Titel:
Nutzungsuntersagung nach Nutzungsänderung von Karosseriewerkstatt zu Speditionslagerhalle
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 76 S. 2
BauGB § 36 Abs. 1
Leitsätze:
1. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob ein Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da das öffentliche Interesse grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände im Wege der Nutzungsuntersagung gebietet, macht die Behörde im Regelfall von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie bei rechtswidrig errichteten oder genutzten Anlagen die unzulässige Benutzung untersagt, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. Fehlt für ein Bauvorhaben das nach § 36 Abs. 1 BauGB erforderliche Einvernehmen der Gemeinde, kann nicht von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit ausgegangen werden. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aufgrund des auch im Bauordnungsrecht als Teil des besonderen Sicherheitsrechts geltenden Grundsatzes der Effektivität des Handelns der Bauaufsichtsbehörde und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Verhaltensstörer durch seine Tätigkeit mehr zur Störung der Rechtsordnung beigetragen hat als etwa der Grundstückseigentümer als Zustandsstörer, ist es regelmäßig sachgerecht, den Verhaltensstörer vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilantrag, nachträgliche Anordnung des Sofortvollzugs einer Nutzungsuntersagung, genehmigungspflichtige Nutzungsänderung von einer Karosseriewerkstatt in eine Speditionslagerhalle und einen Außenlagerplatz, ordnungsgemäße Störerauswahl, Ermessen, Verhaltensstörer, gemeindliches Einvernehmen, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.11.2022 – 1 CS 22.2013
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24388
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,00 festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Untersagung der Nutzung des Gebäudes und der Freiflächen auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung … (iF: Vorhabengrundstück) als Speditionslagerhalle und Lagerplatz für eine Spedition.
2
Das Vorhabengrundstück mit einer Fläche von ca. 14.800m2 steht im Eigentum der … … KG (iF: Bauherrin), welche das sich auf dem Grundstück befindliche Gebäude und die Freiflächen an die Antragstellerin vermietet. Das Vorhabengrundstück befindet sich im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 27 „Gewerbegebiet …“, 1. Änderung vom 29. März 2012, welcher u.a. für das Vorhabengrundstück ein Gewerbegebiet mit Beschränkung des Schallleistungspegels (60 dB(A) / tags) festsetzt. Das Vorhabengrundstück grenzt im Norden und Nordosten an die Z. … straße sowie im Süden und Südosten an die W. … Straße. Ausweislich der Luftbildaufnahmen und Lagekarten aus dem Geodatenportal BayernAtlas befinden sich westlich und südwestlich des Vorhabengrundstücks weitere Gewerbebetriebe, im Übrigen ist dieses von Wohnbebauung umgeben. Das Gebäude auf dem Vorhabengrundstück wurde mit Baugenehmigungsbescheid vom 28. November 1986 als K. genehmigt.
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Die Antragstellerin nutzt das Gebäude und die Freiflächen als Speditionslagerhalle und Lagerplatz für eine Spedition. Entsprechende Baugenehmigungen gibt es nicht.
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Nachdem das Landratsamt … (iF: Landratsamt) mit Bescheid vom 19. September 2019 Herrn … … zur Einreichung eines Bauantrags verpflichtet hatte, stellte die Bauherrin am 05. Dezember 2019 einen Baugenehmigungsantrag, eingegangen beim Landratsamt am 19. Februar 2020, für die Nutzungsänderung einer Karosserie- und Fahrzeugbauwerkstatt in eine Speditionslagerhalle und einen Außenlagerplatz.
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Im Lageplan vom 08. April 2020 waren drei Zufahrten zum Vorhabengrundstück eingezeichnet: zwei Zufahrten von der Z. … straße (eine in nördlicher Richtung und eine in südöstlicher Richtung an der Einmündung zur W. … Straße) sowie eine Zufahrt von der W. … Straße. In der Betriebsbeschreibung vom 08. Juni 2020 (Bl. 42 Behördenakte - BA) wurde u.a. angegeben, dass pro Tag drei bis fünf LKW-Fahrten stattfänden und die Zufahrt über die „W. H1. Straße“ und „Z. …-Ecke W. H1. Straße“ erfolge. Dem schalltechnischen Gutachten vom 28. Juli 2020 zufolge wurden acht LKW-Fahrten pro Tag zu Grunde gelegt (Bl. 200 BA). Weiter wurde diesem Gutachten zugrunde gelegt, dass der PKW sowie LKW-Verkehr lediglich über die Zufahrten von der Z.i … straße erfolgt; eine Zufahrt von der W. … Straße sei gemäß Aussage von Herrn A. … nicht vorgesehen und wurde nicht berücksichtigt (Bl. 198 BA).
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Am 10. November 2020 nahm ein Vertreter des Sachgebiets Verkehr des Landratsamts zu dem Vorhaben Stellung und führte u.a. aus, dass es sich bei der Z. H1. straße um eine ca. 4,50m breite O.straße handle; Begegnungsverkehr sei auf dieser Straße schon mit Personenkraftwagen nicht mehr möglich, erst recht nicht mit Schwerlastfahrzeugen. An der W. … Straße befinde sich eine Bushaltestelle, welche nur aus einer Beschilderung aus zwei Verkehrszeichen bestehe und sich direkt an der Einmündung in die Z. … straße sowie unmittelbar neben dem Zufahrtsbereich zur geplanten Spedition befinde. Ob bei einem eventuellen Gegenverkehr von bspw. zwei Sattelzügen bei der Ein- bzw. Ausfahrt die Schleppkurven noch eingehalten werden können ohne den Gehweg zu befahren, könne von Seiten des Sachgebiets Verkehr nicht beurteilt werden (Bl. 109 BA).
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Am 30. November 2020 fand ein „Runder Tisch“ im Rathaus der Stadt G. … statt, an welchem u.a. Vertreter des Landratsamts, der Stadt G. …, der Antragstellerin sowie der Bauherrin und Nachbarn des Vorhabengrundstücks teilnahmen. Im Rahmen dieser Besprechung teilten Anwohner der Nachbargrundstücke mit, dass die in der Betriebsbeschreibung vom 08. Juni 2020 angegebenen drei bis fünf LKW-Fahrten pro Tag weit überschritten würden (Bl. 141 BA). In dem von einem Anwohner an das Landratsamt vorab per E-Mail vom 19. November 2020 übermittelten Protokoll wurden im Zeitraum vom 11. bis 13. November 2020 pro Tag zwischen 10 und 19 LKW-Fahrten erfasst (Bl. 121 f BA). Vertreter der Antragstellerin gaben im Rahmen des „Runden Tisches“ ausweislich des schriftlichen Besprechungsprotokolls an, dass ca. zehn bis 15 LKW-Fahrten pro Tag üblich seien (Bl. 141 BA). Hinsichtlich der Zufahrtssituation teilte der Vertreter der Bauherrin mit, dass die Zufahrt W. … Straße ausgebaut und künftig genutzt werde. Die Zufahrten über die Z. … straße würden nicht mehr benutzt und eventuell könne noch eine zusätzliche Zufahrt über das Nachbargrundstück geschaffen werden. Es wurde sich darauf verständigt, dass die Bauherrin insbesondere die schalltechnische Untersuchung unter Berücksichtigung der tatsächlichen täglichen LKW-Fahrten und geänderten Zufahrten anpassen lässt und geänderte Planunterlagen vorlegt.
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Mit Schreiben vom 28. Dezember 2020 teilte das Landratsamt der Bauherrin mit, dass nach Einschätzung des Sachgebiets Verkehr die Zufahrt über die W. … Straße derzeit nicht für den Speditionsverkehr geeignet sei; vor Änderung der Pläne solle dringend eine Abstimmung mit dem Sachgebiet Tiefbau, insbesondere hinsichtlich des Ausbaus der Zufahrt und der Einhaltung der Schleppkurve, erfolgen (Bl. 140 BA).
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Mit Schreiben des Landratsamts vom 04. März 2021 wurde die Antragstellerin zur beabsichtigten Untersagung der Nutzung des Gebäudes und der Lagerflächen gegenüber Herrn A. … sowie zum beabsichtigten Erlass einer Duldungsanordnung ihr gegenüber angehört und es wurde ihr Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 14. Mai 2021 eingeräumt (Bl. 172 BA).
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Am 19. April 2021 legte die Bauherrin neue Planunterlagen und eine geänderte schalltechnische Untersuchung vor. Im Freiflächengestaltungsplan vom 14. April 2021 war die nördliche Zufahrt von der Z. … straße mit dem Zusatz „Hier keine Zu- und Ausfahrt für LKW“, die südöstliche Zufahrt von der Z. … straße an der Einmündung zur W. … Straße mit dem Zusatz „Einfahrt LKW Einbahnstraßenregelung“ und die Zufahrt von der W. … Straße mit dem Zusatz „Ausfahrt LKW Einbahnstraßenregelung“ beschriftet. Dem geänderten schalltechnischen Gutachten (Anlage A4) wurden erneut acht LKW-Fahrten pro Tag zu Grunde gelegt (Bl. 48 Gerichtsakte - GA). Weiter wurde dem geänderten Gutachten zugrunde gelegt, dass die Zufahrt zum Vorhabengrundstück von der Z. … straße und die Ausfahrt auf die W. … Straße erfolgt; die nördliche Zufahrt von der Z. … straße wurde nicht berücksichtigt (Bl. 44 GA). Mit Schreiben vom 15. April 2021 teilte die Bauherrin dem Landratsamt mit, dass das neue Zufahrtskonzept mit Einbahnstraßenregelung mit dem Tiefbauamt abgestimmt sei und den Vorteil habe, dass keinerlei Umbaumaßnahmen erforderlich seien (Bl. 209 BA).
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Mit Schreiben des Landratsamts vom 29. April 2021 wurde die Antragstellerin zur beabsichtigten Untersagung der Nutzung des Gebäudes und der Lagerflächen ihr gegenüber angehört und aufgefordert, diese Nutzung bis spätestens 14. Mai 2021 aufzugeben (Bl. 328 BA).
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Mit E-Mail vom 03. Mai 2021 nahm die Antragstellerin zu der beabsichtigten Nutzungsuntersagung Stellung und teilte mit, dass diese alle erdenklichen Maßnahmen unternommen habe, um eine Lärmminderung herbeizuführen. Es sei dieser unmöglich, dass Gelände bis zum 14. Mai 2021 zu räumen. Im Rahmen des „Runden Tisches“ sei besprochen worden, dass, sollte diese das Gelände räumen müssen, sie genügend Zeit bekäme. Durch diesen Eingriff würden die Firma bzw. die Beschäftigungsverhältnisse in Frage gestellt (Bl. 331 BA).
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Mit Schreiben vom 11. Mai 2021 nahm der Immissionsschutz zu den geänderten Planunterlagen und dem schalltechnischen Gutachten vom 20. April 2021 Stellung und führte u.a. aus, dass im Gutachten auffalle, dass wieder weniger LKW-Fahrten berücksichtigt worden seien. Nach Rücksprache mit dem Gutachter habe dieser per E-Mail u.a. mitgeteilt, dass die ursprüngliche Zahl von 15 LKW-Fahrten zu einer Überschreitung des reduzierten Immissionsrichtwerts eines Dorfgebiet führen würde. Somit sei nach Rücksprache mit dem Bauherrn die Anzahl der LKW-Fahrten im Gutachten beschränkt worden (Bl. 338 BA).
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Bei der Baukontrolle am 17. Mai 2021 wurde festgestellt, dass weiterhin eine Nutzung als Spedition vorlag und auch die Freiflächen weiterhin als Lagerflächen genutzt wurden (Bl. d. 339 f BA).
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Mit Bescheid vom 20. Mai 2021, der Antragstellerin am 27. Mai 2021 zugegangen, verpflichtete das Landratsamt die Antragstellerin, die Nutzung des Gebäudes und der Lagerflächen als Speditionslagerhalle und Lagerplatz für eine Spedition auf dem Vorhabengrundstück bis spätestens zwei Monate nach Bestandskraft des Bescheids aufzugeben (Nr. 1). Weiter verpflichtete das Landratsamt die Bauherrin zur Duldung der unter Nr. 1 angeordneten Nutzungsuntersagung (Nr. 2). Für den Fall, dass die Antragstellerin die unter Nr. 1 des Bescheids untersagte Nutzung nach Fristablauf noch aufrecht erhält, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 5.000,00 angedroht (Nr. 3). Für den Fall, dass die Bauherrin der unter Nr. 1 angeordneten Nutzungsuntersagung entgegen Nr. 2 des Bescheids zuwiderhandelt, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 3.000,00 angedroht (Nr. 4).
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Zur Begründung wird im Bescheid vom 20. Mai 2021 im Wesentlichen ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO für den Erlass der Nutzungsuntersagung erfüllt seien. Die Nutzung des Gebäudes und der Freiflächen auf dem Vorhabengrundstück als Speditionslagerhalle und Lagerplatz für eine Spedition sei von der bestehenden Baugenehmigung nicht gedeckt, nicht fristgerecht aufgegeben worden und bis zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses sei keine Genehmigungsfähigkeit gegeben, da nur eine Zufahrt von der Z. … straße aus möglich sei. Die Eingabepläne und die schalltechnische Untersuchung würden jedoch zwei Zufahrten berücksichtigen. Erst nach Prüfung der am 19. April 2021 eingegangenen angepassten schalltechnischen Untersuchung und der Eingabepläne werde feststehen, ob eine Genehmigung möglich sei. Fraglich sei, ob die Immissionsgrenzwerte für die neue Zufahrtssituation eingehalten werden können und bis wann die neue Zufahrt errichtet sei. Das Einvernehmen der Stadt G. … zur geänderten Planung liege noch nicht vor. Die Ermessensentscheidung beruhe auf sachgerechten Erwägungen. Insbesondere sei die Nutzungsuntersagung verhältnismäßig nach Art. 8 LStVG. Zwar wäre grundsätzlich die Planvorlage zur Prüfung, ob eine nachträgliche Genehmigung erteilt werden könne, als milderes Mittel vorzuziehen. Es liege jedoch bereits ein Antrag auf Nutzungsänderung vor, der trotz mehrerer Änderungen und langwierigen Verhandlungen mit dem Bauherrn noch nicht hätte genehmigt werden können. Ob und wann eine Genehmigung erteilt werden könne, sei noch nicht absehbar. Ein weiteres Zuwarten könne aufgrund der bereits sehr langen Laufzeit des Antrags nicht hingenommen werden. Die Anwohner seien Lärmbelästigungen ausgesetzt, zu welchen zahlreiche Beschwerden vorlägen. Nur durch die Nutzungsuntersagung könnten zeitnah rechtmäßige Zustände herbeigeführt werden. Das Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung ordnungsgemäßer baurechtlicher Zustände sowie der Schutz vor Lärmimmissionen ungenehmigter Anlagen überwiege das Eigeninteresse der Antragstellerin an der Fortführung der Nutzung sowie deren wirtschaftliches Interesse. Durch die Duldung der ungenehmigten Nutzung würde ein Bezugsfall entstehen und weitere ähnliche Nutzungsänderungen, mit denen tatsächlich zu rechnen wäre, würden durch den geschaffenen Druck nicht verhindert werden können. Die Antragstellerin sei als Handlungsstörerin nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG für die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands heranzuziehen, da sie als Mieterin der Anlagen durch ihr Verhalten für die planabweichende Nutzung verantwortlich sei und nur ihr es tatsächlich möglich sei, die Nutzung aufzugeben. Die Androhung des Zwangsmittels stütze sich auf Art. 29, 31 und 36 VwZVG.
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Das gemeindliche Einvernehmen zu dem Antrag vom 19. April 2021 wurde mit Beschluss des Bauausschusses der Stadt G. … vom 09. Juni 2021 verweigert (Bl. 368 f BA). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Zufahrt nicht gesichert sei und die Pläne sowie das Gutachten nicht der tatsächlichen Nutzung entsprächen.
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Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2021, beim Verwaltungsgericht München am 17. Juni 2021 eingegangen, erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 20. Mai 2021 (M 9 K 21.3187).
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Mit Änderungsbescheid vom 11. August 2021 wurde die Nr. 1 des Bescheids vom 20. Mai 2021 dergestalt geändert, dass die Antragstellerin verpflichtet wurde, bis zum 03. November 2021 die Nutzung aufzugeben (Nr. 1.1), und die sofortige Vollziehung der Nr. 1.1 angeordnet wurde; für den Fall, dass die Anordnung des Sofortvollzugs entfallen sollte, wurde angeordnet, dass die Verpflichtung unter Nr. 1.1 bis spätestens zwei Monate nach Bestandskraft zu erfüllen ist (Nr. 1.2). Es wurde angeordnet, dass die übrigen Nummern des Bescheids vom 20. Mai 2021 unverändert bleiben (Nr. 2).
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Zur Begründung wird im Änderungsbescheid vom 11. August 2021 im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anpassung der Frist und die nachträgliche Anordnung der sofortigen Vollziehung erforderlich sei, da nur so gewährleistet werden könne, dass die angeordnete Nutzungsuntersagung selbst bei Einlegung eines Rechtsbehelfs wirksam durchgesetzt und vollstreckt werden könne. Rechtsgrundlage für die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Die im Bescheid vom 20. Mai 2021 angeordnete Nutzungsuntersagung könne derzeit nicht vollzogen werden, da im Bescheid vom 20. Mai 2021 nicht die sofortige Vollziehung angeordnet und gegen diesen Klage erhoben worden sei. Das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung der Klage müsse gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Herstellung rechtskonformer Zustände vor Eintritt der Bestandskraft zurücktreten. Ein Zuwarten bis zur Unanfechtbarkeit des Bescheids sei aufgrund der bereits langen Laufzeit des Antrags und der langen Nutzungsdauer ohne Vorliegen einer Baugenehmigung nicht mehr möglich. Die Anwohner seien unzumutbaren Lärmbelästigungen ausgesetzt. Auch der geänderte Antrag vom 19. April 2021 sei nicht genehmigungsfähig, da das schalltechnische Gutachten aufgrund der Überschreitung von Immissionsrichtwerten bei 15 LKW-Fahrten je Tag auf 8 Fahrten je Tag reduziert worden sei. Dies entspreche jedoch nicht der tatsächlichen Nutzung von 10-15 LKW-Fahrten pro Tag. Die angepasste schalltechnische Untersuchung berücksichtige zwei Zufahrten. Tatsächlich sei jedoch nur eine Zufahrt von der Z. … straße aus vorhanden und möglich. Wann die zweite Zufahrt errichtet werde, sei derzeit nicht absehbar, so dass die Immissionsgrenzwerte bis auf Weiteres nicht eingehalten werden können, da sämtliche Fahrtbewegungen an einer Seite des Grundstücks stattfänden. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Betrieb weiterhin ohne Genehmigung und Auflagen unter Missachtung der Immissionsrichtwerte stattfinde.
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Mit Schriftsatz vom 25. August 2021 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin:
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Die aufschiebende Wirkung der gleichzeitig erhobenen Anfechtungsklage im Wege der Klageänderung gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Mai 2021 in geänderter Fassung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 11. August 2021 wird angeordnet.
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Zur Begründung führt die Antragstellerin im Wesentlichen aus, dass die Nutzungsuntersagung rechtswidrig sei. Die vom Landratsamt angenommene tatsächliche Nutzung des Betriebsgeländes, wonach täglich 15 LKW-Fahrten statt acht LKW-Fahrten pro Tag stattfänden, stimme nicht. Tatsächlich fänden lediglich acht Fahrten je Tag statt. Aus der von der Antragstellerin als Anlage A3 vorgelegten Aufstellung der LKW-Fahrten im Zeitraum vom 07. Juni 2021 bis zum 20. August 2021 (Bl. 24 f d. GA) könne entnommen werden, dass in diesem Zeitraum an keinem Tag mehr als acht Fahrten durchgeführt worden seien. Sofern betroffene Nachbarn eine solche Behauptung aufstellen würden und das Landratsamt eine solche Behauptung ungeprüft übernehme, könne dies nicht zu Lasten der Antragstellerin gehen. Die Protokolle des Nachbarn seien überholt. Die im Auftrag der Bauherrin erstellte schalltechnische Untersuchung vom 20. April 2021 komme zum Ergebnis, dass die rechnerisch für den Betrieb der Speditionshalle an den untersuchten Immissionsorten ermittelten Teilbeurteilungspegel die Immissionsrichtwerte nach „TA-Lärm-Dorfgebiet“ im Tagzeitraum unterschreiten. Auch die Anforderungen an das Spitzenpegelkriterium nach TA-Lärm im Tagsowie Nachtzeitraum würden ausweislich der schalltechnischen Untersuchung eingehalten. Soweit ersichtlich, habe das Landratsamt das schalltechnische Gutachten auch akzeptiert und moniere lediglich, dass nicht acht Fahrten pro Tag stattfänden. Diese Vorwürfe des Landratsamts aus dem Nutzungsuntersagungsbescheid seien durch die vorgelegte Anlage A3 widerlegt. Hinsichtlich der viermaligen Überschreitung der nach dem Gutachten vorgesehenen täglichen LKW-Fahrbewegungen in der vorgelegten Anlage A3 sei zu berücksichtigen, dass die W. … straße, die unmittelbar an das Betriebsgelände angrenze, eine vielbefahrene H2.straße sei, welche täglich mehr als 100 LKW und PKW passieren. Die nördliche Zufahrt von der Z. … straße sei ausschließlich für die Feuerwehr vorgesehen und dürfe aus diesem Grund nicht gänzlich gesperrt werden; ein Be- und Entladeverkehr finde über diese Zufahrt nicht statt und das Tor sei geschlossen. Die im Bescheid vom 20. Mai 2021 zuerst in Aussicht gestellte weitere Nutzung bis zwei Monate nach Bestandskraft habe zu einem Vertrauenstatbestand auf Erhalt der Genehmigung geführt, denn das Landratsamt habe mitgeteilt, dass zum 19. April 2021 eine neue Planung eingereicht worden sei, über die noch nicht entschieden worden sei. Damit habe die Antragstellerin davon ausgehen können, dass sie die weitere Nutzung mit dem täglichen Betrieb von acht LKWs aufrecht erhalten könne, bis über die Baugenehmigung rechtskräftig entschieden worden sei. Die Einstellung des Gewerbebetriebs vor Eintritt der Bestandskraft des Bescheids würde zur Betriebsschließung führen. Damit käme es zum Verlust von Arbeitsplätzen und von Einnahmen, auch steuerlicher Art. Das gemeindliche Einvernehmen sei zu ersetzen, da die Antragstellerin einen Anspruch auf die Genehmigung der Nutzungsänderung habe.
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Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2021, den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen, und führte im Wesentlichen aus, dass die Nutzungsänderung nicht genehmigungsfähig und die Nutzungsuntersagung sowie deren sofortige Vollziehung angesichts der vielen Unklarheiten im Baugenehmigungsverfahren ermessensgerecht sei. Es lägen widersprüchliche Angaben bezüglich der Zu- und Abfahrten zum Vorhabengrundstück vor. Im Immissionsschutzgutachten vom 20. April 2021 sei die nördliche Zufahrt von der Z. … straße nicht berücksichtigt worden. Auch habe der Bevollmächtigte der Antragstellerin in der Antrags- und Klagebegründung ausgeführt, dass die nördliche Zufahrt zur Z.straße gesperrt sei. Im Freiflächengestaltungsplan und in dem als Anlage A1 vorgelegten Schreiben heiße es lediglich, dass diese Zufahrt für den LKW-Verkehr gesperrt sei, nicht jedoch, dass sie gänzlich gesperrt sei. Da sich die Lärmbeschwerden hauptsächlich auf diese Zufahrt bezögen, müsste dieser Widerspruch vor einer etwaigen Genehmigung unbedingt ausgeräumt werden, um eine rechtssichere Genehmigung erteilen zu können. Weiter sei dem Landratsamt aufgrund der Angaben des Vertreters der Antragstellerin im Rahmen des „Runden Tisches“ vom 30. November 2020 und der Protokolle eines Nachbarn bekannt, dass der Betrieb der Spedition mehr als acht LKW-Fahrten umfasse. Laut der Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 11. Mai 2021 (Bl. 338 BA) wären die Lärmwerte bei 15 LKW-Fahrten nicht eingehalten, wohl aber bei den angegebenen acht LKW-Fahrten. Es sei also davon auszugehen, dass die Änderung von 15 auf acht LKW-Fahrten nicht auf Grund einer Betriebsänderung der Antragstellerin vorgenommen worden sei, sondern, um im Gutachten rechnerisch die Werte einzuhalten. Die von der Antragstellerin vorgelegten Listen über den LKW-Verkehr (Anlage A3) würden zudem belegen, dass der in dem neuesten Gutachten angesetzte Maximalwert von acht Fahrten am Tag an vier Tagen überschritten worden sei. Das gemeindliche Einvernehmen liege nicht vor. Dieses sei jedoch gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 31 BauGB eine Genehmigungsvoraussetzung, da eine Befreiung vom Grünordnungsplan zum Bebauungsplan erforderlich sei. Die nachträgliche Anordnung des Sofortvollzugs sei rechtlich zulässig und ordnungsgemäß begründet worden. Durch die nachträgliche Anordnung sei kein Vertrauensschutz zugunsten der Antragstellerin entstanden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Verfahren M 9 K 21.3187 Bezug genommen. Weiterhin wird auf die Gerichts- und Behördenakten im Verfahren M 9 K 21.3184, dessen Gegenstand die Anfechtungsklage der Bauherrin gegen die Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist, Bezug genommen.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Maßgeblicher Streitgegenstand des vorliegenden Antrags ist unter sachgerechter Auslegung des Gemeinten, §§ 88, 122 VwGO, ausschließlich der Bescheid vom 20. Mai 2021 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. August 2021 in seinen an die Antragstellerin gerichteten Anordnungen Nr. 1 (Nutzungsuntersagung und Anordnung der sofortigen Vollziehung)‚ Nr. 3 (Zwangsgeldandrohung), Nrn. 5 und 6 (Kosten) sowie die Nrn. 3 und 4 des Änderungsbescheids vom 11. August 2021 (Kosten), nicht hingegen die an die Bauherrin gerichtete Duldungsverpflichtung mit Zwangsgeldandrohung (Nrn. 2 und 4 des Bescheids vom 20. Mai 2021 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. August 2021). Zwar ist der bisher im Klageverfahren M 9 K 21.3187 gestellte Antrag nach dessen Wortlaut auf die umfassende Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids gerichtet. Eine Auslegung des Antragsbegehrens vor dem Hintergrund der Verpflichtung des Gerichts‚ auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken (§ 86 Abs. 3 VwGO)‚ und des wohlverstandenen Interesses der Antragstellerin ergibt‚ dass der Antrag sich ausschließlich gegen die an die Antragstellerin gerichteten Anordnungen des streitgegenständlichen Bescheid richten soll. Hinsichtlich der an die Bauherrin gerichtete Duldungsverpflichtung mit Zwangsgeldandrohung fehlt es bereits an der für einen zulässigen Antrag erforderlichen Beschwer der Antragstellerin.
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Der Antrag ist zulässig (sogleich unter 2.), aber unbegründet (sogleich unter 3.).
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2. Der Antrag ist zulässig. Die aufschiebende Wirkung der fristgerecht erhobenen Klage der Antragstellerin gegen die Nr. 1.1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 20. Mai 2021 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. August 2021 ist entfallen, weil der Antragsgegner in Nr. 1.2 des Bescheids die sofortige Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Mit einem gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaften Antrag kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen. Soweit der Antrag gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids gerichtet ist, ist er ebenfalls zulässig. Nach Art. 21a Satz 1 VwZVG haben Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen.
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3. Der Antrag ist unbegründet.
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Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage aufgrund einer eigenen Ermessensentscheidung ganz oder teilweise anordnen bzw. wiederherstellen, wenn eine vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt. Hierbei ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers abzustellen. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung als rechtswidrig, so ist die Vollziehung regelmäßig auszusetzen, da an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erscheint der Verwaltungsakt dagegen nach vorläufiger Betrachtung als voraussichtlich rechtmäßig, ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen, sofern ein besonderes Vollzugsinteresse besteht. Stellen sich die Erfolgsaussichten als offen dar, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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Ausgehend davon ergibt die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich keinen Erfolg hat, da der angefochtene Verwaltungsakt voraussichtlich rechtmäßig ist.
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a) Es bestehen keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Gem. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind regelmäßig die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe anzugeben, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (BayVGH, B.v. 26.2.2019 - 9 CS 18.2659 - juris Rn. 13). An dieses Begründungserfordernis sind jedoch inhaltlich keine allzu hohen Anforderungen zu stellen; es genügt vielmehr jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet. Die Begründung muss kenntlich machen, dass sich die Behörde bewusst ist, von einem rechtlichen Ausnahmefall Gebrauch zu machen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55). Im Fall der baurechtlichen Nutzungsuntersagung einer - wie hier (dazu sogleich) - formell illegalen und nicht offensichtlich genehmigungsfähigen Nutzung sind mit Blick auf die negative Vorbildwirkung formell rechtswidriger Nutzungen und die Kontrollfunktion des Bauordnungsrechts nur geringe Anforderungen an die Begründung der Sofortvollzugsanordnung zu stellen (BayVGH, B.v. 18.9.2017 - 15 CS 17.1675; B.v. 17.10.2012 - 2 CS 12.1835).
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Vorliegend genügt die Begründung des Antragsgegners unter II. des Änderungsbescheids vom 11. August 2021 diesen Anforderungen. Die Behörde hat besondere, auf den konkreten Einzelfall bezogene Gründe angegeben. Die Begründung stellt nachvollziehbar dar, warum nach einer Abwägung der Interessen der Antragstellerin mit den Interessen des Staats die Interessen der Antragstellerin zurücktreten. Das Landratsamt hat hier auf die ungenehmigte Nutzung, den bisherigen Verfahrensverlauf, die noch offenen Fragen des Immissionsschutzes und der Erschließung sowie die Interessen der Nachbarn abgestellt. Hierbei hat es insbesondere auch nachvollziehbar die Gründe dargelegt, warum vorliegend nachträglich der Sofortvollzug anzuordnen war. Es wird im Änderungsbescheid vom 11. August 2021 ausführlich dargelegt, dass und warum im vorliegenden konkreten Einzelfall die anhaltende nicht genehmigte Nutzung nicht länger hingenommen werden könne. Dabei stützt sich das Landratsamt maßgeblich darauf, dass ohne eine nachträgliche Anordnung des Sofortvollzugs aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 20. Mai 2021 das Ende der Nutzung auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben würde und angesichts der langen Laufzeit des Antrags sowie dem Schutz der Nachbarn vor Lärm ein weiteres Zuwarten nicht mehr möglich sei, zumal es sich auch bei dem geänderten Antrag vom 19. April 2021 um keine genehmigungsfähige Planung handle. Es ist damit auf die Besonderheiten des konkreten Falles eingegangen. Den gesetzlichen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist damit Genüge getan. Ob die ausgeführten Aspekte das besondere Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO tragen, spielt für die Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs keine Rolle (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2019 - 9 CS 18.2533 - juris Rn. 16).
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b) Nach der im Verfahren des Eilrechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden, summarischen Prüfung hat die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20. Mai 2021 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. August 2021 voraussichtlich keinen Erfolg. Die Anordnungen erweisen sich voraussichtlich als rechtmäßig und verletzen die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Demnach überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
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aa) Die Nutzungsuntersagung erweist sich nach summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig.
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(1) Maßgeblicher Zeitpunkt im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen eine Nutzungsuntersagung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw., wenn eine solche nicht stattfindet, der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, da es sich bei der Nutzungsuntersagung um einen Dauerverwaltungsakt handelt (BayVGH, U.v. 25.1.1988 - 14 B 86.2382 - BayVBl. 1989, 534).
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(2) Die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO als Befugnisnorm sind erfüllt, Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
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Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Nutzung einer Anlage untersagt werden, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt wird. Dabei genügt bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass eine Anlage ohne erforderliche Genehmigung, also formell illegal, genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2016 - 15 CS 16.300 - juris Rn. 21; B.v. 27.2.2017 - 15 CS 16.2253 - juris Rn. 33).
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Die derzeitige Nutzung als Speditionslagerhalle und Lagerplatz für eine Spedition auf dem Vorhabengrundstück ist formell illegal, da für diese Nutzungsänderung gem. Art. 55 Abs. 1 Var. 3 BayBO eine Baugenehmigung erforderlich wäre, die nicht vorliegt. Der Wechsel der Nutzung von einer Karosseriewerkstatt in die derzeitige Nutzung ist unstrittig nicht von der Baugenehmigung vom 28. November 1986 gedeckt, da hierdurch die gewährte Variationsbreite der Nutzung überschritten wird und der neuen Nutzung aus dem Blickwinkel der maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften eine andere Qualität zukommt als der bisherigen Nutzung. Das Vorhaben ist zudem nicht verfahrens- oder genehmigungsfrei.
41
Die Antragstellerin ist zudem Störer. Mangels eigenständiger Regelung in Art. 76 BayBO oder sonstigen Vorschriften der BayBO ist Art. 9 LStVG als allgemeine Bestimmung über die sicherheitsrechtliche Verantwortlichkeit anzuwenden (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 145. EL Januar 2022, Art. 76 Rn. 152). Die Antragstellerin ist als Mieterin Handlungsstörer gemäß Art. 9 Abs. 1 LStVG, da sie das Gebäude sowie die Außenflächen als Speditionslagerhalle und Lagerplatz für eine Spedition nutzt und die Störung im Sinne der illegalen Nutzung somit unmittelbar verursacht.
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Der Antragsgegner hat nach summarischer Prüfung auch sein nach Art. 76 Satz 2 BayBO eingeräumtes Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Die Nutzung ist nicht offensichtlich genehmigungsfähig (sogleich unter (aa)) und der Antragsgegner hat sein Entschließungs- und Auswahlermessen gegenüber der Antragstellerin rechtsfehlerfrei ausgeübt (sogleich unter (bb)).
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(aa) Da das öffentliche Interesse grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände im Wege der Nutzungsuntersagung gebietet, macht die Behörde im Regelfall von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie bei rechtswidrig errichteten oder genutzten Anlagen die unzulässige Benutzung untersagt, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann (BayVGH, B. v. 07.01.2010 - 15 ZB 19.1642 - juris Rn. 16). Es handelt sich bei der Befugnisnorm des Art. 76 Satz 2 BayBO um einen Fall intendierten Ermessens, so dass grundsätzlich bereits die Erfüllung des Tatbestands den Erlass einer Nutzungsuntersagung rechtfertigt und in der Regel keine besondere Begründung der Abwägungsentscheidung erforderlich ist. Es genügt, wenn die Bauaufsichtsbehörde zum Ausdruck bringt, dass der beanstandete Zustand wegen seiner Rechtswidrigkeit beseitigt werden müsse (Decker in Simon/Busse, BayBO, 145. EL Januar 2022, Art. 76 Rn. 301 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.2.2019 - 9 CS 18.2659 - juris Rn. 19; B.v. 19.5.2016 - 15 CS 16.300). Eine Nutzungsuntersagung kann jedoch unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft sein, wenn die Nutzung offensichtlich materiell rechtmäßig und damit genehmigungsfähig ist.
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Die Nutzung erweist sich nach summarischer Prüfung nicht als offensichtlich genehmigungsfähig. An die Offensichtlichkeit sind hohe Anforderungen zu stellen. Hierfür müsste ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar sein, dass der Erteilung einer erstrebten Baugenehmigung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Hinderungsgründe entgegenstehen (vgl. VG München, B.v. 11.03.2022 - M 11 S 22.788 m.w.N.). Nach Aktenlage kann nicht geklärt werden, ob die derzeitige Nutzung den immissionsschutzrechtlichen Anforderungen genügt. Zwar kommt das geänderte schalltechnische Gutachten vom 20. April 2021 zum Ergebnis, dass die rechnerisch für den Betrieb der Speditionshalle an den untersuchten Immissionsorten ermittelten Teilbeurteilungspegel die Immissionsrichtwerte nach „TA-Lärm-Dorfgebiet“ im Tagzeitraum unterschreiten und die Anforderungen an das Spitzenpegelkriterium nach TA-Lärm im Tagsowie Nachtzeitraum eingehalten werden. Dem geänderten Gutachten wurden jedoch erneut lediglich maximal acht LKW-Fahrten pro Tag zu Grunde gelegt. Nach Aktenlage bestehen erhebliche Zweifel, dass dieser Maximalwert der tatsächlichen Nutzung entspricht. Zwar hat die Antragstellerin vorgetragen, dass die vorgelegten Protokolle des Nachbarn (Bl. 122 f BA) überholt seien und tatsächlich lediglich maximal acht Fahrten je Tag stattfänden. Nach Aktenlage sind jedoch weder hinreichende Anhaltspunkte dafür erkennbar noch wurde insoweit substantiiert vorgetragen, dass im Nachgang zum „Runden Tisch“ vom 30. November 2020, im Rahmen dessen der Vertreter der Antragstellerin angegeben hatte, dass ca. zehn bis fünfzehn LKW-Fahrten pro Tag stattfänden, eine Betriebsänderung dergestalt stattgefunden hat, dass die täglichen LKW-Fahrten dauerhaft auf maximal acht Fahrten reduziert wurden. Soweit die Antragstellerin insoweit auf die von ihr als Anlage A3 vorgelegte Aufstellung der LKW-Fahrten im Zeitraum vom 07. Juni 2021 bis zum 20. August 2021 (Bl. 24 f d. GA) verweist, weist das Landratsamt zurecht darauf hin, dass sich bereits aus dieser Aufstellung ablesen lässt, dass der im Gutachten angesetzte Maximalwert in diesem Zeitraum an vier Tagen überschritten wurde. Gegen die Annahme einer solchen Betriebsänderung spricht nach Aktenlage auch der Umstand, dass der Gutachter dem Landratsamt mitgeteilt hat, dass die ursprüngliche Zahl von 15 LKW-Fahrten im Gutachten nach Rücksprache mit dem Bauherrn auf acht LKW-Fahrten pro Tag beschränkt worden sei, nachdem die Ansetzung von 15 LKW-Fahrten pro Tag zu einer Überschreitung des reduzierten Immissionsrichtwerts eines Dorfgebiet führen würde (Bl. 338 BA).
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Angesichts der daraus resultierenden Unklarheit über die Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen kann offengelassen werden, ob darüber hinaus im schalltechnischen Gutachten vom 20. April 2021 zu Unrecht die nördliche Zufahrt von der Z. … straße nicht berücksichtigt worden ist.
46
Im Übrigen stünde einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit auch das fehlende gemeindliche Einvernehmen entgegen. Fehlt - wie vorliegend - das nach § 36 Abs. 1 BauGB erforderliche Einvernehmen der Gemeinde, kann nicht von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit ausgegangen werden (vgl. VG München, B.v. 20.10.2021 - M 1 S 21.950; Decker in Busse/Kraus, 145. EL Januar 2022, BayBO Art. 76 Rn. 303).
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(bb) Auch die Entscheidung, die Antragstellerin als Störer in Anspruch zu nehmen, ist nicht ermessensfehlerhaft, § 114 Satz 1 VwGO. Sind mehrere Personen für die Errichtung oder Änderung einer (baulichen) Anlage verantwortlich, so hat die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über deren Inanspruchnahme (Auswahlermessen) zu entscheiden. Das Gleiche gilt, wenn die Anlage im Eigentum mehrerer Personen steht. Bei einer solchen Mehrheit von Störern ist anerkannt, dass diese der Bauaufsichtsbehörde gegenüber gesamtschuldnerisch zur Beseitigung der Störung verpflichtet sind, die von der Anlage ausgeht. Die Bauaufsichtsbehörde ist daher prinzipiell befugt, entweder alle oder einzelne Störer oder nur einen einzelnen Verantwortlichen heranzuziehen. Gesetzliche Richtschnur für die fehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens müssen beim Zusammentreffen von Verhaltens- und Zustandsstörer die Umstände des Einzelfalls, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auch das Gebot der schnellen und effektiven Gefahrenbeseitigung sein (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 145. EL Januar 2022, Art. 76 Rn. 295, 177 f. m.w.N.). Aufgrund des auch im Bauordnungsrecht als Teil des besonderen Sicherheitsrechts geltenden Grundsatzes der Effektivität des Handelns der Bauaufsichtsbehörde und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Verhaltensstörer durch seine Tätigkeit mehr zur Störung der Rechtsordnung beigetragen hat als etwa der Grundstückseigentümer als Zustandsstörer, wird es dabei regelmäßig sachgerecht sein, den Verhaltensstörer vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen (BayVGH, B.v. 28.5.2001 - 1 ZB 01.664 - juris Rn. 5). Ausgehend von diesen Erwägungen war die Antragstellerin als Handlungsstörer als naheliegender Adressat der Nutzungsuntersagung heranzuziehen, da sie den rechtswidrigen Zustand geschaffen hat und es ihr auch tatsächlich möglich ist, durch ihr Verhalten die Störung wieder zu beseitigen. Auch wenn die Antragstellerin im Zeitpunkt der Nutzungsaufnahme keine Kenntnis über das Nichtvorliegen der erforderlichen Baugenehmigung gehabt haben sollte, würde dies vorliegend nicht zu einer fehlerhaften Ermessensausübung der Behörde führen, da im Gefahrenabwehrrecht die Verantwortlichkeit eines Störers unabhängig vom Verschulden eintritt (BayVGH, B.v. 26.9.1995 - 21 B 95.1527).
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bb) Der Umstand, dass die Setzung einer bestimmten Frist und Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erst nachträglich mit Änderungsbescheid vom 11. August 2021 erfolgten und im ursprünglichen Bescheid vom 20. Mai 2021 eine Frist bis spätestens zwei Monate nach Bestandskraft gesetzt worden war, begründet keine Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids (vgl. BayVGH, B.v. 10.02.1988 - 2 CS 88.00208; VG München, B.v. 17.05.2016 - M 8 S 16.897 m.w.N.). Hierfür spricht schon, dass die Antragsgegnerin berechtigt gewesen wäre, die Nutzungsuntersagung von Anfang an mit einer bestimmten Frist sowie einer Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zu erlassen. Vor allem ist mit dem Bescheid vom 20. Mai 2021 kein Vertrauensschutz zugunsten der Antragstellerin begründet worden, da diese unabhängig vom Erlass und dem Wirksamwerden der Nutzungsuntersagung die geänderte Nutzung ohne die hierfür erforderliche Baugenehmigung nicht hätte aufnehmen und fortsetzen dürfen (vgl. VG München, B.v. 17.05.2016 - M 8 S 16.897). Insbesondere hat der Antragsgegner im Bescheid vom 20. Mai 2021 keinerlei Vertrauenstatbestand auf Erhalt einer Baugenehmigung geschaffen noch darauf, dass die Antragstellerin die ungenehmigte Nutzung als Speditionsbetrieb bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Bauantrag vom 19. April 2021 beibehalten darf. Bereits im Anhörungsschreiben zum beabsichtigten Erlass der Nutzungsuntersagung vom 29. April 2021 (Bl. 328 BA) hat das Landratsamt unmissverständlich deutlich gemacht, dass auch nach Anpassung der schalltechnischen Untersuchung und der Eingabepläne noch nicht klar sei, ob und wann eine Genehmigung erteilt werden könne, jedoch ein weiteres Zuwarten auf Grund der bereits sehr langen Laufzeit des Antrags nicht mehr hingenommen werden könne. Auch im Bescheid vom 20. Mai 2021 stellte das Landratsamt nochmals klar, dass erst nach Prüfung der Antragsunterlagen vom 19. April 2021 feststehen werde, ob eine Genehmigung möglich sei, jedoch ein weiteres Zuwarten vorliegend nicht hingenommen werden könne. Von der Schaffung eines Vertrauenstatbestands auf Erhalt der Genehmigung und Weiternutzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Bauantrag kann daher keine Rede sein. Auch begegnet die Dauer der für die Nutzungsaufgabe gesetzten Frist keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, zumal der Antragstellerin spätestens seit Erhalt des Anhörungsschreibens vom 29. April 2021 die Rechtswidrigkeit der Grundstücksnutzung und Ungewissheit, ob und wann eine Genehmigung für die Nutzungsänderung erteilt werden kann, bewusst war und sie an sich spätestens ab diesem Zeitpunkt gehalten gewesen wäre, die notwendigen Vorbereitungen zur Nutzungsaufgabe zu treffen.
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cc) Die in Nr. 3 des Bescheids vom 20. Mai 2021 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. August 2021 verfügte Zwangsgeldandrohung erweist sich als rechtmäßig. Es sind sowohl die allgemeinen als auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben. Die Androhung entspricht sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach den Vorschriften der Art. 29 ff. VwZVG. Insbesondere hält sich die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes im Rahmen des Art. 31 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 VwZVG; Einwendungen hiergegen sind nicht zu erheben.
50
dd) Die Kostenentscheidungen des Bescheids vom 20. Mai 2021 und des Änderungsbescheids vom 11. August 2021 begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die Höhe der Kosten ergibt sich aus Art. 6 und 10 BayKostG i.V.m. Nr. 2.I.1/1.45 und 5 des Kostenverzeichnisses (KVz).
51
c) Nach alldem überwiegt vorliegend nach summarischer Prüfung das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.
52
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
53
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Nummer 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der Hälfte des voraussichtlich im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts.