Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 02.06.2022 – 2 WF 85/22
Titel:

Vollstreckung der Entscheidung zur Herausgabe eines Kindes

Normenketten:
VO (EG) Nr. 2201/2003 Art. 28, Art. 42 Abs. 2, Art. 47 Abs. 1
FamFG § 93 Abs. 1
IntFamRVG § 1 Nr. 1, § 10, § 14 Nr. 2, § 44, § 47
Leitsätze:
1. Entscheidungen über die Rückgabe eines Kindes nach Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO, für die eine Bescheinigung des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaates nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO vorliegt, können im Vollstreckungsmitgliedsstaat unmittelbar vollstreckt werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vollstreckung ist bei Vorliegen einer Bescheinigung gem. Art. 42 Brüssel IIa-VO ohne weitere Prüfung seitens des Vollstreckungsgerichtes durchzuführen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aufgabe des Vollstreckungsgerichts ist die Durchsetzung der gerichtlichen Entscheidung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Brüssel IIa-VO, Vollstreckungsverfahren, Herausgabeverfahren, Kindeswohlgefährdung, Ursprungsstaat, Bescheinigung
Vorinstanzen:
AG Bamberg, Beschluss vom 28.04.2022 – 0206 FH 1/22
AG Bamberg, Beschluss vom 21.03.2022 – 0206 FH 1/22
Rechtsmittelinstanzen:
AG Bamberg, Beschluss vom 06.07.2022 – 0206 FH 1/22
OLG Bamberg, Beschluss vom 11.07.2022 – 2 WF 125/22
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 01.08.2022 – 1 BvQ 50/22
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 10.08.2022 – 1 BvQ 50/22
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 01.09.2022 – 1 BvR 1691/22
BVerfG Karlsruhe, Einstweilige Anordnung vom 28.02.2023 – 1 BvR 1691/22
BVerfG Karlsruhe vom 05.09.2023 – 1 BvR 1691/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25430

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bamberg vom 21.03.2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahren zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten sind Eltern des Kindes D., geb. xx.xx.2013. Die Familie lebte bis zum 13.03.2014 in Spanien. Die Antragsgegnerin zog dann nach Deutschland, wo sie seither mit D. lebt.
2
Mit Endurteil des Gerichts der ersten Instanz Nr. 79 Madrid im Verfahren Nr. 686/2014 vom 08.06.2015 wurde dem Antragsteller die Personensorge für D. und hinsichtlich der Festlegung des Wohnortes des Kindes das alleinige Sorgerecht übertragen. Mit Beschluss Nr. 267/21 vom 23.09.2021 im Verfahren 661/19, berichtigt mit Beschluss vom 18.10.2021 (Gegenstand der Berichtigung: ein Fehler im Namen des Vaters), ordnete das Gericht der ersten Instanz Nr. 79 Madrid die sofortige Rückgabe des Kindes an seinen Vater an. Am 08.02.2022 stellte das Gericht der ersten Instanz Nr. 79 Madrid hinsichtlich seiner Entscheidung vom 23.09.2021 eine Bescheinigung gem. Art. 42 Abs. 1 der Verordnung (EG) 2201/2003 (genannt Brüssel IIa-VO) aus.
3
Der Antragsteller beantragte mit am 03.03.2022 beim Amtsgericht Bamberg eingegangenem Schreiben vom 02.03.2022 unter Vorlage der Bescheinigung die Rückgabe des Kindes in Vollstreckung des Beschlusses vom 23.09.2021.
4
Mit Beschluss vom 21.03.2022 hat das Amtsgericht festgestellt, dass die Antragsgegnerin auf Grundlage des Beschlusses vom 23.09.2021 in Verbindung mit dem Beschluss vom 18.10.2021 verpflichtet ist, das Kind D. an den Antragsteller herauszugeben und dass diese Entscheidung aufgrund der Bescheinigung gem. Art. 42 der Brüssel IIa-VO vom 08.02.2022 in Deutschland unmittelbar vollstreckbar ist (Ziffer 1), hat ausgesprochen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, das Kind unverzüglich an den Antragsteller herauszugeben (Ziffer 2), hat die Antragsgegnerin auf die Möglichkeit der Verhängung eines Ordnungsgeldes im Falle der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 2 gem. § 89 FamFG hin (Ziffer 3) hingewiesen und schließlich zum Vollzug von Ziffer 2 weitere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs angeordnet (Ziffer 4a-f). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Herausgabeentscheidung des spanischen Gerichts sei in Deutschland gem. Art. 42 Abs. 1, 47 Abs. 2 Brüssel IIa-VO unmittelbar vollstreckbar wie eine entsprechende Entscheidung eines deutschen Familiengerichts. Die Anordnungen seien notwendig, um die Vollziehung der spanischen Entscheidung durch unmittelbaren Zwang durchführen zu können. Auf den Beschluss wird Bezug genommen.
5
Die Antragsgegnerin hat gegen den ihr am 25.03.2022 zugestellten Beschluss mit am 29.03.2022 beim Amtsgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz vom selben Tag Beschwerde eingelegt. Sie hat ferner mit Schriftsatz vom 04.04.2022 beantragt, die Vollstreckung aus dem Beschluss vom 21.03.2022 einzustellen. Mit Anwaltsschriftsatz vom 27.04.2022 hat sie die sofortige Beschwerde begründet und hierzu ausgeführt, dass eine Anerkennung des ausländischen Urteils ausscheide, soweit es mit den Grundrechten unvereinbar sei (§ 110 FamFG i. V. m. §§ 722, 328 Abs. 1 Ziffer 4), was vorliegend der Fall sei. Das spanische Gericht habe weder das Kind noch die Kindesmutter angehört. Darüber hinaus sei eine Rückführung des Kindes zum Vater ausgeschlossen, da dieser das Sorgerecht nie ausgeübt habe (Art. 13 Abs. 1 HKÜ).
6
Das Amtsgericht hat wegen Bedenken gegen die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Art. 42 Brüssel IIa-VO über Verbindungsrichter des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen um Kontakt zu dem spanischen Richter ersucht, um die eventuelle Aufhebung der Bescheinigung zu überprüfen (vgl. Verfügung vom 21.03.2022, Bl. 61 f. d. A.). Ein Ergebnis hierzu liegt nicht vor.
7
Mit Beschluss vom 22.04.2022 hat das Amtsgericht den Beschluss vom 21.03.2022 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ausgesetzt. Auf den Beschluss wird Bezug genommen.
8
Mit Beschluss vom 28.04.2022 hat das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde der Antragsgegnerin nicht abgeholfen und diese dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung des spanischen Gerichtes sei in Deutschland aufgrund der Bescheinigung gem. Art. 42 Brüssel IIa-VO vollstreckbar, ohne dass dem Gericht ein Prüfungsrecht zustehe. § 110 FamFG sei nicht anwendbar, die spanische Entscheidung sei im Inland ohne Anerkennung vollstreckbar. Ob eine Anhörung des Kindes im spanischen Verfahren durchgeführt worden sei, sei ohne Belang, da eine Prüfung des spanischen Verfahrens oder des Kindeswohles bei Vorliegen einer Bescheinigung gem. Art. 42 Brüssel IIa-VO nicht zulässig sei. Auch Art. 13 HKÜ sei in dem hiesigen Verfahren nicht anwendbar, da es sich um ein reines Vollstreckungsverfahren handele.
9
Die Anordnung von unmittelbarem Zwang, auch gegen das Kind, sei angemessen und mildere Mittel seien nicht ersichtlich, insbesondere sei nicht davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin durch Ordnungsmittel zur Herausgabe des Kindes gebracht könne. Zudem solle die Herausgabe nicht weiter verzögert werden. Auch der Durchsuchungsbeschluss sei angemessen und notwendig, um den unmittelbaren Zwang durchsetzen zu können. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen.
10
Die Antragsgegnerin hat mit Anwaltsschriftsatz vom 11.05.2022 beantragt, dem Kind ein Verfahrensbeistand zu stellen.
II.
11
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist gem. §§ 47 Abs. 4 FamFG, 567 ff. ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie richtet sich gegen eine Entscheidung in einem Vollstreckungsverfahren.
12
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Amtsgericht hat zu Recht Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung der vom spanischen Gericht angeordneten Herausgabe (Rückgabe) des Kindes D. an seinen Vater angeordnet.
13
Für das Vollstreckungsverfahren ist gem. Art. 47 Abs. 1 Brüssel IIa-VO deutsches Recht maßgebend, nämlich gem. §§ 1 Nr. 1, 14 Nr. 2, 10 IntFamRVG die Vorschriften der §§ 86 f., 88 ff. FamFG i. V. m. § 44 IntFamRVG. Dies setzt eine vollstreckbare Entscheidung über die Herausgabe des Kindes voraus (Art. 47 Abs. 2 Brüssel IIa-VO).
14
Vollstreckbar sind Entscheidungen aus einem Mitgliedsstaat, die nach Art. 28 Brüssel IIa-VO für vollstreckbar erklärt worden sind oder Entscheidungen über die Rückgabe eines Kindes nach Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO, für die eine Bescheinigung des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaates nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO vorliegt (Art. 40 Abs. 1 lit.b Brüssel IIa-VO). Nur letztere können im Vollstreckungsmitgliedsstaat unmittelbar vollstreckt werden. Hierauf bezieht sich der Antragsteller. Ungeachtet dessen ist die Vollstreckung von Amts wegen durchzuführen, wenn ein Kind heraus- oder zurückzugeben ist (§ 44 Abs. 3 Satz 1 IntFamRVG).
15
Das Amtsgericht hat in seinem Nichtabhilfebeschluss, auf den vollumfänglich Bezug genommen wird, zutreffend ausgeführt, dass die Vollstreckung bei Vorliegen einer Bescheinigung gem. Art. 42 Brüssel IIa-VO ohne weitere Prüfung seitens des Vollstreckungsgerichtes durchzuführen ist. Insbesondere sieht Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO keine Befugnis des Vollstreckungsgerichtes vor, die dort aufgestellten Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung zu überprüfen. Dies würde dem Ziel der Bestimmung, eine rasche Vollstreckung der betreffenden Entscheidung zu gewährleisten, zuwider laufen. Aus diesem Grund sieht die Verordnung lediglich die Erhebung einer Klage auf Berichtigung der vom Gericht des Ursprungsmitgliedstaats ausgestellten Bescheinigung vor (EuGH, FamRZ 2011, 355 ff., Rn. 50, 54 f.). Es ist damit dem Vollstreckungsgericht wie auch dem Beschwerdegericht verwehrt zu überprüfen, ob der Anwendungsbereich des Art. 42 Brüssel IIa-VO überhaupt eröffnet ist. Alle Einwände gegen die Herausgabe des Kindes oder das spanische Erkenntnisverfahren sind im Ursprungsrechtsstaat geltend zu machen.
16
Die vom Erstgericht ausgesprochenen Vollstreckungsmaßnahmen sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Aufgabe des Vollstreckungsgerichts ist die Durchsetzung der gerichtlichen Entscheidung. Es hat vorliegend die Rückgabe des Kindes zu gewährleisten. Deshalb kamen mildere Mittel nicht in Betracht. Aus den vom Antragsteller vorgelegten Nachrichten der Antragsgegnerin an den Antragsteller geht deutlich hervor, dass sie nicht bereit ist, D. freiwillig an den Vater herauszugeben. In diesem Fall kommt nur noch die Anordnung von unmittelbaren Zwang als effektivstes Mittel in Betracht. Der Hinweis auf mögliche Ordnungsmittel nach § 89 Abs. 2 FamFG erging lediglich ersichtlich der Vollständigkeit halber, da ein solcher Hinweis bisher nicht ergangen war. Er steht jedenfalls der Anordnung unmittelbaren Zwangs nicht entgegen, da hierfür nicht auf die Erfolglosigkeit der Anordnung von Ordnungsmitteln abgestellt worden ist, sondern auf die fehlende Aussicht auf Erfolg nach dem Verhalten der Antragsgegnerin.
17
Ein Verfahrensbeistand war in dem vorliegenden Vollstreckungsverfahren nicht zu bestellen. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem zu vollstreckenden Titel und insbesondere eine Prüfung des Kindeswohls ist dem Vollstreckungsgericht verwehrt.
18
Das Beschwerdegericht folgt auch nicht der Anregung des Erstgerichts, dem EuGH die Rechtsfrage vorzulegen, ob das Vollstreckungsgericht die Vollstreckung ablehnen kann bzw. muss, wenn der Anwendungsbereich des Art. 40 Abs. 1b Brüssel IIa-VO für die Erstellung einer Bescheinigung gem. Art. 42 Brüssel IIa-VO schon nicht eröffnet war. Insofern hat der EUGH sich bereits in der Entscheidung vom 22.12.2010 (FamRZ 2011, 355 ff) unmissverständlich und eindeutig geäußert, wonach das Vollstreckungsgericht keine Befugnis hat, die in Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO aufgestellten Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung zu überprüfen.
19
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist damit zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 87 Abs. 5, 84 FamFG.
20
Die Festsetzung eines Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren war nicht veranlasst, da eine wertunabhängige Festgebühr nach Ziffer 1912 KV-FamGKG anfällt.
21
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.