Inhalt

LG Augsburg, Beschluss v. 12.03.2022 – 2 NöStVK 1009/21
Titel:

Anhalten eines Briefes durch die JVA – Zum Abfassen eines Schreibens in fremder Sprache "ohne zwingenden Grund"

Normenkette:
BayStVollzG Art. 34 Abs. 1 Nr. 6
Leitsatz:
Soweit der Anstaltsleiter gem. Art. 34 Abs. 1 Nr. 6 BayStVollzG Schreiben anhalten darf, sofern diese ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefasst sind, dürfen die Bestimmungen des BayStVollzG, wonach Gefangene, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, an einem von der Anstalt angebotenen Deutschunterricht teilzunehmen haben, um sich nach ihrer Entlassung im Alltag fließend in deutscher Sprache verständigen zu können, nicht in die Beurteilung des "zwingenden Grundes" einbezogen werden. Die Nichtbeförderung eines fremdsprachigen Schriftwechsels darf keine Disziplinierung dafür darstellen, dass ein Gefangener in der von der Vollzugsbehörde veranschlagten Zeit nicht hinreichende Deutschkenntnisse erwirbt oder solche schlicht und ergreifend nicht erwerben kann. (Rn. 36 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhalten von Schreiben, Strafvollzug, fremdsprachiger Schriftwechsel, Deutschunterricht, Integrationskurs
Fundstellen:
BeckRS 2022, 25312
StV 2022, 678
LSK 2022, 25312

Tenor

1. Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10.11.2021 wird die den Brief des ASt an … betreffende Anhalteverfügung der JVA … vom 27.10.2021 aufgehoben und die JVA verpflichtet, über die Weiterleitung dieses Briefes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des ASt trägt die Staatskasse.
3. Der Streitwert wird auf 500 € festgesetzt.

Gründe

I
1
Der Antragsteller ist Strafgefangener in der JVA ….
2
Am 27.10.2021 hielt diese ein Schreiben des ASt an einen … welches in kroatischer Sprache verfasst war an. … ist nach dem Vortrag des ASt der deutschen Sprache mächtig; der ASt selbst hält sich hingegen der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, um sich darin in einem dem „Sprachniveau eines Kleinkindes“ übersteigenden Sprachausdruck verständlich machen zu können.
3
Zur Begründung wird vorgebracht:
4
Der derzeit in der JVA … eine Freiheitsstrafe verbüßende Antragsteller verfasste einen Brief in kroatischer Sprache, der an seinen in Deutschland lebenden Freund … gerichtet war. Dieser Brief wurde von der Antragsgegnerin angehalten, wie der Antragsteller am 27.10.2021 erfahren hat. Eine schriftliche Verfügung und Begrundung wurde ihm dazu nicht ausgehändigt.
5
Zwar ist Herr … in der sowohl in deutscher als auch in kroatischer Sprache zu kommunizieren. Der Antragsteller verfasste seinen Brief aber deswegen in kroatischer Sprache, weil er selbst nicht dazu in der Lage ist, sich in deutscher Sprache schriftlich so auszudrücken, dass er damit sinnvoll Inhalte übermitteln könnte. Er ist daher für die Fortführung seiner sozialen Beziehungen darauf angewiesen, Briefe in kroatischer Sprache verfassen zu können.
6
Dies hat die Unterzeichnerin der Antragsgegnerin auch bereits mittels diverser Schreiben in den vorangegangenen Monaten zu erlautern versucht. Die Antragsgegnerin vertritt hingegen, wie zuletzt in anliegendem Schreiben vom 05.08.2021 deutlich wird, die Auffassung, der Antragsteller müsse eben weiter Deutsch lernen, damit er per Brief kommunizieren könne.
7
Diese Rechtsauffassung ist jedoch unzutreffend. Gemäß Art. 34 Abs. 1 Nr. 6 BayStVollzG dürfen in fremder Sprache abgefasste Schreiben nur angehalten werden, wenn sie ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache verfasst sind. Im Falle des Antragstellers liegt jedoch ein zwingender Grund fur das Verfassen in kroatischer Sprache vor, der auch von der Antragsgegnerin nicht bestritten wird: Der Antragsteller ist nämlich nicht dazu in der Lage, in deutscher Sprache schriftlich zu kommunizieren, sondern müsste seinen Schriftwechsel vollständig einstellen, wie er es bislang auch getan hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er bereits einen Sprach- und Intergrationskurs belegt hat, da in diesem nicht die notwendigen Kenntnisse vermittelt wurden, um sich umfassend und bezüglich des eigenen Erlebens und Empfindens detailliert und passgenau ausdrücken zu können. Der Antragsteller darf aber nicht darauf verwiesen werden, nur noch höchst banale Inhalte in seinen Schreiben auszudrücken, weil er es anders in deutscher Sprache nicht kann. Ein derartiger Eingriff in die sozialen Beziehungen und damit auch den Resozialisierungsgrundsatz kann auch nicht mit der entfernten Möglichkeit gerechtfertigt werden, der Antragsteller könne (irgendwann) för diesen Zweck hinreichende Deutschkenntnisse erlangen. Da er sie gegenwärtig nicht hat, muss ihm gegenwärtig erlaubt werden, in kroatischer Sprache zu kommunizieren.
8
Die JVA … hat mit Schreiben vom 02.02.2022 die Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung beantragt. Aus ihm geht u.a. Folgendes hervor:
9
Gemäß Art. 34 Abs. 1 Nr. 6 BayStVollzG können Schreiben angehalten werden, wenn sie ohne zwingenden Grund in fremder Sprache abgefasst sind. Das BayStVollzG sieht als Regelfall für einen nicht zwingenden Grund die Konstellation vor, dass Schriftwechsel zwischen einem deutschen Gefangenen und Dritten, die die deutsche Staatsangehörigkeit oder ihren Lebensmittelpunkt im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben, stattfindet.
10
Mit Erlass des Bayerischen Integrationsgesetzes und der mit der Änderung das BayStVollzG einhergehenden Forderung des Art. 17 a Abs. 11 BaylntG an Gefangene, sich nach ihrer Entlassung im Alltag fließend in deutscher Sprache verständigen zu können, ist auch diese gesetzgeberische Wertung zu beachten. Diese ist zudem unabhängig davon, ob der Inhaftierte nach der Haft in der Bundesrepublik verbleibt oder ausgewiesen wird. Daher wurde in Art. 40 Abs. 3 S. 1 BayStVollzG die Verpflichtung jedes Strafgefangenen mit Integrationsdefiziten aufgenommen, an einem Integrationsunterricht, der auch Deutschunterricht umfasst, teilzunehmen (vgl. Art. 40 Abs. 2 BayStVollzG).
11
Die gesetzgeberische Wertung des Integrationsgesetzes wurde in der Justizvollzugsanstalt … so umgesetzt, dass deutsche oder ausländische Inhaftierte, die mit ausländischen Personen in der Bundesrepublik Deutschland in fremder Sprache den Briefverkehr durchführen wollen, dies gesondert mit Angabe von Gründen beantragen müssen. Die Darlegungs- und Beweislast trifft dabei den Antragsteller, da nur dieser die entsprechenden Anhaltspunkte für eine Prüfung im Einzelfall benennen kann. (vgl. Arloth/Krä, StVollzG, § 31; Beschluss LG Bayreuth vom 03.03.2010, StVK 736/09 (1. UH) S. 6 f.).
12
Sollte der Strafgefangene zuvor nicht an einem Deutschkurs teilgenommen haben, so wird ihm regelmäßig eine Übergangsfrist von ca. 6 Monaten zum Erlernen der deutschen Sprache eingeräumt. Diese Vorgehensweise wird auch in anderen Justizvollzugsanstalten in Bayern angewendet, insoweit verweise ich auf den Beschluss des Landgerichts Amberg, Az.: 2 StVK 139/18 vom 22.05.2018 (Ablehnung von Schriftverkehr in türkischer Sprache).
13
Die Gefangenen werden auch mittels bebildertem Aushang über die Regelung hinsichtlich des Schriftverkehrs informiert.
14
Mit Schreiben des Strafgefangenen vom 30.11.2020 beantragt dieser erstmals den Schriftverkehr in fremder Sprache. Daraufhin wurde ihm ein Fragebogen ausgehändigt, um zu überprüfen, ob ein fremdsprachiger Briefverkehr gewährt werden kann. Der ausgefüllte Fragebogen liegt der Justizvollzugsanstalt … bis heute nicht vor.
15
Zum Zeitpunkt der Abgabe des Briefes an Herrn … (27.10.2021) lag der Justizvollzugsanstalt somit noch nicht einmal ein Antrag auf Genehmigung fremdsprachigen Briefverkehrs vor, weshalb der Brief dem Gefangenen zurückgegeben wurde.
16
Ergänzend darf berichtet werden, dass der Gefangene bereits 2019 an einem Deutsch-Kurs teilnahm, diesen aber auf eigenen Wunsch abbrach. Mit seinen Angehörigen in Kroatien steht er in regelmäßigem Kontakt.
17
Im übrigen wird auf dieses Schreiben Bezug genommen.
18
Der ASt hat hierauf mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 08.03.2022 erwidert:
19
Sowohl aus diesem Formzettel, dem Vorgehen im konkreten Einzelfall als auch aus dem Vortrag der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren ergibt sich, dass diese fremdsprachigen Schriftverkehr ohne ausdrücklichen - und unter Verwendung eines deutschsprachigen Fragebogens - begründeten Antrag untersagt und mittels Anhalten entsprechender Schreiben unterbindet. Diese Vorgehensweise stellt einen erheblichen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK sowie das aus der Verfassung abgeleitete (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) Resozialisierungsprinzip, das unabhängig von der Staatsangehörigkeit gilt (BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012 - 2 BvR 2025/12) sowie Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK dar. Es handelt sich dabei um einen Eingriff mit Dauerwirkung, der sich aber in dem am 27.10.2021 angehaltenen Brief konkretisiert hat. Um eine Verpflichtungssituation handelt es sich dagegen nicht, da sich nirgendwo aus dem Gesetz ableiten lässt, dass man für das Absenden von Briefen - in welcher Sprache auch immer - eine Genehmigung der Anstalt einholen muss. Es ergibt sich jedoch sehr wohl aus dem (Grund-)Gesetz, dass die Anstalt für Grundrechtseingriffe eine gesetzliche Grundlage braucht (BVerfGE 33, 1), woraus sich wiederum ergibt, dass es sich bei Eingriffen in die Rechtsposition, auch und erst recht, wenn sie dauerhaft erfolgen, um eine Anfechtungssituation handelt.
20
Muss man mit dem OLG München (Beschl. v. 16.06.2015, - 5 Ws 31/15 (R) - juris) davon ausgehen, dass in der generellen Versagung von anderssprachigem Schriftverkehr gegenüber einem Gefangenen keine Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 StVollzG zu sehen ist, so ist eine Anfechtungssituation auch nach dieser Rechtsprechung jedenfalls dann gegeben, wenn die allgemeine Regelung im Einzelfall über die Anhaltung eines bestimmten Schreibens konkretisiert wurde.
21
Die Antragsgegnerin geht fehl in der Annahme, dass das Gesetz den Gebrauch der deutschen Sprache vorschreibe und Ausnahmen von dieser Regel der Genehmigung bedürften. Vielmehr ist die weitere Ausübung von Grund- und Menschenrechten im Strafvollzug der Regelfall und Eingriffe bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und Begründung. Nichts anderes gilt für die Erlaubnis zum Anhalten von Schreiben. Sie ist als Ausnahme von der in mehrfacher Hinsicht geschützten Freiheit des Briefwechsels möglich, und zwar dann, wenn Briefe in einer Weise verfasst sind, die sich der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit der Überwachung entzieht. Deshalb ist in der Regelung des Art, 34 Abs. 1 Nr. 6 BayStVollzG von „Geheimschrift“ die Rede: der Verwendung einer Schrift, die den Brief der Überwachung entzieht oder diese - gezielt - erschwert. Dass das Abfassen eines Briefes „in fremder Sprache“ im Gesetz einer Geheimschrift gleichgestellt wird, ist verfassungsrechtlich überhaupt nur mit der Gegenausnahme vertretbar, dass in einer anderen als der deutschen Sprache abgefasste Briefe selbstverständlich dann dieser Regelung nicht unterfallen, wenn es für die Verwendung dieser Sprache einen zwingenden Grund gibt. Einen solchen zwingenden Grund stellt es - natürlich - dar, wenn entweder der Gefangene selbst oder sein Briefpartner mangels dafür hinreichender Deutschkenntnisse nicht in der Lage ist, den Briefwechsel in deutscher Sprache zu führen. Dies ergibt sich auch im Umkehrschluss aus der von der Antragsgegnerin herangezogenen Ergänzung des bayerischen Gesetzestextes, wonach „ein zwingender Grund zur Abfassung eines Schreibens in einer fremden Sprache […] in der Regel nicht vor[liegt] bei einem Schriftwechsel zwischen deutschen Gefangenen und Dritten, die die deutsche Staatsangehörigkeit oder ihren Lebensmittelpunkt im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben.“ Denn ein solcher Fall, bei dem eine gesetzliche Vermutung dafürspricht, dass es nicht zwingend ist eine andere als die deutsche Sprache zu verwenden, liegt bei dem Antragsteller gerade nicht vor. Weder ist er seiner Staatsangehörigkeit nach „deutsch“ noch seiner sprachlichen Sozialisation nach, Dies ist der Antragsgegnerin auch bekannt.
22
Schon deswegen bedurfte es auch nicht des Ausfüllens eines „Fragebogens“ als Voraussetzung für eine Genehmigung, der es ebenfalls nicht bedarf. Zudem erhielt der Fragebogen Fragen zu den Sprachkenntnissen der potenziellen Briefpartner, um die es vorliegend überhaupt nicht geht, da der angestrebte Briefempfänger über hinreichende Deutschkenntnisse verfügt, aber eben der Antragsteller selbst nicht. Dass es auf das Ausfüllen eines deutschsprachigen Fragebogens für die Anerkenntnis der Tatsache, dass man keine für die schriftliche Verständigung hinreichenden Deutschkenntnisse hat, nicht ankommen kann, erschließt sich im Übrigen von selbst.
23
Bei einem Ausländer hat die Vollzugsbehörde bzw. die Strafvollstreckungskammer von Amts wegen zu erforschen, ob eine der beiden beteiligten Personen nur einer Sprache mächtig ist, die nicht die deutsche ist und daher einen Brief in deutscher Sprache nicht verfassen oder lesen kann. Dabei ist auch zu prüfen, ob der Strafgefangene einen in der entsprechenden Sprache verfassten Brief lesen kann und nicht seinerseits gezwungen wäre, sich diesen von einem Mitgefangenen übersetzen zu lassen. (OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. November 2003 - Ws 1267/03 -, Rn. 5, juris)
24
Soweit die Antragsgegnerin aus anderen Gerichtsentscheidungen nachgeordneter Gerichte etwas Gegenteiliges meint ableiten zu können, mag sie die von ihr zitierten unveröffentlichten Entscheidungen übersenden.
25
Vorliegend ist eine solche Prüfung, wie sie das OLG Nürnberg verlangt, jedoch gar nicht mehr geboten, da die Antragsgegnerin bereits überprüft hat, ob der Antragsteller hinreichende Deutschkenntnisse hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass dies nicht der Fall ist. Sie meint allerdings aus der Tatsache, dass er dies wegen des nicht vollständigen Belegens eines Deutschkurses selbst verschuldet habe, Schlussfolgerungen zu ihren Gunsten ableiten zu können.
26
Die Antragsgegnerin meint offenbar, aus der in Art. 40 Abs. 2 BayStVollzG geregelten Verpflichtung für bestimmte Gefangene an Deutschunterricht oder nach Art. 40 Abs. 3 S. 1 BayStVollzG an einem Integrationskurs teilzunehmen, in die Vorschrift des Art. 34 Abs. 1 Nr. 6 BayStVollzG hineinlesen zu können, dass ein zwingender Grund im Sinne dieser Norm nicht bestünde, wenn ein Gefangener einen ca. sechsmonatigen Deutschkurs belegt oder wenn er diesen selbstverschuldet nicht belegt habe. Das Anhalten von Schreiben stellt allerdings keine disziplinarische Maßnahme dar. Es kommt vielmehr unter Art. 34 Abs. 1 Nr. 6 BayStVollzG weiterhin darauf an, ob der betreffende Gefangene tatsächlich in deutscher Sprache hinreichend schriftlich kommunizieren kann. Dabei darf er in seinen Ausdrucksmöglichkeiten selbstverständlich nicht auf das Sprachniveau eines Kleinkindes reduziert werden. Mit einem sechsmonatigen Kurs, zumal wenn es sich um einen Integrationskurs im Strafvollzug handelt, der auch Deutschunterricht umfasst, ist jedenfalls auch bei seinem vollständigen Absolvieren kein Erlernen der deutschen Schriftsprache auf einem Niveau möglich, dass eine hinreichend umfassende Verständigung ermöglichte.
27
Auf die abwegige Annahme eine Vorschrift, die sich ausdrücklich auf den Zweck bezieht, sich nach der Entlassung im Alltag fließend in deutscher Sprache verständigen zu können, sei unabhängig davon anzuwenden, ob - wie im vorliegenden Fall - eine Abschiebung des Antragstellers aus der Haft bevorsteht, kommt es daher schon gar nicht mehr an.
28
Auch eines Antrags auf „Genehmigung fremdsprachigen Briefverkehrs“ bedarf es aus den oben genannten Gründen nicht. Zudem gab es bereits vor dem von der Antragsgegnerin als erstmaligem Antrag genannten Datum Schriftwechsel zu dem Thema zwischen der Unterzeichnerin und der Antragsgegnerin.
29
Vor ausreichendem Informationshintergrund hatte die Antragsgegnerin also schlicht eine Ermessensentscheidung über das Anhalten des Schreibens zu treffen, um den gesetzlichen Anforderungen des bayerischen Strafvollzugsgesetzes Genüge zu tun. Es liegt aber ein ebenso umfassender wie rechtswidriger Ermessensnichtgebrauch vor, da die Antragsgegnerin die Rechtsauffassung vertritt, eine eigenes Regelwerk (Genehmigung nach Ausfüllen eines Fragebogens) der gesetzlichen Regelung, nach der sie zu pflichtgemäßem Ermessen verpflichtet ist, vorschalten und auf dieser Grundlage pauschal fremdsprachige Schreiben zurückweisen zu dürfen.
30
Wie schwerwiegend der Eingriff in die Rechte des Antragstellers dabei ist, muss im Übrigen auch im Gesamtkontext der Möglichkeiten zur Kommunikation mit der Außenwelt gesehen werden. So darf der Antragsteller etwa auch nicht stattdessen telefonieren.
31
Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin widerspricht zudem den Vorgaben der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze und der Ministerratsempfehlung des Europarats zum Umgang mit ausländischen Gefangenen. Diese haben insofern verbindlichen Charakter, als es nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts „auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügende Berücksichtigung vorhandener Erkenntnisse oder auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht entsprechende Gewichtung der Belange der Inhaftierten […] hindeuten [kann], wenn völker-rechtliche Vorgaben oder internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den i.R.d. Vereinten Nationen oder von Organen des Europarates beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen enthalten sind […] nicht beachtet bzw. unterschritten werden“ (BVerfG, Urt. v. 31.05.2006 - 2 BvR 1673/04, 2 BvR 2402/04, juris Rn. 63).
32
Dabei ist zunächst das Grundprinzip der CM/Rec (2012) 12 Nr. 7 heranzuziehen, wonach positive Maßnahmen zu treffen sind, um einer Diskriminierung ausländischer Gefangener entgegenzuwirken, das aufgrund seiner Wichtigkeit auch in die 2020 überarbeiteten Europäischen Strafvollzugsgrundsätze übernommen wurde (Nr. 37.1).
33
Nach Nr. 37.2 der European Prison Rules (EPR) muss bei ausländischen Gefangenen der Aufrechterhaltung und Entwicklung von Kontakten mit der Außenwelt des Strafvollzugs einschließlich regelmäßiger Kontakte mit u.a. Familie und Freunden besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wenn nicht im Einzelfall konkrete Sicherheitsbedenken bestehen, ist ausländischen Gefangenen für diese Kontakte die Verwendung einer Sprache ihrer Wahl zu gestatten (CM/Rec [2012] 12, Nr. 22.2).
34
Im Übrigen wird auf dieses Schreiben Bezug genommen.
II
35
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und in der Sache auch begründet, weil der ASt durch die Maßnahme der JVA … das verfahrensgegenständliche, in kroatischer Sprache abgefasste Schreiben des ASt nicht zu befördern, in seinen Rechten verletzt wurde.
36
Gemäß Art. 34 I Nr. 6 BayStVollzG kann der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin Schreiben anhalten, wenn sie in Geheimschrift, unlesbar, unverständlich oder ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefasst sind; ein zwingender Grund zur Abfassung eines Schreibens in einer fremden Sprache liegt in der Regel nicht vor bei einem Schriftwechsel zwischen deutschen Gefangenen und Dritten, die die deutsche Staatsangehörigkeit oder ihren Lebensmittelpunkt im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben.
37
Die Anhalteverfügung war aufzuheben, weil die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist. Sie hat nämlich das Vorliegen des unbestimmten Rechtsbegriffs „ohne zwingenden Grund“ nicht bzw. falsch geprüft.
38
Den Ausführungen der Vollzugsbehörde ist zu entnehmen, dass sie in unzulässiger Weise die Bestimmungen der Art. 17 a XI BaylntG sowie Art. 40 III BayStVollzG in die Beurteilung des „zwingenden Grundes“ aus Art. 34 I Nr. 6 BayStVollzG einbezieht.
39
Art. 17 a XI BaylntG i.V.m. Art. 40 II BayStVollzG kann schon deshalb nicht in die Überlegungen einbezogen werden, weil das Wunschziel „fließender Verständigung in deutscher Sprache“ für die Zeit nach der Entlassung postuliert wird, womit keinerlei Aussage damit verbunden ist, welche sprachlichen Fähigkeiten ein Gefangener während der Haft hat bzw. nach Meinung des Gesetzgebers zu haben hat.
40
Auch der Verweis auf Art. 40 II und III BayStVollzG verfängt nicht. Denn nur weil ein Gefangener verpflichtet ist, an Deutschunterricht und/oder Integrationskurs teilzunehmen, heißt nicht, dass er auch kognitiv in der Lage ist, die dabei vermittelten Unterrichtsinhalte auch zu erfassen und umzusetzen; mit anderen Worten: Nur weil ein Gefangener an einem Deutschkurs teilnehmen muss, heißt nicht, dass er auch Deutsch zu sprechen/schreiben lernen kann.
41
Insofern werden die ausschließlich auf Formalitäten abstellenden Überlegungen der Vollzugsbehörde dem Erfordernis einer hinreichenden Sachverhaltsaufklärung, ob gerade dieser ASt einen zwingenden Grund für die Abfassung des verfahrensgegenständlichen Schriftverkehrs in kroatischer Sprache hat, nicht gerecht. Zu Recht weist die Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass die Nichtbeförderung eines fremdsprachigen Schriftwechsels keine Disziplinierung dafür darstellen darf, dass ein Gefangener in der von der Vollzugsbehörde veranschlagten Zeit nicht hinreichende Deutschkenntnisse erwirbt oder schlicht und ergreifend nicht erwerben kann.
Kosten: § 121 I StVollzG
Streitwert: §§ 52 I-III, 60, 65 GKG