Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 06.04.2022 – B 1 K 22.81
Titel:

Einmaliger Konsum harter Drogen schließt im Regelfall die Fahreignung aus, Berufung auf unbewusste Betäubungsmittelaufnahme setzt die Darlegung eines detaillierten, schlüssigen und glaubhaften Sachverhalts voraus, Hinsichtlich einer einjährigen Abstinenz i.S.d. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV besteht eine, Amtsermittlung nur in dem Umfang, in dem der Sachverhalt, insbesondere das Vorbringen

Normenketten:
FeV § 3 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 S. 1 FeV Nr. 9.1 und 9.5 der Anlage 4 zur
FeV § 11 Abs. 7
Schlagworte:
Einmaliger Konsum harter Drogen schließt im Regelfall die Fahreignung aus, Berufung auf unbewusste Betäubungsmittelaufnahme setzt die Darlegung eines detaillierten, schlüssigen und glaubhaften Sachverhalts voraus, Hinsichtlich einer einjährigen Abstinenz i.S.d. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV besteht eine, Amtsermittlung nur in dem Umfang, in dem der Sachverhalt, insbesondere das Vorbringen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25341

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Aufhebung der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, C1, C1E, L, und T durch den Beklagten sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Herausgabe des bereits abgelieferten Führerscheins.
2
Dem Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) ist durch Mitteilung der Staatsanwaltschaft Hof vom 28. Oktober 2019 zur Kenntnis gelangt, dass gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen illegaler Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge laufe, im Rahmen dessen der Kläger gestanden habe, im fraglichen Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 2018 und dem 14. April 2019 in fünf Fällen Marihuana von … in Tschechien nach … gebracht zu haben. Darüber hinaus werde gegen den Kläger in einem weiteren Fall (Az. …*) ermittelt, nachdem er regelmäßig für sich und seinen Sohn aus … Cannabis bezogen habe.
3
Am 30. Oktober 2019 übersandte die Kriminalinspektion … dem Landratsamt ein Haargutachten des Klägers, durchgeführt von der Forensisch T1. C. GmbH, vom 27. Oktober 2019 zur Kenntnisnahme, aus dem sich ergibt, dass die Haare des Klägers positiv auf Tetrahydrocannabinol (THC) und Doxepin getestet wurden. Gemessen von der Kopfhaut seien zwei Abschnitte der Kopfbehaarung, Abschnitt a: 0 - 3 cm und Abschnitt b: 3 cm - Ende, gemessen worden, wobei sich bei Abschnitt a eine THC-Konzentration von 0,16 ng/mg - eine Konzentration im mittleren Bereich - und eine Doxepin-Konzentration von 0,016 ng/mg und bei Abschnitt b eine THC-Konzentration von 0,046 ng/mg - eine Konzentration im niedrigen Bereich - und eine Doxepin-Konzentration von < 0,01 ng/mg ergeben hätten. In der Regel sei bei einem positiven Befund hinsichtlich THC von einem Konsum auszugehen. In Ausnahmefällen könne THC aber auch durch den bloßen Kontakt mit Cannabis in die Haare gelangen. Die THC-Konzentration sei schlecht geeignet, den Konsum zu quantifizieren. Dieser könne allerdings durch den Nachweis des Stoffwechselproduktes THC-Carbonsäure festgestellt werden. Die Doxepin-Konzentrationen seien im sehr niedrigen bis unteren 25%-Bereich einzuordnen. Bei der Substanz Doxepin - einem Wirkstoff aus der Reihe der tricyclischen Antidepressiva - handele es sich um ein Medikament zur Behandlung von depressiven Erkrankungen. Die Haaruntersuchung stützte sich auf einen Zeitraum von 7 bis 8 Monaten vor der Haarprobennahme. Der positive Nachweis einer Substanz beweise deren Aufnahme bzw. den Kontakt mit ihr.
4
Mit Schreiben vom 21. September 2020, zugestellt am 22. September 2020, forderte das Landratsamt den Kläger auf, bis zum 3. Dezember 2020 ein medizinisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Als Grund für die Aufforderung zur Gutachtensbeibringung nennt das Landratsamt den Besitz von Betäubungsmitteln (Marihuana und Crystal) in der eigenen Wohnung. Zur Konkretisierung des Untersuchungsgegenstands wurde folgende Fragestellung formuliert:
„Nimmt bzw. nahm der Betroffene Betäubungsmittel im Sinne des BtG oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe im Sinne des StVG ein, die die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stellen?“
5
Der Kläger wurde über die Möglichkeit aufgeklärt, die an den Gutachter zu übersendenden Unterlagen vorher bei der Fahrerlaubnisbehörde einzusehen. Außerdem wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Fahrerlaubnisbehörde im Falle der Weigerung zur Vorlage des Gutachtens bzw. bei nicht fristgerechter Vorlage des Gutachtens auf die Nichteignung des Klägers hinsichtlich des Führens von Kraftfahrzeugen schließen darf.
6
Nachdem der Kläger das geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hat, wurde er vom Landratsamt mit Schreiben vom 8. Dezember 2020, zugestellt am 9. Dezember 2020, im Rahmen des Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens angehört, wobei ihm eine Frist zur Äußerung bis spätestens 28. Dezember 2020 gesetzt wurde.
7
Der Kläger legte daraufhin ein ärztliches Gutachten der TÜV Begutachtungsstelle für Fahreignung Service Center … vor, woraus sich ergibt, dass der Kläger am 30. Oktober 2020 untersucht wurde. Das Gutachten enthält folgenden toxikologischen Befund: Die Analyse der Urinprobe des Klägers habe bei normal konzentriertem Urin keinen Nachweis einer der untersuchten Substanzen (Drogen und Benzodiazepine) ergeben. Zur zusätzlichen, rückblickenden Überprüfung der Abstinenzangaben sei aber eine Haaranalyse durchgeführt worden, die positiv auf Amphetamine und Cannabinoide ausgefallen sei. Demzufolge sei von relevantem Drogenkonsum innerhalb der letzten 6 Monate auszugehen. Der Kläger habe zur Analyse einer Haarprobe am 27. Oktober 2019 bzw. zu dem damaligen Nachweis von Drogen und Medikamenten nur widersprüchliche und nicht erhellende Angaben gemacht. Ähnliches treffe auch auf die Umstände des aktenkundigen Besitzes von Betäubungsmitteln zu. Deshalb müsse aus ärztlicher Sicht von einer sehr ungünstigen Prognose zukünftigen Umgangs mit illegalen Drogen ausgegangen werden.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 2. Dezember 2020 ließ der Kläger ausführen, dass er einen einmaligen THC-Konsum im Jahre 2019 einräume, der Konsum von Amphetaminen oder Dioxepin allerdings in Gänze negiert werde. Eine mögliche Erklärung für den Nachweis dieser Substanzen in seinen Haaren sei eine Kontamination von außen, da sein Sohn … B. sei. Neuere medizinische Erkenntnisse zeigten, dass es möglich sei, dass eine Haaranalyse positive Ergebnisse in Bezug auf den Konsum von Betäubungsmitteln aufweise, ohne dass überhaupt ein Konsum vorgelegen habe. Da das vorgelegte Gutachten die Eignungszweifel nicht ausräumen könne, er den Konsum aber von sich weise, könne er anbieten, regelmäßige Urinuntersuchungen zum Nachweis seiner Abstinenz durchführen zu lassen.
9
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2021 wies der Klägerbevollmächtigte das Landratsamt darauf hin, dass der Kläger wegen eines erlittenen Schlaganfalles unter Betreuung gestellt worden sei. Betreuer sei Herr … M. Schreiben vom 24. November 2021 wurde der Kläger nochmals im Rahmen des Entziehungsverfahrens angehört. Ihm wurde eine Frist zur Stellungnahme bzw. Verzicht auf die Fahrerlaubnis bis zum 8. Dezember 2021 eingeräumt.
10
Der Klägerbevollmächtigte teilte dem Landratsamt mit Schreiben vom 29. November 2021 mit, dass für den Kläger ein Verzicht auf die Fahrerlaubnis nicht in Betracht komme. Er habe zu keinem Zeitpunkt Amphetamine konsumiert.
11
Mit Bescheid des Landratsamtes vom 20. Dezember 2021 wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, C1, C1E, L und T entzogen (Ziff. 1). Er wurde aufgefordert, den Führerschein mit der Nr. … unverzüglich, spätestens jedoch eine Woche nach Zustellung dieses Bescheides, beim Landratsamt abzugeben (Ziff. 2). Für den Fall der Nichtbeachtung der in Ziff. 2 festgesetzten Verpflichtung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Ziff. 3). Der Bescheid wurde hinsichtlich der Ziff. 1 und 2 für sofort vollziehbar erklärt (Ziff. 4). Es wurde angeordnet, dass der Kläger die Kosten des Verfahrens, insbesondere die Gebühr für den Bescheid in Höhe von 150,00 EUR, zu tragen hat (Ziff. 5).
12
Das Landratsamt stützt die Entziehung auf § 3 Abs. 1 StVG i.V. m. § 46 Abs. 1 FeV und Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV. Demnach habe die Verwaltungsbehörde dem Fahrerlaubnisinhaber die Erlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise. Dies gelte insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorlägen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen worden sei und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen sei. Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes konsumiere oder von ihnen abhängig sei, sei nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden. Der Nachweis des einmaligen Konsums eines im Betäubungsmittelgesetz genannten Rauschmittels (ausgenommen Cannabis) reiche zum Ausschluss der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Bei dem Kläger habe man einen Konsum von Betäubungsmitteln feststellen können. Die Behauptung, keine Amphetamine konsumiert zu haben, werde als Schutzbehauptung zurückgewiesen**Nachdem die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Behörde feststünde, scheide die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aus. Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ergebe sich aus § 47 Abs. 1 FeV. Die Frist von einer Woche zur Abgabe sei angemessen.
13
Mit Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 25. Januar 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 27. Januar 2022, ließ der Kläger Klage gegen den Bescheid des Landratsamts vom 20. Dezember 2021 erheben.
14
Der Kläger beantragt,
die Entziehung der Fahrerlaubnisklassen A79, A179, AM, B, BE, C1, C1E, L, T durch Bescheid der Fahrerlaubnisbehörde des LRA … vom 20.12.2021, zugestellt am 28.12.2021, aufzuheben und die Fahrerlaubnisbehörde zu verpflichten, den bereits abgelieferten Führerschein zu Händen des gesetzlichen Betreuers des Klägers herauszugeben.
15
Zur Begründung der Klage wird ausgeführt, die Kraftfahreignung des Klägers sei nicht wegen Konsums von Betäubungsmitteln ausgeschlossen, da der Kläger noch nie Amphetamine oder Cannabis konsumiert habe. Zwar sei der TÜV-Sachverständige in seinem Fahreignungsgutachten vom 26. November 2020 zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger die o.g. psychotropen Substanzen konsumiert habe, der Kläger habe aber bereits bei der Untersuchung angegeben, noch nie bewusst illegale Drogen konsumiert zu haben. Das Gutachten verhalte sich nicht zu der Frage, ob es bei dem Probanden konsumunabhängig zu einer Einlagerung der genannten Substanzen gekommen sein könne und ob die im Labor festgestellten Substanzmengen die Möglichkeiten einer konsumunabhängigen Einlagerung im Haar wenigstens als möglich erscheinen ließen. Es sei wissenschaftlich anerkannt, dass es zu einer Substanzeinlagerung in die Haarmatrix auch über sogenannte äußere Quellen (Rauch, Staub oder kontaminierte Hände bzw. über Körperschweiß) kommen könne. Zum Zeitpunkt der Entnahme der Haarprobe und auch während des vom Sachverständigen in den Blick genommenen sechs monatigen Zeitraums habe der Kläger mit seinem Sohn …, ein Betäubungsmittelkonsument, zusammengewohnt. Dabei sei der Kläger unwillentlich mit Betäubungsmitteln in Kontakt gekommen, ohne jemals selbst konsumiert zu haben. Nur der willentliche Konsum von Drogen lasse die Fahreignung entfallen. Ein solcher sei jedoch nicht nachgewiesen. Das negative Gutachten der T2. GmbH läge dem Landratsamt seit Anfang Dezember 2020 vor. Seit Vorlage des Gutachtens bis zur Entziehung liege ein Zeitraum von mehr als einem Jahr, in dem der Kläger mutmaßlich beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen habe, was gegen das Fehlen der Kraftfahreignung spreche. Noch weniger leuchte die Sofortvollzugsanordnung wegen erheblicher Gefährdung von Leib und Leben sowie Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer ein Jahr nach Kenntniserlangung vom Fahreignungsgutachten ein.
16
Das Landratsamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
17
Die vom Kläger hier geltend gemachte unbemerkte Kontaminierung über äußere Quellen dürfte nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2019 - 11 ZB 18.2577; B.v. 19.1.2016 - 11 CS 15.2403). Die Angaben zur unbewussten Betäubungsmittelaufnahme seien unglaubwürdig. Es müsse von einer Schutzbehauptung des Klägers ausgegangen werden. Nach Feststellungen des Gutachters müsse von einem relevanten Drogenkonsum innerhalb der letzten sechs Monate ausgegangen werden. Dem Kläger sei aufgrund der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen die Fahrerlaubnis zu entziehen. Selbst wenn der Kläger in der Zwischenzeit Kraftfahrzeuge geführt hätte, so räume dies nicht die Tatsache der fehlenden Fahreignung aus. Die Sofortvollzugsanordnung werde vom Kläger nicht angegriffen.
18
Mit gerichtlichem Schreiben vom 10. März 2022 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
21
1. Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet und hat deshalb in der Sache keinen Erfolg.
22
Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Nach der Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ist die Fahreignung bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) nicht mehr gegeben. Amphetamin ist in der Anlage III, Teil A zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes als Betäubungsmittel aufgeführt. Die Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV regelt, dass die Fahreignung bei Betäubungsmittelkonsum erst wieder bei einjähriger Abstinenz hergestellt wird.
23
Nach ständiger Rechtsprechung schließt bereits der einmalige Konsum sogenannter harter Drogen - wie Amphetamine - im Regelfall die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus, so dass in diesen Fällen die Fahrerlaubnis auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV in Verbindung mit Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zu entziehen ist (BayVGH, B.v. 17.2.2020 - 11 CS 19.2421 - juris Rn. 12). Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2021 - 11 CS 21.390 - juris Rn. 15; B.v. 13.3.2020 - 11 ZB 20.1 - juris Rn. 11; B.v. 4.6.2019 - 11 CS 19.669 - juris Rn. 11; B.v. 5.2.2018 - 11 ZB 17.2069 - juris Rn. 10 jeweils m.w.N.). Die hierin zum Ausdruck kommende Strenge ist in der Aufnahme des jeweiligen Betäubungsmittels in den Katalog des Betäubungsmittelgesetzes begründet, die die besondere Gefährlichkeit im Falle des Konsums berücksichtigt. Dieser umfassende Eignungsausschluss beruht insbesondere auf der Gefährlichkeit dieser Substanzen und der fehlenden subjektiven Wirkungskontrolle.
24
Die Ungeeignetheit des Antragstellers im Sinne der Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ergibt sich vorliegend aus dem ärztlichen Gutachten vom 26. November 2020, in dem ein relevanter Drogenkonsum des Klägers innerhalb der letzten sechs Monate festgestellt wurde, nachdem eine Haarprobe des Klägers unter anderem positiv auf Amphetamine getestet wurde. Die für die Erstellung des entsprechenden Gutachtens gemäß § 11 Abs. 5 FeV zu berücksichtigenden Grundsätze in der Anlage 4a zur FeV wurden vorliegend beachtet. Das Gutachten ist insbesondere schlüssig und nachvollziehbar. Das Haar des Klägers wurde laut ärztlichem Gutachten mit Hilfe der beweissicheren Methoden der Flüssigchromatographie und Tandem-Massenspektrometrie gezielt nach Substanzen entsprechend der Beurteilungskriterien CTU-3 untersucht. Die Analyse erfolgte in einem für forensische Zwecke akkreditierten Labor. Dem Gutachten zufolge wurden aufgrund eines durchschnittlichen Haarwachstums von 1 cm pro Monat anhand einer Haarsträhne von 6 cm (ab der Kopfhaut gemessen) die letzten 6 Monate untersucht. Aufgrund des Amphetamin-Nachweises im Haar konnte auf einen Drogenkonsum des Klägers in den letzten sechs Monaten geschlossen werden. Dass sich das medizinische Gutachten nicht zu der Frage verhält, ob eine Kontamination der Haare des Antragstellers durch den Kontakt zu seinem Sohn in Betracht zu ziehen ist, macht das Gutachten insbesondere nicht unvollständig, da die Frage, die an den Begutachter gestellt wurde, nur darauf gerichtet war, ob der Antragsteller - ob wissentlich oder unwissentlich - überhaupt Drogen konsumiert hat. Der Drogenkonsum konnte anhand der Untersuchung der Haarsträhne nachgewiesen werden.
25
Sofern der Kläger geltend macht, noch nie bewusst illegale Drogen konsumiert zu haben und darauf verweist, seine Haare seien möglicherweise aufgrund des Zusammenlebens mit seinem betäubungsmittelkonsumierenden Sohn von außen kontaminiert worden, so dringt er mit diesem Einwand nicht durch. Zwar setzt die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2018 - 11 ZB 18.344 - juris Rn. 19).*Die unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt nach allgemeiner Lebenserfahrung aber eine seltene Ausnahme dar (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 - 11 CS 19.9 - juris Rn. 13 m.w.N). Angesichts des hohen Ranges der mit dem Bescheid geschützten Rechtsgüter müssen an die Überzeugungsgewissheit hinsichtlich von Einlassungen zu atypischen Umständen grundsätzlich hohe Ansprüche gestellt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn letztlich nur eigene Erklärungen des Betroffenen vorliegen, da bei diesen die Möglichkeit einer erheblichen Zielgerichtetheit in Rechnung zu stellen ist (VG Ansbach, B.v. 23.3.2011 - AN 10 S 11.00473 - BeckRS 2011, 31021). Wer sich auf eine ausnahmsweise unbewusste Aufnahme eines Betäubungsmittels beruft, muss daher einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt darlegen, der einen solchen Geschehensablauf als nachvollziehbar und ernsthaft möglich erscheinen lässt und der damit auch zumindest teilweise der Nachprüfung zugänglich ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 - 11 CS 19.9 - juris Rn. 13; B.v. 13.2.2019 - 11 ZB 18.2577 - juris Rn. 18 m.w.N.). Der Antragsteller hat eine unbewusste Aufnahme von Amphetaminen weder schlüssig und nachvollziehbar beschrieben noch konkrete Umstände genannt und glaubhaft gemacht, die auf eine solche schließen lassen. Der bloße Hinweis darauf, dass er in dem vom ärztlichen Gutachten in den Blick genommenen sechs monatigen Zeitraum mit seinem Sohn, der Betäubungsmittel konsumiert, in einer gemeinsamen Wohnung lebte und dabei unwillentlich mit Betäubungsmitteln in Kontakt gekommen ist, wird den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag hinsichtlich einer unbewussten Aufnahme von Betäubungsmitteln nicht gerecht und kann deshalb keine Berücksichtigung finden. Die bloße Behauptung, es könne möglicherweise zu einer exogenen Antragung gekommen sein, reicht nicht aus (BayVGH, B.v. 16.4.2018 - 11 ZB 18.344 - juris Rn. 19).
26
An der feststehenden Ungeeignetheit des Klägers gemäß § 11 Abs. 7 FeV ändert sich auch nichts dadurch, dass zwischen der Vorlage des verkehrsmedizinischen Gutachtens und der Entziehung der Fahrerlaubnis ein Zeitraum von über einem Jahr liegt. Eine einjährige Abstinenz im Sinne der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV im Zeitraum zwischen der Erstellung bzw. Vorlage des Gutachtens und der Entziehung der Fahrerlaubnis wurde vom Kläger weder vorgetragen noch substantiiert dargelegt. Trotz der behördlichen Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (vgl. § 2 Abs. 7 Satz 1 StVG), muss die Behörde in den Fällen, in denen ein Fahrerlaubnisinhaber wegen eines Betäubungsmittelkonsums in Erscheinung getreten ist, nicht von Amts wegen Ermittlungen darüber anstellen, ob es zu einem Verhaltenswandel gekommen ist, der ggf. die Wiedergewinnung der Fahreignung nach sich zieht. Zwar ist die Verwaltung nach Art. 24 Abs. 2 BayVwVfG gehalten, alle für den Einzelfall bedeutsamen - einschließlich der für die Beteiligten günstigen - Umstände zu berücksichtigen. Die Amtsermittlungspflicht besteht jedoch stets nur in dem Umfang, in dem der Sachverhalt, insbesondere das Vorbringen der Beteiligten, hierzu Anlass gibt (BayVGH, B.v. 9.5.2005 - 11 CS 04.2526 - juris Rn. 27). Dafür genügt selbst die bloße Behauptung der Drogenabstinenz regelmäßig nicht, sondern es müssen Umstände hinzutreten, die diese Behauptung glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen lassen (BayVGH, B.v. 17.12.2021 - 11 CS 21.2179 - juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 9.5.2005 - 11 CS 04.2526 - BayVBl 2006, 18 = juris Rn. 25 ff.; B.v. 17.6.2010 - 11 CS 10.991 - juris Rn. 21 f.; B.v. 24.6.2015 - 11 CS 15.802 - juris Rn. 19). Der Frage, ob die Fahreignung wiedererlangt wurde, muss deshalb nur nachgegangen werden, wenn der Betroffene entweder einen einschlägigen Verhaltenswandel behauptet oder - was selten der Fall sein wird - unabhängig hiervon hinreichend gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen. Andernfalls darf die Behörde sogar nach dem Ablauf der „verfahrensrechtlichen“ Einjahresfrist weiterhin davon ausgehen, dass sich an der mangelnden Fahreignung des Betroffenen nichts geändert hat. Lediglich nach dem Verstreichen einer noch größeren Zeitspanne wandelt sich auch bei fehlender Behauptung einer Verhaltensänderung ein zunächst im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV feststehender Sachverhalt in eine Fallgestaltung, bei der ein Entzug der Fahrerlaubnis die Einholung eines Gutachtens voraussetzt (BayVGH, B.v. 9.5.2005 - 11 CS 04.2526 - juris Rn. 27).
27
Sofern der Kläger einwendet, seit Vorlage des Gutachtens bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen zu haben, was gegen das Fehlen der Kraftfahreignung spreche, so greift dieser Einwand nicht durch. Der Kläger konnte bereits aufgrund der Einnahme von Betäubungsmitteln, die durch das medizinische Gutachten vom 26. November 2020 bestätigt wurde, vom Landratsamt als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werden. Eine zwischenzeitliche, möglicherweise beanstandungsfreie Teilnahme am Straßenverkehr ist unbeachtlich. Zum einen kann das Ausbleiben weiterer spezifischer Auffälligkeiten ebenso gut auf einer lediglich zeitweiligen situationsbedingten Anpassung oder auf bloßem Zufall beruhen. Zum anderen bringt es schon die relativ geringe Kontrolldichte im Straßenverkehr mit sich, dass häufig trotz fortbestehender Drogenproblematik über einen langen Zeitraum keine Zuwiderhandlungen aktenkundig werden (vgl. OVG NRW, B.v. 7.4.2014 - 16 B 89/14 - juris Rn. 13).
28
Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme.
29
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
30
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO).