Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 24.08.2022 – 3 U 161/22
Titel:

Keine Aussetzung eines "Diesel-Falles"

Normenkette:
ZPO § 148
Leitsätze:
1. Die Ansicht des Generalanwalts Rantos in seinen Schlussanträgen vom 2.06.2022 ist weder für die deutschen Gerichte noch für den Gerichtshof der Europäischen Union rechtsverbindlich. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine wie auch immer geartete Bindungswirkung kommt der an die (Medien-) Öffentlichkeit gerichteten Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 104/2022 vom 01.07.2022 nicht zu. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch nach Unionsrecht kommt ein Schutz der Interessen eines Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, nur in Betracht, wenn die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; OLG Köln BeckRS 2022, 12858; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; BeckRS 2022, 20735; BeckRS 2022, 22852; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, arglistige Täuschung, sittenwidrig, Aussetzung, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 10.06.2022 – 23 O 197/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 18.01.2023 – 3 U 161/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25572

Tenor

1. Der Antrag der Klagepartei auf Aussetzung des Verfahrens gem. § 148 ZPO (analog) wird abgelehnt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

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1. Der Antrag der Klagepartei auf Aussetzung des Verfahrens gem. § 148 ZPO (analog) war abzulehnen.
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a) Eine Aussetzung des Rechtsstreits kommt zum einen nicht in Betracht, nachdem der Bundesgerichtshof die in dem Vorlagebeschluss des LG Ravensburg (Vorabentscheidungsverfahren EuGH - C-100/21) angesprochenen Fragen bereits geklärt und eine Vorlage an den EUGH mehrfach explizit abgelehnt hat (BGH, Beschluss vom 26.01.2022, VII ZR 516/21, BeckRS 2022, 3676; BGH, Beschluss vom 23.03.2022, VII ZR 444/21, BeckRS 2022, 8312).
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aa) Es entspricht der - für den Senat maßgeblichen - höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die von der Klagepartei genannten Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind und nur die nationalen Gerichte berufen und in der Lage sind, die betreffenden EU-Vorschriften unter das Konzept einer drittschützenden Norm zu subsumieren (BGH, Beschluss vom 04.05.2022, VII ZR 656/21, BeckRS 2022, 11994 Rn. 3; BGH, Beschluss vom 10.02.2022, III ZR 87/21, NVwZ 2022, 896 Rn. 12 ff., 17; vgl. auch OLG München, Beschluss vom 14.06.2022, 36 U 141/22, Seite 12).
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bb) Soweit der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:ECLI:EU:C:2022:420) eine abweichende Ansicht vertritt, ist diese zum jetzigen Zeitpunkt weder für die deutschen Gerichte noch für den Gerichtshof der Europäischen Union rechtsverbindlich. Vielmehr erteilt der EuGH von sich aus den Hinweis: „Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin oder des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.“
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cc) Auch die Würdigung der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 104/2022 vom 01.07.2022 zum Verfahren VIa ZR 335/21 führt zu keinem anderen Ergebnis.
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Danach sollen den Gerichten und den Berufungsgerichten, die nach Veröffentlichung der Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Rechtssache nunmehr auch aus Gründen der Gewähr effektiven Rechtsschutzes die vor ihnen eröffnete Tatsacheninstanz nicht schließen, sondern die Entscheidung des Gerichtshofs abwarten werden (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2022 - 4 W 4/22, juris Rn. 42 ff.), durch die auf den 21.11.2022 terminierte mündliche Verhandlung in der Sache (Az. VIa ZR 335/21) so bald als möglich im Anschluss an eine Entscheidung des Gerichtshofs höchstrichterliche Leitlinien an die Hand gegeben werden.
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Diese Mitteilung durch die Pressestelle des BGH signalisiert lediglich, dass der Bundesgerichtshof gewillt ist, das genannte Verfahren noch im Jahr 2022 zu verhandeln, und dabei davon ausgeht, dass in der Zwischenzeit eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorliege. Eine wie auch immer geartete Bindungswirkung kommt dieser an die (Medien-) Öffentlichkeit gerichteten Mitteilung nicht zu. Die mitgeteilten Umstände sind allein für die Ermessensentscheidung der Gerichte im Rahmen einer Entscheidung nach § 148 ZPO (analog) von Bedeutung, indem das Gericht bei seiner Ermessensausübung die Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und die mit der Aussetzung eintretende Verfahrensverzögerung gegeneinander abzuwägen hat (BGH, Beschluss vom 07.05.1992, V ZR 192/91, NJW-RR 1992, 1149 (1150); BeckOK ZPO - Wendt - land, Stand: 01.03.2022, § 148 ZPO Rn. 13). Dies zeigt auch die ausdrücklich in der Pressemitteilung zitierte Passage des Beschlusses des OLG Braunschweig vom 02.03.2022, Rn. 42 ff., welche gerade den rechtlichen Rahmen einer Ermessensentscheidung des Gerichts sowie den insoweit eingeschränkten Prüfungsmaßstab einer Beschwerde gegen eine solche Entscheidung behandelt.
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dd) Überdies erscheint die Klage - soweit eine Prüfung derzeit möglich ist, siehe unten - auch dann ohne Erfolgsaussichten, wenn der Senat der Auffassung des Generalanwalts Rantos folgen würde. Zwar hat der Generalanwalt im Ergebnis angenommen, dass das Unionsrecht auch die Interessen eines Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, schütze. Er hat diese Rechtsfolge jedoch von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, insbesondere, dass die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste (Rn. 48 ff. der Schlussanträge, BeckRS 2022, 12232). Es ist demnach erforderlich, dass der Genehmigungsbehörde die unzulässige Abschalteinrichtung nicht bekannt war, und dass diese Unkenntnis auf einer Täuschung der Genehmigungsbehörde beruht (vgl. OLG München, Beschluss vom 14.06.2022, 36 U 141/22, dort Seite 12). Für einen solchen Sachverhalt ist im Streitfall bislang nichts ersichtlich.
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b) Eine Aussetzung scheitert im vorliegenden Fall zum anderen daran, dass der Senat nicht prüfen kann, ob die dem EuGH vorgelegten Fragen im vorliegenden Fall entscheidungserheblich und damit vorgreiflich sind. Eine hierfür erforderliche Berufungsbegründung der Klagepartei zu der von ihr mit Schriftsatz vom 08.07.2022 eingelegten Berufung, wobei durch die darin zu stellenden Anträge der Gegenstand des Berufungsverfahrens erst bestimmt werden wird (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO), liegt noch nicht vor.
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2. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen gem. § 574 ZPO nicht gegeben sind.