Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 27.06.2022 – B 1 K 22.128
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage eines Fahreignungsgutachtens (Trunkenheitsfahrt mit Pedelec) - Anfechtungsklage

Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 8 S. 1, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, § 46 Abs. 1, Abs. 3
FeV Anl. 4 Nr. 8.1
Leitsätze:
Ein bloßes Zuwarten bis zum Tage des Ablaufens der Frist zur Vorlage des Gutachtens und darüber hinaus genügt nicht der Mitwirkungspflicht des zu Begutachtenden. (Rn. 32)
Lag für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund vor, wird die gerechtfertigte Annahme fehlender Fahreignung nicht schon durch die nachträglich erklärte Bereitschaft zur Gutachtensbeibringung, sondern nur durch ein positives Gutachten ausgeräumt (vgl. VGH München BeckRS 2019, 7308 Rn. 20 mwN). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nichtvorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, Zustellung Anhörungsschreiben, Fahrt mit Pedelec bei Blutalkoholkonzentration von 1, 83 Promille, Mitwirkungspflicht bei der Begutachtung, Abwarten des Fristablaufs ohne Fristverlängerungsantrag, Gutachtenanordnung, Mitwirkungspflicht, Abwarten des Fristablaufs, Bereitschaft zur Gutachtensbeibringung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25344

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Aufhebung der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L, und S durch den Beklagten Am 6. August 2021 wurde der Zweckverband … - Zulassungsstelle - (im Folgenden: Zweckverband) von der Staatsanwaltschaft … darüber informiert, dass das Amtsgericht … am 8. Juli 2021 gegen den Kläger einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr erlassen hat, in dem eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 40,00 EUR gegen den Kläger verhängt wurde. Die Entscheidung ist seit dem 27. Juli 2021 rechtskräftig. Laut Strafbefehl sei der Kläger am 1. Mai 2021 gegen 21:30 Uhr mit einem schwarzen Pedelc auf der … gefahren, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholkonsums fahruntüchtig gewesen sei. Eine bei ihm um 21:55 Uhr entnommene Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 1,83% ergeben. Die Fahruntüchtigkeit hätte der Kläger bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen. Deshalb läge eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 und 2 StGB vor.
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Daraufhin wurde der Kläger mit Schreiben des Zweckverbandes vom 23. August 2021 zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV bis zum 25. Oktober 2021 aufgefordert, um die Frage zu klären, ob dieser geeignet ist, ein Fahrzeug im Straßenverkehr zu führen. Für die Klärung dieser Fragen sei ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung erforderlich. Wegen der bestehenden Eignungsbedenken hinsichtlich des Führens von fahrerlaubnisfreien und fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen seien folgende Fragen zu klären:
3
1. Ist zu erwarten, dass Herr … das Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann?
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2. Ist zu erwarten, dass Herr … das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen und einen die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann?
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Der Zweckverband wies den Kläger darauf hin, dass im Falle der Weigerung, sich begutachten zu lassen, auf die Nichteignung geschlossen werden könne. Der Kläger wurde darüber informiert, dass er die an die Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen einsehen könne.
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Am 6. September 2021 erhielt der Zweckverband vom Kläger die Bitte zur Übersendung der Fahrerlaubnis-Akten an die TÜV T. F. GmbH & Co. KG, Begutachtungsstelle*für Fahreignung … Die Akte wurde der Gutachtensstelle am 6. September 2021 zusammen mit der Gutachtensaufforderung übersandt.
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Am 14. Oktober 2021 gab die TÜV T. GmbH & Co. KG, Begutachtungsstelle … die Aktenunterlagen zum Verwaltungsvorgang den Kläger betreffend zurück.
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Ein medizinisch-psychologisches Gutachten wurde vom Kläger beim Zweckverband nicht (fristgerecht) vorgelegt.
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Mit Schreiben des Zweckverbandes vom 26. Oktober 2021, zugestellt am 28. Oktober 2021, wurde der Kläger zu der beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung auf Grundlage des § 11 Abs. 8 FeV angehört, wobei ihm eine Frist zur Äußerung bis zum 2. November 2021 gesetzt wurde.
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Mit Bescheid vom 17. Januar 2022, zugestellt am 19. Januar 2022, entzog der Zweckverband dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S (Ziffer 1 des Bescheides). Der Kläger wurde verpflichtet, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens jedoch fünf Tage nach Zustellung des Bescheides bei der Fahrerlaubnisbehörde des Zweckverbandes abzugeben (Ziffer 2 des Bescheides). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziffer 3 des Bescheides). Für den Fall, dass der Kläger der Pflicht zur Abgabe des Führerscheins nicht fristgerecht nachkommt, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Ziffer 4 des Bescheides). Als Veranlasser habe der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Es werde eine Gebühr in Höhe von 200,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betrügen 3,45 EUR (Ziffer 5 des Bescheides).
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Weigere sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringe er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so müsse die Behörde gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen und habe die Fahrerlaubnis gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zu entziehen. Da der Kläger der Fahrerlaubnisbehörde das medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorgelegt habe, müsse diesem die Fahrerlaubnis entzogen werden. Gemäß § 3 Abs. 2 FeV fänden die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV und damit auch § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV entsprechende Anwendung, wenn Tatsachen vorlägen, die die Annahme rechtfertigten, dass der Führer eines Fahrzeuges zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet sei. Die Alkoholfahrt des Klägers stelle ein solche Tatsache dar, weil sie Zweifel an dessen Fahreignung rechtfertige. Deshalb könne bzw. müsse der Zweckverband gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anfordern. Die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins beruhe auf § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Das Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR sei einerseits erforderlich und geboten, andererseits auch angemessen und ausreichend, um den Pflichtigen mit Nachdruck zur Erfüllung der auferlegten Verpflichtung anzuhalten.
12
Der Kläger hat seinen Führerschein am 20. Januar 2022 bei der Zulassungsstelle des Zweckverbandes abgegeben.
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Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tage, ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage mit dem Antrag erheben, den Bescheid des Beklagten vom 17. Januar 2022 aufzuheben.
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Zur Begründung der Klage wurde unter dem 17. Mai 2021 schriftsätzlich vorgetragen, der Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Eine Fahrerlaubnisentziehung komme vorliegend nicht in Betracht, da sich der Kläger tatsächlich nicht geweigert habe, sich untersuchen zu lassen bzw. ein Gutachten zur Beurteilung der Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen. Der Kläger habe dem Zweckverband mitgeteilt, dass er sich bei der Begutachtungsstelle … des TÜV T.begutachten lassen möchte. Er habe sich mit diesem auch zwecks Terminvereinbarung in Verbindung gesetzt. Es sei ihm jedoch mitgeteilt worden - wohl vor dem Hintergrund der Corona-Einschränkungen -, dass man sich wegen eines Termins an ihn wenden werde. Auf diese Aussage habe sich der Kläger verlassen. Die vom Kläger ausgesuchte Stelle habe die Akten bereits am 14. Oktober 2021 zurückgesandt, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Frist zur Beibringung des Gutachtens noch nicht abgelaufen sei. Dies erschließe sich dem Kläger nicht. Am letzten Tag der Frist, am 25. Oktober 2021, habe der Kläger gegen 10:15 Uhr einen Anruf vom TÜV … erhalten. Man habe ihn über einen Termin zur Fahreignungsuntersuchung um 11:00 Uhr informiert. Der Kläger habe mitgeteilt, dass er diesen Termin aufgrund der Kurzfristigkeit nicht wahrnehmen könne, da er sich auf der Arbeit befinde und mindestens eine Stunde Zeit brauche, um zur Begutachtungsstelle zu gelangen. Ihm sei dann mitgeteilt worden, dass der Termin nicht verschoben werden könne. Der Kläger sei nicht in der Lage gewesen, diesen Termin einzuhalten. Er habe sich anschließend um einen neuen Termin bemüht. Ein solcher sei nicht zustande gekommen, da die Akten bereits an den Beklagten zurückgereicht worden seien. Nachdem er das Anhörungsschreiben erhalten habe, habe er sich sofort mit dem Beklagten in Verbindung gesetzt und den Sachverhalt erläutert. Die besonderen Umstände des Sachverhaltes seien jedoch nicht berücksichtigt worden. Ein etwaiges Anhörungsschreiben vom 26. Oktober 2021 habe der Kläger nicht erhalten. Dieses Schreiben sei dem Kläger niemals zugegangen. Sonst hätte er sich bereits mit der Behörde in Verbindung gesetzt, um darauf hinzuweisen, dass er jederzeit bereit sei, ein Fahreignungsgutachten beizubringen. Eine Begutachtung habe bisher ausschließlich aufgrund des Fehlverhaltens der ausgewählten Begutachtungsstelle nicht stattgefunden. Bezüglich des Briefkastens sei darauf hinzuweisen, dass sich der Kläger mit dem Zeugen … einen Briefkasten teile. An diesem befänden sich beide Namensschilder. Entweder sei das Schreiben von Herrn … vergessen oder weggeworden worden oder es sei tatsächlich nie in den Briefkasten geworfen worden. Der Kläger sei auch heute noch dazu bereit, sich der entsprechenden Begutachtung zu unterziehen und ein Fahreignungsgutachten beizubringen.
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Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 2. Juni 2022,
die Klage abzuweisen.
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Der Zweckverband verweise nochmals auf die Begründung des Entziehungsbescheides. Es werde außerdem darauf hingewiesen, dass der Beklagte zunächst noch von der Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen trotz unterbliebener Beibringung des angeordneten medizinisch-psychologischen Gutachtens zu Gunsten des Klägers abgesehen habe. Die nachgereichte Klagebegründung sei als Kumulation unbelegter offenkundiger Schutzbehauptungen zu bewerten, die einer objektiven Betrachtung nicht standhalten würden. Der geschilderte Sachverhalt, der Kläger sei bezüglich eines Termins vertröstet worden und habe erst am letzten Tag der Frist eine Einladung zu einem Untersuchungstermin nur 45 Minuten später erhalten, entspreche nicht dem professionellen Geschäftsgang der bewährten Begutachtungsstelle noch den im Umgang mit Kunden allgemein üblichen Gepflogenheiten und sei auch durch keinerlei Beweismittel substantiiert belegt worden. Unbeschadet dieser Einschätzung sei der Kläger für die (unterbliebene) Vorlage des Gutachtens selbst verantwortlich. Er habe sich diese Begutachtungsstelle ausgesucht. Er habe auch den Termin eigenverantwortlich abzustimmen. Unter welchen Umständen ein Termin zustande komme oder nicht, sei für den Beklagten unerheblich, da für diesen nur die fristgemäße Vorlage sowie das Ergebnis des Gutachtens zählten. Die unterbliebene Vorlage habe allein der Kläger zu vertreten. Eine vorzeitige Rücksendung der Unterlagen erfolge nach Erfahrungswerten des Beklagten nur dann, wenn bereits ein Gutachten vorliege oder die Terminvereinbarung mangels Kooperation des Fahrerlaubnisinhabers endgültig gescheitert sei. In allen anderen Fällen werde die Rücksendung erst nach Fristablauf vorgenommen. Jedenfalls habe der Beklagte von der Nichteignung des Klägers ausgehen dürfen. Die Einlassungen des Klägers zum angeblichen Nichterhalt des Anhörungsschreibens vom 26. Oktober 2021 seien widersprüchlich. Angeblich habe sich der Kläger nach Erhalt des Schreibens sofort mit dem Beklagten in Verbindung gesetzt. An einer anderen Stelle des Schriftsatzes werde dann allerdings der Erhalt des Schreibens bestritten. Das Schriftstück sei laut Postzustellungsurkunde vom 28. Oktober 2021 am selben Tage in Ermangelung einer Möglichkeit zur persönlichen Übergabe an den Kläger in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden. Der Beklagte gehe davon aus, dass der Kläger das Schreiben erhalten und auch zur Kenntnis genommen habe.
17
Mit gerichtlichem Schreiben vom 9. Juni 2022 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbs. 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
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1. Die Klage ist im wohlverstandenen Sinne des anwaltlich vertretenen Klägers so auszulegen, dass dieser die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 17. Januar 2022 mit Ausnahme der Ziffer 3 (Sofortvollzugsanordnung) begehrt. Ziffer 3 des Bescheids stellt keinen Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dar, sondern ist eine verfahrensrechtliche Nebenentscheidung zum Hauptverwaltungsakt, die rechtliche Aussagen zum Zeitpunkt der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes trifft. Rechtsschutz gegen die erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung richtet sich daher ausschließlich nach § 80 Abs. 5 VwGO und ist nicht im Rahmen eines Klageverfahrens zu gewähren (vgl. hierzu Schmidt in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 42 m.w.N).
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2. Die Klage ist nur teilweise zulässig. Soweit sie die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides erfasst, fehlt dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis. Der Führerschein wurde vom Kläger innerhalb der in Ziffer 2 des Bescheides bestimmten Frist bei der Führerscheinstelle des Zweckverbandes abgegeben. Das Zwangsgeld wurde deshalb nicht fällig gestellt. Gemäß Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) ist die Anwendung eines Zwangsmittels einzustellen, sobald der Pflichtige seiner Verpflichtung nachkommt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde das in Ziffer 4 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen dieser Vorschrift beitreiben wird. Die Zwangsgeldandrohung hat sich damit erledigt (VG Bayreuth, B.v.12.7.2018 - B1 18.564 - juris Rn. 21; VG Würzburg, U.v. 24.2.2021 - W 6 K.20.1735 - BeckRS 2021, 6971 Rn. 21). Die Klage ist insoweit unzulässig.
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3. Die Klage ist außerdem unbegründet, da der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.
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a. Der Bescheid ist insbesondere nicht mangels Anhörung des Klägers gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG formell rechtswidrig. Der Kläger wurde mit behördlichem Schreiben vom 26. Oktober 2021 ordnungsgemäß angehört. Laut Postzustellungsurkunde vom 28. Oktober 2021 wurde das Schreiben am selben Tage in Ermangelung einer Möglichkeit zur persönlichen Übergabe in den Briefkasten des Klägers eingelegt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V. m. § 180 Satz 1 und 2 ZPO gilt das Schreiben als zugestellt. Zum Nachweis der Zustellung dient die Zustellungsurkunde gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Selbst wenn ein Anhörungsmangel vorliegen würde, wäre dieser im Übrigen bereits gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 BayVwVfG infolge des Schriftwechsels im Gerichtsverfahren geheilt.
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b. Ziffer 1 des Bescheides hält einer Rechtmäßigkeitskontrolle im Klageverfahren stand.
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aa. Gem. §§ 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz und § 46 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV fehlt die Fahreignung in Fällen des Alkoholmissbrauchs, d.h. wenn das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist, so finden gem. § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Für die Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik gilt § 13 FeV. Gem. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn zu klären ist, ob der Betroffene das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum sicher trennen kann. In diesem Fall ist die Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens - wie dem Wortlaut dieser Vorschrift eindeutig zu entnehmen ist - zwingend, ohne dass ihr diesbezüglich ein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Damit stellt der Verordnungsgeber klar, dass die Klärung von Eignungszweifeln, die auf einer bekannt gewordenen Alkoholproblematik beruhen, in den Fällen des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ausschließlich durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu erfolgen hat (vgl. VGH BW, B.v. 24.9.2001 - 10 S 182/01 - NZV 2002, 149). Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Beibringung eines Gutachtens gem. § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV vor, ist die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens folglich auch nicht unverhältnismäßig.
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bb. Die Ungeeignetheit des Klägers zum Führen von Fahrzeugen ergibt sich vorliegend aus § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV. Gem. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Inhabers schließen, wenn sich dieser weigert, sich untersuchen zu lassen, oder er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Falle grundloser Nichtbeibringung des Gutachtens ist gem. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung gem. §§ 13 und 11 FeV vorlagen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20/15 - juris Rn. 19). Gem. § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV ist zudem erforderlich, dass der Betroffene nachweislich auf die Folgen der Nichteignungsvermutung des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hingewiesen wurde. Die Frist muss so bemessen sein, dass dem Betroffenen die Gutachtensbeibringung möglich und zumutbar ist (BayVGH, B.v. 17.4.2019 - 11 CS 19.24 - juris Rn. 18). Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2021 - 11 ZB 20.1138 - juris Rn. 14).
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1) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV werden durch die Fahrt am 1. Mai 2021 mit dem Pedelec bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,83 Promille erfüllt. Hat ein Fahrerlaubnisinhaber wie der Kläger ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV). Dies gilt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern - wie im Fall des Klägers - auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad (stRspr, BVerwG, B.v. 20.06.2013 - 3 B 102.12 - NJW 2013, 2696 Rn. 5; BayVGH, B.v. 5.2.2021 - 11 ZB 20.2611 - juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 17.04.2019 - 11 CS 19.24 - juris Rn. 16). Die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand stellt mit jedem Fahrzeug eine gravierende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr begründet den Verdacht eines die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauchs (vgl. BVerwG, B.v. 20.06.2013, a.a.O. Rn. 7). Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zum Schutz der Verkehrssicherheit zwingend vorgegeben, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde insoweit ein Ermessen zukäme (vgl. BayVGH, B.v. 19.08.2019 - 11 ZB 19.1256 - juris, Rn. 12).
28
2) Die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens seitens der Antragsgegnerin erfolgte auch im Übrigen rechtmäßig, insbesondere wurden die formalen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV beachtet. Obwohl § 13 FeV nicht ausdrücklich auf § 11 FeV verweist, gelten die Verfahrensvorschriften des § 11 FeV auch im Falle der Anwendung des spezielleren § 13 FeV, der selbst keine Verfahrensvorschriften enthält (vgl. Dronkovic in BeckOK, Stand 15.10.2021, § 13 FeV Rn. 5).
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a) Der Beklagte hat gem. § 11 Abs. 6 Satz 1 unter Berücksichtigung des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens festzulegen, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Der Beibringungsanordnung muss sich zweifelsfrei entnehmen lassen, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll (vgl. BVerwG, B.v. 05.02.2015 - 3 B 16.14 - juris Rn. 9). Unter Bezugnahme auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV wurde der Untersuchungsgegenstand seitens des Beklagten hinreichend konkretisiert auf die Fragen, ob der Kläger das Führen von Kraftfahrzeugen und sonstigen Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann.
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b) Dem Antragsgegner wurden weiterhin gem. § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV die Gründe für die Zweifel an seiner Eignung unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle mitgeteilt. Der Beklagte hat den Kläger im Rahmen der Gutachtensbeibringungsaufforderung vom 23. August 2021 gem. § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV auch auf die Folgen der nicht fristgerechten Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens hingewiesen. Die Frist von zwei Monaten zur Vorlage des Gutachtens war noch angemessen.
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3) Der Kläger hat dem Beklagten das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorgelegt.
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Mit dem Einwand, er trage keine Verantwortung für die Nichtvorlage des Gutachtens, kann der Kläger nicht durchdringen. In dem in Bezug genommenen Klagebegründungsschriftsatz vom 17. Mai 2022 hat der Kläger lediglich behauptet, die Begutachtungsstelle habe ihm - wohl vor dem Hintergrund der durch Corona bedingten Einschränkungen - mitgeteilt, dass sich der TÜV Thüringen, …, zwecks Terminvereinbarung beim ihm melden würde, worauf er sich verlassen habe. Erst am Tag des Ablaufens der Frist (25. Oktober 2021) habe sich die Begutachtungsstelle bei ihm gemeldet und ihm einen Termin am selben Tage um 11:00 Uhr in Aussicht gestellt, den er aufgrund der Kurzfristigkeit der Mitteilung nicht habe einhalten können. Den Kläger trifft eine Mitwirkungspflicht bei der Erstellung und fristgerechten Vorlage des geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens. Mit dem bloßen Zuwarten bis zum Tage des Ablaufens der Frist und sogar noch darüber hinaus hat der Kläger dieser Mitwirkungspflicht nicht genügt (vgl. so auch BayVGH, B.v. 17.4.2019 - 11 CS 19.24 - juris Rn. 18 in dem ein Abwarten bis etwa zwei Wochen vor Fristablauf bei gewährter Fristverlängerung als Pflichtverletzung seitens des Klägers eingestuft wurde). Der Behördenakte lässt sich nicht entnehmen, dass sich der Kläger um eine Fristverlängerung bei dem Beklagten bemüht hätte. Vielmehr hat er das Ablaufen der Vorlagefrist ohne eigene Initiative zur Terminvereinbarung bzw. zur Beantragung einer Fristverlängerung abgewartet.
33
Der Vortrag, der Kläger sei nach wie vor mitwirkungsbereit, habe aber bis heute keinen neuen Untersuchungstermin erhalten können, weil die Begutachtungsstelle die Akten an die Fahrerlaubnisbehörde zurückgesandt habe, ist für die Frage der Fahreignung unbeachtlich. Lag für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens wie hier kein ausreichender Grund vor, wird die gemäß § 11 Abs. 8 FeV gerechtfertigte Annahme fehlender Fahreignung nicht schon durch die nachträglich erklärte Bereitschaft zur Gutachtensbeibringung, sondern nur durch ein positives Gutachten ausgeräumt (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2019 - 11 CS 19.24 - juris Rn. 20). Im Übrigen ist dem Vortrag nicht zu entnehmen, dass und inwiefern der Antragsteller sich um den Erhalt eines Begutachtungstermins bemüht oder die Fahrerlaubnisbehörde um erneute Übersendung der Akten gebeten hat.
34
b. Ziffer 2 des Bescheides erweist sich ebenfalls als rechtmäßig. Nachdem dem Kläger die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen worden ist, ist die Abgabeverpflichtung als begleitende Anordnung geboten, um die Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV durchzusetzen. Die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins hat sich insbesondere nicht durch die zwischenzeitlich erfolgte Abgabe an das Landratsamt erledigt, sondern stellt eine Rechtsgrundlage für das Einbehalten des Dokuments dar (BayVGH, B.v. 6.10.2017 - 11 CS 17.953 - juris Rn. 9; B.v. 12.2.2014 - 11 CS 13.2281 - juris Rn. 22).
35
c. Die Kostenentscheidung in Ziffer 4 des Bescheides beruht auf §§ 1 ff. Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt). Die Gebühren sind nach §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt dem Antragsteller aufzuerlegen. Die Gebühren in Höhe von 200,00 EUR bewegen sich im Gebührenrahmen der Nr. 206 der Anlage 1 zur GebOSt und sind nicht zu beanstanden. Die Auslagen für die Postzustellungsurkunde in Höhe von 3,45 EUR sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt von dem Antragsteller zu tragen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO).