Titel:
Schülerbeförderung, nächstgelegene Schule, Verzicht auf Kostenerstattung, Kostenfreiheit des Schulweges, Ermessensausübung
Normenkette:
SchBefV § 2
Schlagworte:
Schülerbeförderung, nächstgelegene Schule, Verzicht auf Kostenerstattung, Kostenfreiheit des Schulweges, Ermessensausübung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 31.07.2024 – 7 B 24.201
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25358
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erstattung von Fahrtkosten für den Schulweg.
2
Der Kläger wohnt mit seinen Eltern unter der Anschrift …, … Er besucht seit … September … die Staatliche Gesamtschule …, eine Schule besonderer Art mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht. Für den Schulweg steigt er an der Bushaltestelle … und der Haltestelle an der Gesamtschule … ein- bzw. aus.
3
Die Eltern des Klägers beantragten unter dem 18. August 2018 die Schulbeförderung des Klägers von seinem Wohnort nach … in die Gesamtschule. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. August 2018 für das Schuljahr 2018/2019 ab. Nächstgelegene Schulen befänden sich in … Die Kosten für die Schülerbeförderung lägen nicht mehr im Toleranzbereich (§ 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV). Hinsichtlich § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV habe der Beklagte folgende Regelung getroffen. Da die schulartbezogene Orientierungsstufe einer bestimmten Schulart - Mittel-, Realschule oder Gymnasium - zugeordnet werden könne, würden die Schüler/innen im Rahmen der Schülerbeförderung wie „normale“ Mittel-, Realschüler oder Gymnasiasten behandelt. Die Zuständigkeiten seien entsprechend verschieden. Die Schüler/innen der Gesamtschule … erhielten deshalb ab der Orientierungsstufe (hier Jahrgangsstufe 7) eine Fahrkarte, soweit diese der Realschule oder dem Gymnasium zugeordnet werden könnten. Die Beförderungskosten in den Jahrgangsstufen 5 und 6 seien von den Unterhaltsleistenden zu verauslagen und würden in der Jahrgangsstufe 7 gegebenenfalls erstattet. Es werde hierfür § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV analog angewandt.
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Die Eltern des Klägers beantragten unter dem 29. Oktober 2019 die Erstattung von Fahrtkosten für den Bus für das Schuljahr 2018/2019 (Klasse …, insgesamt 556,00 Euro). Der Beklagte antwortete hierauf, dass gemäß dem Bescheid vom 28. August 2018 eine Erstattung von Fahrtkosten für die 5. und 6. Klasse an der Gesamtschule in … ausschließlich erfolge, wenn der Kläger ab der 7. Klasse die Realschule oder das Gymnasium besuche und die Beförderungskosten innerhalb der Toleranzgrenze lägen.
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Ein unter dem 3. Oktober 2019 gestellter Antrag auf Schülerbeförderung für das Schuljahr 2019/2020 wurde mit Bescheid vom 19. Dezember 2019, mit inhaltlich gleichlautender Begründung wie im Bescheid vom 28. August 2018, abgelehnt.
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Die Eltern des Klägers beantragten unter dem 4. August 2020 die Übernahme der Fahrtkosten für ihren Sohn vom Wohnort zur Schule für das Schuljahr 2020/2021 sowie die Erstattung von Fahrtkosten für den Bus für das Schuljahr 2019/2020 (Klasse …, insgesamt 169,30 Euro) sowie erneut für das Schuljahr 2018/2019.
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Mit Bescheid vom 7. August 2020 lehnte der Beklagte die Übernahme der Beförderung durch öffentliche oder private Verkehrsmittel zum Besuch der Staatlichen Gesamtschule … für den Schüler … ab dem Schuljahr 2020/2021 ab (Ziffer 1). Die Erstattung der durch öffentliche oder private Verkehrsmittel verursachten Fahrtkosten zum Besuch der Staatlichen Gesamtschule … für die Schuljahre 2018/2019 und 2019/2020 wurde abgelehnt (Ziffer 2).
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Es bestehe ein Anspruch auf kostenfreie Schülerbeförderung nur zur nächstgelegenen Schule. Das nächstgelegene Gymnasium befinde sich in … Eine Ausnahme nach § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV sei nicht gegeben, da der Beförderungsaufwand die ersparten Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule um mehr als 20% übersteige. Zwar handele es sich um eine Schule i.S.d. § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV i.V.m. Art. 122 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayEUG, die Übernahme der Kosten stehe somit im Ermessen und bisher sei die Beförderung nicht übernommen worden und es sei auch nicht beabsichtigt, von dieser Verwaltungspraxis abzuweichen. Dies gelte auch für § 2 Abs. 4 Nr. 4 SchBefV. Daher würden auch die vom Unterhaltsleistenden verauslagten Beförderungskosten der Schuljahre 2018/2019 und 2019/2020 in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (aus Konsequenzgründen) nicht erstattet.
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Hiergegen ließ der Kläger mit am 7. September 2020 bei der Regierung von … eingegangenen Schriftsatz Widerspruch erheben. Dieser wurde damit begründet, dass sich für den Besuch der Staatlichen Gesamtschule … unter anderem wegen der kürzeren Distanz ab … entschieden worden sei. Der Vater des Klägers nehme diesen jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit mit zur Bushaltestelle … Nach der Schule fahre der Kläger mit dem Bus nach … und laufe von dort bzw. fahre mit dem Fahrrad nach Hause, was circa 2,9 km seien. Im Winter und bei schlechtem Wetter werde der Kläger von seiner Mutter abgeholt. Insofern fielen keine Kosten für den Beklagten an. Ein Weg von 3 km werde für einen Schüler als zumutbar angesehen, weswegen keine Fahrtkostenerstattung erfolgen würde. … sei von … dagegen ca. 18 km entfernt. Auch die Schülerin …, welche in … wohne und derzeit die 8. Klasse der Gesamtschule … besuche, erhalte seit dem Schuljahr 2017/2018 die Kosten von … nach … und zurück. Auch ihr Bruder …, derzeit in der 5. Klasse in …, habe für das Schuljahr 2020/2021 schon eine Zusage für die Erstattung der anfallenden Schülerbeförderungskosten erhalten, wobei es sich um eine identische Kostenhöhe handele. Die beiden würden ebenfalls zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Pkw ihrer Eltern zur Bushaltestelle gelangen, gelegentlich erfolge eine Fahrgemeinschaft. Die Kosten für die Schülerbeförderung von … würden sich bei einem Jahresticket nur auf 937,20 Euro jährlich gegenüber 1.024,10 Euro jährlich nach … belaufen. Es entspreche nicht den Tatsachen, dass in … das nächstgelegene Gymnasium sei, das mit dem geringsten Beförderungsaufwand erreichbar sei. Für den Schulweg von … nach … falle kein Beförderungsaufwand an, hilfsweise sei dieser zu vernachlässigen. Hilfsweise greife zumindest § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV. Es dürfte ein Beförderungsaufwand von 1.228,92 Euro anfallen, wobei tatsächlich nur 937,20 Euro anfielen und selbst bei Hinzurechnung der Fahrtkosten seien dies lediglich 150 - 200 Euro jährlich. Der Beklagte könne die Kosten nach pflichtgemäßen Ermessen übernehmen, da es sich um eine Schule besonderer Art mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht handele, wobei das Ermessen in vergleichbaren Fällen dahingehend ausgeübt worden sei (siehe … und …*). Dies sei bisherige Verwaltungspraxis der vorhergehenden Bearbeiterin gewesen.
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Der Beklagte half dem Widerspruch mit der Begründung nicht ab, dass das Schülerbeförderungsrecht nicht auf die räumliche Entfernung, sondern die Kosten abstelle. Es sei der tatsächlich entstehende Beförderungsaufwand maßgeblich (BayVGH, B.v. 4.2.2013 - 7 ZB 12.2438). Ein Verzicht auf die Geltendmachung von Beförderungskosten sei nicht möglich, da dies zu fiktiven Beförderungskosten führen würde. Es sei der Schulweg von der Wohnung bis zur Schule unter Berücksichtigung der nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SchBefV vom Schüler selbst ohne Beförderung zurückzulegenden Strecke von bis zu 3 km zu berücksichtigen (vgl. auch VG Augsburg, Au 3 K 10.1214). Da von … bis … kein öffentliches Verkehrsmittel verkehre, seien mit einem privaten Kraftfahrzeug auf für Kfz geeigneten Straßen laut Googlemaps 3,9 km zurückzulegen. Die Route von 2,92 km sei für die Schülerbeförderung nicht zumutbar, da sie als besonders gefährlich zu bewerten sei, da sie außerhalb der Ortschaft nicht beleuchtet sei und entlang der ST … kein von der Fahrbahn abgeteilter Geh-/Radweg vorhanden sei. Es kämen daher 725,40 Euro (3,9 km x 4 Fahrten x 0,25 Euro x 186 Tage) zu den Kosten für das öffentliche Verkehrsmittel ab … hinzu, was insgesamt 1.669,20 Euro ergebe. Eine Nachfrage beim Landratsamt …, ob der Kläger im Schulbus … nach … mitgenommen werden könnte, sei verneint worden. Das Ermessen nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV sei bisher so ausgeübt worden, dass Kosten für eine nicht notwendige Beförderung nicht übernommen worden seien, woran festgehalten werde. Die Bezugsfälle seien geprüft worden und würden der Rechtslage entsprechen.
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Hierauf replizierte der Klägerbevollmächtigte in Bezug auf die Entscheidung des BayVGH, dass vom Kläger nicht auf Beförderungskosten, welche erstattungsfähig wären, verzichtet würde. Die Kosten für den Pkw-Einsatz dürften nicht hinzugerechnet werden, zumal die Strecke kürzer sei als vom Beklagten berechnet, was dazu führe, dass dieser von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei. Die Strecke zwischen … und … sei für die Schülerbeförderung nicht unzumutbar. Es handele sich um eine öffentliche S. straße, welche auch von Kindern mit Fahrrädern befahren und zu Fuß begangen werden könne. Sie sei wenig befahren, ohne Kurven und gut einsehbar und würde auch von … und … verwendet. Insoweit liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und ein widersprüchliches Verhalten vor. Deswegen liege ein Ermessensfehler vor.
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Mit Schreiben vom 22. Januar 2021 ergänzte das Landratsamt die Begründung des Bescheids vom 7. August 2020 dahingehend, dass für die Übernahme der Beförderungskosten zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule spreche, dass der Kläger bereits seit dem Schuljahr 2018/2019 die Gesamtschule … besuche und dieses Schulkonzept seinen Interessen entgegenkomme. Dem stünde der hauptsächliche Zweck der Übernahme der Schülerbeförderungskosten gegenüber, nämlich die optimale Organisation der Schülerbeförderung und der Aufbau eines Schülertransportnetzes, das den Schulen tragfähige Einzugsbereiche sichere sowie die wirtschaftliche und sparsame Mittelverwendung. In Abwägung dieser Interessen müssten die des Klägers zurückstehen. Eine außergewöhnliche Härte sei weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Die Regierung von … wies den Widerspruch mit Bescheid vom 3. Februar 2021 zurück (Ziffer 1). Der Widerspruchsführer habe die Kosten des Verfahrens zu tragen (Ziffer 2). Für diesen Widerspruchsbescheid werde eine Gebühr von 100,00 Euro festgesetzt. Auslagen seien nicht entstanden (Ziffer 3).
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die kilometermäßige Entfernung überhaupt keine Rolle spiele. Der Beförderungsaufwand nach … sei höher. Die Berechnung des Landratsamtes sei nicht zu beanstanden, Kostenverzichte für Teilstrecken oder die kostenfreie Mitnahme der Schüler im elterlichen Pkw blieben unberücksichtigt. Die Vergleichsberechnung erfolge umfassend. Die Ausnahmevorschriften des § 2 Abs. 4 SchBefV seien tatbestandlich nicht erfüllt, insbesondere sei der Besuch des Gymnasiums in … nicht unzumutbar. Nachdem das Landratsamt die Ermessensbetätigung ergänzt habe, sei diese nicht zu beanstanden. Auch die fiktiven Schülerbeförderungskosten zur nächstgelegenen Schule seien nicht erstattbar (VG München, U.v. 8.7.2005 - M 3 K 04.6533).
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Mit am 8. März 2021 eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten ließ der Kläger Klage erheben und beantragte,
1. Der Beklagte wird verpflichtet, die vom Kläger, vertreten durch seine Eltern … und …, beantragten Fahrtkostenerstattungen für die Schülerbeförderung betreffend die Schuljahre 2018/2019, 2019/2020 und 2020/2021 in Höhe von 1.662,50 Euro zu gewähren.
Der Ablehnungsbescheid des Landratsamtes … vom 07.08.2020, AZ … und der Widerspruchsbescheid der Regierung von … vom 03.02.2021 werden aufgehoben.
2. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers im Widerspruchsverfahren wird für notwendig erklärt.
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Zur Begründung werden die Ausführungen im Widerspruch wiederholt. Selbst wenn man die Kosten für die Strecke von … bis … hinzusetzen würde, würde sich folgende Rechnung ergeben: 2,92 km x 2 Fahrten x 0,25 Euro x 170 Schultage, was 248,20 Euro ergebe, sodass addiert zu den 918,50 Euro ein Betrag von 1.166,70 Euro entstehe. Es würden lediglich zwei Fahrten anfallen und auch die zweite Fahrt nur bei schlechtem Wetter. Mehr als 170 Tage habe das Schuljahr nicht.
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Der Beklagte beantragte,
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Die bereits vorgebrachten Argumente werden im Wesentlichen wiederholt. Im Schuljahr 2019/2020 habe der Beförderungsaufwand insgesamt 1.643,90 Euro (725,40 Euro Pkw-Kosten + 918,50 Euro Buskosten) gegenüber 1.024,10 Euro betragen. Die Argumente, die fehlerhafte Ermessensausübung betreffend, würden nicht durchgreifen, da der Beklagte die Beförderungskosten von … nach … übernehme, weil dort die nächstgelegene Schule sei, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand zu erreichen sei. Im Schuljahr 2019/2020 hätten die Beförderungskosten auf dieser Strecke für den Bus nach … ebenfalls 918,50 Euro betragen, die Pkw-Kosten aber lediglich 139,50 Euro (1,5 km x 2 Fahrten x 0,25 Euro x 186), insgesamt daher 1.058,00 Euro. Die Buskosten von … nach … hätten 1.101,10 Euro betragen. Mit weiterem Schriftsatz führt das Landratsamt aus, dass die Berechnung dahingehend richtiggestellt werde, dass die Pkw-Kosten von … nach … mit 279,00 Euro anzusetzen seien (1,5 km x 4 Fahrten x 0,25 Euro x 186), insgesamt die Kosten daher 1.197,50 Euro betragen würden. Es greife aber die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV. In Fällen, in denen der Beförderungsaufwand wie hier 20% nicht übersteige, räume der Beklagte den Schüler/innen ein Wahlrecht ein. Diese Ausübung des Ermessens habe der Beklagte bisher in ständiger Übung so vorgenommen, eine Abweichung sei nicht beabsichtigt.
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Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 10. Juni 2022 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen (§ 84 Abs. 1 Satz 3, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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2. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Landratsamts vom 7. August 2020 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von … vom 3. Februar 2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für den Schulweg zum Besuch der Staatlichen Gesamtschule in … in den Schuljahren 2018/2019, 2019/2020 und 2020/2021 (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO), sowie keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neuverbescheidung.
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Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Schulwegkostenfreiheitsgesetz (SchKfrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 452), zuletzt geändert durch Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) i.V.m. § 1 Satz 1 Nr. 2 Schülerbeförderungsverordnung (SchBefV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. September 1994 (GVBl. S. 953, BayRS 2230-5-1-1-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 10. Mai 2022 (GVBl. S. 237), hat der Landkreis des gewöhnlichen Aufenthalts des Schülers die Aufgabe die notwendige Beförderung der Schüler auf dem Schulweg, u.a. zum Gymnasium, sicherzustellen. Eine Beförderung durch öffentliche oder private Verkehrsmittel ist nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchKfrG notwendig, wenn der Schulweg in eine Richtung mehr als drei Kilometer beträgt und die Zurücklegung des Schulwegs auf andere Weise nach den örtlichen Gegebenheiten und nach allgemeiner Verkehrsauffassung nicht zumutbar ist. Bei besonders beschwerlichen oder besonders gefährlichen Schulwegen kann auch bei kürzeren Wegstrecken in widerruflicher Weise die Notwendigkeit der Beförderung anerkannt werden. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der SchBefV besteht eine Beförderungspflicht grundsätzlich jedoch lediglich zum Pflicht- und Wahlpflichtunterricht der nächstgelegenen Schule. Diese nächstgelegene Schule ist nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 1 SchBefV diejenige Schule der gewählten Schulart, Ausbildungs- und Fachrichtung, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand erreichbar ist. Ist ein verbundweit gültiges Jahresticket zum Pauschalpreis eingeführt, so sind nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SchBefV zur Ermittlung des Beförderungsaufwands im allgemeinen öffentlichen Personennahverkehr die Tarife von Monatskarten für den betreffenden Personenkreis heranzuziehen. Bei dem Vergleich des Beförderungsaufwands kommt es nicht auf die Entfernung oder den Zeitaufwand an, sondern auf die unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit zu ermittelnden Fahrtkosten (BayVGH, B.v. 14.3.2017 - 7 ZB 16.343 - BeckRS 2017, 105524 Rn. 9). Da sich vorliegend beide in Betracht kommenden Schulen in mehr als 3 km Entfernung von der Wohnung des Klägers befinden, sind insoweit die vorhandenen Beförderungsmöglichkeiten zu den in Frage kommenden Schulen zu vergleichen (VG Augsburg, U.v. 16.11.2010 - Au 3 K 10.1214 - BeckRS 2012, 50410 Rn. 25). Im Rahmen dieser Überlegungen ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass der Aufgabenträger seine Beförderungspflicht gemäß Art. 1 Abs. 2 SchKfrG, § 3 Abs. 2 Satz 1 SchBefV vorrangig mit Hilfe des öffentlichen Personenverkehrs wahrnimmt (VG Würzburg, Gb.v. 9.11.2010 - W 2 K 10.888 - BeckRS 2010, 36671). Andere Verkehrsmittel (Schulbus, privates Kraftfahrzeug, Taxi oder Mietwagen) sind nur einzusetzen, soweit dies notwendig oder insgesamt wirtschaftlicher ist (§ 3 Abs. 2 Satz 2 SchBefV).
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Der Beklagte hat es danach zu Recht abgelehnt, für den Kläger die Schülerbeförderung von seinem Wohnort zur Staatlichen Gesamtschule … zu übernehmen/ zu erstatten, weil diese nicht die nächstgelegene Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 SchBefV ist.
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a. Nach diesen Maßgaben ist dies für den Wohnort des Klägers das Gymnasium in … Der Berechnung ist zu entnehmen, dass die Beförderungskosten für den Besuch des Gymnasiums in … im Schuljahr 2018/2019 1.068,10 Euro (97,10 Euro x 11 Monate) und in den Schuljahren 2019/2020 und 2020/2021 1.024,10 Euro (93,10 Euro x 11 Monate) betragen hätten (Bl. 14, 23, 32 der Behördenakte). Die Beförderungskosten für den Bus zur Staatlichen Gesamtschule … von … abfahrend haben im Schuljahr 2018/2019 895,40 Euro (81,40 Euro x 11 Monate; Bl. 14 der Behördenakte), im Schuljahr 2019/2020 918,50 Euro (83,50 Euro x 11 Monate; Bl. 23 der Behördenakte) und im Schuljahr 2020/2021 943,80 Euro (85,80 Euro x 11 Monate; Bl. 54 der Behördenakte) betragen.
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Hinzu kommen die Beförderungskosten auf der Strecke Wohnung - Bushaltestelle. Nachdem auf erster Stufe die Notwendigkeit der Beförderung festgestellt wurde, kommt es für den Beförderungsaufwand auf zweiter Stufe auf die Gesamtstrecke an. Der Schulweg umfasst grundsätzlich die Wegstrecke zwischen der Wohnung des Schülers und der Schule unter Berücksichtigung der vom Schüler selbst ohne Beförderung zurückzulegenden Strecke von bis zu 3,0 km. Dasjenige Beförderungsmittel, das den Schüler innerhalb dieses Rahmens mit den geringsten Kosten zu einer der in Frage kommenden Schulen transportiert, bestimmt die nächstgelegene Schule (VG Augsburg, U.v. 16.11.2010 - Au 3 K 10.1214 - BeckRS 2012, 50410 Rn. 25). Die Ansicht, es würde auf der Strecke … - … kein Beförderungsaufwand anfallen, weil die Wegstrecke zwischen der Wohnung des Klägers bis zur Bushaltestelle … bei kürzestem Wegeverlauf nur 2,92 km betrage und somit unter der Zumutbarkeitsgrenze von drei Kilometern liege, widerspricht dem Sinn der Regelung des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG; § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SchBefV. Diese Regelung begründet ihrem Sinn und Zweck nach eine Beförderungspflicht, weil Schülern dieser Altersstufe die Zurücklegung eines längeren Fußweges als drei Kilometer nicht zugemutet werden soll. Diesem Sinn der Vorschrift entsprechend kommt es für die Berechnung der Länge des Schulweges allein darauf an, welche Wegstrecke der Schüler von der Wohnung bis zu dem Ort, an dem regelmäßig Unterricht stattfindet, tatsächlich zurück zu legen hat. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG kann insofern nur eine Regelung über die erforderliche Länge des Schulweges entnommen werden, die eine Beförderungspflicht auslöst. Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, in welchem Umfang die Beförderungspflicht besteht, wenn diese bei Vorliegen einer Wegstrecke von über drei Kilometern grundsätzlich gegeben ist. Ist eine Beförderungspflicht gegeben, kann diese nicht dadurch eingeschränkt werden, dass die verbleibenden Reststrecken zwischen der Wohnung und der Haltestelle des Fahrtbeginns und der Haltestelle der Fahrtbeendigung und der Schule die in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG festgelegten drei Kilometer insgesamt nicht überschreiten. Dem Beförderungsbedürfnis der Schüler kann nur ausreichend Rechnung getragen werden, wenn die verbleibenden Reststrecken unter Ausnutzung der bestehenden öffentlichen Personennahverkehrsinfrastruktur so gering wie möglich gehalten werden. Auf der tatsächlichen Ebene würde als Folge nur eine teilweise Kostenfreiheit des Schulweges erreicht werden, wenn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur die Kosten übernommen werden, bis die verbleibenden Reststrecken insgesamt unter drei Kilometern betragen. Es bliebe somit der Entscheidung der Eltern überlassen, ob sie den verbleibenden Fußweg ihren Kindern zumuten oder die weiteren erforderlichen Kosten selbst bezahlen (VG München, U.v. 7.5.2007 - M 3 K 06.3329 - BeckRS 2007, 36176; vgl. VG Ansbach, U.v. 24.3.2009 - AN 2 K 07.01909 - BeckRS 2009, 47013). Das heißt andererseits nicht, dass ein gesunder Schüler einen Anspruch hat, auf Kosten des jeweiligen Aufgabenträgers von der Haustüre bis zum Schultor befördert zu werden (vgl. BayVGH, U.v. 7.4.2015 - 7 B 14.1636 - BeckRS 2015, 45072 Rn. 14).
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Für die Bestimmung der nächstgelegenen Schule ist der tatsächlich entstehende Beförderungsaufwand maßgebend. Könnten die Schüler durch einen „Verzicht“ auf die Geltendmachung von Beförderungskosten den anzustellenden Vergleich der jeweils entstehenden Beförderungskosten beeinflussen, so würden sie - um eine andere als die nächstgelegene Schule besuchen zu können - tatsächlich - nur „fiktive“ Beförderungskosten geltend machen. Die Erstattung solcher fiktiven Beförderungskosten ist jedoch ausgeschlossen. Denn es liegt „nicht im Interesse einer auf den näheren Einzugsbereich abstellenden Schulplanung, durch Übernahme von Beförderungskosten zu entfernter liegenden Schulen die Schülerzahl der nächstgelegenen Schulen zu gefährden“ (BayVGH, B.v. 4.2.2013 - 7 ZB 12.2438 - BeckRS 2013, 47569 Rn. 11 f.; VG Augsburg, U.v. 19.11.2013 - 3 K 13.1425 - BeckRS 2013, 59495 Rn. 23; VG Ansbach, U.v. 24.3.2009 - AN 2 K 07.01909 - BeckRS 2009, 47013; VG München, U.v. 17.6.2002 - M 3 K 01.5911 - BeckRS 2002, 30838). Dieses Argument greift auch im vorliegenden Fall, wonach die Eltern des Klägers ihn auf dem Arbeitsweg mitnehmen würden. Andernfalls könnte die Bestimmung der nächstgelegenen Schule durch den Arbeitsort der Eltern beeinflusst und für den beförderungsberechtigten Schüler ein Rechtsanspruch auf Beförderung zur „Wunschschule“ dadurch erreicht werden, dass dieser Schüler von seinen Eltern auf ihre Kosten zu einer von ihnen gewählten auf dem Arbeitsweg liegenden Bushaltestelle gebracht bzw. dort abgeholt wird. Bei der Ermittlung der zum Besuch der Schule in … notwendigen Beförderungskosten hat der Beklagte deshalb zu Recht neben den Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel auch die Kosten für die infolge der Benutzung des privaten Kraftfahrzeuges zu zahlenden Wegstreckenentschädigungen (§ 3 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 SchBefV) einbezogen. Dass zwischen der Wohnung und der Bushaltestelle … kein öffentliches Verkehrsmittel verkehrt, ist unter den Beteiligten - den Akten nach zu schließen - unstreitig.
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Es kann dahinstehen, ob für die Hinzurechnung der privaten Pkw-Kosten von einer Strecke von 2,9, 2,92 km oder 3,9 km auszugehen ist, da in jedem Fall der Beförderungsaufwand zur Schule nach … höher ausfällt.
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Im Schuljahr 2018/2019 ergeben sich Kosten für den Einsatz eines Pkw in Höhe von mindestens 536,50 Euro (2,9 km x 4 x 0,25 Euro x 185 Tage) und somit Gesamtkosten von mindestens 1.431,90 Euro (536,50 Euro + 895,40 Euro). Im Schuljahr 2019/2020 sind es Pkw- Kosten von mindestens 533,60 Euro (2,9 km x 4 x 0,25 Euro x 184 Tage) und somit Gesamtkosten von mindestens 1.452,10 Euro (533,60 Euro + 918,50 Euro). Im Schuljahr 2020/2021 sind es Pkw-Kosten von mindestens 553,90 Euro (2,9 km x 4 x 0,25 Euro x 191 Tage). Unabhängig von der Frage, ob die Kosten für den Bus 937,20 Euro oder 943,80 Euro betragen, entstehen in diesem Schuljahr Gesamtkosten von mindestens 1.491,10 Euro. Diese Werte liegen nach alledem jeweils über den niedrigsten Kosten für die Busverbindung … - …
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b. Die Ablehnung der Übernahme bzw. Erstattung der Beförderungskosten im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 2 Abs. 3 und Abs. 4 SchBefV ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Auf eine rechtmäßige Ermessensausübung des Beklagten in Bezug auf § 2 Abs. 3 sowie Abs. 4 Nrn. 2, 3 und 4 kommt es vorliegend nicht an, da die tatbestandlichen Voraussetzungen bereits nicht erfüllt und auch nicht dargelegt sind. Im Hinblick auf § 2 Abs. 4 Nr. 3 wird auf die obigen Berechnungen verwiesen. Daraus ergibt sich, dass alle Beträge den ersparten Beförderungsaufwand nach …, welcher höchstens 1.068,10 Euro (Jahr 2018/2019) betragen hätte, um mehr als 20% übersteigen. Es hätten insoweit höchstens 1.281,72 Euro anfallen dürfen.
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Soweit es § 2 Abs. 4 Nr. 1 SchBefV betrifft, war dem Beklagten Ermessen eröffnet. Der Beklagte hat sein Ermessen im Bescheid erkannt (Seite 3 1. Satz), sodass kein Ermessensausfall vorliegt. Weiter hat er hierzu ausgeführt, dass er sein Ermessen bisher dahingehend ausgeübt hat, dass keine Beförderung zu der streitgegenständlichen Schule erfolgt. Eine weitere Begründung ist zunächst nicht erfolgt. Ob die Ermessensausübung im Einzelfall pflichtgemäß oder fehlerhaft erfolgte, lässt sich nur anhand der nach Art. 39 Abs. 1 S. 3 BayVwVfG erforderlichen Begründung ermitteln. Die Verwaltungsbehörde kann aber ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts sogar noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen, § 114 Satz 2 VwGO (Nachschieben von Gründen). Der Beklagte hat bereits mit Schreiben vom 22. Januar 2021 - vor Erlass des Widerspruchsbescheids - die Ermessensausübung ergänzt und die widerstreitenden Interessen gegenübergestellt, wobei die dagegensprechenden Belange in der Rechtsprechung anerkannt sind (vgl. VG Würzburg, U.v. 24.3.2021 - 2 K 20.1737 - BeckRS 2021, 9363 Rn. 27 m.w.N.). Es ist insoweit jedenfalls von einer Heilung auszugehen. Die ablehnende Ermessensentscheidung widerspricht auch nicht einer Verwaltungspraxis des Beklagten, aus der eine Selbstbindung entstehen könnte. In den Bescheiden vom 28. August 2018 und 19. Dezember 2019 führte der Beklagte aus, dass für die Schüler der Gesamtschule … als Schule besonderer Art mit schulartübergreifendem integriertem Unterricht eine Regelung getroffen worden sei, wobei insbesondere eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV erfolge. Da der Aufwand für die Beförderung des Klägers jedoch 20% der ersparten Beförderungskosten übersteigt, kann der Kläger von dieser ermessenslenkenden Verwaltungspraxis nicht profitieren. Dass der Beklagte unabhängig davon aufgrund von wesentlichen Besonderheiten des Einzelfalls für den Kläger entsprechend hätte entscheiden müssen, kann die Kammer nicht erkennen, zumal Ausnahmen bei einer Verwaltungspraxis auf atypische Sachverhalte beschränkt bleiben dürfen und ein solcher nicht vorliegt. Soweit bei den Schülern … und …, die dieselbe Schule wie der Kläger besuchen, die Schülerbeförderung übernommen wird, stützt sich dies vielmehr auf § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV. In diesem Zusammenhang liegt auch keine Ermessensüberschreitung in dem Sinne vor, dass gegen höherrangiges Recht, nämlich den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 GG verstoßen wurde. Insbesondere wurde nicht wesentlich Gleiches ungleich behandelt. Es muss hier von verschiedenen Sachverhalten ausgegangen werden, denn der Kläger und die Schüler aus … haben unterschiedliche Wohnorte. Bei jedem Aufenthaltsort bestehen schon aufgrund der unterschiedlichen Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel unterschiedliche Voraussetzungen, welche berücksichtigt werden müssen (vgl. VG Würzburg, Gb.v. 9.11.2010 - W 2 K 10.888 - BeckRS 2010, 36671). Nach alledem ist es den Erziehungsberechtigten damit zuzumuten, die finanziellen Folgen der Entscheidung für diese Schule selbst zu tragen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung richtet sich nach § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.