Inhalt

VG München, Beschluss v. 29.08.2022 – M 10 S 21.50716
Titel:

Abschiebungsanordnung, Beweislage für Verlassen des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten für mehr als drei Monate, Dublin-Verfahren, Verlassen des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten für mehr als drei Monate (bejaht), Zielstaat Frankreich

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
VO (EU) 604 (2013) (Dublin III-VO) Art. 9
Dublin III-VO Art. 10
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 Buchst. d
Dublin III-VO Art. 19 Abs. 2
Dublin III-VO Art. 22 Abs. 3
Dublin III-VO Art. 22 Abs. 4
Dublin III-VO Art. 22 Abs. 5
Verzeichnis B Nr. 9 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014
Schlagworte:
Abschiebungsanordnung, Beweislage für Verlassen des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten für mehr als drei Monate, Dublin-Verfahren, Verlassen des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten für mehr als drei Monate (bejaht), Zielstaat Frankreich
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24849

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 2. November 2011 (Gesch.-Z: ...) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Frankreich im Rahmen des sog. „Dublin-Verfahrens“.
2
Der Antragsteller ist ukrainischer Staatsangehöriger, dem Volke der Roma angehörig sowie christlich-orthodoxen Glaubens. Er reiste zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren drei Kindern am 14. Juli 2021 in das Bundesgebiet ein und äußerte ein Asylgesuch, von dem die Antragsgegnerin durch behördliche Mitteilung am 22. Juli 2021 schriftlich Kenntnis erlangt hat. Der förmliche Asylantrag datiert vom 30. September 2021.
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Ausweislich der EURODAC-Ergebnismitteilung vom 22. Juli 2021 hatte der Antragsteller bereits am 5. Februar 2020 einen Asylantrag in Frankreich gestellt (FR1 ...). Am 14. September 2021 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen an Frankreich. In dem Übernahmeersuchen gab die Antragsgegnerin an, es würden keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Antragsteller in der Zwischenzeit das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen habe. Mit Schreiben vom 26. September 2021 erklärten sich die französischen Behörden bereit, den Antragsteller gem. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d VO (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) wiederaufzunehmen.
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Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 30. September 2021 gab der Antragsteller an, zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren drei Kindern (alle ebenfalls ukrainische Staatsangehörige) am 12. Juli 2021 aus der Ukraine ausgereist und am 14. Juli 2021 über Ungarn, die Slowakei und Polen in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Er gab ferner an, bereits 2020 einen Asylantrag in Frankreich gestellt zu haben.
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Im Rahmen der Anhörung vom 26. Oktober 2021 gab der Antragsteller an, bereits im Januar oder Februar 2020 einen Asylantrag in Frankreich gestellt zu haben. Er sei allerdings nur zwei Wochen in Frankreich gewesen, eine Anhörung zu seinen Fluchtgründen habe nicht stattgefunden. Nachdem er zwei Wochen in Frankreich gewesen sei, sei er sofort nach Charkow in der Ukraine zurückgereist, nachdem er gehört habe, dass ein Onkel von ihm gestorben sei, um an der Beerdigung teilnehmen zu können. Weiter gab er an, nicht nach Frankreich überstellt werden zu wollen, da in Deutschland seine Lebensgefährtin, ein leibliches Kind, zwei Stiefkinder und zwei Schwestern leben würden.
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Nachdem ein Eilantrag der Lebensgefährtin und der drei Kinder zunächst abgelehnt wurde (VG München, B.v. 24.1.2022 - M 29 S 21.32409, n.v.), wurde die Antragsgegnerin mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2022 verpflichtet, ihnen den subsidiären Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu gewähren (VG München, U.v. 16.5.2022 - M 29 K 21.32408, n.v.). Mit Bescheid vom 10. August 2022 erkannte die Antragsgegnerin der Lebensgefährtin sowie deren Kinder den subsidiären Schutzstatus zu.
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Mit Bescheid vom 2. November 2021, der am 7. November 2021 gem. § 10 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 AsylG als zugestellt galt, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Nr. 2). Die Abschiebung nach Frankreich wurde angeordnet (Nr. 3) sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
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Der Antragsteller hat am 12. November 2021 Klage gegen den Bescheid vom 2. November 2021 erhoben und begehrt neben der Aufhebung dieses Bescheids die Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren fortzuführen, hilfsweise, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise, subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren sowie weiter hilfsweise, das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Zudem wird beantragt,
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die aufschiebende Wirkung gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass in Frankreich systemische Mängel im Asylverfahren bestehen würden. Zudem würde eine Dublin-Überstellung eine Trennung von „[s]einer Familie“ einschließlich „[s]einer minderjährigen Kinder“ bedeuten.
12
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 25. November 2021,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
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Das Gericht hat aufgrund des Vortrags des Antragstellers, er habe im Bundesgebiet ein leibliches Kind, die Bundesamts-Akte der Lebensgefährtin des Antragstellers sowie deren drei Kinder beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 21.50715, sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg. Er wurde fristgerecht binnen der Wochenfrist nach § 34a Abs. 2 Satz 1, § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG gestellt und ist aufgrund schwerwiegender Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 2. November 2021 auch begründet.
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1. Entfaltet ein Rechtsbehelf - wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) - von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1
Alt. 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Stellen sich die Erfolgsaussichten der Klage nach summarischer Prüfung als offen dar, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.
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Gemessen an diesen Maßstäben geht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall zugunsten des Antragstellers aus. Nach summarischer Prüfung ist im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt dieses Beschlusses (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) von einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers auszugehen, da der Bescheid vom 2. November 2021 nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtswidrig ist. Auch wenn die erhobene Hauptsacheklage im Hinblick auf die weitergehenden Verpflichtungsanträge teilweise unzulässig ist, da gegen eine nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangene Abschiebungsanordnung ausschließlich die Anfechtungsklage statthaft ist (BVerwG, U.v. 9.8.2016 - 1 C 6/16 - juris Rn. 9; VG Würzburg, U.v. 5.7.2018 - W 2 K 17.50701 - juris Rn. 15), ist Letztere aber nach summarischer Prüfung voraussichtlich begründet.
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a) Nach Aktenlage bestehen schwerwiegende rechtliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangenen Abschiebungsanordnung. Entgegen dem Bescheid vom 2. November 2021 lagen die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG voraussichtlich nicht vor.
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aa) Nach der Grundregel des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin-III-VO ist immer derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz zuerst gestellt worden ist, außer es ergibt sich anhand der Kriterien der Art. 7 ff. Dublin-III-VO eine anderweitige Zuständigkeit.
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Nach der EURODAC-Treffermeldung vom 22. Juli 2022 sowie den Schilderungen des Antragstellers in seinen Anhörungen kommt zwar im Ausgangspunkt die Zuständigkeit Frankreichs nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO in Betracht, da der Antragsteller am 5. Februar 2020 in Frankreich einen Asylantrag gestellt hat. Nach Aktenlage bestehen aber gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Angabe der Antragsgegnerin unter Nr. 13 im Übernahmeersuchen vom 14. September 2021 unrichtig ist. Der Antragsteller hat in seiner Anhörung vom 26. Oktober 2021 schlüssig ausgeführt, dass er Frankreich bereits zwei Wochen nach seiner Ankunft dort im Februar 2020 wieder verlassen hat, um der Beerdigung seines Onkels in Charkow beiwohnen zu können. Dieser Vortrag ist schlüssig, weil der Antragsteller am 14. Juli 2021 über Ungarn, die Slowakei und Polen zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren drei Kindern in das Bundesgebiet eingereist ist, sich also für einen Zeitraum von deutlich über einem Jahr jedenfalls seit März 2020 in der Ukraine aufgehalten haben muss. Anhaltspunkte für einen Aufenthalt des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zwischen März 2020 und dem 13. Juli 2021 liegen nicht vor und wurden auch von der Antragsgegnerin nicht dargelegt. Die Behauptung unter Nr. 13 im Übernahmeersuchen vom 14. September 2021, dass der Antragsteller zwischen Februar 2020 und Juli 2021 das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen habe, erscheint damit nicht haltbar.
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bb) In rechtlicher Hinsicht liegt die von den französischen Behörden angenommene Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO aufgrund der Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht vor. Nach Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO erlöschen die Pflichten nach Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller, um dessen Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für drei Monate verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels. Gemäß Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO gilt ein nach der Periode der Abwesenheit im Sinne des Unterabsatzes 1 gestellter Antrag als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.
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Die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO sind, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, U.v. 7.6.2016 [GK] - C-155/16, Rs. „Karim“ - juris Rn. 17 f.) erfüllt. Danach ist die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO anwendbar, wenn der Drittstaatsangehörige den Nachweis erbringt, dass er das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, bevor er einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat (EuGH, a.a.O., Rn. 18). Der dem Gericht vorliegende Akteninhalt reicht aus, um ausreichende Nachweise für eine mindestens dreimonatige Abwesenheit des Antragstellers vom Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten anzunehmen.
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Unter dem Gesichtspunkt der materiellen Beweislast für die mindestens dreimonatige Abwesenheit vom Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (vgl. dazu VG Ansbach, B.v. 20.12.2021 - AN 14 S 21.50254 - juris Rn. 30) ergibt sich nichts Anderes. Stellt man auf die Beweislage an sich ab (vgl. VG München, B.v. 1.3.2018 - M 1 S 17.52262 - juris Rn. 18), reicht es vorliegend aus, dass der mindestens dreimonatige Aufenthalt des Antragstellers in der Ukraine vor seiner Einreise in das Bundesgebiet durch die Angaben der Lebensgefährtin in ihrer persönlichen Anhörung belegt ist. Denn über Aufnahme- und Wiederaufnahmegesuche ist nach Art. 22 Abs. 3 und Art. 23 Abs. 4 Dublin III-VO anhand von „Beweismitteln“ und „Indizien“ zu entscheiden. Liegen keine förmlichen Beweismittel vor, erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, wenn die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um die Zuständigkeit zu begründen (Art. 22 Abs. 5 Dublin III-VO).
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Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben stellen die Angaben des Antragstellers zusammen mit den Angaben der Lebensgefährtin in den jeweiligen Anhörungen „Indizien“ i.S.v. Art. 22 Abs. 3 Buchst. b Dublin III-VO i.V.m. Verzeichnis B Nr. 9 Durchführungsverordnung (EU) 118/2014 für die mehr als 3-monatige Abwesenheit des Antragstellers vom Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten dar. Denn die Angaben der Lebensgefährtin, die sich in den maßgeblichen Punkten mit denen des Antragstellers decken, sind nach Aktenlage als glaubhaft einzuschätzen. Dies betrifft insbesondere die Angaben zum Reiseweg, zum Ausreisezeitpunkt als auch die gemeinsame Zeit in Slowjansk und Charkow vor der Ausreise. So hat die Lebensgefährtin des Antragstellers angegeben, dass er mit ihr und den Kindern E. 2020 in Slowjansk gelebt habe und dann nach Charkow gezogen sei, wo sie in den letzten zwei Monaten vor der Ausreise bei Freunden gelebt hätten (BA 8482627 - 166, Bl. 184 f.; vgl. auch im Eilbeschluss: VG München, B.v. 24.1.2022 - M 29 S 21.32409 - Rn. 3, n.v.). Die vorliegenden Indizien sind daher insgesamt als „kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert“ i.S.v. Art. 22 Abs. 5 Dublin III-VO anzusehen. Jedenfalls für das vorliegende Eilverfahren sind die Anforderungen an das Beweiserfordernis geringer als im Hauptsacheverfahren anzusetzen, zumal die ordnungsgemäße Anwendung der Dublin III-VO damit nicht infrage gestellt wird (vgl. auch VG Berlin, B.v. 31.5.2017 - 36 L 342.17 A - juris Rn. 12).
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cc) Der Antragsteller kann die Fehlerhaftigkeit der Zuständigkeitsbestimmung schließlich auch rügen, da Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO unter Berücksichtigung der tragenden Gründe der „Karim“-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union als drittschützend anzusehen ist (Hailbronner in Heilbronner, Ausländerrecht, 6. Individuelle Rechte auf Einhaltung der Dublin-Regeln, Rn. 129; s. auch VG Düsseldorf, B.v. 8.1.2019 - 22 L 2252/18.A - juris Rn. 17 f.; VG Aachen, B.v. 7.9.2018 - 6 L 1087/18.A. - juris Rn. 16; VG München, B.v. 1.3.2018 - M 1 S 17.52262 - juris Rn. 16; VG Düsseldorf, B.v. 21.3.2017 - 12 L 39/17.A - juris Rn. 12 ff.; VG Köln, B.v. 6.3.2017 - 14 L 36/17.A - juris Rn. 11; VG München, B.v. 29.9.2016 - M 24 S 16.50506 - juris Rn. 25). Im Ergebnis hätte die Antragsgegnerin den vom Antragsteller gestellten Antrag als neuen Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst, behandeln müssen. Die von Frankreich mitgeteilte Zustimmung zur Rückübernahme des Antragstellers nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO ändert daran nichts, zumal diese Äußerung maßgeblich auf die unrichtige Mitteilung der Antragsgegnerin in Nr. 13 ihres Aufnahmegesuchs vom 14. September 2021 zurückzuführen sein dürfte.
27
b) Unabhängig von den obigen Ausführungen ist anzumerken, dass die Zuständigkeit Frankreichs auch unter dem Gesichtspunkt der Art. 7 bis Art. 10 Dublin III-Verordnung nach Aktenlage zweifelhaft erscheint. Der Antragsteller hat in seiner Anhörung vom 26. Oktober 2021 dargelegt, dass er nicht nach Frankreich überstellt werden wolle, weil eines der drei Kinder seiner Lebensgefährtin sein leibliches Kind sei (vgl. BA Bl. 133). Auch wenn der Vortrag des Antragstellers nicht stringent ist und an anderer Stelle von „seinen Kindern“ spricht (vgl. BA Bl. 138), hätte die Antragsgegnerin diesen Vortrag näher prüfen müssen. Jedenfalls die Begründung im Bescheid, dass es dem Antragsteller zuzumuten sei, die familiäre Gemeinschaft im Ausland zu führen (S. 18), ist vor dem Hintergrund des Art. 10 Dublin III-VO nicht nachvollziehbar, wenn sie bezüglich der Lebensgefährtin und der drei Kinder im nationalen Verfahren entscheidet (und deren Asylanträge zunächst in der Sache abgelehnt hat), den Antragsteller aber im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Frankreich überstellen möchte. Es liegt auf der Hand, dass diese Vorgehensweise zu einer Trennung der „Familie“ führen würde bzw. die „familiäre Gemeinschaft“ gerade nicht im Ausland weitergeführt werden kann, wenn die Lebensgefährtin und ihre Kinder (nach dem ursprünglichen Bescheid vom 4. November 2021) in die Ukraine zurückkehren und der Antragsteller nach Frankreich überstellt würde.
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Auffällig ist, dass die jüngste Tochter der Lebensgefährtin des Antragstellers nicht den gleichen Vater wie ihre älteren Geschwister zu haben scheint (vgl. die übersetzten Geburtsurkunden des ältesten Sohnes [Bl. 171 und 173], der mittleren Tochter [Bl. 163 und 165] sowie der jüngsten Tochter [Bl. 73 und 74], vgl. ergänzend auch die Lichtbilder in der Bundesamts-Akte zu … * …, Bl. 36). Auch wenn keine der übersetzten Geburtsurkunden in der Bundesamt-Akte der Lebensgefährtin den Nachnamen des Antragstellers als Vater aufführen, ist zu sehen, dass sich in der Bundesamts-Akte des Antragstellers im Vergleich zur Bundesamt-Akte der Lebensgefährtin offenbar abweichende Originaldokumente zu den Kindern mit kyrillischen Schriftzeichen befinden (vgl. einerseits BA des Antragstellers, Bl. 19-28; vgl. auf der andererseits BA … * … zur Lebensgefährtin, Bl. 73, 163 und 171). Diese in der Bundesamt-Akte des Antragstellers auf den Seiten 19 bis 28 befindlichen Originaldokumente zu den Kindern sind allerdings - soweit ersichtlich - nicht übersetzt worden, jedenfalls folgt hierzu nichts in der Bundesamt-Akte des Antragstellers. Da nicht restlos ausgeschlossen werden kann, dass unter diesen für das Gericht nicht näher verständlichen Dokumenten solche befinden, die den Vortrag des Antragstellers zu „seiner Familie“ stützen, dürfte insofern ein Aufklärungsmangel seitens der Antragsgegnerin vorliegen (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Da im Hinblick auf den zwischenzeitlich gewährten subsidiären Schutzstatus der Lebensgefährtin des Antragstellers und der drei Kinder jedenfalls nun die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 9 Dublin III-VO im Raum stehen könnte, bestehen neben den obigen Ausführungen zu Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO auch aus diesem Grund rechtliche Bedenken gegen die Überstellung des Antragstellers nach Frankreich.
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2. Aufgrund der oben dargestellten rechtlichen Bedenken gegen die nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangene Abschiebungsanordnung war daher antragsgemäß die aufschiebende Wirkung gegen Nummer 3 des verfahrensgegenständlichen Bescheids anzuordnen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).