworben. Es bestehe zumindest eine Ankündigungspflicht analog § 60a Abs. 5 Satz 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Da keine Ankündigung erfolgt sei, sei die Abschiebung rechtswidrig. Darüber hinaus ergebe sich die Rechtswidrigkeit aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG), da dem Antragsteller nicht die Monatsfrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Anfechtung der Nebenbestimmung belassen wurde, bevor die Abschiebung festgesetzt wurde.
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Der Beklagte nahm mit Schreiben vom 8. August 2022 zur aufenthaltsrechtlichen Sachlage im Fall des Antragstellers Stellung, stellte aber keine Anträge.
II.
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1. Der Berichterstatter ist gemäß § 123 Abs. 2 Satz 3, § 80 Abs. 8 VwGO analog für die Entscheidung in der Sache funktionell zuständig (Schoch in Schoch/Schneider, 42. EL Februar 2022, VwGO § 80 Rn. 490).
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2. Der zulässige Antrag des Antragstellers nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist unbegründet und bleibt daher ohne Erfolg.
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Der Antrag ist unbegründet. Ein Anordnungsgrund liegt zwar aufgrund der Eilbedürftigkeit vor. Ein Anordnungsanspruch wurde allerdings hinsichtlich keines der Anträge glaubhaft gemacht. Die Abschiebung sowie die angegriffene Nebenbestimmung erweisen sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig.
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2.1. Die Abschiebung ist rechtmäßig, da gegen keine Anhörungspflicht verstoßen wurde. Eine solche besteht jedenfalls nicht gemäß § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG in direkter Anwendung, da hier kein Widerruf einer Duldung vorliegt. Sie besteht ebensowenig gemäß § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG in entsprechender Anwendung.
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In dem hier vorliegenden Fall, in dem die Duldung durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung - etwa nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - erlischt, ist nach dem Wortlaut, gesetzlichen Systematik und Regelungszweck keine Ankündigung der Abschiebung erforderlich. Hier ist eine entsprechende Anwendung des § 60a Abs. 5 Satz 4 Aufenthaltsgesetz ausgeschlossen. Ebenso wie beim Eintritt der Vollziehbarkeit der ausreisepflichtig zwar nicht ohne Wirkung Widerruf ist bei der auflösenden Bedingung der Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht zwar nicht ohne weiteres absehbar. Aber zum einen ergehen Widerruf oder Rücknahme der Duldung - abweichend zur auflösenden Bedingung - durch gesondert anfechtbare behördliche Entscheidung und zum anderen muss der nur auflösend bedingt geduldete Ausländer letztlich jederzeit mit dem Eintritt der Bedingung und damit auch mit dem Erlöschen der Duldung vor deren eigentlichem Auslaufen rechnen. Dagegen ist das schutzwürdige Vertrauen des ohne auflösende Bedingung längerfristig geduldeten Ausländers darin höher zu bewerten. Er darf auf den Fortbestand der Aussetzung der Abschiebung bis zum Ende der Geltungsdauer der befristeten Duldung zu vertrauen und deshalb nicht überraschend mit dem vorzeitigen Ende der Aussetzung der Abschiebung konfrontiert werden. Ihm soll ausreichend Zeit eingeräumt werden, um die persönlichen Angelegenheiten im Vorfeld der Rückführung zu regeln (OVG Lüneburg, B.v. 11.1.2019 - 13 ME 220/18 - juris Rn. 11ff.; Dollinger in Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60a Rn. 63; entgegen verbreitetem Verständnis lässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Frage der Analogie ausdrücklich offen: BayVGH, B.v. 19.1.2015 - 10 C 14.1182 - juris Rn. 23 „allenfalls“).
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Hier besteht ein schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers vor allem deshalb nicht, weil die auflösende Bedingung mit der am 28. Juli 2022 erteilten Duldung erstmals in die Duldungsbescheinigung aufgenommen wurde. Schon deshalb durfte der Antragsteller nicht mit auf die Aussetzung der Abschiebung bis zum Ende der Geltungsdauer der befristeten Duldung vertrauen. Er musste mit einem vorzeitigen Ende der Aussetzung der Abschiebung rechnen.
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2.2. Auch aus § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich nicht die Rechtswidrigkeit der Abschiebung. Aus der Klagefrist und dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes lässt sich keine generelle Verpflichtung dahingehend ableiten, dass die Behörde sich erst mit Bestandskraft einer Nebenbestimmung auf deren Geltung berufen kann. Der Beklagte musste also nicht die Bestandskraft abwarten, um sich auf das Erlöschen der Duldung berufen zu können.
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Jedenfalls war die Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins“ rechtmäßig (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 19.1.2015 - 10 C 14.1182 - juris Rn. 24). Eine solche Nebenbestimmung kann einer Duldung gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG beigefügt werden. Insbesondere trägt sie dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinreichend Rechnung. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Nebenbestimmung in Form einer auflösenden Bedingung i.S.d. § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist, dass das den Eintritt der Bedingung auslösende Ereignis sowohl der Sache nach als auch dem abstrakten Eintrittszeitpunkt nach so eindeutig und klar umschrieben ist, dass nicht bereits zum Zeitpunkt der Beifügung der Bedingung ein Streit zwischen den Beteiligten absehbar ist, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht. Diesem Erfordernis genügt die von dem Beklagten der Duldung beigefügte Nebenbestimmung, wonach die Duldung mit Bekanntgabe des Abschiebetermins erlischt. Der betroffene Ausländer kann ohne weiteres erkennen, dass in dem Zeitpunkt, in dem ihm der Zeitpunkt seiner Abschiebung bekannt gegeben wird, die Duldung erlischt. Die Nebenbestimmung entspricht auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Nebenbestimmung i.S.d. § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, die zum Erlöschen der Duldung führt, muss geeignet und erforderlich sein, den mit ihr verfolgten Zweck zu fördern, den Ausländer schon vor Ablauf der regulären Dauer der Duldung abschieben zu können. Insbesondere war hier eine Abschiebung vor Ablauf der Geltungsdauer der Duldung beabsichtigt (vgl. OVG Bremen, B.v. 29.3.2011 - 1 B 57/11 - juris Rn. 10).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.