Titel:
Erfolgloser Eilantrag gegen versammlungsrechtliche Auflagen zum Beklettern von Bäumen
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15 Abs. 1
Leitsätze:
1. Versammlungsrechtliche Auflagen, welche das Beklettern sowie die "Besetzung“ von Bäumen, sowie die Verwendung oder das Mitführen von Schrauben, Nägeln, Seilen, Traversenseilen, Hängematten, Schnüren, Kabeln, Steigeisen sowie sonstige scharfkantige Gegenstände, die die Bäume beschädigen könnten, als Kundgebungsmittel untersagen, können wegen einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig sein. (Rn. 26 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Solche Auflagen sind verhältnismäßig, soweit der Versammlungsort - außer in Bezug auf das Klettern - nicht verändert wird und der Versammlungsanmelder weiterhin öffentlichkeitswirksam seine Meinung kundtun kann. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Versammlungsrecht, Auflagen, „Besetzen von Bäumen“, Gefahrenprognose, Schutz fremden Eigentums, Sicherheit von Passanten, Untersagung, Bäume, Besetzen, Beklettern, Kundgebungsmittel, Klimaschutz
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24416
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
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Mit zwei Telefax-Nachrichten vom 4. Mai 2022 zeigte der Antragsteller gegen 20.30 Uhr zwei öffentliche Versammlungen für den 6. Mai 2022 und für den 7. Mai 2022 bei der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit dem Thema „Klimaschutz“ an.
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Für den 7. Mai 2022 ist mitgeteilt, dass die Versammlung für in der Zeit von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr zwischen den letzten beiden Bäumen auf der *straße Richtung *platz stattfinden soll, und unter dem Kundgebungsmotto „Traversen spannen, Klimagerechtigkeit braucht Verkehrswende, Verkehrswende braucht Radausbau. Mit Traversen zwischen Bäumen symbolische Verbindungen zwischen Verkehrswende und Klimagerechtigkeit herstellen - gegen die in den Seilen hängende falschfahrende Stadtpolitik und für die Richtiglenkung der Verkehrspolitik in Richtung Mobilitätswende und Klimagerechtigkeit“ steht. Als technische Hilfsmittel sind „Traversenseil, Sicherungsmaterial, Banner, Hängematten, Plakate“ angezeigt.
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Ein Kooperationsgespräch mit dem Antragsteller hat nach dem Akteninhalt nicht stattgefunden.
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Im Zusammenhang mit einer von einer weiteren Anmelderin für den Zeitraum 6. bis 8. Mai 2022 und 13. bis 15. Mai 2022 angezeigten Versammlung zum gleichen Thema in unmittelbarer Nähe und mit der Nutzung der dortigen Straßenbäume hat die Antragsgegnerin eine Stellungnahme des Umweltreferats der Antragsgegnerin zur möglichen Beschädigung von Bäumen durch die geplanten Kundgebungsmittel eingeholt. Auf diese Stellungnahme wird Bezug genommen.
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Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Mai 2022 wurde die Versammlung für den 6. Mai 2022 und den 7. Mai 2022 an den angezeigten Kundgebungsorten bestätigt (Ziffer 1). Für beide öffentliche Versammlungen wurden u.a. Anordnungen zum Kundgebungsablauf und zu den Kundgebungsmitteln getroffen:
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„2.1.1. Das Beklettern sowie die „Besetzung“ des Kastanienbaums (…) am *platz und der Ahornbäume in der *straße werden untersagt.“
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„2.3.1 Die Verwendung oder das Mitführen folgender Kundgebungsmittel sind nicht zugelassen: Schrauben; Nägel; Seile; Traversenseile; Hängematten; Schnüre; Kabel; Steigeisen, sowie sonstige scharfkantige Gegenstände, die die Bäume beschädigen könnten.“
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Zur Begründung der Beschränkung ist ausgeführt, dass die Untersagung der „Baumbesetzung“ auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG gestützt werde, wonach die zuständige Behörde die Versammlung nach den zur Zeit des Erlasses erkennbaren Umständen beschränken könne, sofern die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet sei. Die Antragsgegnerin verkenne nicht, dass an das Tatbestandsmerkmal der unmittelbaren Gefahr keine geringen Anforderungen zu stellen seien. Nach der Rechtsprechung des BVerfG setze eine unmittelbare Gefährdung eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führe. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfe die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Daher müssten zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergebe. Als Grundlage der Gefahrenprognose seien konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Der Antragsteller begehre, im Rahmen einer Kundgebung über mehrere Tage einen Baum zu „besetzen“. Somit seien im vorliegenden Fall konkrete Gefahren für die öffentliche Sicherheit gegeben, insbesondere auch im Hinblick auf das längerfristige Verweilen auf den Bäumen und dem möglichen Herunterfallen von Kundgebungsmittel etc. Weiter sei mit dem Beklettern der Bäume die Gefahr von deren Beschädigung verbunden, was nur durch professionelle Vorsorgemaßnahmen ausgeschlossen werden könne. Diese seien nicht erkennbar, vom Antragsteller sei dafür nichts vorgetragen. Die Bäume seien auch durch die Regelungen der städtischen Baumschutzverordnung geschützt, im fraglichen Bereich befänden sich auch Nester von Saatkrähen. Der Eingriff in die Versammlungsfreiheit sei verhältnismäßig. Das Verbot des Bekletterns und der Besetzung der Bäume stelle ein tatsächlich wie rechtlich mögliches Mittel dar, die Versammlung könne auch am Fuße der Bäume durchgeführt werden. Die Beschränkungen zielten nur darauf ab, den Schutz der Bäume vor Beschädigungen sicherzustellen, die Meinungskundgabe werden ansonsten nicht eingeschränkt. Auf die Begründung des Bescheides wird im Einzelnen verwiesen.
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Dagegen beantragte der Antragsteller mit Telefax vom 6. Mai 2022,
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die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage des Antragstellers gegen die Auflagen aus Ziffer 2.1.1 und 2.3.1 des Auflagenbescheids der Antragsgegnerin vom 5. Mai 2022, die Versammlung des Antragstellers am 7. Mai 2022 betreffend, wiederherzustellen.
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Zur Begründung wird insbesondere angeführt, dass der Bescheid bereits deshalb ermessensfehlerhaft sei, weil er sich mit einer anderen Aktion („Baumbesetzung“) befasse. Diese sei vorliegend nicht beantragt. Ein Kooperationsgespräch habe nicht stattgefunden. Am Ende der *straße finde nur langsamer Verkehr von Fußgängern und Fahrradfahrern statt, Autofahrer könnten die Straße nur zum Wenden befahren. Dies könnte während der Versammlungszeit auch einige Meter früher stattfinden. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sei damit auch beim Anbringen der Traversen etc. gewahrt. Die fachlichen Regeln der Seilklettertechnik würden eingehalten, die einschlägigen Zertifikate könnten vor Ort vorgezeigt werden. Vorher die Namen der Inhaber der Zertifikate mitzuteilen werde unterlassen, da diese sonst Bestandteil der Akte würden und dies zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit führen könnte. Dass sich diejenigen, die auf die Bäume klettern, selbst gefährden würden, sei hinzunehmen. Passanten könnten durch Absperrungen vor Gefahren geschützt werden. Die Kundgebungsform sei als einmalige Form aufsehenerregend und essentiell für die mit der Versammlung verbundenen Aussagen, eine Versammlung auf dem Boden würde keine vergleichbare Wirkung erzielen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, dass der Schutz der Bäume und des daran bestehenden Eigentums Zweck der Beschränkungen sei. Dass vom „Besetzen“ der Bäume im Bescheid gesprochen werde, sei darauf zurückzuführen, dass neben einer Vielzahl weiterer Versammlungsanzeigen im fraglichen Zeitraum auch eine Versammlungsanzeige für den gleichen Zeitraum in räumlicher Nähe für das Besetzen von Bäumen vorgelegen habe. In diesem Zusammenhang habe sich die Antragsgegnerin auch mit der vorliegenden Versammlung auseinandergesetzt. Das Versammlungsrecht räume kein Recht auf Zugang zu jedem Ort unter Inanspruchnahme des Eigentums der Antragsgegnerin ein.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte verwiesen.
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Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Da die von dem Antragsteller noch nicht erhobene Klage ausweislich § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung hat, ist bei dahingehender Auslegung (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zulässig, § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO.
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2. In der Sache bleibt dieser Antrag erfolglos, da bei summarischer Prüfung die von der Antragsgegnerin verfügten Beschränkungen der Versammlung in Ziffer 2.1.1 und in Ziffer 2.3.1 des streitgegenständlichen Bescheids voraussichtlich rechtmäßig sind und den Antragsteller dadurch nicht in seinen Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Es hat zu prüfen, ob das Vollzugsinteresse so gewichtig ist, dass der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden darf, oder ob das gegenläufige Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (bzw. seines Widerspruchs) überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, so wird das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse der Antragsgegnerin. Umgekehrt wird eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, sondern nur tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen - dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers einerseits und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin andererseits - nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 24.2.2009 - 1 BvR 165/09 - NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 - 7 VR 5.20 u.a. - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 - 26 CS 87.01144 - BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 65 ff. m.w.N.). Auch die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 GG ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen.
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a) Rechtsgrundlage der Beschränkungen ist Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Das in Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 - 1 BvQ 94/20 - juris Rn. 14 m.w.N.; B. v. 14.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - juris Rn. 39 ff.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet die Regelung in Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - juris Rn. 16). Hierbei ist dem Grundrechtsträger das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung gewährleistet (vgl. BVerfG, B.v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 u.a. - juris Rn. 61). Soweit Beschränkungen verfügt werden, ist dies nach Art. 8 Abs. 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich, allerdings nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit (zuletzt etwa BVerfG, B.v. 21.11.2020 - 1 BvQ 135/20 - juris Rn. 6; B.v. 30.8.2020 - 1 BvQ 94/20 - juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH B.v. 24.1.2021 - n.v. Rn. 12 des BA). Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Auflagen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 - juris Rn. 54, 63). Insoweit gilt die Regel, dass kollektive Meinungsäußerungen in Form einer Versammlung umso schutzwürdiger sind, je mehr es sich bei ihnen um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (stRspr, vgl. BVerfG, U.v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 - BVerfGE 73, 206 - juris Rn. 102). Nur soweit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegt, kann von dem Veranstalter nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG verlangt werden, dass er den geplanten Ablauf seiner Versammlung ändert, oder kann eine Versammlung gänzlich untersagt werden (BVerfG, B.v. 30.8.2020 - 1 BvQ 94/20 - juris Rn. 14 m. w. N.; SächsOVG, B.v. 11.12.2020 - 6 B 432/20 - juris Rn. 11, B.v. 13.3.2021 - 6 B 96/21 - juris Rn. 6). Mit dem Merkmal der unmittelbaren Gefährdung ist ein hoher Gefahrenmaßstab angesprochen, den nicht schlechterdings jede zu erwartende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit erreicht.
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Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst neben den individualen Rechtsgütern Dritter, der Integrität der Rechtsordnung auch die Bestand- und Funktionsfähigkeit des Staates und seine Einrichtungen. Dazu zählt auch das Eigentumsrecht einer Gemeinde. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz anderer Rechtsgüter, ist eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. dazu BayVGH, B.v. 13.11.2020 - 10 CS 20.2655 - juris Rn. 22; VGH Hessen, B.v. 30.10.2020 - 2 B 2655/20 - juris Rn. 5 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 - juris Rn. 64).
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b) Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben erweist sich in Würdigung aller Gesamtumstände des Einzelfalls die Beschränkungen der geplanten Versammlung in Ziffer 2.1.1 und 2.3.1 des streitgegenständlichen Bescheids voraussichtlich als rechtmäßig.
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aa) Soweit der Antragsteller zur fehlerhaften Ermessensbetätigung der Antragsgegnerin vorträgt, dass die Ausführungen aus einem anderen Bescheid nur im Wege von „Copy and Paste“ übernommen worden sind, und sich die Antragsgegnerin inhaltlich nicht mit der vorliegenden Versammlung vom 7. Mai 2022 gemäß der Anzeige befasst hat, ist insoweit zwar richtig, dass der Antragsteller eine „Besetzung“ der Bäume für einen längeren Zeitraum nicht als Versammlung angemeldet hat. Allerdings ist nach seinem Vorbringen im Antragsverfahren und im Hinblick auf die von ihm mitgeteilten Kundgebungsmittel auch für die von ihm angezeigte Versammlung ein Klettern auf die (beiden) Bäume zum Befestigung der Traversen etc. notwendig. Auch wenn die Kletterer nach dem Ende der angezeigten Versammlungszeit wieder auf den Boden kommen, ist die Bewertung zum Beklettern der Bäume jedenfalls hinsichtlich der Benutzung der Bäume als „Versammlungsgegenstand“ identisch.
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Hinzu kommt, dass dem Gericht bekannt ist, dass bei der Antragsgegnerin im fraglichen Zeitraum eine Vielzahl von Versammlungsanzeigen gleichzeitig eingegangen sind, die zum Teil mit sehr ähnlichen Inhalten und Versammlungsthemen zur Entscheidung der Versammlungsbehörde gestellt worden sind.
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Vor diesem Hintergrund ist es im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden, dass zum Teil im angegriffenen Bescheid „Bausteine“ aus anderen versammlungsrechtlichen Entscheidungen verwendet worden sind. Ein, wie vom Antragsteller geltend gemacht, Ermessensausfall der Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung ist für das Gericht nicht erkennbar.
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bb) Die Antragsgegnerin hat die Beschränkungen auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegründet. Es sei beim Klettern auf die Bäume von einer Gefahr für Passanten auszugehen. Weiter sei die Beschädigung der Bäume ohne professionelle Ausführung der Aktion, die den fachlichen Anforderungen etwa an Baumpflegemaßnahmen etc. genüge, nicht hinreichend sicher auszuschließen.
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Diese (Gefahr-)Prognose der Antragsgegnerin, die den Beschränkungen in Ziffer 2.1.1 zum Kundgebungsablauf und in 2.3.1 zu den (un-)zulässigen Kundgebungsmitteln im streitgegenständlichen Bescheid zugrunde liegt, ist nicht zu beanstanden.
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Auch wenn das Versammlungsthema/ Kundgebungsmittel bzw. die geplante Durchführung der Versammlung einen unmittelbaren Bezug zur streitgegenständlichen Örtlichkeit aufweist und konkret auch die Klimaschutzpolitik der Antragsgegnerin thematisiert wird, ergibt sich bei einer Abwägung der Versammlungsfreiheit einerseits und der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung andererseits ein Überwiegen der Letztgenannten. Das Selbstbestimmungsrecht einer Versammlung insbesondere über Ort und Zeit ist nicht schrankenlos. Es ist in hohem Maße wahrscheinlich, dass die geplante Durchführung zu einer Beeinträchtigung der im Eigentum der Antragsgegnerin stehenden Bäume führt. Der Antragsteller trägt zwar insoweit vor, dass die Versammlungsteilnehmer beim Klettern auf die Bäume die hinreichende Sachkunde nachweisen könnten. Er legt jedoch keine Nachweise vor, eine Konkretisierung des Ablaufs der Aktion findet nicht statt. Ob dies in einem Kooperationsgespräch im Einzelnen hätte geklärt werden können, ist nicht erkennbar, da der Antragsteller auch insoweit keine nachvollziehbaren Angaben im vorliegenden Verfahren macht.
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Auch die vom Antragsteller im vorliegenden Verfahren vorgetragenen milderen Mittel zur Gewährleistung der Sicherheit von Passanten etc. lassen die Abwägung der Antragsgegnerin nicht unverhältnismäßig werden. Zum einen ist aus dem Vorbringen nicht erkennbar, inwieweit der Antragsteller im Rahmen seiner Versammlung Vorsorge gegen die Gefährdung von Passanten und Teilnehmern getroffen hat. Jedenfalls aber ist in der Abwägung der Antragsgegnerin zwischen dem Interesse des Antragstellers an dem von ihm angezeigten Kundgebungsort und Kundgebungsmittel eine überwiegende Gewichtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Ausschluss von Gefahren für die zu nutzenden Bäume und die Passanten im öffentlichen Verkehr (Art. 2 Abs. 2 GG) nicht zu beanstanden. Da der Versammlungsort - außer in Bezug auf das Klettern - von der Antragsgegnerin nicht verändert wird und der Antragsteller weiterhin öffentlichkeitswirksam seine Meinung kundtun kann, sind die verfügten Beschränkungen verhältnismäßig (vgl. zum Ausschluss des Bekletterns von Straßenbäumen als Kundgebungsmittel: OVG Lüneburg, U.v. 2.12.2021 - 11 LB 231/20 - juris Rn. 39 ff.; BVerwG, B.v. 10.3.2022 - 6 B 5/22 - juris Rn. 7).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Auch wenn sich der Antragsteller gegen zwei Beschränkungen wendet, ist nach seinem Antragsvorbringen davon auszugehen, dass diese beiden den Kern der von ihm gewählten Versammlungsdurchführung betreffen, so dass eine Minderung in Anwendung von Ziffer 45.4 des Streitwertkatalogs nicht sachgerecht ist. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, sieht das Gericht auch keinen Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern (BayVGH, B.v. 26.3.2021 - 10 CS 21.903 - juris Rn. 31).