Titel:
Kein Flüchtlingsschutz für in Deutschland nachgeborenes Kind, dessen Eltern Schutz durch UNRWA erhalten haben
Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, S. 2, § 4, § 26, § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Kinder, die zu keiner Zeit den Schutz des UNRWA (persönlich) genossen haben, haben auch dann keinen Anspruch auf Zuerkennung der „ipso facto“- Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG, wenn deren Eltern und Geschwister förmlich vom UNRWA als Flüchtlinge registriert worden sind. (Rn. 25 – 27)
2. Wurde der Asylantrag der Eltern in Deutschland gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt, weil diesen bereits in einem Drittstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, kann ein in Deutschland nachgeborenes Kind den Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gemäß § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 AsylG ableiten, da den stammberechtigten Eltern die Flüchtlingseigenschaft nicht in Deutschland zuerkannt wurde. (Rn. 29)
Schlagworte:
Nachgeborenes Kind, dessen Eltern „UNRWA-Schutz“ genossen haben, (keine), „ipso facto“- Flüchtlingseigenschaft für in Deutschland nachgeborene Kinder, (keine) Ableitung des Flüchtlingsschutzes nach § 26 AsylG, wenn stammberechtigten Eltern die Flüchtlingseigenschaft (lediglich) in einem Drittstaat zuerkannt wurde, ipso facto-Flüchtlingseigenschaft, Schutz durch UNRWA für Eltern, in Deutschland nachgeborenes Kind, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Drittstaat an Stammberechtigte, Familienflüchtlingsschutz, abgeleiteter Schutz, Palästinenser aus Syrien
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25380
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger, Sohn eines staatenlosen Palästinensers mit vorherigem gewöhnlichem Aufenthalt in Syrien und einer - nach eigenen Angaben - syrischen Mutter mit palästinensischer Volkszugehörigkeit, wurde am ... 2019 in … in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Mit Eingang der Geburtsanzeige des Landratsamts … vom 03.06.2019 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am selben Tag wurde gem. § 14a Abs. 2 AsylG ein Asylantrag als gestellt erachtet.
2
Die Asylanträge des Vaters und der drei Geschwister des Klägers (geboren 2002, 2004 und 2009) lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 16.05.2019 (Gz.: ...) gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ab, da dem Vater und den Geschwistern bereits am 05.02.2018 in Griechenland der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist. Zugleich wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Dem Vater und den Geschwistern des Klägers wurde die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (RN 11 K 19.31189) wurde die Beklagte - unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 16.05.2019 -verpflichtet, Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands festzustellen. Dieser Verpflichtung ist das Bundesamt mit Bescheid vom 09.01.2020 nachgekommen.
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Den Asylantrag der Mutter des Klägers (Gz.: ...) lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 17.05.2019 gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ab, da der Mutter des Klägers ebenfalls am 05.02.2018 in Griechenland der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist. Im Verfahren der Mutter des Klägers wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Mutter des Klägers wurde die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (RN 11 K 19.31188) wurde die Beklagte mit Urteil vom 11.11.2019 - unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 17.05.2019 - verpflichtet, bei der Mutter des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands festzustellen. Dieser Verpflichtung kam das Bundesamt mit Bescheid vom 09.01.2020 nach. Mit Schreiben vom 06.06.2019 wurden die Eltern des Klägers aufgefordert, schriftlich zu den eigenen Asylgründen des hiesigen Klägers Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme ging am 14.06.2019 beim Bundesamt ein. In der Stellungnahme wurden keine individuellen Gründe geltend gemacht. Es erfolgte vielmehr nur eine Berufung auf die allgemeinen Verhältnisse im Heimatland.
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Mit Bescheid vom 30.08.2019 lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziff. 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Griechenland angedroht (Ziff. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Tage ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland sei unzulässig, da es sich beim Kläger um ein Kind handle, dessen Eltern und Geschwister in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt worden sei. Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO komme hier zur Anwendung, so dass Griechenland für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei. In Deutschland sei der Asylantrag unzulässig und werde materiell nicht geprüft. Im Übrigen wird auf den Bescheid verwiesen.
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Im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (RN 16 K 19.50907) wurde mit Urteil vom 11.05.2020 der Bescheid vom 13.08.2019 - mit Ausnahme der Feststellung, dass der Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden darf - aufgehoben, da dem Kläger im Falle einer Abschiebung nach Griechenland aufgrund der dortigen Umstände eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 4 GrC bzw. des Art. 3 EMRK drohe.
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Im anschließenden nationalen Verfahren wurde dem Kläger mit Bescheid vom 11.03.2021, als Einschreiben zur Post gegeben am 16.03.2021, die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (Ziff. 1). Der Antrag auf Asylanerkennung wurde abgelehnt (Ziff. 2). Der subsidiäre Schutzstatus wurde ebenfalls nicht zuerkannt (Ziff. 3). Es wurde festgestellt, dass ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syrien und Griechenland vorliegt (Ziff. 4).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei kein Flüchtling i.S.d. § 3 AsylG. Er habe keine eigenen, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründenden Tatsachen, über seine gesetzlichen Vertreter vorgetragen. Auch bei den Eltern des Klägers seien keine die Flüchtlingseigenschaft begründenden Tatsachen festgestellt worden, so dass auch auf diesem Weg eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfolgen könne.
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Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gem. Art. 16a Abs. 1 GG seien nicht gegeben, da nicht einmal die weitergefassten Voraussetzungen des § 3 AsylG einschlägig seien.
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Subsidiärer Schutz gem. § 4 AsylG sei nicht zu gewähren. Ein konkret drohender und individueller Schaden bei Rückkehr in das Herkunftsland sei nicht geltend gemacht worden. Ein bereits erlittener Schaden könne angesichts der Tatsache, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren worden sei und sich zu keiner Zeit im Herkunftsland der Eltern aufgehalten habe, auch nicht vorliegen. Dem Kläger drohe ersichtlich weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, noch drohe ihm Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG sei ebenfalls nicht anzunehmen. Zwar herrsche in Syrien ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der je nach Provinz eine unterschiedliche Intensität aufweise. Die Eltern des Klägers stammten aus den Provinzen Daraa/D. und hätten zuletzt in der Hauptstadt D. gelebt. In einigen Provinzen, darunter auch in Daraa, sei ein deutlicher Rückgang der Kampfhandlungen zu verzeichnen. Willkürliche Gewalt gegen Zivilisten sei in diesem Gebiet, wie auch in der Hauptstadt D., die Ausnahme. Es sei auch nicht anzunehmen, dass sich die allgemeine Gefahr durch individuelle gefahrerhöhende Umstände beim Kläger zuspitze und diesen besonders in den Fokus willkürlicher Gewalt geraten lasse. Insoweit seien keine konkreten Bedrohungen vorgetragen worden.
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Beim Kläger sei jedoch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syriens und Griechenlands festzustellen. Angesichts der sehr schlechten wirtschaftlichen Lage in Syrien bestünden für Rückkehrer nur wenige Möglichkeiten zur Schaffung einer ausreichenden Lebensgrundlage bzw. zur Sicherung des Existenzminimums. Die Grundversorgung und die Möglichkeiten zur Überlebenssicherung seien in ganz Syrien mitunter stark eingeschränkt. Für die im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG maßgebliche Gefahrenprognose sei bei einer realitätsnahen Betrachtung auf die hypothetische Rückkehrsituation abzustellen. Bei tatsächlicher Lebensgemeinschaft der Kernfamilie sei im Regelfall davon auszugehen, dass diese entweder insgesamt nicht oder nur gemeinsam im Familienverband zurückkehre. Dies gelte auch, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie nationaler Abschiebeschutz festgestellt worden sei. Demgemäß sei für den Kläger eine Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern der Kernfamilie zu unterstellen. Der Kläger könne sich als Kleinkind nicht selbst versorgen und sei mithin auf die Versorgung seiner Eltern angewiesen. Es handle sich um seine sechsköpfige Kernfamilie, wobei drei von vier Kindern minderjährig seien. Daher handle es sich um einen besonders schutzwürdigen Personenkreis. Mithin bestehe eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass die gesamte Familie bei einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien die Schwelle des Existenzminimums des Art. 3 EMRK nicht erreichen könne. Im Hinblick auf eine Abschiebung nach Griechenland sei in den Klageverfahren der Eltern und der Geschwister des Klägers die gerichtliche Verpflichtung ausgesprochen worden, jeweils ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands festzustellen, da der Familie in Griechenland mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung drohe. Aufgrund der Feststellungen in den Verfahren der Familienangehörigen ergebe sich daher auch für den hiesigen Kläger ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands.
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Mit Schriftsatz vom 30.03.2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg am 31.03.2021 und von dort verwiesen mit Beschluss vom 16.04.2021 an das Verwaltungsgericht Bayreuth, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage mit folgenden Anträgen:
1. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
2. Der Bescheid der Beklagten vom 11.03.2021 wird insoweit aufgehoben, als er dem vorstehenden Antrag entgegensteht.
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Mit Schriftsatz vom 06.04.2021 beantragt die Beklagte,
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Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
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Zur Begründung der Klage wurde mit Schriftsatz vom 06.05.2021 im Wesentlichen ausgeführt, beim Kläger seien die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG gegeben. Ihm sei „ipso facto“-Flüchtlingsschutz zuzuerkennen. Auf die Entscheidung des EuGH vom 13.01.2021 (C-507/19) und die beiliegenden UNRWA-Bescheinigungen der Eltern und der Geschwister des Klägers werde Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 18.05.2021 führte die Beklagte ergänzend aus, auch im Nachgang zum anwaltlichen Schriftsatz vom 06.05.2021 werde am streitgegenständlichen Bescheid festgehalten. Die vorgelegten und bereits bekannten UNRWA-Bescheinigungen beträfen nicht den in Deutschland geborenen Kläger, sondern nur dessen Eltern und Geschwister, so dass eine Anerkennung des Klägers selbst als sogenannter „ipso facto-Flüchtling“ aufgrund dieser Unterlagen nicht in Betracht kommen könne.
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Mit Schriftsatz vom 28.04.2022 bzw. 29.04.2022 verzichtete die Kläger- und die Beklagtenseite auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Mit Beschluss der Kammer vom 17.05.2022 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen. Die Behördenakten der Eltern und der Geschwister des Klägers wurden beigezogen.
Entscheidungsgründe
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I. Über die Klage auf Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen, konnte der Einzelrichter mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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II. Die zulässige Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der begehrten Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf Syrien (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Dem Kläger droht in Syrien nicht mit der notwendigen beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund des § 3b AsylG. Insoweit verweist das Gericht zwecks Vermeidung von Wiederholungen zunächst vollumfänglich auf den insoweit angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG). Von der Klägerseite wurden keinerlei konkret-individuelle Fluchtgründe für den dreijährigen, in Deutschland geborenen, Kläger vorgetragen. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger niemals in Syrien gelebt hat, scheidet eine Vorverfolgung schon denknotwendiger Weise aus. Im Übrigen ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere in der Rechtsprechung des BayVGH, geklärt, dass es nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass Rückkehrer alleine deshalb in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte zu befürchten haben, weil sie sich durch die Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben (BayVGH, B.v. 26.1.2022 - 21 ZB 22.30063 - juris; BayVGH, U.v. 23.6.2021 - 21 B 19.33586 - juris; BayVGH, U.v. 29.9.2021 - 21 B 19.34339). Da nach der - nahezu einhelligen - obergerichtlichen Rechtsprechung (insoweit nur abweichend OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 29.1.2021 - OVG 3 B 109.18 - juris), der sich das erkennende Gericht anschließt, selbst - vorbehaltlich des Vorliegens gefahrerhöhender Umstände im konkreten Einzelfall - Männer im militärdienstpflichtigen Alter keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG haben, scheidet ein solcher Anspruch des klägerischen Kleinkindes nach § 3 Abs. 1 AsylG erst Recht aus.
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2. Entgegen dem klägerischen Vortrag besteht auch kein Anspruch auf Anerkennung des Klägers als sogenannter „ipso facto“-Flüchtling.
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Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Art. 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, ist hingegen § 3 Abs. 1 und 2 AsylG gem. § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG anwendbar. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) fällt derzeit als einzige Organisation in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen. Die Anwendung des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG, der an Satz 1 der Vorschrift anknüpft und mit diesem eine Einheit bildet, setzt dabei nicht die Erfüllung der allgemeinen Flüchtlingsmerkmale des § 3 Abs. 1 AsylG voraus. Er enthält vielmehr eine gegenüber § 3 Abs. 1 AsylG selbständige Umschreibung der Flüchtlingseigenschaft. Liegen die Voraussetzungen dieser Regelung vor, ist einem Antragsteller auf seinen Antrag hin „ipso facto“ die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ohne dass dieser nachweisen muss, dass er in Bezug auf das Gebiet, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, eine begründete Furcht vor Verfolgung hat (vgl. BverwG, U.v. 27.4.2021 - 1 C 2/21 - juris; EuGH, U.v. 13.1.2021 - C-507/19 - juris).
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Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG schon deswegen nicht erfüllt, da der in Deutschland geborene Kläger niemals tatsächlich den Schutz und Beistand des UNRWA genossen hat. Als Nachweis einer tatsächlichen Inanspruchnahme des Schutzes oder des Beistandes genügt es, wenn der Betroffene förmlich vom UNRWA registriert ist. Nicht registrierte Betroffene müssen hingegen den Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme des Schutzes und des Beistandes des UNRWA auf andere Weise erbringen (vgl. OVG Weimar, U.v. 15.6.2018 - 3 KO 167/18 - juris). Der hiesige, im Mai 2019 geborene, Kläger ist ausweislich der im Verfahren vorgelegten „Family Registration Card“ jedoch bei der UNRWA nicht förmlich registriert. Dort sind vielmehr nur die Eltern und die in den Jahren 1999, 2002, 2004 und 2009 geborenen Brüder des Klägers aufgeführt. Daneben ist es auch denknotwendigerweise ausgeschlossen, dass der Kläger ohne förmliche Registrierung tatsächlich die Inanspruchnahme des Schutzes und des Beistandes des UNRWA genossen hat. Die Eltern und die Brüder des Klägers haben nämlich bereits im Dezember 2016 Syrien und damit das UNRWA-Operationsgebiet Syrien verlassen. Es ist auch weder dargetan noch anderweitig ersichtlich, dass sich die Familie des Klägers im Anschluss in einem anderen Operationsgebiet des UNRWA niedergelassen hat (vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 27.4.2021 - 1 C 2/21 - juris). Jedenfalls sind die Eltern des Klägers und dessen Geschwister im Jahr 2018 nach Deutschland eingereist und der Kläger selbst ist erst im Jahr 2019 in Deutschland geboren, so dass dieser niemals den Schutz und den Beistand des UNRWA in Anspruch genommen hat.
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Einer weitergehenden Auslegung bzw. Anwendung des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG auf in Deutschland nachgeborene Kinder, deren Eltern in Syrien den Schutz bzw. Beistand des UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen haben, steht schon der klare Wortlaut des § 3 Abs. 3 AsylG i.V.m. Art. 1 Abschnitt D Satz 1 GFK entgegen. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 1 Abschnitt D Satz 1 GFK sind nur diejenigen Personen, die die Hilfe des UNRWA tatsächlich in Anspruch nehmen, von der Vorschrift über den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling erfasst. Die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist eng auszulegen und erfasst keine Personen, die lediglich berechtigt sind oder waren, den Schutz oder Beistand des UNRWA in Anspruch zu nehmen (OVG Weimar, U.v. 15.6.2018 - 3 KO 167/18 - juris m.w.N.). Da die Ausschlussklausel des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG restriktiv auszulegen ist, gilt dies auch und erst recht für die „Rückausnahme“ des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG, die zudem ausdrücklich voraussetzt, dass dem Betroffenen der Schutz oder Beistand „nicht länger gewährt“ wird. Dementsprechend setzt die Zuerkennung der gewissermaßen privilegierten „ipso facto“-Flüchtlingseigenschaft zwingend voraus, dass der jeweilige „Flüchtling“ in seiner Person selbst - und nicht nur seine Familienangehörigen - den Schutz und Beistand des UNRWA (früher) tatsächlich in Anspruch genommen hat.
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Nichts anderes ergibt sich aus dem mit Schriftsatz der Klägerseite vom 06.05.2021 zitierten Urteil des EuGH vom 13.01.2021 (C-507/19). Insoweit geht die Klägerseite überhaupt nicht näher auf das in den Raum gestellte Urteil ein, sondern nimmt nur - unter Vorlage der UNRWA-Bescheinigungen der Eltern und Geschwister des Klägers - pauschal Bezug auf die Entscheidung des EuGHs vom 13.01.2021. Im Übrigen vermag das Gericht dem Urteil vom 13.01.2021 nicht einmal ansatzweise zu entnehmen, dass ein nachgeborenes Kind, das niemals tatsächlich den Schutz und Beistand des UNRWA in Anspruch genommen hat, einen solchen gewissermaßen von förmlich registrierten Familienangehörigen „ableiten“ kann. Vielmehr scheint auch der EuGH an mehreren Stellen der zitierten Entscheidung selbstverständlich davon auszugehen, dass die Zuerkennung der „ipso facto“-Flüchtlingseigenschaft voraussetzt, dass eine Person tatsächlich den Schutz oder Beistand des UNRWA genießt bzw. genossen hat und der UNRWA nicht mehr in der Lage ist, einen solchen Schutz oder Beistand länger zu gewähren (vgl. Rn. 48 ff. und Rn. 69 ff. bei juris).
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3. Lediglich ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass sich vorliegend nichts anderes aus dem Rechtsgedanken des Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO ergibt, da die Eltern und Geschwister des Klägers ebenfalls - selbst bei unterstellter Einschlägigkeit der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG - keinen Anspruch auf materielle Prüfung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland haben, da ihnen bereits in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist und die entsprechenden Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamts nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bestandskräftig sind.
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4. Aus den vorstehenden Gründen hat der Kläger auch keinen abgeleiteten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft von seinen Eltern bzw. Geschwistern gemäß § 26 AsylG. Zwar ist zwischenzeitlich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2020 - 1 C 8/19 - juris), dass eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG der Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz im nationalen Verfahren nicht entgegensteht. Vorliegend handelt es sich aber um die „umgekehrte“ Situation. Die Unzulässigkeitsentscheidungen des Bundesamts sind nämlich gegenüber den Eltern und Geschwistern des Klägers ergangen, während das Asylgesuch des Klägers im nationalen Verfahren verbeschieden wurde. Im Übrigen sind die Eltern bzw. Geschwister des Klägers - obwohl diesen in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist - keine stammberechtigten Personen i.S.d. § 26 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 bzw. Abs. 3 Satz 2 AsylG. Die Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling durch einen anderen Staat vermag nämlich die akzessorischen Rechtsansprüche nach § 26 AsylG für Familienangehörige systematisch nicht zu vermitteln. Eine solche Anerkennung durch Drittstaaten wirkt nicht wie eine Statusentscheidung durch deutsche Behörden und entfaltet keine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des § 26 AsylG (vgl. hierzu umfassend BayVGH, B.v. 7.10.2021 - 23 ZB 19.33422).
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5. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der Bundesrepublik Deutschland zusteht.
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III. Keiner Entscheidung bedarf es im vorliegenden Klageverfahren, ob dem Kläger im Hinblick auf die gegenwärtigen Verhältnisse in Syrien der subsidiäre Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen ist. Dies hat die Beklagte im Bescheid vom 11.03.2021 unter Hinweis auf den „deutlichen Rückgang der Kampfhandlungen“ in der Heimatregion der Eltern des Klägers verneint. Die diesbezügliche Entscheidung unter Ziff. 3 des Bescheids vom 11.03.2021 ist - genauso wie die Ablehnung der Asylanerkennung (Ziff. 2 des Bescheids) - bestandskräftig, da mit der Klageschrift vom 30.03.2021 (nur) beantragt wurde, die Beklagte - unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 11.03.2021 - zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.