Titel:
Keine Befriedigung des Feststellungsinteresses im Eilverfahren
Normenkette:
VwGO § 60 Abs. 1, § 60 Abs.2 S. 1, § 113 Abs. 1 S. 4, § 123
Leitsätze:
1. Eine aufgrund summarischer Prüfung ergehende einstweilige Anordnung dient der Sicherung eines Rechts oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses, kann aber nicht zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Maßnahme führen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Eilverfahren liegt unter anderem dann nicht vor, wenn das Begehren auf andere, offensichtlich einfachere und näherliegende Weise erreicht werden kann oder der begehrte Rechtsschutz für den Antragsteller nutzlos ist, weil über das Begehren des Antragstellers in der Hauptsache bereits bestandskräftig entschieden worden ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Beginn der Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung nach versäumter Einlegung eines Rechtsmittels setzt keine positive Kenntnis von der Fristversäumnis voraus; das Hindernis entfällt vielmehr schon in dem Zeitpunkt, in dem Zweifel an der Einhaltung der Frist aufkommen oder spätestens dann, wenn Nachfragen bei Gericht Gewissheit über die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels ergeben hätten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
- Bundesbeamtenrecht, - Auswahlverfahren für Verbeamtung, - keine Statthaftigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags im einstweiligen Anordnungsverfahren, - keine Befriedigung des Feststellungsinteresses im Eilverfahren, - kein Rechtsschutzbedürfnis für Feststellungsbegehren, Konkurrenteneilverfahren auf Freihaltung und Sicherstellung einer Beamtenstelle einfachere und effektivere Möglichkeit, - kein Rechtsschutzbedürfnis bei Bestandskraft des angegriffenen Verwaltungsaktes, Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolglos, Verbeamtungsaktion, Auswahlverfahren, gesundheitliche Eignung, Konkurrentenstreit, vorläufiger Rechtsschutz, Eilverfahren, Rechtsschutzbedürfnis, Feststellungsinteresse, Bestandskraft, Fristversäumnis, Wiedereinsetzung, Zweifel
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24490
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 11.144,67 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des Eilrechtsschutzes die Feststellung, dass die Antragsgegnerin verpflichtet war, den Antragsteller in das Auswahlverfahren zur Verbeamtung in der Laufbahn des gehobenen Dienstes einzubeziehen.
2
Der Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin seit 2017 als Sachbearbeiter tätig. Seine Bewerbung auf die seitens der Antragsgegnerin im August 2019 ausgeschriebene Verbeamtungsaktion 2018 blieb erfolglos. Mit Verweis auf die fehlende gesundheitliche Eignung, die sich aus dem amtsärztlichen Gutachten des Gesundheitsamts … vom 1. Juli 2021 ergebe, teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 6. August 2021 mit, dass er nicht im weiteren Auswahlverfahren berücksichtigt werden könne.
3
Den eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2022 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde der Antragstellerbevollmächtigten ausweislich des auf dem Umschlag vermerkten Datums (vgl. Bl. 25 d. Gerichtsakte) und der Zustellungsurkunde (vgl. Bl. 70 f. d. Gerichtsakte) am 23. April 2022 an deren Kanzleianschrift zugestellt.
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Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 25. Mai 2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhob der Antragsteller hiergegen Klage und stellte einen Eilantrag. Er macht unter Beifügung ergänzender Unterlagen (vgl. Bl. 20 bis 22, 50 ff d. Gerichtsakte) im Wesentlichen geltend, dass die in dem amtsärztlichen Gutachten getroffene Feststellung zu Erkrankungen aus dem psychiatrischen Formenkreis nicht (mehr) zutreffe. Das konkrete Auswahlverfahren für die Verbeamtungsaktion habe sich erledigt, er habe jedoch einen Anspruch darauf festzustellen, dass die Antragsgegnerin unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids verpflichtet gewesen sei, den Antragsteller in das Auswahlverfahren im Rahmen der Verbeamtungsaktion unter Bestätigung seiner gesundheitlichen Eignung einzubeziehen. Es liege ein Feststellungsinteresse in Form der Wiederholungsgefahr vor, da sich die Antragsgegnerin bei erneuter Bewerbung des Antragstellers auf eine Verbeamtungsaktion wieder auf dessen fehlende gesundheitliche Eignung stützen könnte. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund, da es sich um eine einmalige Verbeamtungsaktion der Antragsgegnerin gehandelt habe und nicht ersichtlich sei, wann in absehbarer Zeit erneut eine Verbeamtungsaktion bei der Antragsgegnerin stattfindet. Ein Abwarten der Hauptsache sei deshalb nicht zumutbar, da dies wesentliche Nachteile bedeuten würde, wegen Zeitablaufs und Ungewissheit. Er beantragt,
Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet war, den Antragsteller in das Auswahlverfahren im Rahmen der Verbeamtungsaktion 2021 einzubeziehen, da die bei dem Antragsteller vorliegende Erkrankung nicht gegen die Einbeziehung in das Auswahlverfahren der Verbeamtung mit Ziel der Berufung in ein Beamtenverhältnis bei der Antragsgegnerin spricht, sondern die fachliche sowie charakterliche und gesundheitliche Eignung des Antragstellers bei der Auswahlentscheidung vorgelegen hat.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag als unzulässig abzulehnen.
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Der Antrag sei offensichtlich unzulässig, da die Klage in der Hauptsache verfristet erhoben worden sei. Der Widerspruchsbescheid sei dem Antragsteller ausweislich der Postzustellungsurkunde am 23. April 2022 zugestellt worden. Die Klagefrist habe demnach am 24. April 2022 zu laufen begonnen und am 23. Mai 2022 um 24.00 Uhr geendet. Die Klage sei allerdings erst am 25. Mai 2022 um 15.47 Uhr via EGVP eingegangen. Damit fehle dem Antrag das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, das auch für die Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlich sei und dann nicht vorliege, wenn der in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist.
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Mit Schreiben vom 28. Juni 2022 stellte die Antragstellerbevollmächtigte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in der Hauptsache. Die Frist für die Klage sei ohne Verschulden versäumt worden. Der Widerspruchsbescheid sei an einem Samstag, dem 23. April 2022 zugestellt worden. Dies sei handschriftlich zwar auf dem Kuvert von der Zustellperson vermerkt, versehentlich aber vom Sekretariat nicht gesehen und auch nicht vermerkt, sondern lediglich mit dem Eingangsstempel 25. April 2022 (Montag) ausgewiesen worden. Der Kanzleibetrieb sei an diesem Montag wiederaufgenommen und der Widerspruchsbescheid gestempelt worden. Die seit vielen Jahren in dem Beruf tätige und erfahrene gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte Frau … habe die Frist berechnet sowie notiert und in den Fristenkalender eingetragen. Das ausgewiesene Datum auf der Postzustellungsurkunde sei von ihr übersehen worden, so dass der Eingang auf Montag, den 25. April 2022 notiert und an diesen angelehnt, die Frist berechnet worden sei. In einer beigefügten eidesstattlichen Versicherung erklärt Frau … …, versehentlich die Frist auf Basis des Eingangsstempels von Montag, den 25. April 2022 notiert und hierbei den gelben Umschlag übersehen zu haben. Die Antragstellerbevollmächtigte gibt in einer beigefügten eidesstattlichen Versicherung an, das ausgewiesene Datum auf der Postzustellungsurkunde sei versehentlich sowohl von ihr als auch von Frau … übersehen worden, sodass der Eingangsstempel erst am Montag, den 25. April 2022 ohne weiteren Vermerk auf den Widerspruchsbescheid gesetzt worden und daran angelehnt die Frist berechnet worden sei. Sie würde als Rechtsanwältin Fristen immer überwachen und bis dato habe es auch keinen Grund zur Beanstandung gegeben. Ihre Mitarbeiterin, Frau …, habe bis dahin nie einen Fehler bei der Eingangskontrolle von Schriftstücken und damit verbunden der Fristberechnung gemacht.
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Mit Schreiben vom 8. Juli 2022 teilte die Antragstellerbevollmächtigte klarstellend mit, dass sie Frau … ausdrücklich die Anweisung erteilt habe, dass das Zustelldatum (lt. Umschlag) als Fristbeginn herzunehmen sei. Die Kanzlei der Unterfertigten sei zertifiziert nach DIRO. Hier würden strenge Vorgaben gelten, die regelmäßig überprüft würden, so auch zur Fristenverwaltung. Aus alledem ergebe sich, dass es sich im vorliegenden Fall um ein Büroversehen handele und um kein Organisationsverschulden. Es liege eine ausreichende Fristenkontrolle vor.
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Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei abzulehnen, da bereits bei der Prozessbevollmächtigten ein Verschulden darin zu sehen sei, dass sie das tatsächliche Zustelldatum nach eigenen Angaben übersehen habe. Darüber hinaus bestehe auch ein Organisationsverschulden. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass die Antragstellerbevollmächtigte das Schriftstück selbst in den Händen gehalten haben muss, sonst hätte sie nicht vortragen können, dass der Vermerk auf dem Kuvert handschriftlich sei.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im Eilsowie im Klageverfahren verwiesen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist abzulehnen, da er bereits aus mehreren Gründen unzulässig ist.
12
1. Der im einstweiligen Anordnungsverfahren gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog ist nicht statthaft. Das vom Antragsteller angestrebte Ziel der Feststellung, dass die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen sei, ihn in das Auswahlverfahren der Verbeamtungsaktion 2018 (dass in dem gestellten Antrag die Verbeamtungsaktion 2021 statt 2018 genannt wird, stellt unter Einbezug der Antragsschrift eine offensichtliche Unrichtigkeit dar, die das Gericht gemäß § 122 Abs. 1, § 88 VwGO nach dem erkennbaren Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ausgelegt) einzubeziehen, kann nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erreicht werden. Eine entsprechende Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil das Feststellungsinteresse, das einen solchen Antrag allein rechtfertigt, in einem Eilverfahren nicht befriedigt werden kann. Eine aufgrund summarischer Prüfung ergehende einstweilige Anordnung dient der Sicherung eines Rechts oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses, kann aber nicht zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Maßnahme führen. Ein Feststellungsbegehren widerspricht deshalb dem Sinn und Zweck des Eilverfahrens (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2012 - 8 CE 11.2759 - juris Rn. 19 m.w.N.; zur fehlenden Statthaftigkeit: BVerwG, B.v. 27.1.1995 - 7 VR 16/94 - juris Rn. 27).
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2. Darüber hinaus liegt für den Antrag auch kein Rechtsschutzbedürfnis vor. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, das auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung eine eigenständige Sachentscheidungsvoraussetzung ist, liegt unter anderem dann nicht vor, wenn das Begehren auf andere, offensichtlich einfachere und näherliegende Weise erreicht werden kann (vgl. Kuhla in BeckOK, VwGO, Stand: 1.7.2022, § 123 Rn. 37) oder der begehrte Rechtsschutz für den Antragsteller nutzlos ist, weil über das Begehren des Antragstellers in der Hauptsache bereits bestandskräftig entschieden worden ist (vgl. Kuhla in BeckOK, VwGO, Stand: 1.7.2022, § 123 Rn. 40; Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 123 Rn. 22). Beides ist vorliegend der Fall.
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a) Zum einen hätte dem Antragsteller mit der Möglichkeit, nach dem ablehnenden Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. August 2021 gemäß § 123 VwGO ein Konkurrenteneilverfahren auf Freihaltung und Sicherstellung einer Beamtenstelle anzustrengen, eine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Verfügung gestanden, sein eigentliches Rechtsschutzbegehren, bei der Antragsgegnerin verbeamtet zu werden, zu erreichen. Mit der im Nachhinein erhobenen subsidiären Klage auf bloße Feststellung ist dies nicht möglich. Sie kann dem Antragsteller auch nicht den erhofften Vorteil für eine künftige Bewerbung auf eine Beamtenstelle bei der Antragsgegnerin verschaffen. Für eine solche wäre die gesundheitliche Eignung des Antragstellers neu unter Zugrundelegung seines dann aktuellen Gesundheitszustandes zu untersuchen und zu bewerten. Etwaige Einwände gegen das Auswahlverfahren wären im Wege des Primärrechtsschutzes in Gestalt des Konkurrentenstreits bereits im Laufe des Bewerbungsverfahrens geltend zu machen. Ein Feststellungsurteil in einem vorangegangenen Bewerbungsverfahren würde insoweit keine Bindungswirkung entfalten.
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b) Zum anderen ist die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 6. August 2021 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2022, den Antragsteller nicht für die Verbeamtung bei der Antragsgegnerin zu berücksichtigen, bereits bestandskräftig.
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aa) Die am 25. Mai 2022 eingegangene Klage ist, nachdem der Widerspruchsbescheid der Antragstellerbevollmächtigten am 23. April 2022 zugestellt worden ist, verfristet. Die Klagefrist gegen den Widerspruchsbescheid bestimmt sich nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie beträgt einen Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids, der gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 und 2 VwZG zugestellt wird. Der Widerspruchsbescheid gilt vorliegend gemäß § 3 Abs. 2 VwZG i.V.m. § 180 Satz 2 ZPO mit der Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten der Antragstellerbevollmächtigten am 23. April 2022 als zugestellt. Ausweislich der Zustellungsurkunde vom 23. April 2022 lagen die Voraussetzungen für die Ersatzzustellung gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO vor, sodass die Klagefrist gemäß 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB am 24. April 2022 zu laufen begann und nach § 188 Abs. 2 1. Alt. BGB am Montag, den 23. Mai 2022 um 24 Uhr endete.
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bb) Die Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO liegen nicht vor. Der Antragsteller war gemäß § 60 Abs. 1 VwGO nicht ohne Verschulden daran gehindert, die Klage fristgerecht zu erheben. Die Verfristung hatte ihre Ursache in einer fehlerhaften Kanzleiorganisation hinsichtlich der Festlegung und des Notierens des zutreffenden Zustellzeitpunktes von Postsendungen und anschließender Fristberechnung. Dieses Organisationsverschulden seiner Bevollmächtigten ist dem Antragsteller zuzurechnen.
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Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der die Wiedereinsetzung beantragende Beteiligte muss die Tatsachen zur Begründung des Antrags binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses glaubhaft machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Erforderlich ist eine rechtzeitige, substantiierte und schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen. Korrekt und vollständig muss mittels einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe angegeben werden, durch welche Umstände und gegebenenfalls welches Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist und wann das für die Versäumung ursächliche Hindernis weggefallen ist. Weitere Wiedereinsetzungsgründe in tatsächlicher Hinsicht können nach Ablauf der Zweiwochenfrist - abgesehen von bloßen Ergänzungen und Erläuterungen - nicht mehr vorgetragen werden. Nachgeholt werden kann im Verfahren gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO nur die Glaubhaftmachung (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, B.v. 23.2.2021 - 2 C 11/19 - juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.12.2017 - 10 ZB 16.997 - juris Rn. 8; Schoch/Schneider, 42. EL Februar 2022, § 60 Rn. 59 f.).
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Verschulden gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.1995 - 6 C 13.93 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 198 S. 14). Dabei ist das Verschulden eines Bevollmächtigten dem vertretenen Beteiligten gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Für ein Verschulden von Hilfspersonen gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten ist, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn beispielsweise die Nichteinhaltung der Frist darauf beruht, dass der Rechtsanwalt es versäumt hat, durch eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere hinsichtlich der Fristen- und Terminüberwachung und der Ausgangskontrolle, ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen. Grundsätzlich dürfen Rechtsanwälte einfache Arbeiten, die keine besondere intellektuelle Leistung oder juristische Schulung erfordern, sondern routinemäßig erledigt werden können, auf Büropersonal übertragen, wenn und solange dieses sorgfältig ausgewählt und gut ausgebildet, erprobt und überwacht wird (vgl. stRspr BGH, U.v. 25.9.2014 - III ZR 47/14 - juris Rn. 8 m.w.N. und BVerwG, U.v. 28.4.1967 - IV C 100/66, B.v. 7.3.1995 - 9 C 390/94 - juris Rn. 11). Überlässt der Anwalt die Berechnung einer Frist seinem Personal, muss er durch entsprechende Weisungen sicherstellen, dass Fehlerquellen bei der Berechnung soweit wie möglich ausgeschlossen sind.
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Ein erheblicher Organisationsmangel, der für die Fristversäumung ursächlich geworden ist, steht der Wiedereinsetzung entgegen, es sei denn, der Rechtsanwalt hat eine sachgerechte Einzelanweisung erteilt, auf deren Befolgung er vertrauen durfte. Insgesamt muss der Bürobetrieb des Anwalts so geordnet sein, dass die allgemeinen Weisungen tatsächlich geeignet sind, den in Rede stehenden Fehler zu vermeiden. Ein Hinweis auf eine Zertifizierung der Kanzleiorganisation reicht nicht, wenn sich diese in dem konkreten Fall als unzureichend dargestellt hat (vgl. BGH, B.v. 22.9.2010 - XII ZB 117/10 - juris Rn. 14). Betreffend den Zustellzeitpunkt muss ein Rechtsanwalt dafür sorgen, dass der in seinem Büro zuverlässig festgehalten wird, damit jederzeit feststellbar ist, wann die Rechtsmittelfrist und die Begründungsfrist ablaufen (vgl. BGH, U.v. 13.2.1992 - IX ZR 105/91 - juris Rn. 18 ff.).
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Das Vorbringen der Antragstellerbevollmächtigten ist unter Einbezug der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht geeignet, um glaubhaft darlegen zu können, dass die Fristversäumung vorliegend ohne Verschulden erfolgte. Der Vortrag, die Postzustellungsurkunde sei übersehen worden und die Frist fälschlicherweise aufgrund des Eingangsstempels des darauffolgenden Werktages berechnet worden, klärt den tatsächlich vorgefallenen Sachverhalt nicht in schlüssiger und vollständiger Form auf. Nicht ersichtlich ist, welcher Mitarbeiter („Sekretariat“ oder die Rechtsanwaltsfachangestellte Frau …*) den tatsächlichen Zustellzeitpunkt nicht notiert hat, sondern stattdessen den Eingangsstempel des darauffolgenden Montags angebracht hat. Welchem Mitarbeiter diesbzgl. welche Zuständigkeit übertragen ist und wie die genauen Abläufe beim Öffnen und Weiterverarbeiten der Eingangspost durch das Anbringen von Eingangsstempeln und Notieren von Zustellzeitpunkten bis zur Fristberechnung und -notierung im konkreten Fall waren, bleibt ebenfalls offen. Nicht dargetan wurde, welche konkreten Weisungen es für diese gesamten Abläufe, insbesondere für Zustellungen mittels Postzustellungsurkunde und Posteingänge am Wochenende gibt, wie sichergestellt ist, dass Zustellungsvermerke nicht übersehen werden, Wochenendpost das tatsächliche Zustelldatum erhält und ggf. vom Eingangsstempel abweichende Zustellzeitpunkte zutreffend festgehalten und unmissverständlich korrigiert werden.
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Aufgrund des Vortrags zum Wiedereinsetzungsbegehren ist daher davon auszugehen, dass kein unverschuldetes Büroversehen vorliegt, sondern vielmehr ein Organisationsverschulden, da die Antragstellerbevollmächtigte den ihr obliegenden Sorgfaltspflichten vorliegend nicht ausreichend nachgekommen ist. Durch die Kanzleiorganisation war mangels klarer Zuständigkeiten und Vorgaben nicht sichergestellt, dass der Zustellzeitpunkt der am Wochenende eingehenden Post zutreffend festgelegt und eindeutig notiert wird, sodass bei der anschließenden Fristberechnung nicht die Gefahr besteht, dass ein falscher Fristbeginn zugrunde gelegt wird. Aufgrund der vorhandenen Abläufe und Weisungen war es möglich, dass der für die Fristberechnung tatsächlich entscheidende Zustellzeitpunkt von mehreren Personen übersehen werden konnte. Dies wäre ohne Weiteres vermeidbar gewesen, wenn durch entsprechende Weisung an das die Post öffnende und stempelnde Personal sichergestellt worden wäre, dass zum einen am Wochenende eingegangene Sendungen nicht den Eingangsstempel des darauffolgenden Werktages erhalten dürfen (vgl. BSG, U.v. 27.5.2008 - B 2 U 5/07 R - juris Rn. 16) und zum anderen geregelt worden wäre, dass es bei Zustellungen mittels Postzustellungsurkunde gemäß § 2 Abs. 1 VwZG für die Fristberechnung lediglich einen Zustellzeitpunkt geben kann, der unmissverständlich zu notieren ist und, dass fälschlicherweise davon abweichend angebrachte Stempel o.ä. mit dem Vermerk des tatsächlichen Zustelldatums deutlich abgehoben von dem nicht maßgeblichen Aufdruck des Eingangsdatums zu korrigieren sind (vgl. BGH, B.v. 22.6.2010 - VIII ZB 12/10 - juris Rn. 12). Nur dann wäre sichergestellt gewesen, dass keine Zweideutigkeit hinsichtlich des Zugangsdatums entstehen kann und für die Fristberechnung das korrekte Datum verwendet wird. Der vermeintliche Fehler der Angestellten Frau …, der Fristberechnung das (falsche) Eingangsdatum zugrunde zu legen, stellt sich damit als ein Folgefehler dar, welcher seine Wurzel in der vorgelagerten fehlerhaften Büroorganisation im Umgang mit der Eingangspost hat. Die Weisung der Antragstellerbevollmächtigten (wobei hier ohnehin fraglich ist, ob dieser nachgeschobene Aspekt innerhalb der Antragsfrist vorgetragen wurde, siehe zur verfristet beantragten Wiedereinsetzung unten), das Zustelldatum für die Fristberechnung zu verwenden, war nicht geeignet, den Fehler, der bereits vor der eigentlichen Fristberechnung seine Hauptursache hatte, zu vermeiden. Ob vorliegend noch andere oder weitergehende Weisungen im Einzelfall oder in grundsätzlicher Form erteilt worden sind, wurde seitens der Antragstellerbevollmächtigten nicht vorgetragen. Dies erlaubt den Schluss darauf, dass solche Weisungen bzw. entsprechende organisatorische Maßnahmen tatsächlich nicht vorhanden waren (vgl. BGH, B.v. 15.12.2005 - VI ZB 15/15 - juris Rn. 13). Nicht ausreichend ist auch der allgemeine Hinweis auf die Zertifizierung der Kanzlei nach DIRO, da diese Klassifizierung vorliegend offensichtlich nicht ausreichend war, um Fehler in der Fristberechnung im weitesten Sinne zu vermeiden. Damit liegt im Ergebnis ein vermeidbarer Organisationsmangel vor, mit dem ein Potential für Fehler bei der Fristberechnung geschaffen worden ist, welches sich vorliegend dadurch, dass sowohl das Sekretariat bzw. die Rechtsanwaltsfachangestellte als auch die Antragstellerbevollmächtigte selbst das tatsächliche Zustelldatum übersehen haben, auch realisiert hat.
23
cc) Darüber hinaus wurde der am 28. Juni 2022 eingereichte Antrag auf Wiedereinsetzung nicht fristgerecht gestellt.
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Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, wobei Hindernis den Grund darstellt, aufgrund dessen der Beteiligte während der laufenden Frist gehindert war, die Prozesshandlung rechtzeitig vorzunehmen (vgl. Schoch/Schneider, 42. EL Februar 2022, § 60 Rn. 52). Der Beginn der Antragsfrist setzt keine positive Kenntnis von der Fristversäumnis voraus; das Hindernis entfällt vielmehr schon in dem Zeitpunkt, in dem Zweifel an der Einhaltung der Frist aufkommen oder spätestens dann, wenn Nachfragen bei Gericht Gewissheit über die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels ergeben hätten (vgl. Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 39). Behoben ist das Hindernis, sobald die bisherige Ursache der Verhinderung beseitigt oder ihr Fortbestehen von dem Beteiligten oder seinem Vertreter (§ 173 S. 1 VwGO i. V. m. § 51 Abs. 2, § 85 Abs. 2 ZPO) nicht mehr unverschuldet ist (vgl. Schoch/Schneider, 42. EL Februar 2022, § 60 Rn. 52).
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Die Antragstellerbevollmächtigte macht zu dem Wegfall des Hindernisses keine Ausführungen. Auch diesbzgl. ist der Wiedereinsetzungsantrag nicht schlüssig und vollständig. Es ist anzunehmen, dass wohl die falsche Fristberechnung dazu geführt hat, dass der Antragstellerbevollmächtigten (ggf. wegen nicht rechtzeitiger Vorlage) die Fertigung von Klage- bzw. Antragsschrift nicht mehr fristgerecht möglich war. Wann ihr die Unterlagen zur Fertigung der Klage- bzw. Antragsschrift vorgelegt wurden, bleibt offen. Spätestens jedoch bei tatsächlicher Fertigung bzw. Einreichung der Klage- und Antragsschrift am 25. Mai 2022 (Eingang derselben bei Gericht) hätte die Antragstellerbevollmächtigte im Rahmen der Durchsicht der Handakte, jedenfalls aber bei Zusammenstellung der Anlagen zur Klageschrift, die den Umschlag samt Zustellungsvermerk enthielten, erkennen müssen, dass die Klage bereits seit 24. Mai 2022 verfristet war. Nach der Rechtsprechung hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Fristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. Er ist im Rahmen seiner Vorbereitung einer Prozesshandlung nicht davon befreit, die Einhaltung der maßgeblichen Fristen unabhängig von Fristberechnung und Fristenkontrolle durch Kanzleimitarbeiter nochmals zu überprüfen (vgl. so jedenfalls ausdrücklich zur Revisions- bzw. Berufungsbegründungsfrist: BGH, U.v. 25.9.2014 - III ZR 47/14 - juris Rn. 11 m.w.N.; BVerwG, B.v. 7.3.1995 - 9 C 390/94 - juris Rn. 12; allg. zu fristgebundenen Verfahrenshandlungen: BGH, B.v. 9.7.2014 - XII ZB 709/13 - juris Rn. 12). Spätestens zu diesem Zeitpunkt konnte sich die Antragstellerbevollmächtigte daher nicht mehr auf eine falsch notierte Frist von Kanzleimitarbeitern berufen, sondern hätte anhand der Fristvermerke in der Handakte oder anhand der Unterlagen selbst die einzuhaltende Frist prüfen müssen, sodass das Hindernis spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand. Sie hätte dann innerhalb zweier Wochen bis zum 8. Juni 2022 (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 1 BGB) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen können und müssen. Mangels Kenntnis der Antragstellerbevollmächtigten von der Verfristung zu diesem Zeitpunkt kann die Einreichung der Klageschrift nicht als konkludenter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verstanden werden, zudem müssen innerhalb der Antragsfrist auch die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags dargelegt werden, sofern sie - wie hier - nicht offenkundig sind (vgl. BVerwG, B.v. 9.7.1975 - VI C 18.75 - juris).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 6 GKG i.V.m. Ziffern 1.3 (Feststellungsklage) und 10.3 (Neubescheidung eines Beförderungsbegehrens) des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Gemäß Ziffer 1.3. des Streitwertkataloges wird eine Feststellungsklage hinsichtlich des Streitwertes in der Regel bewertet wie eine auf das vergleichbare Ziel gerichtete Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage. Vorliegend wäre der Streitwert einer Verpflichtungsklage auf Neuverbescheidung (vgl. zum Streitwert in Konkurrentenstreitverfahren: BayVGH, B.v. 24.10.2017 - 6 C 17.1429 - juris Rn. 6 ff) der Bewerbung des Antragstellers mit der Hälfte des nach § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG maßgebenden Werts bemessen worden und hätte nach Maßgabe von § 52 Abs. 6 Sätze 1 bis 3 GKG ein Viertel der für ein Kalenderjahr in dem angestrebten Amt zu zahlenden Bezüge betragen. Dabei ist hier vom Grundgehalt der (End-)Stufe 8 in dem angestrebten Amt der Besoldungsgruppe A 9 auszugehen, das sich im maßgeblichen Zeitpunkt des Antragseingangs beim Verwaltungsgericht am 25. Mai 2022 (vgl. § 40 GKG) auf monatlich 3.714,89 Euro belief. Eine Ermäßigung gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit wegen der vermeintlichen Vorläufigkeit des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers ist nicht angezeigt, da das angestrengte Eilverfahren auf Feststellung mangels der Möglichkeit einer vorläufigen Feststellung (siehe Ziffer II. 1) faktisch die Funktion eines Hauptsacheverfahrens übernommen hätte und damit die wirtschaftlichen Interessen von Eil- und Hauptsacheverfahren weitgehend identisch sind (so für das Konkurrentenstreitverfahren auch BayVGH, a.a.O.).