Inhalt

OLG München, Beschluss v. 05.09.2022 – 8 U 6927/21
Titel:

Keine Haftung des Automobilherstellers gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 148
Leitsätze:
1. Der Automobilhersteller erfüllt mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung eine gesetzliche Verpflichtung, Art. 18 RL 2007/46/EG iVm § 6, § 27 EG-FGV, welche Voraussetzung für die Erstzulassung des Fahrzeuges ist. Eine Garantie, welche einen deutlich darüberhinausgehenden Inhalt aufweist, nämlich die Verpflichtung einzustehen, falls die Sache nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufweist oder andere als die Mängelfreiheit betreffende Anforderungen nicht erfüllt, die in der Erklärung oder einschlägigen Werbung beschrieben sind (§ 434 Abs. 1 BGB), will der Hersteller damit ersichtlich nicht abgeben. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht und damit der Schutz des Käufers eines mit unzulässigen Abschaltvorrichtungen versehenen Fahrzeugs vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags wird vom Schutzzweck der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht erfasst. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schutzgesetz, unzulässige Abschalteinrichtung, Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof, Thermofenster
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 03.09.2021 – 31 O 3930/20 Die
Fundstelle:
BeckRS 2022, 25019

Tenor

1. Der Antrag, das Verfahren bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH, Rechtssache C-100/21, in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO auszusetzen, wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 03.09.2021, Az. 31 O 3930/20 Die, wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.4. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 35.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal geltend. Das Landgericht hat die Klage umfassend abgewiesen. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.
2
Weiter wird zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit vollumfänglich auf Ziffer I. des Hinweisbeschlusses des Senats vom 18.07.2022 verwiesen.
II.
3
Die Klagepartei hat in der Hauptsache beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 45.899,00 € nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 9.848,40 € zzgl. Finanzierungskosten von 1.328,97 € Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges zu zahlen.
4
Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klagepartei ihre erstinstanzlichen Anträge mit der Maßgabe weiter, dass nunmehr eine Nutzungsentschädigung von 15.680,79 € in Abzug gebracht wird.
5
Die Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.
6
Mit Hinweisbeschluss vom 18.07.2022 wurde die Klagepartei darauf hingewiesen, dass und weshalb der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Es wurde ihr eine Frist zur Stellungnahme bis 15.08.2022 eingeräumt, die nachträglich bis 30.08.2022 verlängert wurde. Mit Schriftsatz vom 30.08.2022 haben die Klägervertreter damit fristgemäß eine Gegenerklärung abgegeben.
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Bezüglich der näheren Einzelheiten wird nochmals auf den Inhalt des angegriffenen Urteils, die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 18.07.2022 sowie auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren verwiesen.
III.
8
Die Berufung der Klagepartei war danach als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen. Das Vorbringen in der Gegenerklärung rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dabei ist vorauszuschicken, dass die der Klagepartei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht etwa eine Art „zweite Berufungsbegründung“ ermöglicht. Soweit in dem Schriftsatz vom 30.08.2022 neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind, sind diese deshalb gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen.
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1. Die Gegenerklärung rügt im Wesentlichen, ihr stünden im Hinblick auf das unstreitig verbaute Thermofenster die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu. So wird bei Aufzeigen der Auslegung des Thermofensters und des Fehlens eines Ausnahmetatbestands nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO (EG) Nr. 715/2007 dargelegt, dass dieses eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Weiter wird darauf verwiesen, dass die Klagepartei erstinstanzlich den Verbau auch anderer Abschalteinrichtungen behauptet habe und der Senat dem nachgehen hätte müssen, da dem Tatbestand des Urteils keine negative Beweiskraft zukomme. Es ergebe sich deshalb ein Anspruch der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV. Durch die Installation einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei die Übereinstimmungsbescheinigung als inhaltlich unrichtig und ungültig anzusehen, da die Angaben in dieser von denen abwichen, die durch die Behörde genehmigt worden seien. Nach bereits hinlänglich dargestellter Ansicht der Klagepartei habe die Beklagte vorsätzlich eine ungültige Übereinstimmungsbescheinigung i.S.d. § 6 Abs. 1 EG-FGV für das Fahrzeug ausgestellt. Bei der Beklagten als etablierter Fahrzeugherstellerin sowie Herstellerin des Motors müsse die Kenntnis der Typengenehmigungsvoraussetzungen für ihre eigenen Fahrzeuge sicher unterstellt werden. In der Übereinstimmungsbescheinigung sei dabei eine Garantieübernahme zu sehen und Generalanwalt Rantos konstatiere damit im Ergebnis ein Recht auf Schadensersatz bei jedem Verstoß gegen die EU-Regeln über die Typzulassung.
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2. Hierzu ist Folgendes anzumerken:
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a. Bezüglich des Verbaus behaupteter streitiger Abschalteinrichtungen kann die Klagepartei weiterhin nichts für sich herleiten.
12
Der Tatbestand eines Urteils liefert zwar grundsätzlich keinen Beweis dafür, dass nicht erwähnte Angriffs- und Verteidigungsmittel unterblieben sind (BeckOK ZPO/Elzer, 45. Ed. 1.7.2022, ZPO § 314 Rn. 22 m.w.N.). Hier ist dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils indessen nach Auffassung des Senats positiv zu entnehmen, dass zuletzt nur noch die Implementierung einer Abschalteinrichtung in Gestalt eines unzulässigen Thermofensters gerügt worden ist.
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Im Übrigen hat sich der Senat auch mit den Rügen betreffend sonstige Abschalteinrichtungen auseinandergesetzt und u.a. dargelegt, dass und weshalb es für deren Verbau jedenfalls am Aufzeigen zureichender Anhaltspunkte fehlt. Hierzu verhält sich die Gegenerklärung nicht, weshalb umfänglich auf die diesbezüglichen Ausführungen im Hinweisbeschluss verwiesen werden kann.
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b. Auch der nochmalige Vortrag zur Unzulässigkeit des Thermofensters ist nicht zielführend.
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Die mangelnde Erfolgsaussicht der Berufung wurde seitens des Senats nicht mit der Zulässigkeit des Thermofensters begründet, wohl aber damit, dass seitens der Klagepartei - eine Unzulässigkeit desselben unterstellt - keine zureichenden Anhaltspunkte dafür aufgezeigt wurden, dass die seitens der Beklagten handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung dieser temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems im Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
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Die Gegenerklärung wiederholt nur, dass und weshalb nach Ansicht der Klagepartei von einer seitens der Beklagten vorsätzlich herbeigeführten ungültigen Übereinstimmungsbescheinigung auszugehen sei. Zu den - bei Auseinandersetzung damit und bei Heranziehen höchstrichterlicher Rechtsprechung - vom Senat aufgezeigten Umständen, die einem behaupteten vorsätzlichen Handeln entgegenstehen, setzt sich die Gegenerklärung nicht auseinander. Auch insoweit kann daher auf die diesbezüglichen Darlegungen im Hinweisbeschluss verwiesen werden und besteht für eine abweichende Beurteilung kein Anlass.
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c. Soweit die Klagepartei eine Haftung der Beklagten nunmehr daraus für sich herleiten will, dass nach Darlegung von Generalanwalt Rantos die Übereinstimmungsbescheinigung eine Garantie darstelle, d.h. den Käufer dagegen schützen soll, dass der Hersteller seiner Verpflichtung, Fahrzeuge in den Verkehr zu bringen, die den geltenden Unionsbestimmungen entsprechen, nicht nachgekommen sei, weshalb hier vom Zustandekommen eines Garantievertrags auszugehen sei, ist auch dem nicht zu folgen.
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Die an einen Käufer bzw. die Klagepartei gerichtete EG-Übereinstimmungsbescheinigung begründet keine Haftung gemäß §§ 311 Abs. 3, 443, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. europarechtlichen Schutznormen infolge der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens.
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Deren Erklärungswert ist nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bemessen, welcher nach der Überzeugung des Senats keine Zusicherung der Beklagten bzw. Willenserklärung gerichtet auf Abschluss eines Garantievertrages darstellt. Die Beklagte erfüllt mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung eine gesetzliche Verpflichtung, Art. 18 RL 2007/46/EG i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV, welche Voraussetzung für die Erstzulassung des Fahrzeuges ist. Dabei hat die Beklagte dem Fahrzeug eine entsprechende Bescheinigung beizufügen, § 27 EG-FGV. Ausgehend von dieser Verpflichtung, welche zudem gem. § 37 EG-FGV als Ordnungswidrigkeit bewehrt ist, kann der Beigabe der EG-Übereinstimmungsbescheinigung nicht der Erklärungswert einer Willenserklärung, gerichtet auf den Abschluss eines Garantievertrages, beigemessen werden. Die Beklagte will allein die ihr vorgeschriebene Verpflichtung, nämlich die Bescheinigung der Übereinstimmung des Fahrzeuges mit der EG-Typengenehmigung, erfüllen. Eine Garantie, welche einen deutlich darüberhinausgehenden Inhalt aufweist, nämlich die Verpflichtung einzustehen, falls die Sache nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufweist oder andere als die Mängelfreiheit betreffende Anforderungen nicht erfüllt, die in der Erklärung oder einschlägigen Werbung beschrieben sind (§ 434 Abs. 1 BGB), wollte die Beklagte damit ersichtlich nicht abgeben (vgl. dazu ausführlich OLG Braunschweig, Urt. v. 19.02.2019 - Az.: 7 U 134/17; OLG München Urt. v. 4.12.2019 - 3 U 3913/19, BeckRS 2019, 34113). Wenn sie - über die Erfüllung besagter Verpflichtung hinaus - mit der Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung darüberhinausgehende, besondere Erklärungen hätte abgeben wollen, wäre eine entsprechend eindeutige Formulierung in der Erklärung zu erwarten gewesen. Eine derartige weitergehende Erklärung wurde jedoch nicht dargetan (vgl. OLG Koblenz Beschluss vom 14.9.2020 - 12 U 1831/19, BeckRS 2020, 24349 Rn. 58, 59).
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d. Zudem bleibt es dabei, dass der geltend gemachte Anspruch auch bezüglich des Thermofensters nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 18, 26, 46 RL 2007/46/EG, Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 gestützt werden kann.
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Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass - wie in der Gegenerklärung dargelegt - die entsprechenden europarechtlichen Normen nach Darlegung des Generalanwalts Rantos Drittschutz vermitteln und eine Haftung der Beklagten für fahrlässige Verstöße gegen diese geboten ist. Dessen ungeachtet lässt sich nämlich - wie im Hinweisbeschluss dargelegt - jedenfalls der hier geltend gemachte, auf (Rück-)Abwicklung des mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags gerichtete Anspruch nicht darauf stützen.
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Die Pressemitteilung des BGH des VIa. Senats Nr. 104/2022 vom 01.07.2022 rechtfertigt keine andere Sichtweise. Auch insoweit wird auf die Darlegungen im Hinweisbeschluss Bezug genommen und darauf, dass eben der VIa. Senat auch nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Rantos an seiner diesbezüglichen Rechtsprechung festhält.
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So führt der BGH in einem Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21 - folgendes aus:
24
Entgegen der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Rechtsauffassung ist allerdings nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht dem Zahlungsantrag des Klägers nicht auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 entsprochen hat. Auf diese Vorschriften kann der Kläger sein Begehren nicht stützen. Der Kläger macht als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden vom Schutzzweck der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht erfasst (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 72 ff.; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 4. Mai 2022 - VII ZR 656/21, juris Rn. 1 ff.).
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Für die beantragte Aussetzung entsprechend § 148 ZPO ist damit kein Raum.
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Die Berufung der Klagepartei war vielmehr im Beschlussweg gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen, da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
27
Die Klage wurde vom Landgericht im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte bestehen entgegen der Ansicht der Berufung nicht. Auf die diesbezüglichen umfassenden Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 18.07.2022, ergänzt durch obige Darlegungen, wird insoweit nochmals verwiesen.
IV.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
29
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde entsprechend dem erteilten Hinweis gemäß § 47 GKG in ausgesprochener Höhe festgesetzt.
31
Eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ist nicht ersichtlich. Auch liegt keine entscheidungserhebliche grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage vor, über deren Umfang und Bedeutung Unklarheiten bestehen (BGH, Beschluss vom 22.09.2015 - II ZR 310/14, ZIP 2016, 266 Rn. 3 mwN). Vielmehr lassen sich die aufgeworfenen Fragen, wie aufgezeigt, auf der Grundlage der bisherigen und zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BGH zweifelsfrei beantworten.