Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 11.04.2022 – B 7 S 22.244
Titel:

Untersagung des Inverkehrbringens cannabishaltiger Lebensmittel

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5
Novel-Food-VO Art. 3 Abs. 2 lit. a, Art. 6
LMIV Art. 7 Abs. 1a
Aromen-VO Art. 3 Abs. 2a
Leitsatz:
Bei Lebensmitteln, denen CBD, das durch Extraktion aus der Hanfpflanze oder auch synthetisch gewonnen worden ist, zugegeben wurde, handelt es sich um neuartige Lebensmittel nach Art. 3 Abs. 2 lit. a NFV. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Begründung der Sofortvollzugsanordnung, Inverkehrbringungsverbot, Cannabidiol (CBD), Neuartige Lebensmittel, CBDhaltige, Produkte, Aroma (verneint), Nachweispflicht des Antragstellers, Bindungswirkung des Novel-Food-Katalogs (verneint), Verhältnismäßigkeit, Irreführung, neuartige Lebensmittel, Cannabis, Hanf, Inverkehrbringen, Untersagung, Sofortvollzug, Anordnung, Begründung, VO (EU) 2015/2283, NFV, VO (EU) Nr. 1169/2011, VO (EG) Nr. 1334/2008
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.07.2022 – 20 CS 22.1069
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25381

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Untersagung, über seinen Onlinehandel die Produkte „…“, „…“ und „…“ sämtlicher Chargen und Geschmacksrichtungen in den Verkehr zu bringen.
2
1. Der Antragsteller betreibt einen Onlinehandel mit der Bezeichnung „…“ in … Die Antragsgegnerin hat am 12.10.2021 beim Antragsteller eine Verdachtsprobe der Produkte „…“, „…“ und „G* …“ entnommen. In den Gutachten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), jeweils vom 04.02.2022 und vom 07.02.2022, werden dazu folgende Ausführungen gemacht:
3
Bei dem Produkt „…“ wurde bei durchgeführten Untersuchungen ein Gehalt an Cannabidiol von 264,9 mg/100g nachgewiesen. Bei dem Produkt „…“ sei bei den durchgeführten Untersuchungen ein Gehalt an Cannabidiol von 291,7 mg/100g nachgewiesen worden. Weitere Cannabinoide konnten jeweils nicht nachgewiesen werden. Es wurde festgehalten, dass es sich bei CBDhaltigen Hanfextrakten als auch bei synthetisch hergestelltem Cannabidiol um ein neuartiges Lebensmittel handle. Hinsichtlich des Produkts „…“ konnten weder Cannabidiol noch andere Cannabinoide nachgewiesen werden.
4
Mit Bescheid vom 15.02.2022 hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller untersagt, die Produkte „…“, „…“ und „…“ sämtlicher Chargen und Geschmacksrichtungen in den Verkehr zu bringen (Nr. 1 des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der getroffenen Anordnungen ist gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet worden (Nr. 2 des Bescheids). Für den Fall, dass der Ziffer 1 nicht oder nicht vollständig nachgekommen werde, wurde ein Zwangsgeld von je 500,00 EUR zur Zahlung fällig (Nr. 3 des Bescheids). Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens (Verwaltungsgebühr i.H.v. 150,00 EUR und Auslagen von 4,11 EUR) zu tragen (Nr. 4 des Bescheids).
5
Den Bescheid hat die Antragsgegnerin im Wesentlichen damit begründet, dass es sich bei den Lebensmitteln „…“ und „…“ mit den laut Deklaration enthaltenen Zutaten „Cannabidiol (Canabis sativa L.)“ und „Hanfextrakt“ laut LGL um neuartige Lebensmittel handle, die nicht Art. 6 Abs. 2 der VO 2015/2283/EU entsprächen. Die beiden Produkte seien ohne erforderliche Zulassung in den Verkehr gebracht worden. Das Produkt „…“ werde auf dem Etikett mit der hervorgehobenen Angabe „100mg CBD“ beworben. Im Zutatenverzeichnis sei die Zutat „Cannabidiol“ angegeben. Bei den durchgeführten chemischen Untersuchungen hätten in dem vorgelegten Erzeugnis weder CBD noch andere Cannabinoide nachgewiesen werden können. Damit werde der Verbraucher bezüglich der Menge an CBD, einer wertbestimmenden Zutat, grob getäuscht. Die Angabe „100 mg CBD“ in Verbindung mit der Angabe von „Cannabidiol“ im Zutatenverzeichnis sei daher als irreführend zu bewerten.
6
Bei dem Produkt „…“ („35 g Fruchtgummi mit 10 mg CBD …“) habe bei den durchgeführten Untersuchungen ein Gehalt von Cannabidiol von 291,7 mg/100 g nachgewiesen werden können. Es sei davon auszugehen, dass das Produkt als Zutat einen Cannabidiolhaltigen Hanfextrakt aus der Pflanze Cannabis sativa L. enthalte oder Cannabidiol als Einzelsubstanz zugesetzt worden sei. Nach derzeitigem Kenntnisstand (Novel Food Recherche) seien CBD bzw. CBDhaltige Hanfextrakte nicht vor dem 15.05.1997 in der EU in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat verwendet worden. Dort sei derzeit ein Eintrag zu „Cannabinoids“ zu finden, auf den der separate Eintrag zu Cannabidiol ebenfalls verweise. Der Novel Food Status sei mit „X“ angegeben. Dieser bedeute, dass nach dem derzeitigen Kenntnisstand der verantwortlichen Behörden in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten dieses Lebensmittel bzw. diese Lebensmittelzutat nicht vor dem 15.05.1997 in der EU in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei. Im Begleittext werde zudem erläutert, dass sich diese Einstufung sowohl auf Extrakte der Hanfpflanze Cannabis sativa L. als auch auf das synthetisch hergestellte CBD beziehe. Bei CBDhaltigen Hanfextrakten als auch bei synthetisch hergestelltem Cannabidiol handle es sich um ein neuartiges Lebensmittel. Für die Verwendung als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat werde eine Zulassung benötigt. Für CBD bzw. CBDhaltige Hanfextrakte ließen sich in der Unionsliste für zugelassene neuartige Lebensmittel keine entsprechenden Einträge finden.
7
Bei dem Produkt „…“ („8 mg CBD …“) mit der Angabe „Hanfextrakt“ im Zutatenverzeichnis, habe bei den durchgeführten Untersuchungen ein Gehalt an Cannabidiol von 264,9 mg/100 g nachgewiesen werden können. Es sei davon auszugehen, dass das Produkt als Zutat einen Cannabidiolhaltigen Hanfextrakt aus der Pflanze Cannabis sativa L. enthalte. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei der Zutat „Hanfextrakt“ um ein neuartiges Lebensmittel handle.
8
„ …“ werde auf dem Etikett mit der hervorgehobenen Angabe „100 mg CBD“ beworben. Im Zutatenverzeichnis sei die Zutat „Cannabidiol“ angegeben“. Außerdem befinde sich auf dem Etikett die Abbildung eines Hanfblattes. Insgesamt erwarte der Verbraucher somit den Inhaltsstoff Cannabidiol in dem vorliegenden Erzeugnis. Bei den Untersuchungen hätten in dem Erzeugnis weder CBD noch andere Cannabinoide nachgewiesen werden können. Die Nachweisgrenze für CBD liege bei 1,2 mg/kg. Wenn dem Erzeugnis, wie angegeben, 100 mg CBD zugegeben würden, würde der Gehalt bei einer Nennfüllmenge von 125 g somit 800 mg/kg betragen. Dieser Gehalt würde um den Faktor 667 über der Nachweisgrenze liegen und könne somit sicher nachgewiesen werden. Damit werde der Verbraucher bezüglich der Menge an CBD, einer wertbestimmenden Zutat des in Rede stehenden Erzeugnisses, grob getäuscht. Die Angabe „100 mg CBD“ in Verbindung mit der Angabe von „Cannabidiol“ im Zutatenverzeichnis sei daher als irreführend zu bewerten.
9
Ein Verbot des Inverkehrbringens sei erforderlich gewesen. Die Grenzen des Auswahlermessens seien nicht überschritten, diese Einschätzung sei vor allem unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt, wobei einzelne Aspekte des Grundsatzes in Art. 138 Abs. 1 Satz 2 KontrollVO aufgegriffen worden seien. Die Maßnahme sei geeignet, um zu verhindern, dass der Lebensmittelunternehmer weiterhin Lebensmittel unter Missachtung lebensmittelrechtlicher Vorschriften und insbesondere ohne erforderliche Zulassung in Verkehr bringe. Das Verbot diene dazu, ein hohes Schutzniveau für den Endverbraucher sicherzustellen. Mildere, ebenso effektive Mittel seien auf Grund fehlender Zulassung nicht ersichtlich. Ein Vertrieb genannter Produkte ohne besagte Zulassung sei ausdrücklich zu versagen. Die Maßnahme sei angemessen. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung von lebensmittelrechtlichen Vorschriften überwiege - insbesondere im Hinblick eines hohen Schutzniveaus für den Verbraucher - das private Interesse am ununterbrochenen, uneingeschränkten Betrieb des Onlinehandels.
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Der Sofortvollzug sei in Ausübung pflichtgemäßem Ermessens angeordnet, weil eine Abwägung der in Zusammenhang zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Interessen ergeben habe, dass ein besonderes öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung vorliege. Die Vorschriften des Lebensmittelrechts würden auch dazu dienen, eine Gefährdung der Gesundheit der Verbraucher zu verhüten. Der Verbraucher habe ein besonderes Interesse daran, Lebensmittel zu verzehren, die in einem einwandfreien Zustand unter Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben hergestellt bzw. vertrieben würden. Die Maßnahmen zur Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit des Verbrauchers müssten sofort und ohne eine zeitliche Verzögerung greifen. Es könne nicht abgewartet werden, bis die Rechtmäßigkeit der amtlichen Verfügung gerichtlich festgestellt werde. Insofern überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ein entgegenstehendes privates Interesse an der aufschiebenden Wirkung eines eventuellen Rechtsbehelfs.
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2. Der Antragsteller hat durch seinen Prozessbevollmächtigten am 07.03.2022 Klage gegen den Bescheid erhoben und einen Eilantrag eingelegt.
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Zunächst hat er beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage zu Ziffer 1 gegen den Bescheid vom 15.02.2022 wird angeordnet und der sofortige Vollzug nach Ziffer 2 des Bescheides vom 15.02.2022 wird aufgehoben.
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In seinem Schriftsatz vom 28.03.2022 hat der Prozessbevollmächtigte den Antrag gestellt den angeordneten Sofortvollzug auszusetzen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache.
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Im Wesentlichen begründet er seinen Antrag damit, dass bereits aus den in der Akte befindlichen Gutachten des LGL nicht ersichtlich sei, dass es sich bei allen Präparaten überhaupt um Lebensmittel handeln solle. Um überhaupt ein Verbot für ein neuartiges Lebensmittel zu begründen, sei zwingende Voraussetzung, dass es sich überhaupt um ein Lebensmittel handle. In dem Gutachten des Bayerischen Landesamtes vom 11.11.2021 (Bl. 70 ff. d. A.) werde auf Seite 3 und 4 des Gutachtens behauptet, dass es sich bei dem Produkt „…“ des Antragstellers um ein Funktionsarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG handeln solle. Nach Art. 2 der Basis-VO 178/2002/ EG würden sich jedoch Lebensmittel und Arzneimittel zwingend gegenseitig ausschließen. Ein Produkt könne nicht gleichzeitig Arzneimittel und Lebensmittel sein. Da die Antragsgegnerin für das Arzneimittelrecht nicht zuständig sei, fehle es somit bereits an der sachlichen Zuständigkeit der Behörde.
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Des Weiteren werde verwiesen auf eine Stellungnahme der KPI … vom 15.12.2021 (Bl. 120 d. A.), in welcher dieser ausführe, das untersuchte CBD-Öl falle mit seinem THC-Gehalt von 0,085% unter das Betäubungsmittelrecht. Ein Lebensmittel könne jedoch nicht gleichzeitig ein Betäubungsmittel sein.
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Zudem sei davon auszugehen, dass die verbotenen Produkte Hanf als Zutaten verwenden. Hanf als solcher sei jedoch unstreitig sicher kein neuartiges Lebensmittel im Sinne der Novel-Food-Verordnung. lm Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission werde Cannabis sativa L. ausdrücklich als nicht neuartig qualifiziert. So die Antragsgegnerin jedoch schon nicht nachweisen könne, dass mit dem Produkt ein neuartiges Lebensmittel eingesetzt worden sei, fehle es auch einer notwendigen Rechtsgrundlage für das Vertriebsverbot.
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Die Verwaltungsbehörde gehe in ihrem Bescheid davon aus, dass die verbotenen Lebensmittel sog. „neuartige Lebensmittel“ gem. Art. 3 Abs. 2 der VO 2015/2283/EG seien. Die Voraussetzungen dieser Norm lägen im konkreten Fall in mehrfacher Hinsicht nicht vor.
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Extrakte aus Cannabis sativa L. seien bereits vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union für den menschlichen Verzehr verwendet worden. Es sei davon auszugehen, dass auch Produkte mit einem cannabidiolhaltigen Extrakt aus Cannabis sativa von mehr als 10 Prozent bereits vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union als Nahrungsergänzungsmittel verwendet worden seien. Allein diese Tatsache schließe den Anwendungsbereich der Novel-Food-Verordnung gem. Abs. 1 von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2005/2283/EG aus.
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Auch seien die Tatbestandsvoraussetzungen der Kategorie Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) iv nicht erfüllt. Denn es handle sich um Lebensmittel, das aus Pflanzen erzeugt worden sei, bei denen jedoch die entsprechende Pflanze über eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union verfüge, das Lebensmittel aus einer Pflanze erzeugt worden sei, die mithilfe herkömmlicher Vermehrungsverfahren gewonnen worden sei, die vor dem 15. Mai 1997 in der Union zur Lebensmittelerzeugung eingesetzt worden seien. Die Pflanze Cannabis sativa L. sei als sicheres Lebensmittel beispielsweise in Positivlisten des Mitgliedstaates Italien aufgenommen, dies insbesondere für die Verwendung zulässiger Pflanzenbestandteile in Nahrungsergänzungsmitteln, also in konzentrierter Form in Extrakten ohne Höchstmengenbeschränkungen oder sonstigen Einschränkungen. Damit sei bereits deutlich gemacht, dass die in der Verordnung genannten Zutaten nicht als neuartige Lebensmittel im Sinne der Novel-Food-Verordnung gelten. Auch in einer Stoffliste des Deutschen Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) finde sich für Cannabis sativa, Hanfsamen der Eintrag „Lebensmittel“. Eine Einstufung als Novel Food erfolge nicht. Vor diesem Hintergrund handle es sich hier also nach wie vor um einen natürlichen Stoff, das bloße Extrahieren eines Stoffes im Sinne eines klassischen lebensmitteltypischen physikalischen Verfahrens ändere nichts an seiner Natürlichkeit.
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Nichts Anderes ergebe sich auch aus dem Verweis auf den Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission. Die Europäische Kommission bezeichne diesen Katalog selbst als nicht rechtlich verbindlich und lediglich als „Orientierungshilfe“. Auch der EuGH führe in seinem Urteil vom 14.04.2011 (Az. C-327/09) aus, dass selbst eine negative Entscheidung der Kommission, mit der die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Lebensmittels in der Union verweigert werde, gegenüber Dritten nicht verbindlich sei. In der konkreten Entscheidung habe der EuGH entschieden, dass es trotz der Negativentscheidung der Kommission ein nationales Gericht eigens zu überprüfen habe, ob das jeweilige Produkt als neuartiges Lebensmittel einzustufen sei oder nicht. Verwiesen werde insbesondere auch hier auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtes München vom 13.05.2004 - „Stevia“, in dem das Gericht zurecht ausführe, dass an den Begriff in „nennenswertem Umfang“ nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürften. Das Verwaltungsgericht München habe seinerzeit entgegen der damaligen Rechtsauffassung der Überwachungsbehörde die Novel-Food-Eigenschaft verneint, in diesem Fall habe sich die Überwachungsbehörde sogar auf eine Entscheidung der EU-Kommission beziehen können, mit der ein Antrag auf Zulassung als neuartiges Lebensmittel verweigert worden sei. Wenn somit sogar entsprechende Entscheidungen der EU-Kommission ein Gericht nicht binde, gelte dies erst recht für den selbst aus Sicht der EU-Kommission unverbindlichen Novel-Food-Katalog. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des BGH gem. dessen Urteil vom 16.04.2005 (Az. I ZR 27/14).
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Auch habe die Europäische Kommission bereits am 03.03.1998 bestätigt, dass „Übereinkunft erzielt wurde, dass Lebensmittel, die Teile der Hanfpflanze enthalten, nicht unter die Verordnung EG-Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten fallen.“ Daraus ergebe sich, dass das Produkt schon damals nicht neuartig gewesen sei.
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Allein der Umstand, dass ein konkretes Produkt vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der EU vertrieben worden sei, reiche nach dem Wortlaut der Novel-Food-Verordnung gerade nicht aus. So heiße es entsprechend in Erwägungsgrund 17 der Novel-Food-Verordnung: „Lebensmittel, die ausschließlich aus Lebensmittelzutaten hergestellt werden, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, insbesondere im Zuge einer Änderung der verwendeten Lebensmittelzutaten oder ihrer Anteile, sollten nicht als neuartige Lebensmittel betrachtet werden“. Entscheidend sei vielmehr, ob das Ausgangslebensmittel in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibe oder verändert werde. Auch das OVG Nordrhein-Westfalen habe in seinem Beschluss vom 02.03.2021 (Az. 9 B 1469/20) ausdrücklich darauf verwiesen, dass bei den verschiedenen CBDhaltigen Produkten differenziert werden müsse und nicht jedes Produkt und jeder Extrakt unabhängig von der Art und Weise des Herstellungsverfahrens und dem Gehalt an CBD der Novel Food-Verordnung unterliegen könne. In dieser Entscheidung werde sachgerecht zwischen verschiedenen Produkten nach der Art und Weise des Extrakts und dem Gehalt an Cannabidiol differenziert. Das OLG Frankfurt a. M. habe beispielsweise in seinem Beschluss vom 02.03.2021 (Az. 6 W 15/ 21) ausgeführt, dass, da es um ein Vertriebsverbot für ein Erzeugnis gehe, mit Rücksicht auf die weitreichenden Konsequenzen an die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast gesteigerte Anforderungen zu stellen seien. Diesen Anforderungen werde die Antragsgegnerin hier nicht gerecht. Das Gericht stelle in seiner Entscheidung auch klar, dass eine bloße Extraktion gerade nicht die Einstufung als neuartiges Lebensmittel rechtfertige.
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Unabhängig von den vorherigen Ausführungen verkenne die Antragsgegnerin, dass es sich bei den verbotenen Produkten um sog. Aromaprodukte handle. Nach dem nicht auslegungsfähigen Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 b) iii gelte die Novel Food-Verordnung nicht für Lebensmittelaromen gem. der Verordnung 1334/2008/EG. Das heiße, die fraglichen Hanfprodukte seien aus dem Anwendungsbereich der Novel Food-Verordnung bereits zwingend ausgeschlossen. Es werde in das Allgemeinwissen und die eigene Sachkunde des Gerichtes gestellt, dass Hanfaromen heute für die Aromatisierung nichtalkoholischer oder für alkoholische Getränke verwendet würden, auch zum Aromatisieren von Backwaren sowie zum natürlichen Konservieren von Lebensmitteln. Für all dies sei ätherisches Öl nutzbar. Auch könnten Cannabinoide/Terpene konservierende (antibakterielle) Eigenschaften haben, die eine Hanf-Aromatisierung in Lebensmitteln begründen würden. Auch werde vorgetragen, dass es insbesondere für die Kombination von Hanf-Samenöl und Hanf-Aromaöl gute Gründe gebe, nämlich könne das native Samenöl leicht oxidieren und schmecke ranzig. Dem könne durch Hanfaroma entgegengewirkt werden. Ein Hanf-Armomaextrakt diene auch objektiv der Aromatisierung, so könne der Zusatz von Hanf-Aromaextrakt einen erheblichen Einfluss auf das Aroma und den Geschmack des Endproduktes Nahrungsergänzungsmittel haben. Auch werde die Kaufentscheidung für derartige Produkte von den meisten Konsumenten aufgrund der Aromatisierung getroffen und ein Hanf-Aromaextrakt weise mithin alle erforderlichen Merkmale auf, die einen Aromaextrakt-Status rechtfertigen und damit den Ausschluss von einer Novel-Food-Bewertung zur Folge hätten.
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Jedoch sei auch der angeordnete Sofortvollzug in Vorgriff einer Entscheidung in der Hauptsache rechtswidrig, da weder die formellen Anforderungen des Sofortvollzuges vorliegen würden noch das Sofortvollzugsinteresse der Allgemeinheit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege.
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Hieran fehle es bereits in dem Bescheid, da die Notwendigkeit des Sofortvollzuges für den konkreten Einzelfall von der Behörde begründet werden müsse, diese Begründungspflicht sei eine Ausprägung aus dem Rechtsstaatsprinzip, um dem Bürger eine sachgerechte Verteidigung seiner Rechte zu ermöglichen (BVerfGE 50, 290). Dass es der Behörde hier vielmehr um eine allgemeine - (wohl) politische Anordnung gehe, die in der Staatskanzlei vorgegeben worden sei, zeige sich bereits darin, dass die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 15.02.2022 in keinem einzigen Satz oder Wort auf die Tätigkeit des Antragstellers individuell eingehe. Es werde weder ausgeführt, seit wann er die Produkte vertreibe, welchen Umsatz er dadurch mache, wie dieser Umsatz und Gewinn im Verhältnis zu seinem Lebensunterhalt und notwendigen Existenzunterhalt stehe, all diese auf den konkreten Einzelfall bezogenen Feststellungen würden fehlen und schon aus dieser Tatsache heraus die Anordnung eines Sofortvollzugs formell wegen mangelnder Begründung rechtswidrig machen. Insbesondere erfordere die Begründungspflicht, dass der Behörde der Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung bekannt sei, und sie diese vor Augen habe, sie dadurch insbesondere veranlasst werde, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein Überwiegen des Vollzugsinteresses das Verneinen der aufschiebenden Wirkung einer Klage oder Widerspruch erfordere. Hier wiederhole die Anordnungsbehörde lediglich den Gesetzeswortlaut, ohne auf die Notwendigkeit der Begründung im Einzelfall einzugehen, dies könne eine erforderliche Begründung in keiner Weise ersetzen.
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Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die hier angeordnete sofortige Vollziehung des in der Hauptsache angefochtenen Verwaltungsaktes eine nicht unerhebliche Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit des Antragstellers im Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln bedeute. Durch dieses Verbot werde sein Geschäft nahezu lahmgelegt, auch und gerade verbunden mit den sich aus der Öffentlichkeitswirksamkeit der Maßnahme (Polizeidurchsuchung) ergebenden Folgen. Der Antragsteller arbeite ohnehin schon in einem Nischenbereich, durch das der polizeilichen Durchsuchungsaktion folgende Vertriebsverbot werde für jeden Kunden des Antragstellers signalisiert, dass - und dies ohne Prüfung in der Hauptsache - seine Arbeitstätigkeit dem Gesetz widerspreche, selbst die Führerscheinstelle der Stadt … sei aufgrund dieser Einschätzung der Antragsgegnerin zu hier objektiv nicht mehr nachvollziehbaren „Eignungszweifeln an der Fahreignung“ gelangt, um hier einmal aufzuzeigen, welches Ausmaß und Wirkung derartige Entscheidungen auch und gerade im Hinblick auf den Sofortvollzug für den Antragsteller hätten. Ohne eine Entscheidung der Hauptsache abzuwarten, versuche die Antragsgegnerin - wohl politisch geleitet aus München - Tatsachen zu schaffen und den Antragsteller wirtschaftlich zu ruinieren. Eine in Zukunft etwaig zugunsten des Klägers ausgehende Entscheidung bewirke dann aber nichts mehr, wenn er aufgrund des jetzigen Verkaufsverbotes wirtschaftlich aufgeben müsse.
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In diesem Zusammenhang sei auch zu sehen, dass das immer wieder politisch und schon fast stammtischhaft vorgetragene Argument, Cannabis bewirke erhebliche Gesundheitsrisiken, schlichtweg falsch sei. Diesbezüglich werde verwiesen auf eine Entscheidung des EuGH vom 19.11.2020 (Az. C-663/18), in dem es wörtlich zitiert wie folgt heiße: „Nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, der zu berücksichtigen ist, hat das in Rede stehende CBD, anders als Tetrahydrocannabinol, ein weiteres Cannabinoid des Hanfs, offenbar keine psychotropen Wirkungen oder schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit“. Die Bewertung des EuGH entspreche auch der Bewertung der WHO, die die gesundheitliche Unbedenklichkeit von CBD ausdrücklich bestätigt habe. Wenn jedoch kein Gesundheitsrisiko von den geprüften Produkten konkret ausgehe, überwiege auch und gerade im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG das Allgemeininteresse und müsse zu einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung führen. Der auf Seite 5 des Bescheides begründete Sofortvollzug sei in einer derartigen Allgemeinheit nicht tragfähig, die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit des Antragstellers zu rechtfertigen. Hier werde lediglich der Gesetzeswortlaut zitiert mit einem schon nahezu kryptischen Verweis auf „Schutz vor Gefahren für die Gesundheit des Verbrauchers“. Was konkret damit gemeint sei und wie dies begründet werde, darüber schweige sich der Bescheid aus, wohl wissend, dass eine Gesundheitsbeeinträchtigung von derartigen Produkten überhaupt nicht ausgehen könne. Bloße Spekulationen für die Annahme von Gesundheitsrisiken würden jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH in keiner Weise ausreichen (EuGH, U.v. 11.09.2002, T-13/99). Auch in einem Urteil des EuGH vom 29.04.2004 gegen die Bundesrepublik Deutschland habe der EuGH völlig klargestellt, dass es Sache der Anordnungsbehörde sei, ein reales Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung zu belegen. Wenn jedoch die WHO und der EuGH bestätigen, dass Cannabidiol nach dem Stand der Wissenschaft keinerlei Gesundheitsrisiken aufweise, könne der pauschale Verweis auf den Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsschäden den Sofortvollzug keinesfalls begründen. Zusammenfassend sei die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, da sowohl die Einstufung der Antragsgegnerin der Produkte als neuartige Lebensmittel als auch der angeordnete Sofortvollzug im Ganzen rechtswidrig sei.
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Die Antragsgegnerin hat den Antrag gestellt:
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
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Den Antrag begründet sie im Wesentlichen mit Verweis auf den Bescheid. Der Sachvortrag des Antragstellers werde vollumfänglich bestritten. Das LGL sei um fachliche Stellungnahme hinsichtlich der beanstandeten Produkte gebeten worden (Stellungnahme vom 30.03.2022). Die streitgegenständlichen Produkte würden explizit als Lebensmittel eingestuft. „…“ und „…“ seien zu keinem Zeitpunkt Inhalt des angegriffenen Bescheids gewesen. Ausführungen des Prozessbevollmächtigten seien für dieses Verfahren ohne Relevanz.
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Der Eintrag zur Hanfpflanze (Eintrag „Cannabis sativa L.“) sei nicht einschlägig. Streitgegenständlich seien cannabinoidreiche Extrakte bzw. Isolate aus der Hanfpflanze oder synthetisch hergestelltes Cannabidiol (CBD), die im Novel-Food-Katalog unter dem Eintrag „Cannabinoids“ separat erfasst seien. Dort würden derartige Extrakte, Isolate und Reinstoffe explizit als neuartige Lebensmittel klassifiziert.
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Hinsichtlich der Ausführung des Prozessbevollmächtigten, dass Extrakte aus der Hanfpflanze und insbesondere Nahrungsergänzungsmittel mit einem CBD-Gehalt von 10% bereits vor dem Stichtag der Novel-Food-Verordnung in der EU in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden seien, handle es sich um eine reine Tatsachenbehauptung, die ohne Belege vorgetragen worden sei. In einer Übersichtsarbeit von Lachenemeyer et al. werde explizit festgehalten, dass Produkte wie CBD-Öle 1998 noch nicht als Lebensmittel vertrieben worden seien.
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Die Darstellung, dass Cannabis sativa in der italienischen Positivliste für die Verwendung zulässiger Pflanzenbestandteile in Nahrungsergänzungsmitteln ohne Höchstmengenbeschränkung oder sonstige Einschränkungen aufgenommen sei, sei sachlich falsch. Die Verwendung werde auf den Samen der Pflanze und das daraus gewonnene Öl beschränkt. In der Stoffliste des BLV finde sich die Beschränkung auf den Pflanzenteil „Samen“. Samen der Cannabispflanze enthielten praktisch keine Cannabinoide. Diese finde man vor allem in den Blättern und Blüten der Pflanze. Für die Herstellung CBDreicher Extrakte oder Isolate würden andere Pflanzenteile als die Samen extrahiert. Weder die italienische Positivliste, noch die deutsche BLV-Stoffliste seien geeignet, um daraus eine Verkehrsfähigkeit, geschweige denn die Sicherheit der infrage stehenden Produkte abzuleiten. Die Ausführungen des Antragstellers seien hierzu somit unrichtig. Auch das BLV halte CBDhaltige Hanfextrakte und jedes mit solchen Extrakten versetzte Lebensmittel für neuartig.
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Es komme auf das aus dem Ausgangsstoff erzeugte, zu beurteilende Produkt an, ob es ein neuartiges Lebensmittel sei. Auch der Europäische Gerichtshof habe entschieden, dass der Umstand, dass alle Zutaten eines Lebensmittels die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 der VO 258/97 erfüllten oder unbedenklich seien, nicht dafür ausreiche, die Anwendung dieser Verordnung auf das erzeugte Lebensmittel auszuschließen.
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Die Tatsache, dass der Novel-Food-Katalog nicht rechtsverbindlich sei, stehe seiner Heranziehung nicht entgegen.
35
Hinsichtlich der angeführten Bestätigung der Europäischen Kommission sei diese nicht geeignet, eine Verkehrsfähigkeit von CBDhaltigen Lebensmitteln zu begründen. Hierzu werde auf eine Antwort der Bundesregierung vom 25.07.2019 verwiesen, in der es auszugsweise heiße, dass sich die betreffende Aussage nur auf solche Erzeugnisse, die aufgrund der betäubungs- und arzneimittelrechtlichen Bestimmungen nicht vom Lebensmittelbegriff ausgenommen seien, beziehe. Produkte wie CBD-Öle seien 1998 noch nicht als Lebensmittel vertrieben worden, die Europäische Kommission habe sich zu deren Einstufung nicht äußern können.
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Der Verweis auf Erwägungsgrund 17 der Novel-Food-Verordnung verfange nicht. Dieser beziehe sich auf Lebensmittel, die ausschließlich aus nicht neuartigen Zutaten hergestellt seien. Hier seien aber nicht mehr sämtliche Zutaten nicht neuartig. Die insoweit angeführten Gerichtsentscheidungen würden zu keinem anderen Ergebnis führen.
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Es handle sich bei den streitgegenständlichen Erzeugnissen auch nicht um Aromaprodukte. Auf der Schauseite der Verpackungen werde explizit auf den CBD-Gehalt der Erzeugnisse hingewiesen. Dies verdeutliche, dass der CBD-Zusatz in den vorliegenden Erzeugnissen nicht der Aromatisierung von Speisen, sondern vor allem der Zufuhr von CBD diene. Maßgeblich für die Kaufentscheidung eines durchschnittlich informierten Verbrauchers dürfte auch primär der CBD-Gehalt der Produkte und nicht deren Geschmack nach Hanf sein. Der Zusatz von physiologisch wirksamen Stoffen entspreche keinesfalls der Definition eines Aromas. Die Produkte sollten ausweislich ihrer Kennzeichnung gerade andere sensorische Eigenschaften aufweisen als einen Geschmack nach Hanf, die Produkte würden mit Geschmacksrichtungen ausgelobt. Das zugesetzte CBD werde in den jeweiligen Zutatenverzeichnissen als „Hanf-Extrakt“ bzw. „Cannabidiol (Cannabis Sativa)“ bezeichnet und nicht als Aroma. Es mangele bei den jeweiligen Zutaten schon an der besonderen Zweckbestimmung zur Geruchs- und/oder Geschmacksverleihung oder -veränderung. Auch bei den Zutaten, die einem Lebensmittel aufgrund ihrer technologischen Eigenschaften zugesetzt würden, etwa ihrer konservierenden oder antioxidativen Eigenschaften, würde es sich ebenfalls nicht um Aromen, sondern Zusatzstoffe im Sinne der VO 1333/2008/EG handeln.
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Die Anordnung von Maßnahmen sowie die Prüfung deren Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit würden der Antragsgegnerin obliegen. Sie habe sich bei ihrer Entscheidung intensiv mit der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von CBD auseinandergesetzt. Der EuGH gehe mit keinem Wort auf eine mögliche gesundheitliche Unbedenklichkeit der Verwendung von CBD in Lebensmitteln ein. Der Hinweis auf die Beurteilung von CBD durch die WHO helfe nicht weiter. Es erschließe sich nicht, inwiefern die Stellungnahme des Expert Comittee on Drug Dependence der WHO von Relevanz wäre. Eine konkret bestehende Gesundheitsgefahr sei keine zwingende Voraussetzung dafür, um die Verhältnismäßigkeit von lebensmittelrechtlichen Vollzugsmaßnahmen zu begründen. Die Antragsgegnerin hat insoweit auf verschiedene Entscheidungen verwiesen. Ungeachtet dessen folge aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht die gesundheitliche Unbedenklichkeit der streitgegenständlichen Produkte. Diese ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des EuGH vom 19.11.2020 (Az. C-663/18). Die Bewertung der Gesundheitsrisiken im Einzelfall unter Berücksichtigung des konkreten Produkts überlasse der Gerichtshof den nationalen Gerichten. Die Entscheidung verhalte sich nicht zur lebensmittelrechtlichen Bewertung von CBD. Aus einer Einstufung von Cannabidiol als Lebensmittel durch die Europäische Kommission folge noch nicht dessen lebensmittelrechtliche Unbedenklichkeit.
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Der Vortrag, CBD sei gesundheitlich unbedenklich, sei sachlich falsch. Der Konsum von Lebensmitteln mit CBD könne unerwünschte gesundheitliche Folgen haben, beispielsweise sedierende Wirkung sowie Störungen der Leberfunktion.
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Die Antragsgegnerin sei sich bei der Entscheidung der besonderen Ausnahmesituation bewusst. Das Zulassungserfordernis für neuartige Lebensmittel diene dazu, die Verbraucher vor eventuellen Risiken neuer, in der EU bisher nicht verzehrter Lebensmittel zu schützen und diese im Rahmen des Zulassungsverfahrens einer umfassenden gesundheitlichen Bewertung zu unterziehen. Mit der Systematik des Unionsrechts wäre es nicht vereinbar, die sofortige Vollziehbarkeit einer Untersagungsverfügung vom Vorliegen konkreter Gefährlichkeitsnachweise oder Sicherheitsbedenken abhängig zu machen. Der Antragsteller werde nur teilweise in seiner Berufsausübungsfreiheit durch die Untersagung von drei Produkten eingeschränkt. Zudem überwiege der Gesundheitsschutz der Verbraucher das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers. Der Vollständigkeit halber sei anzumerken, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers im Zusammenhang mit einem Urteil aus dem Jahr 2013 stehe und keine Auswirkung der streitgegenständlichen Anordnung bzw. polizeilichen Durchsuchung sei.
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Analog § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO wird wegen der Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
42
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
43
1. Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthafte Antrag ist auszulegen (§§ 122, 88 VwGO) als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer 1 des Bescheids vom 15.02.2022. Gegen die Zwangsmittelandrohung (Ziffer 3 des Bescheids) richtet sich das Eilverfahren nicht, da diesbezüglich ein Antrag und jeglicher Vortrag der anwaltlich vertretenen Antragstellerseite fehlt.
44
2. Die Sofortvollzugsanordnung ist formell rechtmäßig, insbesondere ist sie ordnungsgemäß begründet worden gem. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
45
Hat die Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet, so ist gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Die Pflicht zur Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Diese vom Gesetzgeber beabsichtigte „Warnfunktion“ beruht letztlich auf dem besonderen Stellenwert, den die Verfassung der aufschiebenden Wirkung beimisst (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 84 m.w.N.). Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht bereits genügt, wenn überhaupt eine solche gegeben wird. Es bedarf vielmehr einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (VG Regensburg, B.v. 21.1.2022 - RN 5 S 21.2172 - juris Rn. 36; BVerwG, B.v. 18.9.2001 - 1 DB 26.01 - juris Rn. 6 m.w.N.). Andererseits kommt es im Rahmen des formellen Begründungserfordernisses auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung nicht an, da § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung normiert (BayVGH, B.v. 7.9.2020 - 11 CS 20.1436 - juris Rn. 20; Schoch/Schneider/Schoch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 80 Rn. 246).
46
Gemessen daran ist die Sofortvollzugsanordnung nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat den Sofortvollzug damit begründet, dass die Vorschriften des Lebensmittelrechts auch dazu dienen würden, eine Gefährdung der Gesundheit der Verbraucher zu verhüten. Der Verbraucher habe ein besonderes Interesse daran, Lebensmittel zu verzehren, die in einem einwandfreien Zustand unter Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben hergestellt bzw. vertrieben würden. Die Maßnahmen zur Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit des Verbrauchers müssten sofort und ohne eine zeitliche Verzögerung greifen. Es könne nicht abgewartet werden, bis die Rechtmäßigkeit der amtlichen Verfügung gerichtlich festgestellt werde. Diese Begründung betrifft (auch) den Einzelfall des Antragstellers und bezieht sich auf seinen Vertrieb und zu welchem Zweck der Sofortvollzug angeordnet worden ist. Es wird deutlich, dass sich die Antragsgegnerin die besondere Rechtfertigungsbedürftigkeit des Sofortvollzugs bewusstgemacht hat. Die Einwände des Prozessbevollmächtigten hinsichtlich einer „politische[n] Anordnung“ oder der behaupteten fehlenden Darstellung des geschäftlichen Erfolgs des Antragstellers verfangen nicht. Denn es kommt nicht darauf an, ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind. Je nach Fallgestaltung können die Gründe für die sofortige Vollziehung auch ganz oder teilweise mit den Gründen für den Erlass des Verwaltungsaktes identisch sein. Denn bei lebensmittelrechtlichen Anordnungen im Interesse des Verbraucherschutzes und insbesondere auch des Gesundheitsschutzes fällt das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug (Vollzugsinteresse) regelmäßig mit dem Erlassinteresse zusammen (vgl. VG Würzburg, B.v. 10.2.2021 - W 8 S 21.117 - juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 27.12.2017 - 20 CS 17.1609 - juris Rn. 4). Folglich wurde der Sofortvollzug ordnungsgemäß begründet, die Anordnung ist formell rechtmäßig.
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3. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung hat es das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, sodass ein Widerspruch oder eine Klage wohl Erfolg haben werden, kann in der Regel kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen. Kann im summarischen Verfahren noch keine eindeutige Antwort auf die Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts gegeben werden, weil z.B. der der Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt noch weiterer Aufklärung bedarf oder weil sich die Erfolgsaussichten nicht ohne die Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens usw. beurteilen lassen, bedarf es einer Abwägung der öffentlichen Interessen am Sofortvollzug gegenüber den Interessen des Betroffenen an der eigentlich von Gesetzes wegen grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs. Erweist sich eine angefochtene Verfügung bereits bei summarischer Überprüfung im Aussetzungsverfahren als offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt in der Regel das Interesse an ihrem sofortigen Vollzug.
48
Gemessen hieran fällt die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus, da sich der Bescheid vom 15.02.2022 bei der gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage in Nr. 1 als voraussichtlich rechtmäßig erweisen wird und keine anderen zwingenden Gründe für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sprechen.
49
a. Die Rechtsgrundlage des Inverkehrbringungsverbots ist Art. 138 Abs. 1 Satz 1 b), Satz 2, Art. 138 Abs. 2 d) der VO (EU) Nr. 2017/625 (im Folgenden: KontrollVO). Wenn ein Verstoß festgestellt wird, ergreifen die zuständigen Behörden geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert. Bei der Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen berücksichtigen die zuständigen Behörden die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften. Wenn die zuständigen Behörden im Einklang mit Absatz 1 dieses Artikels tätig werden, ergreifen sie alle ihnen geeignet erscheinenden Maßnahmen, um die Einhaltung der Vorschriften gemäß Artikel 1 Absatz 2 zu gewährleisten; dazu gehören, jedoch nicht ausschließlich, die folgenden Maßnahmen: sie beschränken oder verbieten das Inverkehrbringen, die Verbringung, den Eingang in die Union oder die Ausfuhr von Tieren und Waren und sie verbieten ihre Rückkehr in den versendenden Mitgliedstaat, oder sie ordnen ihre Rückkehr in den versendenden Mitgliedstaat an.
50
Vorliegend war ein Einschreiten der Antragsgegnerin geboten, weil nach summarischer Prüfung ein Verstoß des Antragstellers gegen Art. 6 der VO (EU) Nr. 2015/2283 (im Folgenden: NFV) sowie Art. 7 Abs. 1 a) der VO (EU) Nr. 1169/2011 (im Folgenden: LMIV) vorliegt.
51
Nach Art. 6 Abs. 2 NFV dürfen nur zugelassene und in der - nach Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 bis 9 NFV erstellten - Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden.
52
Nach Art. 7 Abs. 1 a) LMIV dürfen Information über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung.
53
b. Der Bescheid ist nach summarischer Prüfung auch materiell rechtmäßig und verletzt den Antragsteller § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht in seinen Rechten.
54
aa. Hinsichtlich der Produkte „…“ und „…“, die als Zutaten „Cannabidiol (Cannabis Sativa L.) und „Hanfextrakt“ enthalten, bezieht sich die Untersagungsverfügung auf neuartige Lebensmittel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 a) iv) NFV. „Neuartige Lebensmittel“ sind alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 unabhängig von den Zeitpunkten der Beitritte von Mitgliedstaaten zur Union nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und in mindestens eine der folgenden Kategorien fallen:
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iv) Lebensmittel, die aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestehen oder daraus isoliert oder erzeugt wurden, ausgenommen Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat und das Lebensmittel aus einer Pflanze oder einer Sorte derselben Pflanzenart besteht oder daraus isoliert oder erzeugt wurde, die ihrerseits gewonnen wurde mithilfe
- herkömmlicher Vermehrungsverfahren, die vor dem 15. Mai 1997 in der Union zur Lebensmittelerzeugung eingesetzt wurden, oder
- nicht herkömmlicher Vermehrungsverfahren, die vor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht zur Lebensmittelerzeugung eingesetzt wurden, sofern diese Verfahren nicht bedeutende Veränderungen der Zusammensetzung oder Struktur des Lebensmittels bewirken, die seinen Nährwert, seine Verstoffwechselung oder seinen Gehalt an unerwünschten Stoffen beeinflussen.
56
aaa. Die Anordnung bezieht sich auf Lebensmittel im Sinne der Definition des Art. 3 Abs. 1 NFV i.V.m. Art. 2 VO (EG) Nr. 178/2002. „Lebensmittel“ sind alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Unter diesen Begriff fallen auch die Produkte „…“ und „…“, die Cannabidiol enthalten.
57
Bei den in den Produkten des Antragstellers enthaltenem CBD handelt es sich um ein Lebensmittel, welches aus Bestandteilen der Pflanze Cannabis sativa L. isoliert bzw. erzeugt wird (vgl. VG Berlin, B.v. 21.2.2022 - 14 L 611/21 - juris Rn. 35). Nach summarischer Überprüfung waren Lebensmittel, denen aus der Hanfpflanze oder synthetisch gewonnenes CBD zugesetzt worden ist, vor dem 15.5.1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in den jetzigen Mitgliedstaaten der Union im Verkehr. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich bei Lebensmitteln, denen CBD, das durch Extraktion aus der Hanfpflanze oder auch synthetisch gewonnen worden ist, zugegeben wurde, um neuartige Lebensmittel nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a NFV (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2022 - 20 CS 22.307 - juris Rn. 6 m.w.N.). Durch die Gutachten des LGL ist nachgewiesen, dass den Lebensmitteln „…“ und „…“ CBD zugegeben worden ist und es sich bei ihnen um neuartige Lebensmittel im Sinne der NFV handelt (Behördenakte Bl. 132 und 141). Dass in der Zutatenliste des Produkts „…“ lediglich „Hanf-Extrakt“ (Behördenakte Bl. 129) aufgeführt wird, ändert nichts an dieser Annahme, da im Zusammenhang mit dem Gutachten des LGL (Behördenakte Bl. 132) CBD in dem Produkt nachgewiesen werden konnte und das Produkt mit 8 mg CBD beworben wird (Behördenakte Bl. 128).
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bbb. Die vom Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Einwendungen ändern nichts an dieser Einstufung als „neuartige Lebensmittel“.
59
(a) Soweit der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers vorträgt, dass ein Produkt nicht gleichzeitig Arzneimittel und Lebensmittel sein könne, verkennt er, dass das seinerseits behauptete Produkt „…“ nicht Teil des streitgegenständlichen Bescheids ist. Hinsichtlich der streitgegenständlichen Produkte hat der Antragsteller nichts dargelegt, dass es sich um Arzneimittel handeln würde. Ebenfalls kam es nicht darauf an, ob ein Lebensmittel gleichzeitig ein Betäubungsmittel sein könne. Denn die Feststellung, dass ein Produkt unter das Betäubungsmittelrecht falle, bezog sich in der Stellungnahme der KPI … ausdrücklich auf das untersuchte „CBD-Öl“ (Behördenakte Bl. 120), nicht auf die untersuchten streitgegenständlichen Produkte.
60
(b) Soweit der Prozessbevollmächtigte darauf hinweist, dass es sich bei den verbotenen Produkten um sog. Aromaprodukte handle, teilt das Gericht diese Auffassung nicht. Die NFV gilt zwar nicht für Lebensmittel, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1334/2008 als Lebensmittelaromen verwendet werden. „Aroma“ ist nach der Begriffsbestimmung in Art. 3 Abs. 2 a) VO (EG) Nr. 1334/2008 ein Erzeugnis, das als solches nicht zum Verzehr bestimmt ist und Lebensmitteln zugesetzt wird, um ihnen einen besonderen Geruch und/oder Geschmack zu verleihen oder diese zu verändern (Ziff. i), und das aus den Kategorien Aromastoffe, Aromaextrakte, thermisch gewonnenen Reaktionsaromen, Raucharomen, Aromavorstufen sowie sonstigen Aromen oder deren Mischungen hergestellt wurde oder besteht (Ziff. ii). Die Definition des Begriffes Aroma besteht demnach aus zwei Teilen, nämlich einer Abgrenzung nach der Zweckbestimmung und einer Abgrenzung nach Kategorien von Stoffen, aus denen Aromen hergestellt werden oder bestehen. Diese beiden Teile der Definition sind kumulativ anzuwenden, das heißt ein Stoff ist nur dann ein Aroma, wenn er beide Begriffselemente erfüllt (VG Regensburg, B.v. 21.1.2022 - RN 5 S 21.2172 - juris Rn. 44).
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Gemessen daran fehlt es bezüglich der einzelnen Produkte bereits an der besonderen Zweckbestimmung von CBD zur Geruchs- und/oder Geschmacksverleihung oder - veränderung. Werden mit dem zugesetzten Stoff hingegen hauptsächlich ernährungsphysiologische Zwecke verfolgt, handelt es sich bereits begrifflich nicht um ein „Aroma“ oder einen „Aromaextrakt“ (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2022 - 20 CS 22.307 - juris Rn. 8). Dass es sich um rein ernährungsphysiologische Zwecke handelt, legt der Antragsteller durch seine Webpräsenz mehr als nahe. Denn dort schreibt er: „CBD Wissen Unser Körper hat zahlreiche Rezeptoren für die Aufnahme von CBD. Die Wirkung kann sich also frei entfalten und nimmt so einen positiven Einfluss auf unser Wohlbefinden und diverse Krankheitsverläufe“ (vgl. https://www.werners-hanf-shop.de/wissenswertes/ aufgerufen am 04.04.2022).
62
Insoweit ist augenscheinlich der Hauptzweck des Cannabidiol nicht die Aromatisierung der angebotenen Produkte, sondern seine physiologische Auswirkung auf den Konsumenten sein.
63
Dass es sich nicht um Aromen handelt, ist auch aus einem systematischen Vergleich mit Art. 18 Abs. 2 und 4 LMIV i.V.m. deren Anhang VII Teil D zu sehen. Danach sind Aromen im Zutatenverzeichnis mit den Begriffen „Aroma/Aromen“ zu bezeichnen. Da in den jeweiligen Zutatenlisten das CBD nicht als Aroma angeführt wird (* …: Hanf-Extrakt; …: Cannabidiol [Cannabis Sativa L]; …: Cannabidiol) liegen hier auch keine Aromen vor. In den Zutatenlisten der Produkte wurden Aromen und Geschmacksstoffe (z.B. Zitronen- oder Orangenfruchtpulver) sowie „natürliche Aromen“ bzw. „Aromen“ ausdrücklich benannt. Die Zutaten Cannabidiol bzw. Hanfextrakt sind nach alledem - schon nach Eigendeklaration - keine Aromen.
64
(c) Der Novel Food-Katalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung im Rechtssinne, indiziert aber das Vorliegen der Novel Food-Eigenschaft. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat nicht neuartig ist, trägt derjenige, der das Lebensmittel in den Verkehr bringen will (vgl. VGH BW, B.v. 8.2.2021 - 9 S 3951/20 - juris Rn. 16 m.w.N.) Gemessen hieran greifen die Einwände des Antragstellers ebenfalls nicht durch.
65
Soweit der Prozessbevollmächtigte vorträgt, dass davon auszugehen sei, dass auch Produkte mit einem Cannabidiolhaltigen Extrakt aus Cannabis sativa von mehr als 10% bereits vor dem 15.05.1997 in der EU als Nahrungsergänzungsmittel verwendet worden seien, macht er diese Behauptung nicht glaubhaft, da er sie weder durch entsprechende Dokumente noch Sachverständigengutachten untermauert.
66
Auch die Verwendungsgeschichte der entsprechenden Pflanze als sicheres Lebensmittel wird nicht weiter untermauert, wobei es hierauf nicht ankommt. Denn die streitgegenständlichen Produkte sind die Lebensmittel, die das CBD enthalten. Dieses CBD wird aus einer Pflanze oder einem Pflanzenteil erzeugt (s.o.). Eine Ausnahme dahingehend, dass das streitgegenständliche Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat und dieses aus einer Pflanze oder einer Sorte derselben Pflanzenart isoliert oder erzeugt wurde, hat der Antragsteller nicht nachgewiesen. Die Frage, ob es sich um ein neuartiges Lebensmittel handelt, ist nicht bezogen auf den Ausgangsstoff, sondern auf das daraus erzeugte Produkt bezogen zu beantworten (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 17.7.2012 - 16 K 4137/11 - juris Rn. 17).
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Hinsichtlich der Aufnahme der Pflanze Cannabis sativa L. in eine Positivliste der Republik Italien hat der Prozessbevollmächtigte schon nicht annähernd dargelegt, dass der etwaige dortige Eintrag das hier streitgegenständliche „Hanfextrakt“ betreffe und beispielsweise nicht nur den Samen. Jedenfalls ergibt eine Information auf der Internetseite der Südtiroler Landesverwaltung, dass zum gegebenen Zeitpunkt Extrakte aus Cannabis sativa L. und Folgeprodukte, die Cannabinoide, inklusive Cannabidiol-CBD, enthalten, für den menschlichen Verzehr weder hergestellt noch in Umlauf gebracht werden dürfen, es sei denn neue Regelungen treten in Kraft (vgl. https://www.provinz.bz.it/gesundheit-leben/ gesundheit/koerperschaften-betriebe-freiberufler/hanf-als-lebensmittel.asp, aufgerufen am 04.04.2022). Die Eintragung in der Stoffliste des BLV bezieht sich offensichtlich auf den Samen des Cannabis sativa L. (vgl. Pflanzenliste, Einträge A-K, 2. Aufl. 2020).
68
Die Entscheidung des EuGH (U.v. 14.4.2011 - C-327/09) und des Verwaltungsgerichts München (U.v. 13.5.2004 - M 4 K 03.4528) stehen dem Bescheid nicht entgegen. Der EuGH hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass die zuständigen Behörden überprüfen müssen, ob ein vermarktetes Erzeugnis neuartig ist, was hier geschehen ist. Hinsichtlich des Urteils des VG München gilt das Ebengesagte mit der Ergänzung, dass der dortige Kläger seiner Nachweispflicht nachgekommen ist. Einen entsprechenden Nachweis, dass die streitgegenständlichen Lebensmittel nicht neuartig wären, hat der Antragsteller hingegen nicht erbracht.
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Bezüglich des Zitats der Europäischen Kommission vom 03.03.1998 bleibt der Bezugspunkt des Zitats vage. Dieses bezieht sich auf „Teile der Hanfpflanze“, nicht etwaiger Extraktionen. Diese Annahme wird durch eine Antwort der Bundesregierung vom 25.07.2019 auf eine Anfrage unterstrichen (vgl. BT-Drs. 19/11922, S. 2 unten ff.): Aus den Stellungnahmen könne nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sämtliche Erzeugnisse der Hanfpflanze, also beispielsweise auch isolierte Einzelsubstanzen wie Cannabinoide oder mit Cannabinoiden angereicherte Extrakte, als Lebensmittel verkehrsfähig wären. Die betreffende Aussage beziehe sich vielmehr nur auf solche Erzeugnisse, die aufgrund der betäubungs- und arzneimittelrechtlichen Bestimmungen vom Lebensmittelbegriff ausgenommen seien. Zudem sei immer zu prüfen, ob ein Erzeugnis in der jeweiligen Zusammensetzung vor dem 15.05.1997 in der EU in nennenswertem Umfang als Lebensmittel verwendet worden sei.
70
Auch hinsichtlich des angeführten 17. Erwägungsgrundes der NFV ist gegen die Annahme der Neuartigkeit der streitgegenständlichen Lebensmittel nichts zu erinnern. Denn in dessen Satz 2 - den der Prozessbevollmächtigte nicht zitiert hat - heißt es ausdrücklich: Lebensmittelzutaten, die verändert wurden und die in der Union bisher nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden, sollten hingegen in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen. Das CBD als Zutat in den streitgegenständlichen Produkten ist jedoch neuartig (s.o.). Die zitierten Entscheidungen (OVG NW, B.v. 2.3.2021 - 9 B 1469/20; OLG Frankfurt a.M., B.v. 2.3.2021 - 6 W 15/21) ändern an dem oben Genannten nichts. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat in seiner Entscheidung eine Untersagungsverfügung geprüft, die nur das das Inverkehrbringen solcher Lebensmittel untersagt, die entweder Cannabidiol als CBD-Isolat oder mit CBD angereicherte Hanfextrakte enthalten. Aus jenem Beschluss - relevant war der Umfang der Untersagungsverfügung - kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Vertrieb anderer CBDhaltiger Lebensmittel und Produkte grundsätzlich nicht untersagt werden dürfte. Die Entscheidung des OLG Frankfurt handelt von einem Lebensmittel mit der Zutat „Sojabohnenextrakt mit 0,2% Spermidingehalt“ und ist hinsichtlich seiner Einzelheiten mit diesem Fall nicht vergleichbar, da es sich um ein völlig anderes Produkt handelt und dem dortigen Streit ein zivilrechtlicher Sachverhalt zugrunde lag, bei dem das Gericht insbesondere davon ausging, dass dem Beibringungsgrundsatz nicht Rechnung getragen worden sei.
71
ccc. Da derartige Lebensmittel bislang auch noch nicht in die nach Art. 6 Abs. 1 NFV zu erstellende Unionsliste eingetragen sind, verstößt das Inverkehrbringen der fraglichen Produkte gegen Art. 6 Abs. 2 NFV. Die Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 b) der KontrollVO liegen vor. Die Antragsgegnerin war dazu angehalten, gegen das Inverkehrbringen einzuschreiten. Die Untersagung des Inverkehrbringens von nicht verkehrsfähigen Lebensmitteln gehört zu den Maßnahmen, die die zuständige Behörde anordnen kann (vgl. Art. 138 Abs. 2 d) KontrollVO). Die angeordneten Inverkehrbringungsverbote sind auch verhältnismäßig. Sie sind erforderlich und geeignet, um sicherzustellen, dass die vom Antragsteller begangenen lebensmittelrechtlichen Verstöße beendet werden. Ein milderes Mittel, das ebenso geeignet wäre, Verstöße zu unterbinden, ist nicht ersichtlich.
72
Die Maßnahme ist auch angemessen. In Raum steht ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 und 2 GG. Diese Freiheit kann durch Berufsausübungsregelungen eingeschränkt werden. Ein Eingriff ist gerechtfertigt, wenn vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls die Regelung zweckmäßig erscheinen lassen. So liegen die Dinge hier, denn es kommt nicht darauf an, ob das betreffende Lebensmittel gesundheitsschädlich ist. Das Verbot wird deshalb angeordnet, weil es an der erforderlichen Zulassung des Lebensmittels fehlt. Ob das Lebensmittel ein Sicherheitsrisiko für die menschliche Gesundheit mit sich bringt, wird (u. a.) vielmehr erst im Zulassungsverfahren selbst geprüft, vgl. Art. 7 Buchst. a) NFV (vgl. OVG NW, B.v. 2.3.2021 - 9 B 1574/20 - juris Rn. 62). Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Erwägungen unionsrechtlicher Rechtsprechung (EuGH, U.v. 19.11.2020 - C-663/18 - juris; EuG, U.v. 11.9.2002 - T-13/99 - juris) und einer etwaigen Bewertung der WHO - auf die der Prozessbevollmächtigte hingewiesen hat - nicht an. Das Verbot, ein CBDhaltiges Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, bevor es geprüft und etwaige Gesundheitsrisiken in diesem Verfahren festgestellt worden ist, stellt eine vernünftige Erwägung des Allgemeinwohls dar, die dieses Verbot zweckmäßig erscheinen lässt. Zudem sind von der streitgegenständlichen Anordnung lediglich zwei Produkte (bzw. drei Produkte, siehe unten) sämtlicher Chargen und Geschmacksrichtungen aus dem Sortiment des Antragstellers wegen ihres CBD-Gehalts betroffen, so dass dem Antragsteller die Möglichkeit existenzsichernden wirtschaftlicher Tätigkeit verbleibt; anderes ist jedenfalls nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Dabei wird nicht verkannt, dass zwei weitere Produkte aus dem Sortiment des Antragstellers gegenwärtig Gegenstand von Ermittlungen sind bzw. waren.
73
Im Übrigen ist auf Folgendes hinzuweisen: Die mit der Anordnung bezweckte Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit dient dem vorbeugenden Gesundheits- und Verbraucherschutz potenzieller Konsumenten und damit hochrangigen Rechtsgütern. Zum Schutz der menschlichen Gesundheit ist es notwendig, Maßnahmen zu treffen, die gewährleisten, dass nicht sichere Lebensmittel nicht in den Verkehr gelangen. Bei neuartigen Lebensmitteln lässt sich generell nicht ausschließen, dass deren Verzehr zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Konsumenten führen kann. Im Falle der Verwendung von CBD als Lebensmittelzutat kommt hinzu, dass CBD von Seiten der Wissenschaft verschiedene Nebenwirkungen zugeschrieben werden (vgl. VG Regensburg, B.v. 21.1.2022 - RN 5 S 21.2172 - juris Rn. 86). Zu diesen Nebenwirkungen zählen Schläfrigkeit, Benommenheit, Schlaflosigkeit, Schlafstörungen und innere Unruhe (vgl. https://www.verbraucherzentrale.de/ wissen/lebensmittel/nahrungsergaenzungsmittel/vorsicht-bei-lebensmitteln-mit-dem-hanfinhaltsstoff-cannabidiol-cbd-43455, aufgerufen am 04.04.2022). Vor diesem Hintergrund sind gesundheitliche Risiken der Verwendung von CBD nicht auszuschließen, weshalb das Verbot nicht zu beanstanden ist.
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bb. Soweit sich die Untersagungsverfügung auf das Inverkehrbringen des Produkts „…“ bezieht, ist sie nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht zu beanstanden.
75
Das Produkt gibt auf seinem Etikett „100 mg CBD“ und eine Abbildung eines Hanfblattes an, im Zutatenverzeichnis ist die Zutat „Cannabidiol“ angegeben. Das LGL hat in seiner Untersuchung jedoch weder CBD noch andere Cannabinoide nachweisen können. Die Nachweisgrenze für CBD liegt bei 1,2 mg/kg. Wären dem Produkt 100 mg CBD zugegeben worden, wäre der Gehalt bei einer Nennfüllmenge von 125 g somit 800 mg/kg. Dieser Gehalt liegt um den Faktor 667 über der Nachweisgrenze und kann somit sicher nachgewiesen werden. Anders ausgedrückt: Rechnet man den CBD-Gehalt des streitgegenständlichen Produkts (Füllmenge: 125 Gramm) auf ein Kilogramm des Produkts hoch, müsste der CBDgehalt bei 800 mg je kg liegen. Das Ergebnis der Begutachtung erscheint dem Gericht vor diesem Hintergrund schlüssig. Damit wird der Verbraucher gem. Art. 7 Abs. 1 a) LMIV hinsichtlich der Eigenschaften des angebotenen Produkts, das ein Lebensmittel darstellt (vgl. Art. 2 Abs. 1 a) LMIV i.V.m. Art. 2 der VO [EG] Nr. 178/2002), in die Irre geführt, da dieser bei seiner Kaufentscheidung davon ausgeht, dass in diesem Produkt jedenfalls nachweislich Cannabidiol enthalten ist.
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Das Inverkehrbringungsverbot ist auch verhältnismäßig (s.o.). Durchgreifende rechtliche Bedenken hat der Prozessbevollmächtigte nicht vorgebracht.
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cc. Nach alledem ist der Bescheid in Nr. 1 nach summarischer Prüfung formell und materiell rechtmäßig. Es verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
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c. Ausgehend von vorstehenden Erwägungen führt auch eine ergänzende - über die Erfolgsaussichten hinausgehende - Interessenabwägung, insbesondere unter nochmaliger Berücksichtigung der Berufsfreiheit des Antragstellers, zu keinem anderen Ergebnis.
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4. Nach alledem ist der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 des GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Da im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens die wirtschaftlichen Auswirkungen der angeordneten Maßnahmen für den Antragsteller nicht abschätzbar sind, geht das Gericht vom Regelstreitwert aus, der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren ist (vgl. VG Regensburg, B.v. 21.1.2022 - RN 5 S 21.2172 - juris Rn. 90; BayVGH, B.v. 7.3.2022 - 20 CS 22.307 - juris Rn. 10).