Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 09.08.2022 – 11 U 33/22
Titel:

Keine Aussetzung eines Diesel-Falles

Normenketten:
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
BGB § 823 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein unionsrechtlicher Anspruch auf Schadensersatz gegen den Fahrzeughersteller, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, besteht allenfalls dann, wenn die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine wie auch immer geartete Bindungswirkung kommt einer an die (Medien-) Öffentlichkeit gerichteten Mitteilung des BGH (Pressemitteilung) nicht zu. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Aussetzung, Generalanwalt, Schlussanträge, Rantos, Pressemitteilung, unzulässige Abschalteinrichtung, EG-Typgenehmigung, Genehmigungsbehörde, Täuschung
Vorinstanz:
LG Würzburg, Endurteil vom 13.09.2021 – 92 O 387/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25133

Tenor

1. Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Rechtsstreits gem. § 148 ZPO (analog) wird abgelehnt.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 13.09.2021 (Az.: 92 O 387/21) wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Würzburg sowie dieser Beschluss sindohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.126,02 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 30.06.2022 hat der Senat darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Hof vom 08.12.2021 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und Gelegenheit zur Stellungnahme bis 22.07.2022 eingeräumt.
2
Mit Schriftsatz vom 13.07.2022 hat die Klagepartei beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis der EuGH über die Schutzwirkung der einschlägigen europäischen Vorschriften entschieden habe, hilfsweise ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten. Eine Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Senats vom 30.06.2022 erfolgte nicht. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 26.07.2022 beantragt, den klägerischen Aussetzungsantrag zurückzuweisen. Auf den Inhalt der vorgenannten Schriftsätze wird hingewiesen.
II.
3
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 13.09.2021, Aktenzeichen 92 O 387/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
4
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Eine Stellungnahme hierzu ist nicht eingegangen. Es besteht keine Veranlassung für eine Änderung der dortigen Ausführungen.
III.
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Der Senat sieht auch keinen Anlass, den Rechtsstreit nach § 148 ZPO (analog) auszusetzen oder selbst ein Vorabentscheidungsersuchen an der EuGH.
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1) Eine Aussetzung des Rechtsstreits kommt zum einen nicht in Betracht, nachdem der Bundesgerichtshof die in dem Vorlagebeschluss des LG Ravensburg (Vorabentscheidungsverfahren EuGH - C-100/21) angesprochenen Fragen bereits geklärt und eine Vorlage an den EUGH mehrfach explizit abgelehnt hat (BGH, Beschluss vom 26.01.2022, VII ZR 516/21, BeckRS 2022, 3676; BGH Beschluss vom 23.03.2022, VII ZR 444/21, BeckRS 2022, 8312).
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Es entspricht der - für den Senat maßgeblichen - höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die von der Klagepartei genannten Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind und nur die nationalen Gerichte berufen und in der Lage sind, die betreffenden EU-Vorschriften unter das Konzept einer drittschützenden Norm zu subsumieren (BGH, Beschluss vom 04.05.2022, VII ZR 656/21, BeckRS 2022, 11994 Rn. 3; BGH, Beschluss vom 10.02.2022, III ZR 87/21, NVwZ 2022, 896 Rn. 12 ff., 17; BGH, Urteil vom 13.06.2022, VIa ZR 680/21; vgl. auch OLG München, Beschluss vom 14.06.2022, 36 U 141/22 und Beschluss vom 01.07.2022, 8 U 1671/22).
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2) Soweit der Generalanwalt Rantos in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:ECLI:EU:C:2022:420) eine abweichende Ansicht vertritt, ist diese zum jetzigen Zeitpunkt weder für die deutschen Gerichte noch für den Gerichtshof der Europäischen Union rechtsverbindlich. Vielmehr erteilt der EuGH von sich aus den Hinweis: „Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin oder des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.“ (vgl. Pressemitteilung des Gerichtshofs Nr. 95/22 vom 02.06.2022). Zudem vertritt die Europäische Kommission in ihrer Stellungnahme zu der Rechtssache dezidiert eine andere Auffassung als der Generalanwalt.
9
3) Selbst wenn der EuGH der Ansicht des Generalanwalts in vollem Umfang folgen würde und sich zukünftig nach seinem Urteil die Qualifikation der genannten Normen ändern sollte und man zukünftig vom Vorliegen eines Schutzgesetzes im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ausgehen wollte, wäre die Entscheidung für das vorliegende Verfahren irrelevant.
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a) Soweit der Generalanwalt nämlich ausführt, dass dem Käufer eines Fahrzeugs ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Fahrzeughersteller zu gewähren ist, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, hat er diese Rechtsfolge von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, insbesondere, dass die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste (Rn. 48 ff. der Schlussanträge, BeckRS 2022, 12232). Es ist demnach erforderlich, dass der Genehmigungsbehörde die unzulässige Abschalteinrichtung nicht bekannt war, und dass diese Unkenntnis auf einer Täuschung der Genehmigungsbehörde beruht (vgl. OLG München, Beschluss vom 14.06.2022, 36 U 141/22 [bei juris Rn. 38]). Für einen solchen Sachverhalt ist jedoch, wie bereits im Senatsbeschluss vom 30.06.2022 ausgeführt, im Streitfall nichts ersichtlich.
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b) Zudem ist nicht erkennbar, dass die für die Beklagte handelnden Personen zu einem Zeitpunkt, in dem der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung das Vorliegen eines Schutzgesetzes im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB abgelehnt hat (beispielsweise BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 73 f., NJW 2020, 1962, 1971), schuldhaft die Verletzung eines Schutzgesetzes vorgeworfen werden kann. Das Verschuldenserfordernis des § 823 Abs. 2 BGB bezieht sich ausschließlich auf die Schutzgesetzverletzung, nicht dagegen auf einen darüberhinausgehenden Verletzungserfolg (Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., 2020, § 823 BGB, Rn. 607; BGH, Urteil vom 15.12.1970, VI ZR 97/69, NJW 1971, 459, 461). Falls sich die rechtliche Bewertung künftig aufgrund eines neuen Urteils ändern sollte, war dies für die handelnden Personen der Beklagten vorher nicht erkennbar, da sie sich auf die bisherige Einordnung durch die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs, berufen konnten (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 20.07.2022, 8 U 39/22).
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4) Auch die Würdigung der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 104/2022 vom 01.07.2022 zum Verfahren VIa ZR 335/21 führt zu keinem anderen Ergebnis.
13
a) Danach sollen den Gerichten und den Berufungsgerichten, die nach Veröffentlichung der Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Rechtssache nunmehr auch aus Gründen der Gewähr effektiven Rechtsschutzes die vor ihnen eröffnete Tatsacheninstanz nicht schließen, sondern die Entscheidung des Gerichtshofs abwarten werden (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2022 - 4 W 4/22, juris Rn. 42 ff.), durch die auf den 21.11.2022 terminierte mündliche Verhandlung in der Sache (Az. VIa ZR 335/21) so bald als möglich im Anschluss an eine Entscheidung des Gerichtshofs höchstrichterliche Leitlinien an die Hand gegeben werden.
14
Diese Mitteilung durch die Pressestelle des BGH signalisiert, dass der Bundesgerichtshof gewillt ist, das genannte Verfahren noch im Jahr 2022 zu verhandeln, und dabei davon ausgeht, dass in der Zwischenzeit eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorliege.
15
Eine wie auch immer geartete Bindungswirkung kommt dieser an die (Medien-) Öffentlichkeit gerichteten Mitteilung nicht zu. Die mitgeteilten Umstände sind allein für die Ermessensentscheidung der Gerichte im Rahmen einer Entscheidung nach § 148 ZPO (analog) von Bedeutung, indem das Gericht bei seiner Ermessensausübung die Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und die mit der Aussetzung eintretende Verfahrensverzögerung gegeneinander abzuwägen hat (BGH, Beschluss vom 07.05.1992, V ZR 192/91, NJW-RR 1992, 1149 (1150); BeckOK ZPO - Wendtland, Stand: 01.03.2022, § 148 ZPO Rn. 13). Dies zeigt auch die ausdrücklich in der Pressemitteilung zitierte Passage des Beschlusses des OLG Braunschweig vom 02.03.2022, Rn. 42 ff., welche gerade den rechtlichen Rahmen einer Ermessensentscheidung des Gerichts sowie den insoweit eingeschränkten Prüfungsmaßstab einer Beschwerde gegen eine solche Entscheidung behandelt.
16
b) Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, scheitert eine Aussetzung zum anderen daran, dass die dem EuGH vorgelegten Fragen hier nicht entscheidungserheblich und damit nicht vorgreiflich sind, da es an einem substantiierten Vortrag der Klagepartei zu einer Täuschung der Genehmigungsbehörde fehlt.
17
5) Aufgrund der vorgenannten Erwägungen besteht für den Senat weder Veranlassung für eine Aussetzung des Verfahrens noch für eine eigene Vorlage an den EuGH.
IV.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
19
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
20
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.