Titel:
Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Sittenwidrige Schädigung, Inverkehrbringen, Tatbestandswirkung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Schädigungsvorsatz, Gesetzesverstoß, Unzulässigkeit, Klagepartei, Annahmeverzug, Nebenforderungen, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Verwaltungsakt, Hinweisbeschluss, Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, Schriftliches Verfahren, Unerlaubte Handlung, Besondere Verwerflichkeit, Prozeßbevollmächtigter
Schlagworte:
Abschalteinrichtung, Tatbestandswirkung, Schädigungsvorsatz, Sittenwidrigkeit, Verstoß gegen Schutzgesetz, Rückabwicklung, Nebenforderungen, Klagezulässigkeit, Schadensersatzanspruch, Gesetzesauslegung, Prüfstandserkennung, Bewusstsein der Rechtswidrigkeit
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 29.08.2022 – 9 U 3481/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24993
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 29.659,43 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten als Herstellerin des Motors des klägerischen Pkw die Rückabwicklung des Kaufvertrags.
2
Die Klagepartei hat am ...05.2018 vom Verkäufer Auto F. in Z. das Fahrzeug S. Karoq, FIN (…) mit einem Kilometerstand von 677 km zum Kaufpreis von 33.250,00 EUR erworben (Anlage K 1). Die Klagepartei ist Eigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Der Kaufpreis wurde finanziert. Die Finanzierung ist abgeschlossen.
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In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 288 verbaut, dessen Herstellerin die Beklagte ist.
4
Ein Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) existiert in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug bzw. den in diesem Fahrzeug verbauten Motor nicht.
5
Der Kläger behauptet, der Dieselmotor des streitgegenständlichen Fahrzeugs weise eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 auf. Der Kläger ist der Ansicht, dass er deswegen gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz aufgrund deliktischer Anspruchsgrundlagen habe.
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Schadenersatz i.H.v. 29.659,43 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.01.2022 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs S. Karoq mit der FIN (…).
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges S. Karoq mit der FIN (…) seit dem 05.01.2022 im Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 762.49 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.01.2022 zu zahlen.
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Mit Schriftsatz vom 20.04.2022 (Bl. 135 d.A.) hat der Kläger den Rechtsstreit in Höhe von 513, 21 Euro für erledigt erklärt.
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Die Beklagte hat der Erledigterklärung widersprochen und beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden, auch keine Umschaltlogik wie bei dem Vorgängermotor EA 189. Sie ist der Ansicht, das verwendete Thermofenster sei nach Art. 5 Abs. 2 S. 2a Var. 1 und Var. 2 der Verordnung (EG) 715/2007 zum Zwecke des Motorschutzes und zum sicheren Fahrzeugbetrieb zulässig, denn eine Abgasrückführung finde im Temperaturbereich von -24 bis + 70°C zu 100% statt. Für die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB bestehe aus Sicht der Beklagten keine Grundlage. Der Vortrag der Klagepartei hierzu sei bereits unsubstantiiert. Selbst wenn der Einsatz von Thermofenstern gegen europarechtliche Vorgaben verstoßen sollte, ergebe sich aus einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung von Ausnahmetatbeständen auf Beklagtenseite noch nicht das Verdikt der Sittenwidrigkeit.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Die Parteien haben ihre Zustimmung zum schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO erteilt (Bl. 93 u. 94 d.A.).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist im Ergebnis unbegründet.
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das angerufene Gericht sachlich und örtlich zuständig, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, §§ 1, 32 ZPO.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, der geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
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Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch folgt insbesondere nicht aus § 826 BGB.
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1. Es kann hierbei letztlich dahinstehen, ob in der Verwendung von Thermofenstern eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen ist. Denn um einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB zu begründen, muss das schädigende Verhalten des Schuldners sittenwidrig sein.
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Hieran fehlt es vorliegend aber in jedem Fall.
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a) Nach der Entscheidung des BGH vom 19.01.2021 (Aktenzeichen VIZR 433/19) liegt eine Sittenwidrigkeit und ein sich daraus ergebender Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bereits deshalb vor, weil die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Die Verwendung eines Thermofensters – selbst einen engen Anwendungsbereich unterstellt – ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH ZIP 2020, 1715 Rn. 29; ZIP 2020, 1179 Rn. 15; OLG München, Beschluss vom 09.06.2021, Aktenzeichen 3 U 4430/20).
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Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug der Klagepartei nach dem klägerischen Vortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten der Klagepartei unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der V. 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18). Der darin zu sehende Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten nicht geeignet, den Einsatz der Steuerungssoftware als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Nach der Ansicht des BGH ist dieser Fall nicht mit der bereits entschiedenen Konstellation (BGH ZIP 2020, 1179), in welcher die Steuerungssoftware bei Erkennen eines Rollenprüfstands die Abgasreduzierung erhöht, vergleichbar, da die temperaturabhängige Steuerung nicht darauf abstellt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Die Software arbeitet in beiden Fahrtsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.
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Soweit ausgeführt wird, die Beklagte hätte im Rahmen des Typen-Genehmigungsverfahrens dem KBA die Einzelheiten der temperaturabhängigen Abschalteinrichtung nicht offengelegt, obwohl sie hierzu gemäß Art. 3 Nummer 9 der VO 692/2008/EG verpflichtet gewesen wäre, ist die Beklagte bereits in der Klageerwiderung ihrer Darlegungspflicht bezüglich der dem KBA gegenüber gemachten Angaben nachgekommen (so auch OLG München, Beschluss vom 09.06.2021, Aktenzeichen 3 U 4430/20). Dem hat die Klagepartei keinen ausreichend substantiierten Vortrag entgegengesetzt.
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b) Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motorrespektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn man mit dem Kläger von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausginge, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Umstände, die das in Frage stellen würden, sind vom Kläger weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Die Gesetzeslage ist an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig. Wenn die Beklagte davon ausgeht, es handele sich beim Einsatz von Thermofenstern nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, so ist dies aus den nachfolgenden Erwägungen unter juristischen Gesichtspunkten zumindest gut vertretbar.
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Nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen VO (EG) 715/2007 für Typengenehmigungen von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen ist eine Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Der Begriff des Emissionskontrollsystems ist in der Verordnung nicht definiert.
25
Die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen regelt Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715. Auf die dortigen Erlaubnisgründe beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall.
26
Dass die Gesetzeslage an dieser Stelle gerade nicht eindeutig ist, zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wie auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des sogenannten „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können. Insbesondere ist ein verbindlicher behördlicher Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeuges unstreitig bis heute nicht erfolgt.
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Sollte entgegen den vorstehenden Erwägungen aber tatsächlich eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, so hätte die Beklagte die Rechtslage allenfalls fahrlässig verkannt. In diesem Fall fehlt es sowohl am erforderlichen Schädigungsvorsatz als auch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 826, Rn. 8) wie der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände. Dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden war, ist weder hinreichend dargetan noch ersichtlich.
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Eine Auslegung, wonach ein „Thermofenster“ keine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls gut vertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann jedoch nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Das Inverkehrbringen eines Fahrzeuges wie dem hier streitgegenständlichen mit einem Thermofenster lässt daher im Ergebnis keine Wertung als sittenwidrige Schädigung durch Organe des Fahrzeugherstellers zu, da auch eine möglicherweise zwar falsche aber vertretbare Gesetzesauslegung in Betracht gezogen werden muss (OLG München, Hinweisbeschluss vom 10.02.2020 Az. 3 U 7524/19, BeckRS 2020,1062).
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2. Auch eine sonstige Prüfstandserkennung, die als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren wäre, konnte die Klagepartei nicht darlegen. Die danach gebotene Darlegung und der Nachweis einer angeblichen unzulässigen Abschalteinrichtung muss grundsätzlich auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug konkret verbauten Motor gerichtet sein.
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Das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Fahrzykluserkennung konnte die Klagepartei nicht nachweisen. Eine unzulässige Abschalteinrichtung liegt nur dann vor, wenn das Fahrzeug die Fahrkurve des NEFZ erkennt, um die Abgasnachbehandlung in diesem Fall anders zusteuern als im normalen Fahrbetrieb. Dafür, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine, einer Abschalteinrichtung gleich kommende Fahrkurve zur Erkennung des NEFZ vorhanden wäre, ergeben sich allein aufgrund der Applikationsrichtlinie EA 288 keine hinreichenden Anhaltspunkte (OLG München, Beschluss vom 09.06.2021, Aktenzeichen 3 U 4430/20).
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Die Klagepartei liegt auch schon nicht ausreichend dar, inwieweit sich das streitgegenständliche Fahrzeug beim Durchfahren des NEFZ in Bezug auf die Abgasnachbehandlung anders verhalten soll als im normalen Straßenverkehr. Nur dann aber wäre von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen.
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3. Im Übrigen scheidet die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung schon aufgrund der Tatbestandswirkung der unverändert wirksamen Typgenehmigung aus. Mit der Erteilung der Typgenehmigung hat das KBA dem Hersteller bestätigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell die Anforderungen der einschlägigen Vorschriften erfüllt, mithin auch diejenigen der VO (EG) Nummer 715/2007 hinsichtlich der Schadstoffemissionen. Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsakt des KBA gegenüber dem Fahrzeughersteller. Hat aber die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell insbesondere im Hinblick auf die Schadstoffemissionen den Anforderungen genügt, sind die Zivilgerichte aufgrund der sogenannten Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes daran gehindert, etwas anderes anzunehmen.
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Mit der Tatbestandswirkung der vom KBA vorliegend bestandskräftig erteilten und unverändert wirksamen Typgenehmigung wäre es nicht vereinbar, wenn das Gericht annehmen würde, die Beklagte hätte auch dem Kläger gegenüber mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, das dem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung (sei es ein sogenanntes Thermofenster, eine Prüfstandserkennung oder eine Steuerung des SCR-Katalysators) versehen sei, die der Erteilung einer Genehmigung entgegenstünde (OLG Nürnberg, Beschluss vom 26.11.2020, Aktenzeichen 5 U 4001/20; OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 07.08.2019, Aktenzeichen 7 U 626/19).
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4. Ferner fehlt es an einem entsprechenden Schädigungsvorsatz der Beklagten.
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Der erforderliche Schädigungsvorsatz im Rahmen von § 826 BGB, der getrennt von der Sittenwidrigkeit – auch von deren subjektiver Seite – festzustellen ist (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.1966 – VI ZR 1/65), bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Fahrlässigkeit, auch grobe, genügt nicht (BGH, Urteil vom 06.06.1962 – V ZR 125/60). Der Vorsatz muss sich auf den Schaden erstrecken, eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht (BGH, Urteil vom 24.04.2001 – VI ZR 36/00). Andererseits ist Schädigungsabsicht nicht erforderlich. Es genügt, dass der Schädiger den Schadenseintritt vorausgesehen und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder jedenfalls im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urteil vom 20.11.2012 – VI ZR 268/11). Maßgeblich ist dabei allein der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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Vorliegend kann jedoch – wie bereits dargelegt – nicht davon ausgegangen werden, dass auf Seiten der Beklagten bewusst eine – unterstellt – objektiv unzulässige Abschalteinrichtung verwendet wurde. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist allenfalls von einer fahrlässigen Verkennung der Rechtslage auszugehen. Dann fehlt es aber am notwendigen Schädigungsvorsatz, da dieser das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben erfordert (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
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Für den Fall dass die Beklagte die Rechtslage lediglich fahrlässig verkannt hätte, würde es jedoch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit fehlen (OLG München, Hinweisbeschluss vom 10.02.2020, Az. 3 U 7524/19, BeckRS 2020,1062).
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Selbst wenn man der Beklagten unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen keineswegs derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung nicht vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (OLG Nürnberg, Endurteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18)
II. §§ 826 BGB i.V.m. 831 Abs. 1 S. 1 BGB
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Die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB i.V. m. § 826 BGB sind nicht gegeben. Es fehlt auch insoweit an den subjektiven Voraussetzungen für ein deliktisches Handeln. Wie bereits ausgeführt, war die Auslegung, dass es sich bei einem Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 handelt, jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine zulässige – und überdies gut vertretbare – Auslegung des Gesetzes. Dies bedeutet, dass weder die Mitarbeiter noch eventuelle Repräsentanten der Beklagten in dem Bewusstsein handelten, mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs, das unstreitig mit einem sogenannten Thermofenster ausgerüstet ist, möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und diesen Gesetzesverstoß sowie eine Schädigung des Klägers als Käufer des Fahrzeugs zumindest billigend in Kauf genommen haben (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
III. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB
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Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung in Gestalt eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB) ergibt sich nichts anderes, denn hiernach wäre eine vorsätzliche Täuschung im Sinne eines Betruges erforderlich, die das Gericht nach den vorstehenden Ausführungen ebenfalls nicht festzustellen vermag.
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Wie bereits ausgeführt, stellte die Annahme der Beklagten, dass es sich bei dem in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, in jedem Fall zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs eine zulässige Auslegung des Gesetzes dar, sodass die Verantwortlichen nicht mit dem Vorsatz handelten, den Kläger über eine Eigenschaft des Fahrzeugs zu täuschen und ihm dadurch einen Vermögensschaden zuzufügen (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19; OLG Nürnberg, Endurteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18).
IV. §§ 823 II BGB i.V.m. 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV
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Auch aus §§ 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV lässt sich kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte herleiten. Unabhängig davon, ob die Beklagte diese Vorschrift verletzt hat, fehlt ihr bereits der von § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzte Schutzgesetzcharakter, was zuletzt auch der BGH in seiner Entscheidung vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19) bestätigt hat.
V. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007
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Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche ergeben sich weiterhin nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007.
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Denn Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 stellt kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17).
45
VI. Da die Voraussetzungen einer Rückabwicklung nicht vorliegen, kann sich die Beklagte auch nicht mit Rücknahme in Annahmeverzug befinden. Der Klageantrag unter Ziffer 2. war daher ebenso als unbegründet abzuweisen.
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Die geltend gemachte Nebenforderung teilt das Schicksal der unbegründeten Hauptforderung.
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Die Klage war in allen Anträgen abzuweisen.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 S. 1, S. 2 ZPO
Streitwert: §§ 63 Abs. 2 GKG, 3 ZPO