Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.09.2022 – 10 CE 22.1939
Titel:

Kein (Fortsetzungs-)Feststellungsantrag im Eilverfahren

Normenkette:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4, § 123
Leitsatz:
Ein (Fortsetzungs-)Feststellungsantrag ist in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht statthaft, da das Feststellungsinteresse, das einen solchen Antrag allein rechtfertigt, in einem Eilverfahren nicht befriedigt werden kann. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Unzulässigkeit eines (Fortsetzungs-)Feststellungsantrags im Eilverfahren, fehlendes qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für vorbeugenden Rechtsschutz im Eilverfahren, Fortsetzungsfeststellungsantrag, einstweilige Anordnung, vorbeugender Unterlassungsanspruch, vorbeugender Rechtsschutz, Rechtsschutzbedürfnis, Duldung, Nebenbestimmung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 08.08.2022 – M 24 E 22.3852
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25886

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
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Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde sein Begehren nach Abschiebungsschutz weiter, nachdem ein Versuch des Antragsgegners, ihn abzuschieben, gescheitert ist.
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Vor dem Verwaltungsgericht hatte der Antragsteller am 8. August 2022 während des laufenden Versuchs der Abschiebung sinngemäß beantragt,
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I. Die gegen den Antragsteller am 8. August 2022 eingeleiteten Aufenthaltsbeendenden Maßnahmen werden vorläufig ausgesetzt.
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II. Der Antragsteller wird vorläufig zurück an seinen Wohnort verbracht.
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III. Die Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins“ ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten, wird aufgehoben, jedenfalls aber vorläufig außer Vollzug gesetzt.
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Das Verwaltungsgericht hat diese Anträge als Anträge nach § 123 VwGO ausgelegt und abgelehnt. Die Abschiebung und die Nebenbestimmung seien rechtmäßig. Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt.
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Nachdem die Abschiebung am 8. August 2022 letztlich am Fehlen eines gültigen Reisepasses des Antragstellers scheiterte, beantragt der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nunmehr:
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I. Unter entsprechender Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 08.08.2022 wird einstweilig festgestellt, dass die am 08.08.2022 gegen den Beschwerdeführer durchgeführten Maßnahmen rechtswidrig gewesen sind.
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II. Unter entsprechender Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 08.08.2022 wird der Beschwerdegegner verpflichtet, es zu unterlassen, ohne entsprechende Vorankündigung einer Abschiebung erneut aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer durchzuführen.
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Dazu macht er unter anderem gelten, es bestehe nach wie vor ein Rechtsschutzbedürfnis, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Antragsgegner erneut eine Duldung mit der streitgegenständlichen auflösenden Bedingung erteilen und auf dieser Grundlage erneut eine Abschiebung des Antragstellers ohne vorherige Ankündigung versuchen werde. Ein solches Vorgehen umgehe aber in rechtswidriger Weise das Ankündigungsgebot in § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG.
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Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten und hält sie für bereits unzulässig. Den vorgenommenen Antragsänderungen werde nicht zugestimmt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
14
1. Der Beschwerdeantrag in Nr. I ist unzulässig, weil er als (Fortsetzungs-)Feststellungsantrag in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht statthaft ist. Eine entsprechende Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil das Feststellungsinteresse, das einen solchen Antrag allein rechtfertigt, in einem Eilverfahren nicht befriedigt werden kann. Die aufgrund summarischer Prüfung ergehende einstweilige Anordnung dient der Sicherung eines Rechts oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses; sie führt jedoch nicht zu einer rechtskräftigen Klärung einer Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit hinsichtlich eines Verwaltungsaktes. Eine verbindliche Entscheidung über diese Frage trotz zwischenzeitlicher Erledigung der Hauptsache herbeizuführen, ist aber gerade Sinn der Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO; sie ist daher nur ein einem Hauptsacheverfahren möglich (BVerwG, B.v. 27.1.1995 - 7 VR 16/94 - juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 8.4.2019 - 10 CE 19.444 - juris Rn. 8; B.v. 16.8.2012 - 8 CE 11.2759 - juris Rn. 19; OVG NW, B.v. 15.3.2007 - 18 B 257/07 - juris Rn. 10).
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2. Das Unterlassungsbegehren in Nr. II des Beschwerdeantrags ist ebenfalls unzulässig. Abgesehen davon, dass der Antrag zu einer im Beschwerdeverfahren unzulässigen Antragsänderung führt, weil er über den vom Verwaltungsgericht zu entscheidenden Streitstoff in nicht sachdienlicher Weise hinausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 - 11 CE 16.219 - juris Rn. 17; B.v. 4.12.2006 - 11 CE 06.2649 - juris Rn. 37; OVG LSA, B.v. 19.4.2010 - 4 M 73/10 - juris Rn. 3; NdsOVG, B.v. 15.10.2009 - 2 ME 307/09 - NVwZ-RR 2010, 63 = juris Rn. 28 m.w.N.), begehrt der Antragsteller damit im Eilverfahren die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes, ohne das für dessen Zulässigkeit erforderliche qualifizierte Rechtsschutzinteresse dargelegt zu haben.
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Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des im Ausgangspunkt reaktiv konzipierten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nicht vorbeugend ausgestaltet. Ein Abweichen von dieser Grundentscheidung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der nachträgliche Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Betroffenen verbunden wäre. Danach ist für einen vorbeugenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse notwendig. Dieses ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Es ist in der Regel zumutbar, die Verwaltungsmaßnahme abzuwarten und anschließend Rechtsmittel hiergegen einzulegen sowie - falls erforderlich - um vorläufigen Rechtsschutz nach § 80, § 80a VwGO nachzusuchen (BayVGH, B.v. 28.11.2019 - 10 CE 19.2234 - juris Rn. 5; B.v. 2.2.2017 - 12 CE 17.71 - juris Rn. 26 jew. m.w.N.).
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So liegt der Fall hier. Der Antragsteller, dessen Duldung aufgrund der auflösenden Bedingung der Bekanntgabe des Abschiebungstermins mittlerweile erloschen sein dürfte, der aber in Ermangelung eines gültigen Passes weiterhin zu dulden ist, begründet sein Rechtsschutzbedürfnis allein damit, es könne nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden, dass der Antragsgegner ihm erneut eine Duldung mit der streitgegenständlichen Nebenbestimmung ausstelle und auf dieser Grundlage erneut unter rechtswidriger Umgehung der Ankündigungspflicht in § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG ohne vorherige Ankündigung aufenthaltsbeendende Maßnahmen einleite. Sollte dies jedoch geschehen, bleibt es dem Antragsteller unbenommen, erneut gegen eine solche Nebenbestimmung zu klagen und - falls der Beklagte die aufschiebende Wirkung der Klage bestreitet (ausführlich zur Frage der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine solche Nebenbestimmung VGH BW, B.v. 8.6.2022 - 12 S 1813/21 - juris Rn. 14 ff.) - erneut einstweiligen Rechtsschutz in Form eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung oder analog § 80 Abs. 5 VwGO auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (vgl. dazu etwa Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Februar 2022, § 80 VwGO, Rn. 356 m.w.N.) zu suchen. Dass diese Vorgehensweise unmöglich oder unzumutbar wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 39 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).