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VG München, Urteil v. 14.07.2022 – M 10 K 20.3910
Titel:

Zweitwohnungsteuersatzung, Stufentarife, Änderung in linearen Tarif, kein vollständiger Satzungsneuerlass, Nichtigkeit der Satzung

Schlagworte:
Zweitwohnungsteuersatzung, Stufentarife, Änderung in linearen Tarif, kein vollständiger Satzungsneuerlass, Nichtigkeit der Satzung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24846

Tenor

I. Die Bescheide der Beklagten vom 2. Mai 2019 und vom 27. November 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide des Landratsamts ... vom 11. November 2019 und vom 21. Februar 2020 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Zweitwohnungsteuer durch die Beklagte. Der Kläger ist Inhaber einer Wohnung im Gemeindegebiet der Beklagten, sein Hauptwohnsitz ist in Berlin gemeldet.
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Die Beklagte erhebt auf der Grundlage ihrer Satzung zur Erhebung einer Zweitwohnungsteuer (Zweitwohnungsteuersatzung-ZwStS) vom 21. Dezember 2004 in der Fassung der Änderungssatzung vom 30. Juli 2018 Zweitwohnungsteuer für das Innehaben einer Zweitwohnung im Gemeindegebiet. In der ursprünglichen Fassung von § 5 ZwStS war ein in 5 Stufen gestaffelter jährlicher Steuersatz vorgesehen, abhängig von der jährlichen Nettokaltmiete (bis zu 1200 EUR Miete: Steuersatz von 90 EUR; mehr als 1200 aber nicht mehr als 2400 EUR Miete: Steuersatz von 180 EUR; mehr als 2400 aber nicht mehr als 4800 EUR Miete: Steuersatz von 360 EUR; mehr als 4800 aber nicht mehr als 9600 EUR Miete: Steuersatz von 720 EUR; mehr als 9600 EUR Miete: Steuersatz von 1080 EUR).
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§ 1 Änderungssatzung vom 30. Juli 2018 ändert § 5 Abs. 1 ZwStS wie folgt: „Die Steuer beträgt jährlich 11 v.H. der Bemessungsgrundlage (Jahresnettokaltmiete)“. Nach § 2 Änderungssatzung tritt diese am 1. Januar 2018 in Kraft.
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Mit Änderungsbescheid der Beklagten vom 2. Mai 2019 wurde für das Anwesen des Klägers die Zweitwohnungsteuer für die Jahre 2018 und 2019 geändert von jeweils 578 EUR auf 986 EUR, ab 2020 jährlich ebenfalls auf 986 EUR. Hiergegen legte der Kläger am 19. Mai 2019 Widerspruch ein.
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Mit Änderungsbescheid vom 18. Juni 2019 setzte die Beklagte die Zweitwohnungsteuer für das Jahr 2019 auf 328,67 EUR herab.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2019 wies das Landratsamt ... den Widerspruch des Klägers gegen den Steuerbescheid vom 2. Mai 2019 zurück.
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Mit Änderungsbescheid vom 27. November 2019 setzte die Beklagte die Zweitwohnungsteuer für 2019 und ab 2020 jährlich erneut auf 986 EUR fest. Hiergegen legte der Kläger am 6. Dezember 2019 Widerspruch bei der Beklagten ein („Einspruch“). Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2020 wies das Landratsamt ... den Widerspruch des Klägers gegen den Steuerbescheid vom 27. November 2019 zurück.
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Eine Zustellung der Widerspruchsbescheide an den Kläger in Berlin war nicht möglich, der Empfänger sei vorübergehend verzogen. Die Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 21. Februar 2020 an den Kläger erfolgte am 3. März 2020 an seinem derzeitigen Wohnort; die Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2019 lässt sich den vorgelegten Behördenakten nicht zweifelsfrei entnehmen.
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Der Kläger hat mit Schreiben vom 3. März 2020, eingegangen am 7. März 2020, Klage erhoben sinngemäß mit den Anträgen,
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die Zweitwohnungsteuerbescheide der Beklagten in Gestalt der Widerspruchsbescheide des Landratsamts ... … vom 11. November 2019 und vom 21. Februar 2020 aufzuheben.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger habe die streitgegenständliche Wohnung unbefristet kostenlos einer früheren Mitarbeiterin als Dankeschön für ihre jahrzehntelange kostenlose Mithilfe in seiner früheren Hausverwaltung überlassen. Damit sei er nicht Inhaber einer Zweitwohnung.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Streitgegenstand in diesem Verfahren sind bei sachgerechter Auslegung die Änderungsbescheide der Beklagten zur Zweitwohnungsteuer vom 2. Mai 2019 und vom 27. November 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide des Landratsamts ... vom 11. November 2019 und vom 21. Februar 2020. Der Kläger hat gegen die beiden genannten Änderungsbescheide jeweils fristgerecht Widerspruch eingelegt, nicht aber gegen den Änderungsbescheid vom 18. Juni 2019. Sein Klageantrag bezieht sich nur auf die Änderungsbescheide, soweit diese Gegenstand der Widerspruchsverfahren waren.
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2. Die Klage gegen die beiden Änderungsbescheide in Gestalt der Widerspruchsbescheide ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht nach § 74 VwGO erhoben.
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Danach muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Diese Monatsfrist ist jedenfalls hinsichtlich des Widerspruchsbescheids vom 21. Februar 2020 gewahrt; dieser wurde am 3. März 2020 zugestellt, die Klage ging am 7. März 2020 bei Gericht ein.
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Hinsichtlich des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2019 lässt sich den vorgelegten Behördenakten die Zustellung oder ein Zugang nicht zweifelsfrei entnehmen. Da der Beginn der Monatsfrist für die Klageerhebung somit nicht festzustellen ist, kann auch kein Ablauf der Klagefrist erfolgen. Die Klage ist insoweit ohne zeitliche Einschränkung zulässig, da auch keine Anhaltspunkte für eine Verwirkung des Rechtsbehelfs vorhanden sind (vergleiche Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 57 Rn. 17).
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3. Die Klage ist begründet, da die angefochtenen Abgabenbescheide in Gestalt der Widerspruchsbescheide rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Für den Erlass von Zweitwohnungsteuerbescheiden fehlt es an einer wirksamen Rechtsgrundlage.
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3.1 Für die Erhebung kommunaler Abgaben bedarf es einer besonderen Abgabesatzung, die den Schuldner, den die Abgabe begründenden Tatbestand, den Maßstab, den Satz der Abgabe sowie die Entstehung und Fälligkeit der Abgabeschuld bestimmen, § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 KAG. Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Zweitwohnungsteuersatzung findet sich in Art. 3 Abs. 1 KAG i.V.m. Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Nach diesen Vorschriften können Gemeinden örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern erheben, solange und soweit diese nicht bundesrechtlich geregelten Steuern gleichartig sind. Die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer im Freistaat Bayern ist demgemäß grundsätzlich zulässig (vgl. ausführlich hierzu: BayVGH, U.v. 4.4.2006 - 4 N 04.2798 - BayVBl 2006, 500 ff.).
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3.2 Der in der ursprünglichen Fassung von § 5 ZwStS in 5 Stufen gestaffelte jährliche Steuersatz bewirkte eine steuerliche Ungleichbehandlung der Steuerschuldner, weil er nach dem betriebenen Aufwand typischerweise weniger leistungsfähige Steuerschuldner prozentual höher belastete als wirtschaftlich leistungsfähigere. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb den gestaffelten Steuersatz für rechtswidrig und eine entsprechende Zweitwohnungsteuersatzung für nichtig gehalten (BVerfG, B.v. 18.7.2019 - 1 BvR 807/12, 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 42 ff.).
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3.3 Diesen zur Nichtigkeit auch der Satzung zur Erhebung einer Zweitwohnungsteuer (Zweitwohnungsteuersatzung-ZwStS) vom 21. Dezember 2004 führenden Rechtsfehler wollte die Beklagte durch eine Änderung des ursprünglichen § 5 ZwStS beheben, indem sie anstelle des Staffelsteuersatzes mit der Änderungssatzung vom 30. Juli 2018 einen linearen Steuersatz in Höhe von 11 v.H. normierte, allerdings ohne die Zweitwohnungsteuersatzung insgesamt neu zu erlassen; vielmehr wurde nur die Regelung in § 5 Abs. 1 ZwStS mit Wirkung zum 1. Januar 2018 ersetzt.
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Damit konnte aber keine Heilung der ursprünglichen Satzung zur Erhebung einer Zweitwohnungsteuer vom 21. Dezember 2004 erfolgen. Denn die Nichtigkeit einer Abgabesatzung kann nicht durch eine bloße Änderung der die Nichtigkeit verursachenden Regelung wirksam korrigiert werden, sondern es bedarf wegen fehlender Teilbarkeit des Regelungsgegenstands eines Neuerlasses der ungültigen Satzung insgesamt (st.Rspr. des BayVGH, U.v. 29.4.2010 - 20 BV 09.2010 - juris Rn. 50; U.v. 16.11.2006 - 23 BV 06.2403 - juris Rn. 35, jeweils m.w.N.; a.A. jedenfalls zur rückwirkenden Heilung materiell-rechtlicher Mängel: OVG LSA, U.v. 27.2.2020 - 2 L 35/18 - juris Rn. 53; SächsOVG, U.v. 20.5.2019 - 5 A 100/16 - juris Rn. 43; ThürOVG, B.v. 15.2.2007 - 4 EO 432/03 - juris Rn. 11 ff.).
24
Mit der Änderungssatzung konnte damit keine wirksame Rechtsgrundlage für die Erhebung der Zweitwohnungsteuer geschaffen werden. Vielmehr hätte die gesamte Norm einschließlich des korrigierten Steuersatzes neu erlassen werden müssen.
25
Damit ist der Klage stattzugeben, die angefochtenen Bescheide und Widerspruchsbescheide sind aufzuheben.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nummer 11, § 711 ZPO.