Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 11.07.2022 – 2 WF 125/22
Titel:

Vollstreckung der Entscheidung zur Herausgabe eines Kindes

Normenketten:
VO (EG) Nr. 2201/2003 Art. 42 Abs. 2
FamFG § 93 Abs. 1
Leitsätze:
1. Im Vollstreckungsverfahren ist gem. Art. 42 Abs. 1 der Brüssel II a-VO eine Einstellung der Vollstreckung den Gerichten des Ursprungsstaates vorbehalten. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Damit die rasche Vollstreckung einer Ausgangsentscheidung zur Herausgabe eines Kindes möglich ist, wird es Vollstreckungs- und Beschwerdegericht verwehrt, eine inhaltliche Prüfung vorzunehmen. Kindeswohlerwägungen sind im Vollstreckungsverfahren nicht anzustellen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Brüssel II a-VO, Vollstreckungsverfahren, Herausgabeverfahren, Kindeswohlgefährdung, Ursprungsstaat
Vorinstanzen:
AG Bamberg, Beschluss vom 06.07.2022 – 0206 FH 1/22
OLG Bamberg, Beschluss vom 02.06.2022 – 2 WF 85/22
AG Bamberg, Beschluss vom 28.04.2022 – 0206 FH 1/22
AG Bamberg, Beschluss vom 21.03.2022 – 0206 FH 1/22
Rechtsmittelinstanzen:
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 01.08.2022 – 1 BvQ 50/22
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 10.08.2022 – 1 BvQ 50/22
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 01.09.2022 – 1 BvR 1691/22
BVerfG Karlsruhe, Einstweilige Anordnung vom 28.02.2023 – 1 BvR 1691/22
BVerfG Karlsruhe vom 05.09.2023 – 1 BvR 1691/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25427

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts -FamiliengerichtBamberg vom 06.07.2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Beschwerdeführerin begehrt die vorläufige Einstellung der Vollstreckung des Beschlusses
Nr. 267/21 vom 23.09.2021 im Verfahren 661/19 des Gerichts der ersten Instanz Nr. 79 M., mit dem die sofortige Rückgabe des Kindes D. an seinen Vater, den Antragsteller, angeordnet wurde. Hierzu hat das Amtsgericht -Familiengericht Bamberg mit Beschluss vom 21.03.2022 die hierfür erforderlichen Vollstreckungsmaßnahmen angeordnet. Die von der Antragsgegnerin eingelegte sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 02.06.2022 zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den genannten Beschluss Bezug genommen.
2
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz ihrer s. Bevollmächtigten vom 22.06.2022 bei dem Ausgangsgericht einen Antrag auf Berichtigung der Bescheinigung nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel II a-VO gestellt. Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 22.06.2022 hat sie im hier anhängigen Vollstreckungsverfahren beantragt, die Vollstreckung so lange einzustellen, bis über den Berichtigungsantrag entschieden wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz sowie den nachfolgenden Schriftsatz vom 23.06.2022 Bezug genommen.
3
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 06.07.2022 den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass eine vorläufige Einstellung der Vollstreckung nicht statthaft sei. Die Vollstreckbarerklärung gemäß Art. 42 Abs. 2 Brüssel II a-VO sei vom Gericht des vollstreckenden Mitgliedsstaates inhaltlich nicht zu prüfen. So lange diese bestehe, sei das Vollstreckungsverfahren zu betreiben. Bei einer Aussetzung aufgrund eines Berichtigungsantrages beim ausstellenden Gericht müssten die Erfolgsaussichten dieses Antrages bewertet werden, was einer inhaltlichen Prüfung gleich komme. Auf den Beschluss wird Bezug genommen.
4
Die Antragsgegnerin hat gegen den ihrem Verfahrensbevollmächtigten am selben Tag zugestellten Beschluss mit am 08.07.2022 beim Amtsgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz vom selben Tag sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, das Kindeswohl sei massiv gefährdet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschwerdeschriftsatz Bezug genommen.
5
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 08.07.2022 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich unverändert an die wirksame Vollstreckbarerklärung gemäß Art. 42 Brüssel II a-VO gebunden sehe.
II.
6
Bei Zweifeln hinsichtlich der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde der Antragsgegnerin im Hinblick auf § 93 Abs. 1 Satz 3 FamFG, die aber im übrigen gemäß §§ 87 Abs. 4 FamFG; 567 ff. ZPO zulässig wäre, ist diese jedenfalls nicht begründet. Das Amtsgericht hat zu Recht den Antrag auf vorläufige Einstellung der Vollstreckung zurückgewiesen.
7
Wie bereits in dem Beschluss vom 02.06.2022 ausgeführt, ist für das Vollstreckungsverfahren deutsches Recht maßgebend. Die Vollstreckung einer Entscheidung über die Herausgabe eines Kindes erfolgt nach den Vorschriften der §§ 88 ff. FamFG. Eine Einstellung der Vollstreckung wäre danach allenfalls unter den Voraussetzungen des § 93 FamFG möglich, allerdings wäre diese Entscheidung nicht anfechtbar (s.o.). In sämtlichen dort genannten Fällen (Ziffer 1-5) steht allerdings der Bestand der zu vollstreckenden Entscheidung im Erkenntnisverfahren in Frage, sodass das Vollstreckungsgericht für die Entscheidung nicht zuständig wäre. § 93 FamFG findet aber im Ergebnis schon deshalb keine Anwendung, da im Vollstreckungsverfahren gemäß Art. 42 Abs. 1 der Brüssel II a-VO eine Einstellung der Vollstreckung den Gerichten des Ursprungsstaates vorbehalten ist (vgl. EuGH, FamRZ 2010, 1307 ff., Rdnr. 74 f.).
8
Das Beschwerdegericht weist erneut darauf hin, dass Ziel der genannten Vorschriften eine rasche Vollstreckung der Ausgangsentscheidung ist, dass es dem Vollstreckungsgericht wie auch dem Beschwerdegericht verwehrt ist, eine inhaltliche Prüfung vorzunehmen und dass Kindeswohlerwägungen deshalb im Vollstreckungsverfahren nicht anzustellen sind. Dies gilt im Übrigen auch bei der Vollstreckung inländischer Entscheidungen - jedenfalls im Grundsatz. Diese Erwägungen hat das s. Gericht anlässlich der Entscheidung im Erkenntnisverfahren anzustellen gehabt und wird sie angestellt haben. Weder das Vollstreckungsgericht noch das Beschwerdegericht sind befugt, sich darüber hinwegzusetzen.
9
Das Beschwerdegericht sieht angesichts der Besonderheiten dieses Falles allerdings Anlass für folgende Hinweise und Appelle an die beteiligten Eltern:
10
Die Verantwortung für das Wohl des Kindes tragen die Eltern, die durch ihr Verhalten das Kind in die nunmehrige Situation gebracht haben. Die Mutter hat sich ins Unrecht gesetzt, indem sie das Kind eigenmächtig und widerrechtlich aus S. verbracht und in der Folgezeit den Kontakt zum Vater verhindert hat. Der Vater, der sich auf seine Rechtsposition zurückzieht, die ihm nach langen Jahren die Möglichkeit gibt, diese Entscheidung der Mutter rückgängig zu machen, hat gleichwohl die Verantwortung dafür, wie dies umgesetzt wird. Insofern nimmt das Beschwerdegericht Bezug auf die vom Antragsteller mit Schreiben vom 09.07.2022 vorgelegte E-mail des Jugendamtes vom 08.07.2022 und schließt sich der Anregung des Jugendamtes an, D. noch nicht unmittelbar nach der Herausnahme nach S. zu verbringen. Er möge sich vor Augen halten, welche Belastung ein anderes Vorgehen für das Kind darstellt.
11
An die Mutter ergeht der Appell, sich dem recht nunmehr endlich zu beugen und die Situation für das Kind nicht weiter zu erschweren.
12
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist damit zurückzuweisen.
13
Die Kostenentscheidung beruht auf § 87 Abs. 5, 84 FamFG.
14
Die Festsetzung eines Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren war nicht veranlasst, da eine wertunabhängige Festgebühr nach Ziffer 1912 KV-FamGKG anfällt.