Titel:
Keine Schadensersatzansprüche für Diesel-Fahrzeug mit Thermofenster
Normenketten:
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
BGB § 826
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, S. 2
Leitsätze:
1. Eine kommende rechtliche Einschätzung des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung vermag nichts an der rückblickend dann unzutreffenden Rechtsauffassung der Zulassungsbehörde, auf die sich die Herstellerin verlassen durfte, zu ändern. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Selbst wenn die Herstellerin die im Typgenehmigungsverfahren erforderlichen Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im zu genehmigenden Fahrzeug zu prüfen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Weder die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom 02.06.2022 noch die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 01.07.2022 geben Veranlassung zu einer Aussetzung des Rechtsstreits. (Rn. 4 und 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Täuschung, Amtsermittlung, Genehmigungsbehörde, Aussetzung, Generalanwalt, Schlussanträge, Pressemitteilung
Vorinstanz:
LG Bamberg, Endurteil vom 30.05.2022 – 43 O 77/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25134
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 30.05.2022, Aktenzeichen 43 O 77/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Bamberg ist ohne Sicherheitsleistung vor läufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.845,33 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 30.05.2022, Aktenzeichen 43 O 77/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats im Beschluss vom 01.08.2022 Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung im Schriftsatz vom 26.08.2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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Der Senat sieht keinen Anlass, das vorliegende Verfahren gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) in dem dort anhängigen Verfahren C-100/21 auszusetzen.
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Der Gerichtshof selbst weist in ständiger Gerichtspraxis daraufhin, dass den Schlussanträgen des Generalanwalts keine präjudizielle oder sonstige Bedeutung zukommen (vgl. EuGH, PM 95/2022 v. 02.06.2022, Hinweis: „Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin oder des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.“).
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Der Senat gibt zu bedenken, dass es in der Vergangenheit wiederholt Vorabentscheidungsverfahren, insbesondere auch im Zusammenhang mit Klagen vor deutschen Gerichten, gegeben hat, die ohne eine für das erkennende Gericht gegebenenfalls maßgebliche Entscheidung des Gerichtshofs beendet worden sind (vgl. EuGH, Bes. v. 18.05.2020 - C-759/19; EuGH, Bes. v. 15.07.2020 - C-808/19, C-809/19).
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Ohnehin vermag die kommende rechtliche Einschätzung des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung nichts an der rückblickend dann unzutreffenden Rechtsauffassung der Zulassungsbehörde, auf die sich die Beklagte verlassen durfte, zu ändern.
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Schließlich würden auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber der Zulassungsbehörde keine Anhaltspunkte dafür folgen, dass für die Beklagte tätigen Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022 - VII ZR 424/21 -, juris, Rn. 28).
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Selbst wenn die Beklagte die im Typgenehmigungsverfahren erforderlichen Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen.
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Entsprechend der Maßgabe der § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG wäre das KBA zu einem solchen Vorgehen gehalten gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022 - VII ZR 424/21 -, juris, Rn. 28; BGH, Beschluss vom 10.11.2021 - VII ZR 280/21 -, juris, Rn. 2; OLG München, Beschluss vom 01.03.2021 - 8 U 4122/20 -, juris Rn. 63; OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2020 - 5 U 4765/19, BeckRS 2020, 17693 Rn. 17).
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Es entspricht schließlich der Rechtsprechung des Gerichtshofs selbst, dass die Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine schuldhafte Verletzung der sich aus einem Sekundärrechtsakt ergebenden Pflichten eine Haftung hierfür begründen kann, grundsätzlich dem jeweiligen nationalen Recht unterliegt und die nationalen Gerichte dabei allein die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu beachten haben (vgl. EuGH, Urt. v. 16.02.2017 - C-219/15, Schmitt ./. TÜV Rheinland LGA P. GmbH -, Rn. 59 f.).
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Auch die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 01.07.2022 (BGH, PM Nr. 104/2022 zum Verfahren VIa ZR 335/21) gibt keinen Anlass zur Aussetzung.
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Dieser lässt sich keine Verpflichtung der Instanzgerichte, Verfahren aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/21 auszusetzen entnehmen (vgl. auch OLG München, Bes. v. 21.07.2022 - 27 U 1635/22 -, juris, Rn. 4). Eine solche Verpflichtung besteht nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte gerade nicht (vgl. EuGH, Urt. v. 09.09.2015 - C-197/14 -, juris, Rn. 57 f., m. w. N; BGH, Urt. v. 29.01.2020 - VIII ZR 80/18 -, juris, Rn. 51, m. w. N.; bestätigt etwa durch BGH, Beschluss vom 14.06.2022 - VIII ZR 409/21 -, juris).
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Demzufolge hat der Senat auch keinen Anlass anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof mit seiner Presseerklärung vom 01.07.2022 im Verfahren VIa ZR 335/21 hiervon abweichen und eine Wartepflicht der Instanzgerichte statuieren wollte. Der Senat versteht diese Pressemitteilung vielmehr dahin, dass der Bundesgerichtshof gelegentlich der Verhandlung am 21.11.2022 denjenigen Gerichten, die in Ausübung ihres richterlichen Ermessens ein Abwarten der Entscheidung des Gerichtshofs für tunlich erachtet haben, die sich aus einer bis dahin erwarteten Entscheidung des Gerichtshofs für die bundesdeutsche Ziviljustiz ergebenden Konsequenzen nahezubringen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 Satz 2 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.