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VG Würzburg, Urteil v. 05.09.2022 – W 8 K 22.30383
Titel:

Iran, kurdische Volkszugehörigkeit, Witwe mit zwei Kindern, befürchtete Zwangsverheiratung, befürchtete Wegnahme der Kinder, Antrag auf Entzug des Sorgerechts seitens der Verwandten väterlicherseits, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in Deutschland, Evangelisch-Freikirchliche, Gemeinde Ochsenfurt, persönliches Bekenntnis zum Christentum, Unterschiede zwischen Islam und Christentum, christliche Aktivitäten, Gottesdienste, Bibelkurse, Veranstaltungen, Missionierung, Glaubenskenntnisse, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde, eingeholte Auskunft des Auswärtigen, Amtes

Normenketten:
VwGO § 86 Abs. 1 Halbsatz 2
AuslG § 3
AsylG § 25
AsylG § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60
RL 2011/95/EU Art. 9
RL 2011/95/EU Art. 10 Abs. 1 Buchst. b)
Schlagworte:
Iran, kurdische Volkszugehörigkeit, Witwe mit zwei Kindern, befürchtete Zwangsverheiratung, befürchtete Wegnahme der Kinder, Antrag auf Entzug des Sorgerechts seitens der Verwandten väterlicherseits, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in Deutschland, Evangelisch-Freikirchliche, Gemeinde Ochsenfurt, persönliches Bekenntnis zum Christentum, Unterschiede zwischen Islam und Christentum, christliche Aktivitäten, Gottesdienste, Bibelkurse, Veranstaltungen, Missionierung, Glaubenskenntnisse, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde, eingeholte Auskunft des Auswärtigen, Amtes
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25801

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Juni 2019 werden aufgehoben, soweit sie sich auf die Klägerin beziehen.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.
1
Die Klägerin, iranische Staatsangehörige, ist eine Frau mit zwei kleinen Kindern (Söhnen), alle kurdischer Volkszugehörigkeit. Die Klägerin reiste mit dem ersten Kind am 19. März 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das zweite Kind wurde am ...  2016 in W., Deutschland, geboren. Ihr Ehemann verstarb im August 2018. Die Klägerin und ihre beiden Kinder stellten am 11. September 2018 Asylanträge. Zur Begründung der Asylanträge gab die Klägerin im Wesentlichen an: Ihr Mann, mit dem sie sich zusammen in Deutschland aufgehalten habe, habe einen Studienplatz in W. gehabt; er sei im August 2018 gestorben. Als kurdische Witwe würde sie bei einer Rückkehr in den Iran in ihrem Stamm wiederverheiratet werden. Die Familie, die Verwandtschaft und die Gesellschaft würden Druck auf sie ausüben. Die Kinder könnten ihr durch die Familie des verstorbenen Mannes entzogen werden, wenn sie wieder heirate. Der Großvater der Kinder sei Mitglied der PDKI (Demokratische Partei Kurdistan - Iran) gewesen. Die Kinder hätten psychische Probleme.
2
Mit Bescheid vom 14. Juni 2019 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Klägerin und ihren Kindern die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin und ihre Kinder wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Eine drohende Zwangsheirat sei nicht glaubhaft. Zwar möge eine Eheschließung im Kulturkreis der Klägerin gesellschaftlich erwünscht sein, jedoch könne hieraus nicht geschlossen werden, dass jede kurdische Frau gegen ihren Willen verheiratet werde. Auch bei der ersten Ehe habe die Klägerin ihre Position in der Lebensplanung eingebracht. Außerdem sei nicht glaubhaft dargetan, dass sie ohne Heirat zwingend aus dem Familienverband ausgeschlossen oder verstoßen werde. Die minderjährigen Kinder seien ebenso wenig wie die Klägerin selbst weder politisch aktiv oder Mitglied der PDKI. Selbst der verstorbene Vater habe deswegen keine Probleme im Iran gehabt.
II.
3
1. Am 18. Juni 2019 ließ die Klägerin zusammen mit ihren Kindern Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben.
4
Mit Schriftsatz vom 12. September 2019 ließ die Klägerin unter Vorlage verschiedener Unterlagen ausführen: Nach der Umverteilung nach A. besuche die Klägerin die Ev.-Fr. Gemeinde O.(Gottesdienstbesuche, Glaubenskurs), in der sie demnächst getauft werden sollen. Im Iran sei mittlerweile ein Gerichtsverfahren durch den älteren Bruder des verstorbenen Ehemannes und dessen Mutter auf Übertragung des Sorgerechts für die Kinder eingeleitet worden. Die Klägerin sei bemüht, baldmöglichst Beweise vorzulegen. Bei einer Rückkehr in den Iran drohe ihr daher, dass die Familie des Kindsvaters das Sorgerecht für die Kinder erhalte und sie die Kinder an diese herausgeben müsse.
5
Mit Schriftsatz vom 24. September 2019 ließ die Klägerin den Antrag der Verwandten des verstorbenen Ehemannes auf Übertragung des Sorgerechts der Kinder vom 27. August 2019 samt Übersetzung sowie eine „Empfehlung aus Pädagogischer Sicht des Kindergartens B.“ vom 18. September 2019 vorlegen.
6
Mit Schriftsatz vom 23. November 2020 ließ die Klägerin eine Taufbescheinigung für sich von der Ev.-Fr. Gemeinde O. vorlegen, wonach die Klägerin am 18. Oktober 2020 getauft worden sei. Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2021 ließ die Klägerin eine weitere Bescheinigung vom 11. Mai 2021 vorlegen, wonach sie an den sonntäglich stattfindenden Gottesdiensten sowie an den Gebetstreffen teilnehme.
7
Mit Schriftsatz vom 20. April 2022 ließ die Beklagte durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Wesentlichen ausführen: Die Ausführungen im Bescheid seien durch die eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes weitgehend bestätigt bzw. nicht widerlegt. Insgesamt sei dem Vortrag der Klägerin eine auffällige Steigerung zu entnehmen. Für eine Zwangsverheiratung bedürfte es einer Initiative der Familie oder der Schwiegerfamilie der Klägerin. Beide hätten aber in der Vergangenheit eine entsprechende Rücksichtnahme auf die Interessen der Klägerin gezeigt. Der streitgegenständliche Bescheid werde auch betreffend den Verlust des Sorgerechts durch die Ausführungen des Auswärtigen Amtes weitgehend bestätigt. Nach Art. 43 des Gesetzes zur Unterstützung der Familie obliege die Personensorge der Mutter, wenn der Vater verstorben sei. Eine Entziehung könne erfolgen, wenn sie dem Kindesinteresse widerspreche. Dafür müsse eine Vernachlässigung bzw. Gefährdung des Kindes vorliegen. Die in der Vorschrift beispielhaft aufgeführten Tatbestände erforderten dafür Verhaltensweisen gewisser Tragweite, wie etwa eine Sucht, Prostitution, psychische Krankheiten oder Kindesmissbrauch. Dem Antrag des Schwagers seien keine schwerwiegenden Gründe zu entnehmen. Eine Prägung (Verwestlichung) sei bereits wegen des Aufenthalts der Klägerin in einem christlich geprägten Land nicht zu vermeiden gewesen. Trotz der über zweieinhalbjährigen Verfahrensdauer seien keine weiteren gerichtlichen Dokumente vorgelegt worden. Die Formulierung des Antrags lasse durchaus den Eindruck entstehen, dass er eher der Unterstützung des Asylverfahrens der Enkel in Deutschland diene, als auf den Erhalt der Personensorge im Iran abzuzielen. Das Vorbringen sei nicht konkret auf Apostasie gestützt worden. Die Schwiegerfamilie akzeptiere den Verbleib der Klägerin und ihrer Kinder in Deutschland. Die Klägerin sei bei einer Rückkehr in den Iran auch in der Lage, zumindest halbtags, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und damit den Unterhalt für sich und ihre Kinder zu erwirtschaften. Insoweit wären die Klägerin und ihre Kinder auch nicht mehr auf die Unterstützung der Großfamilie angewiesen. Zu psychischen Beschwerden seien seit 25. Juni 2019 keine aktuellen Atteste eingereicht worden, so dass davon auszugehen sei, dass zwischenzeitlich eine Gesundung eingetreten sei.
8
Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2022 ließ die Klägerin weiter ausführen: Der Vorwurf einer auffälligen Steigerung sei unsinnig. Es finde keine Auseinandersetzung mit der Situation der Klägerin statt. Sie habe ihren Ehemann 2018 nach schwerer Krankheit verloren und sei mit den Kindern auf sich allein gestellt gewesen. Es sei nachvollziehbar, in einer solchen Situation Kontakt zur Kirche zu suchen. Der Entzug der Personensorge habe nach Aussage des Auswärtigen Amtes gute Erfolgsaussichten.
9
Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2022 ließ die Klägerin eine weitere kirchliche Bescheinigung der Ev.-Fr. Gemeinde O. vom 15. Mai 2022 vorlegen, wonach die Klägerin regelmäßig an den sonntäglichen Gottesdiensten sowie an anderen Veranstaltungen teilnehme. Sie engagiere sich in unterschiedlicher Weise, z.B. auch bei der Betreuung iranischer Besucher (Übersetzungsmitarbeit). Ihre beiden Kinder besuchten regelmäßig die Kindergottesdienste.
10
2. Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 19. Juni 2019 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
11
In der mündlichen Verhandlung am 30. September 2019 ließ die Klägerin noch zusammen mit ihren Kindern beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Juni 2019 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise den Klägern den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass bei den Klägern Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
12
Die Beklagtenvertreterin beantragte,
die Klage abzuweisen.
13
Das Gericht hörte die Klägerin informatorisch an. Der Klägerbevollmächtigte übergab eine fachärztliche Stellungnahme zur psychischen Erkrankung eines der Kinder vom 25. Juni 2019.
14
Das Gericht beschloss durch die Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes Beweis zu erheben betreffend eine mögliche Zwangsverheiratung, einen Entzug des Sorgerechts sowie die Sicherung des Existenzminimums und die Gewährleistung der notwendigen medizinischen Versorgung.
15
Mit Beschluss vom 6. November 2019 bewilligte das Gericht unter Abänderung seines gegenläufigen Beschlusses vom 25. Juli 2019 der Klägerin und ihren Kindern Prozesskostenhilfe und ordnete ihnen ihren Prozessbevollmächtigten bei.
16
Das Auswärtige Amt gab mit Schreiben vom 13. April 2022 die mit Schreiben des Gerichts vom 8. Oktober 2019 erbetene Auskunft.
17
Mit Beschluss vom 18. Mai 2022 nahm das Gericht das wegen der Auskunftseinholung ruhend gestellte Verfahren W 8 K 19.31155 wieder auf und führte es unter dem neuen Aktenzeichen W 8 K 22.30383 fort.
18
Das Gericht hörte die Klägerin in der weiteren mündlichen Verhandlung am 5. September 2022 ergänzend informatorisch an. Des Weiteren trennte das Gericht vom Verfahren W 8 K 22.30383 die Klage der beiden Kinder ab, führte den abgetrennten Klageteil unter dem neuen Aktenzeichen W 8 K 22.30659 fort und setzte diesen bis zur unanfechtbaren Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Klägerin im Verfahren W 8 K 22.30383 aus.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
21
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Juni 2019 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 - soweit sie sich auf die Klägerin beziehen - rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) sowie zum Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG war nicht zu entscheiden.
22
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
23
Das Gericht weist mit Bezug auf die eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 13. April 2022 darauf hin, dass eine drohende Zwangsverheiratung der Klägerin nicht unüblich wäre. Ein erfolgsversprechender Rechtsweg dagegen wäre theoretischer Natur und auch bei einem Wegzug bliebe unwahrscheinlich, dass die Klägerin mit ihren Kindern von der Familie unentdeckt im Iran leben könnte, sofern die Verwandten ihres Ehemannes aktiv nach ihr suchten. Des Weiteren wäre im Iran laut Auskunft des Auswärtigen Amtes durchaus ein Entzug des Sorgerechts der Klägerin möglich, etwa bei unmoralischem Verhalten, wobei auch da der Rechtsweg nur geringe Erfolgsaussichten hätte. Dabei könnte im Fall der Klägerin ihre Abwendung vom Islam und ihre Zuwendung zum Christentum als unmoralisches Verhalten in diesem Sinne gewertet werden. Letztlich brauchen diese Fragen vorliegend jedoch nicht abschließend entschieden zu werden, weil die hier glaubhafte Konversion der Klägerin vom Islam zum Christentum schon für sich allein die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigt.
24
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612).
25
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Klägerin aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
26
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 27.5.2022 - W 8 K 21.31219 - juris; U.v. 12.4.2021 - W 8 K 20.31281 - juris; U.v. 25.1.2021 - W 8 K 20.30746 - juris; U.v. 11.7.2012 - W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 - 14 ZB 19.31771 - juris; B.v. 16.1.2020 - 14 ZB 19.30341 - juris; B.v. 9.5.2019 - 14 ZB 18.32707 - juris; B.v. 6.5.2019 - 14 ZB 18.32231 - juris; U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris; B.v. 19.7.2018 - 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 - juris; B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris sowie OVG LSA, U.v. 14.7.2022 - 3 L 9/20 - juris; SächsOVG, U.v. 24.5.2022 - 2 A 577/19.A - juris; U.v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A - juris; U.v. 3.4.2008 - A 2 B 36/06 - juris; OVG MV, U.v. 2.3.2022 - 4 LB 785/20 OVG - juris; HambOVG, U.v. 8.11.2021 - 2 Bf 539/19.A - juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris; B.v. 6.7.2021 - 6 A 31/20.A - juris; U.v. 21.6.2021 - 6 A 2114/19.A - juris; B.v. 6.1.2021 - 6 A 3413/20.A - juris; B.v. 19.2.2020 - 6 A 1502/19.A - juris; B.v. 2.1.2020 - 6 A 3975/19.A - juris; B.v. 21.10.2019 - 6 A 3923/19.A - juris; B.v. 15.2.2019 - 6 A 1558/18.A - juris; B.v. 28.6.2018 - 13 A 3261/17.A - juris; U.v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 - 5 A 982/07.A - EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 - 2 LA 35/20 - juris, U.v. 24.3.2020 - 2 LB 20/19 - juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 - juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08.A - ESVGH 60, 248; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 - 1 A 222/07 - InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 27.5.2022 - W 8 K 21.31219 - juris; U.v. 3.1.2022 - W 8 K 21.31074; U.v. 22.11.2021 - W 8 K 21.30912; U.v. 4.10.2021 - W 8 K 21.30835 - juris; U.v. 12.4.2021 - W 8 K 20.31281 - juris; U.v. 25.1.2021 - W 8 K 20.30746 - juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist - unter den vorstehenden Voraussetzungen - eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08.A - ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 - 6 A 2067/08.A - Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 - 6 A 2279/12.Z.A - Entscheiderbrief 3/2013, 5).
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Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Klägerin eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Klägerin aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gericht erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Klägerin vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Klägerin bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben der Klägerin zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen ihrer Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950; sowie etwa SächsOVG, U.v. 24.5.2022 - 2 A 577/19.A - juris; U.v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A - juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris; B.v. 10.2.2020 - 6 A 885/19.A - juris; B.v. 19.6.2019 - 6 A 2216/19.A - juris; B.v. 23.5.2019 - 6 A 1272/19.A - juris; B.v. 20.5.2019 - 6 A 4125/18.A - juris; B.v. 2.7.2018 - 13 A 122/18.A - juris; OVG SH, B.v. 11.11.2020 - 2 LA 35/20 - juris; B.v. 29.9.2017 - 2 LA 67/16 - juris; B.v. 28.6.2018 - 13 A 3261/17.A - juris; B.v. 10.2.2017 - 13 A 2648/16.A - juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris; B.v. 6.5.2019 - 14 ZB 18.32231 - juris; U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris; B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 - juris; B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris; B.v. 9.4.2015 - 14 ZB 14.30444 - NVwZ-RR 2015, 677; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 - juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 - 13 LA 93/14 - KuR 2014, 263), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
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Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte die Klägerin ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Klägerin schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Klägerin sind plausibel und in sich schlüssig. Die Klägerin legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe der Klägerin, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte die christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
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Die Klägerin hat ihren Weg vom Islam zum Christentum glaubhaft dargetan. Die Klägerin gab an, sie sei ursprünglich Schiitin gewesen. Sie sei wegen ihres sunnitischen Ehemannes mit der Heirat Sunnitin geworden. Sie sei als Moslem im Iran geboren und habe als Moslem im Iran gelebt und sich genauso verhalten wie andere Menschen auch. Sie habe religiöse Unterrichtungen besuchen müssen und habe im Iran an einen Gott geglaubt, an einen Schöpfer, aber nicht an weitere Sachen. Die Klägerin schilderte weiter, dass ihr Ehemann zwei Jahre vor seinem Tod an Krebs erkrankt gewesen sei. Sie habe ihren Mann gepflegt. Sie habe in den zwei Jahren, als ihr Mann krank gewesen sei, immer wieder gebetet. Es sei aber nicht erfolgreich gewesen. Sie habe gebetet, aber es habe nicht geholfen. Sie habe nur gefragt warum. Ihr Mann sei gestorben. Dann sei es mit dem Islam bei ihr vorbei gewesen. Sie sei auf der Suche nach Gott gewesen. Ihr Schwager habe mit dessen Frau entschieden, dass ihr Mann in W. auf islamischer Weise beerdigt werde. Dies und der Besuch des Grabes besage aber nicht, dass sie deshalb weiterhin an den Islam geglaubt habe. Die Klägerin gab weiter glaubhaft an, dass sie schon zu Lebzeiten ihres Mannes eine Bibel in Farsi besessen habe. Ihr belesener Mann habe selbst in der Bibel gelesen und ihr gesagt, sie selbst könne entscheiden, was sie lesen und machen wolle. Nach dem Tod ihres Mannes sei sie infolge der Asylantragstellung nach Bamberg gekommen. Dort sei sie in Kontakt mit Christen gekommen. Sie sei auch immer wieder in die Kirche gegangen und habe sich mit Menschen getroffen. Sie sei acht bis neun Monate in Bamberg gewesen. Danach sei sie nach A.. Auch dort habe sie wieder Kontakt zu Christen erhalten. Sie sei vielleicht ein Jahr in A. gewesen. Seitdem sei sie in O. bei der jetzigen Kirche. Am Sonntag sei sie mit Hilfe anderer zum Gottesdienst gekommen. Unter der Woche, ein- bis zweimal, seien sowohl ein Mann als auch eine Frau zu ihr gekommen. Sie hätten sich mit ihr über religiöse Themen unterhalten. Es sei nicht eine Schulung gewesen, aber auch schon zum Lernen. Vor der Taufe habe es einen Vorbereitungskurs gegeben. Er habe schon ein Jahr vorher begonnen. Es sei auch nicht immer gewesen. Es sei sehr langsam gegangen. Sie selbst habe sich aber entschieden, sich taufen zu lassen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sie noch in A. gewesen sei. Die Taufe sei in O. erfolgt. Ihre eigene Entscheidung, sich taufen zu lassen, sei aber schon viel früher gefallen. Der Beistand aus der christlichen Gemeinde bestätigte ergänzend, dass es bei ihnen ein sehr langer Prozess bis zur Taufe sei, weil sie sich selbst die Überzeugung verschaffen wollten, an was die Betreffende glaube. Kurz vor der Taufe gebe es eine gemeindliche Versammlung. Da müsse sich der Taufbewerber bzw. die Taufbewerberin zum christlichen Glauben bekennen. Sie würden sich nicht nur ernsthaft überzeugen, dass die Betreffende ernsthaft konvertiert sei, sondern dass sie danach auch ernsthaft dabeibleibe. Die Klägerin spreche mit anderen über den Glauben, gerade auch mit anderen Moslems. Der Beistand bestätigte weiter die Angabe der Klägerin, dass bei ihnen keine Kindertaufe durchgeführt werde, sondern vielmehr der/die Betreffende selbst entscheiden solle. Die Klägerin beschrieb weiter, dass sie nicht nur regelmäßig Gottesdienste und weitere christliche Veranstaltungen besuche, sondern für andere übersetze und auch Teilnehmerin von Bibelgruppen sei. Sie erziehe ihre Kinder religiös und bete mit ihnen. Das ältere Kind sei in der Schule im christlichen Religionsunterricht.
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In dem Zusammenhang ist anzumerken, dass es der Klägerin nicht angelastet werden kann, wenn sie aufgrund der coronabedingten Infektionsschutzmaßnahmen - genauso wie andere Christen in Deutschland - nur eingeschränkt aktiv sein und zusammen mit anderen in der Öffentlichkeit ihren Glauben ausleben konnte.
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Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Klägerin ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagiert. Die Klägerin erklärte: Sie missioniere, wenn neue Leute zu ihnen kämen. Sie missioniere in dem Sinn, dass sie andere für ihren Glauben interessiere. Aber sie sei selbst noch eine Art Schülerin und noch nicht so weit, dass sie allein jemanden überzeuge. Sie sei insofern aber auch schon erfolgreich gewesen, als sie andere zur christlichen Gemeinde gebracht habe, die auch dortgeblieben seien. Des Weiteren habe sie schon negative Erfahrungen gesammelt, dass manche Moslems nicht konvertiert werden wollten. Aber sie selbst habe dann aufgehört, damit es nicht groß zum Streit komme, so etwa auch bei Telefonaten mit ihrem Bruder im Iran. Sie erzähle ihm auch über Jesus, aber langsam, langsam. Die Klägerin räumte dazu ehrlich ein, dass sie ihrer Familie nicht direkt gesagt habe, dass sie konvertiert sei. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Klägerin bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt macht, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
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Die Klägerin verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte sie - in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40/15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) - auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte die Klägerin zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass sie dies verinnerlicht habt. Die Klägerin erklärte: Im Iran bzw. im Islam gelte Jesus Christus als Prophet. Jesus sei nur ein Prophet gewesen. Jetzt sei er Gott. Jesus Christus sei der Schöpfer; er sei Gott. Er sei selbst gekommen und er habe alles geschaffen. Gott sei wegen der Sünden als Kind zu uns gekommen, weil alle sündig gewesen seien. Wir hätten uns von Gott entfernt und seien einen falschen Weg gegangen. Deshalb sei Gott gekommen, um uns von den Sünden zu befreien. Die Sünden seien da gewesen. Jesus sei für die Sünden gestorben und er mache es, Gott wieder mit den Menschen zu verbinden. Die Sünden kämen von Adam und Eva.
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Die Klägerin offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihren Gewissensschritt zusätzlich belegen. Die Klägerin benannte in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte die Klägerin auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Klägerin bezog sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
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Die Klägerin erklärte glaubhaft weiter, sie könnte sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Sie wissen nunmehr, wer Gott sei und wer Jesus Christus sei. Sie könne sich nicht vorstellen, zum Islam zu gehen. Die Klägerin gab weiter glaubhaft an, sie könne sich bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran nicht vorstellen, ihren Glauben zu verheimlichen. In der Bibel stehe, wenn ein Licht da sei, wenn eine Kerze an sei, solle man dies nicht verstecken, sondern es solle leuchten. Auch bei einer Rückkehr in den Iran würde sie über Jesus sprechen. Sie wolle ihre Konversion nicht vertuschen, sondern wolle auch öffentlich darüber reden. Sie sei zwar Mutter von zwei Söhnen, aber sie wisse auch, dass Jesus Christus immer da sei. Sie wolle weitermachen.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Klägerin vor und nach ihrer Einreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihr vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion - auch in Abgrenzung zum Islam - eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Klägerin bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihre neu gewonnene Religion entsprechend leben würde. Die Klägerin hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie hat ihre Konversion anhand der von ihr gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Klägerin missionarische Aktivitäten entwickelt, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einer Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn sie aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität der Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40/15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einer Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von ihrer religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612).
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Die Klägerin hat insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
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Dazu tragen auch die Ausführungen ihres Beistandes aus der christlichen Gemeinde in der mündlichen Verhandlung bei. Dieser erklärte: Er nehme der Klägerin zu 100% ab, dass sie glaubhaft konvertiert sei. Sie habe einen persönlichen Glauben an Jesus Christus als Erlöser. Gleichwohl gebe sie sich bescheiden und bezeichne sich als Schülerin. Aber sie sei immer mit Eifer dabei und treffe sich auch mit anderen. Die Klägerin spreche mit anderen über den Glauben, gerade auch mit anderen Moslems. Sie habe ein Herz für andere Menschen. Sie gebe den Frieden, den sie gewonnen habe, gerne an andere weiter.
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Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 28 AsylG Rn. 17).
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Nach alledem ist der Klägerin unter Aufhebung der sie betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes - bezogen auch die Klägerin - ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
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Des Weiteren sind auch - betreffend die Klägerin - die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreiseaufforderung samt Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren - wenn auch noch nicht rechtskräftig - festgestellt.
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Schließlich war auch - bezogen auf die Klägerin - die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.