Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 29.08.2022 – 9 U 3481/22
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Skoda Karoq)

Normenketten:
BGB § 445a, § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Bamberg BeckRS 2022, 32236; BeckRS 2023, 3168; OLG Nürnberg BeckRS 2021, 52232; OLG Koblenz BeckRS 2022, 25180; BeckRS 2022, 25178; BeckRS 2022, 25176; BeckRS 2022, 25174; BeckRS 2022, 25157; BeckRS 2022, 25155; BeckRS 2022, 25138; BeckRS 2022, 25151; BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass die Herstellerin den Motor mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat, ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Fahrkurvenerkennung ist per se nicht unzulässig, weil es Funktionen eines Fahrzeugs gibt, die auf der Prüfstandsrolle zwingend zur Vermeidung von Messverfälschungen zu deaktivieren sind. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Pressemitteilung Nr. 104/2022 des BGH vom 1. Juli 2022 kann nicht entnommen werden, dass der BGH eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH und des BGH für notwendig erachtet. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Prüfstandserkennungssoftware, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Vermeidung von Messverfälschungen, Schlussanträge des Generalanwaltes, Aussetzung des Verfahrens
Vorinstanz:
LG Deggendorf, Endurteil vom 11.05.2022 – 23 O 25/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24992

Tenor

1. Die Klagepartei wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 11.05.2022, Az. 23 O 25/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Innerhalb dieser Frist kann auch zum Streitwert Stellung genommen werden, den der Senat beabsichtigt auf bis zu 30.000 € festzusetzen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klagepartei begehrt im Rahmen des sogenannten Abgasskandals von der Beklagten Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe ihres Fahrzeugs.
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Die Klagepartei erwarb am 29.05.2018 von der Fa. in eine PKW Skoda Karoq zum Kaufpreis von 33.250 € mit einem Kilometerstand von 677 km. In dem Fahrzeug mit Erstzulassung 28.08.2017 ist ein Motor des Typs EA288, Abgasnorm Euro 6, mit einem SCR - Katalysator verbaut, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt wurde. Ein Rückruf des Kraftfahrbundesamts (nachfolgend abgekürzt: KBA) besteht hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht. Zum 22.04.2022 betrug der Kilometerstand 37.620 km.
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Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen, da hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung weder im Zusammenhang mit dem sog. Thermofenster noch bezüglich der sog. Fahrkurvenerkennung vorlägen, so dass deliktische Ansprüche ausscheiden würden.
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Hiergegen wendet sich die Klagepartei mit ihrer Berufungsbegründung (nachfolgend abgekürzt: BB) vom 16.08.2022 (Bl. 181/213). Bereits mit Schriftsatz vom 07.07.2022 (Bl. 172/178) hat sie Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO bis zur Entscheidung des BGH in der Sache VIa 335/21 beantragt.
II.
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Der Senat beabsichtigt die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen, da er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats durch Urteil nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
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Die angefochtene Entscheidung des Erstgerichts ist richtig. Das Ersturteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Vielmehr rechtfertigen die Tatsachen, die der Senat im Rahmen des durch § 529 ZPO festgelegten Prüfungsumfangs der Beurteilung des Streitstoffes zugrunde zu legen hat, keine andere Entscheidung. Die Ausführungen in der BB vermögen das Ersturteil nicht zu erschüttern. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die sorgfältigen und zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts und ergänzt folgendes:
1. Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
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Der BGH hat bereits in zahlreichen den hier streitgegenständlichen Motortyp EA288 betreffenden Entscheidungen die Nichtzulassungsbeschwerden zurückgewiesen (BGH, Beschlüsse vom 04. August 2021 - VII ZR 277/21, VII ZR 301/21; Beschlüsse vom 15. September 2021 - VII ZR 124/21, VII ZR 134/21, VII ZR 184/20, VII ZR 277/21, VII ZR 303/21; Beschluss vom 13. Oktober 2021 - VI ZR 586/20; Beschluss vom 09. Mai 2022 - VIa ZR 303/21). In einem Hinweisbeschluss nach § 552 a ZPO vom 21. März 2022 - VIa ZR 334/21 hat sich der BGH in den Gründen mit einer etwaigen Haftung der Beklagten auch im Zusammenhang mit einer Fahrkurvenerkennung bzw. der sog. „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288“ befasst, dabei seine bisherigen, den Parteivertretern bekannten Erwägungen zum Themenkomplex Thermofenster auf den Themenkomplex Fahrkurvenerkennung übertragen und eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB verneint.
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2. Ein Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB bzw. §§ 826, 831 BGB scheitert daran, dass die Klagepartei eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Beklagten nicht hinreichend substantiiert dargetan bzw. keine hinreichenden Anhaltspunkte hierfür vorgebracht hat.
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a) Keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung aufgrund Thermofenster aa) Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) sind nicht bereits deshalb gegeben, weil die Beklagte das Fahrzeug mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, juris Rn. 13). Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten ist nur gerechtfertigt, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt auch hier voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 19). Hierfür muss der Kläger jedoch zumindest hinreichende Anhaltspunkte aufzeigen (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 20).
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bb) Diese weiteren Umstände wurden nicht dargelegt. Aus dem Vortrag der Klagepartei ist nicht zu entnehmen, welche Angaben die Beklagte im Rahmen der Typgenehmigung gemacht hat. Dies ist von Bedeutung, denn selbst wenn die Beklagte dabei - erforderliche - Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, juris Rn. 26). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, ergeben sich in diesem Zusammenhang nicht (vgl. BGH, aaO). Die Behauptung, die Beklagte habe das Thermofenster für unzulässig halten müssen (S. 7 der BB), geht über die bloße Behauptung des bewussten Gesetzesverstoßes nicht hinaus und ist daher unbeachtlich. Auch behauptet die Klagepartei nicht etwa, dass das Thermofenster nur unter Prüfstandsbedingungen arbeite, sondern sie trägt vor, dass die Abgasreinigung nur zwischen 20 - 30 Grad Celsius funktioniere (S. 7 der BB), mithin im Grundsatz jedenfalls auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise.
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Infolgedessen geht der nur wiederholte (s. Klage, S. 10 ff.) Hinweis der Klagepartei auf einen Statusbericht Diesel vom 21.10.2015 (Anlage K 4) und der damit einhergehende Vortrag zum Vorliegen eines Thermofensters ins Leere, denn daraus alleine ergibt sich keine Haftung der Beklagten.
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cc) Unabhängig davon, dass damit schon der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit des Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen nicht gegeben ist, ist ein besonders verwerfliches Verhalten auch im Hinblick auf eine unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters ausgeschlossen (vgl. BGH, aaO, Rn. 29/31).
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Bei einer Abschalteinrichtung, die - wie hier - im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, so dass es bereits an der objektiven Sittenwidrigkeit fehlt (BGH, aaO, Rn. 30).
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Die Rechtslage hinsichtlich der Zulässigkeit eines Thermofensters ist zweifelhaft, da ausweislich des Berichts der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen Thermofenster von allen Autoherstellern eingesetzt und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet werden; insoweit ist ein Verstoß betreffend die Auslgung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO (EG) Nr. 715/2007 nicht eindeutig (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich auf Vorlage eines französischen Gerichts mit der Frage der Auslegung der genannten Vorschrift befassen müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18, NJW 2021, 1216). Auch die gerichtsbekannt breit geführte Diskussion um die Zulässigkeit und der erheblichen Aufwand, mit dem die Unzulässigkeit des Thermofensters begründet wird, lässt auf eine zweifelhafte Rechtslage schließen. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht (vgl. BGH, aaO, Rn. 31).
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b) Keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung aufgrund anderer unzulässiger Abschalteinrichtungen Der erneute Hinweis (BB, S. 2 ff.) auf vertrauliche Dokumente in Form der hinreichend bekannten „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinie & Freigabevorgaben EA288“ (Anlage K 5) vermag schlüssigen Sachvortrag nicht zu ersetzen, zumal nicht ersichtlich ist, welche konkrete sittenwidrige und vorsätzliche Schädigungshandlung der Beklagten die Klagepartei damit zu behaupten sucht.
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Dafür, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung zur Erkennung der NEFZ bzw. eine Prüfstandserkennungssoftware installiert wäre, ergeben sich weder aus dem klägerischen Vortrag noch aus der vorgelegten „Entscheidungsvorlage“ greifbare Anhaltspunkte. Die dort angesprochene Fahrkurvenerkennung ist per se nicht unzulässig, weil es Funktionen eines Fahrzeugs gibt, die auf der Prüfstandsrolle zwingend zur Vermeidung von Messverfälschungen zu deaktivieren sind.
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Hinzu kommt im konkreten Fall, dass das Verhalten der Beklagten im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs im August 2017 aber auch schon deshalb nicht sittenwidrig ist, da eine etwaige Fahrkurvenerkennung nach dem unstreitig gebliebenen Vortrag der Beklagten im streitgegenständlichen Fahrzeug gar nicht verbaut ist (S. 6 der Klageerwiderung, S. 8 der Berufungserwiderung) und die Beklagte im Übrigen ihre Vorgehensweise zum Thema Fahrkurvenerkennung gegenüber dem KBA längst offengelegt hatte. Letzteres ergibt sich aus der von der Klagepartei selbst in Bezug genommenen „Entscheidungsvorlage“ vom 18.11.2015. Diese ist inhaltlich mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmt und ausweislich S. 4/5 gültig ab KW 47/2015.
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3. Auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB kann die Klagepartei - entgegen ihren Ausführungen auf S. 17 der BB - ihre Ansprüche nicht stützen. Für eine etwaige Haftung wegen Betruges fehlt es nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, juris, Rn. 17 ff.) schon an der erforderlichen Stoffgleichheit des etwaig seitens der Beklagten erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden des Käufers bzw. des Klägers.
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4. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder i.V.m. den Vorschriften der VO (EG) 715/2007 steht der Klagepartei, entgegen ihren Ausführungen auf S. 17 ff. der BB, nicht zu, da diese Bestimmungen keine Schutzgesetze im Sinn von § 823 Abs. 2 BGB sind (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 73 ff.; BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, Rn. 11 ff.; Beschluss vom 10. Februar 2022 - III ZR 87/21, Rn. 8 ff.)
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aa) Der BGH geht in inzwischen st. Rspr. (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, aaO, Rn. 72 ff.; Urteil vom 30. Juli 2020, aaO, Rn. 10 ff.; Urteil vom 16. September 2021, aaO, Rdnr. 35 ff., Beschluss vom 07. Juli 2021, Az.: VII ZR 218/21, Rn. 3; vgl. auch Beschluss vom 10. Februar 2022 - III ZR 87/21 Rn. 8 ff) davon aus, dass die Rechtslage im Hinblick auf §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV von vornherein eindeutig („acte clair“, vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs 283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG NVwZ 2015, 52 Rn. 35) sei. Jüngst hat er dies im Beschluss vom 4. Mai 2022 - VII ZR 656/21 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das den Gegenstand der Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 02. Juni 2022 bildende Vorabentscheidungsersuchen des LG Ravensburg ausgesprochen. Selbst wenn die Verordnung (EG) 715/2007 dem Schutz der Käufer eines Fahrzeugs vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeug in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typ bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften in den Verkehr zu bringen, diente, besage dies nichts für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein solle. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckt habe und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022, aaO, Rn. 3).
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bb) Auch die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 02. Juni 2022 in der Rechtssache C-100/21, an die der EuGH nicht gebunden ist und die keinerlei Außenwirkung haben (EuGH NJW 2020, 667 Rn. 49), geben, entgegen dem Vorbringen der Klagepartei (S. 2 ff. des Schriftsatzes vom 07.07.2022), keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen oder nunmehr eine Aussetzung entsprechend § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des EuGH in Erwägung zu ziehen. Dem Aussetzungsantrag (Schriftsatzes vom 07.07.2022) ist daher nach Auffassung des Senats nicht zu entsprechen (vgl. auch OLG München, Beschluss vom 01. Juli 2022 - 8 U 1671/22; so i.E. auch z.B. OLG München, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 27 U 1635/22; Beschluss vom 12. Juli 2022 - 36 U 1714/22; OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juni 2022 - 24 U 115/22).
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(1) Zwar schlägt der Generalanwalt inhaltlich vor, die erste und zweite Vorlagefrage so zu beantworten, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 dahin auszulegen sind, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (IV B. 50 der Schlussanträge). Hinsichtlich der Vorlagefragen 3 - 6 beschränkt sich der Antrag jedoch auf die Feststellung, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen einen Hersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist. Es sei jedoch Sache der Mitgliedstaaten die Regeln für die Art und Weise der Berechnung des Ersatzes des Schadens, der dem Erwerber entstanden ist, festzulegen, sofern dieser Ersatz in Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes dem erlittenen Schaden angemessen ist (IV C 65 der Schlussanträge). Damit stünde es den Mitgliedstaaten, selbst wenn der EuGH den Anträgen des Generalanwalts folgen sollte, weiterhin frei, einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen einer Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zu verneinen. Ein solcher ist aber Gegenstand der vorliegenden Berufung.
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(2) Die Schlussanträge des Generalanwalts vom 02. Juni 2022 bieten daneben auch in der Sache keine ausreichenden Anhaltspunkte, um nunmehr von einer durch den EuGH klärungsbedürftigen Frage auszugehen:
24
Zur EuGH-Vorlage des BGH zur Klärung der Frage, ob es sich bei den nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Medizinprodukte-RL um Schutzgesetze gem. § 823 Abs. 2 BGB handeln könne (NJW 2015, 2737), hatte der EuGH seinerzeit entschieden, dass die Voraussetzungen, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen dieses Verfahrens gemäß dieser Richtlinie obliegenden Pflichten ihre Haftung gegenüber den Endempfängern begründen kann, vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht unterliegen (EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C 219/15, NJW 2017,1161 zur Haftung für Schäden durch fehlerhafte Brustimplantate). Das sieht im Grundsatz auch der Generalanwalt so, wenn er in Rz. 55 seiner Schlussanträge vom 02. Juni 2022 ausführt, dass, abgesehen von einem Entschädigungsanspruch, der unmittelbar im Unionsrecht begründet ist, im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu bestimmen ist, wie der entstandene Schaden zu ersetzen ist, wobei die im nationalen Schadensersatzrecht festgelegten Voraussetzungen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu verhängen ermöglichen müssen. Bei der Beurteilung dieser Frage übersieht der Generalanwalt dann jedoch völlig, dass nach - im Wesentlichen auf der Verbrauchsgüterkauf-RL beruhendem - nationalem deutschem Recht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in erster Linie - sogar z.T. verschuldensunabhängige - äußerst „wirksame und abschreckende“ kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer bestehen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, zum Motor EA189; Beschluss vom 28. Januar 2020, aaO, zum Motor OM651) und Ansprüche aus unerlaubter Handlung gegen den Fahrzeughersteller deshalb erst nach Ablauf der - gemäß der Verbrauchsgüterkauf-RL europarechtlich einheitlichen - Gewährleistungsfrist von 2 Jahren in den Fokus treten. Deshalb trifft es entgegen der Auffassung des Generalanwalts in Rz. 58 auch nicht zu, dass „der Fahrzeughersteller nach derzeitigem Rechtsstand keine Inanspruchnahme zu befürchten und somit auch keinen Anreiz habe, die Unionsvorschriften penibel einzuhalten“. Denn der Fahrzeughersteller unterliegt wegen der Aufwendungen des Fahrzeugverkäufers im Rahmen der Gewährleistung gem. § 445a BGB dem Rückgriff des Händlers, hat also wirtschaftlich die Folgen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen voll und alleine zu tragen.
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(3) Auch die Pressemitteilung Nr.104/2022 des BGH vom 01. Juli 2022 zum Verhandlungstermin am 21. November 2022 in Sachen VIa ZR 335/21 („Dieselverfahren“; …unionsrechtliche Folgefragen) ändert daran nichts, denn auch dieser kann nach Auffassung des Senats nicht entnommen werden, dass der BGH nunmehr davon ausginge, dass im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwalts kein „acte clair“ mehr vorläge. Schon gar nicht kann der Pressemitteilung entnommen werden, dass der BGH eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH und des BGH für notwendig erachtet.
III.
26
1. Aufgrund obiger Ausführungen regt der Senat aus Kostengründen - eine Rücknahme der Berufung würde zu einer Kostenersparnis in Höhe von zwei Gerichtsgebühren führen, Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses - an, die Berufung zurückzunehmen.
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2. Angesichts der beantragten Abänderung des Ersturteils wird der Streitwert für das Berufungsverfahren auf bis zu 30.000,00 € festzusetzen sein.
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3. Zu diesen Hinweisen können die Parteien binnen der oben gesetzten Frist Stellung nehmen. Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zrückweisen, wenn sich Änderungen nicht ergeben. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit einer einmaligen Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss nur in absoluten Ausnahmefällen und bei Glaubhaftmachung triftiger Gründe - wozu im Allgemeinen nicht eine nur allgemein geltend gemachte Arbeitsüberlastung zählt - gerechnet werden kann (OLG Rostock OLGR 2004, 127 ff).